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Die aktuelle Schuldenbremse verhindert notwendige Zukunftsinvestitionen. Dieser Beitrag enthält einen pragmatischen Änderungsvorschlag des Artikel 109 Abs. 3 GG, der im Kern für einen Übergang von der kameralen Betrachtung der Einnahmen und Ausgaben zur kaufmännischen Betrachtung als Erträge und Aufwendungen plädiert. Staatliche Nettoinvestitionen durch zusätzliche Kreditaufnahmen können erfolgen, sofern die Einnahmen aus Krediten nicht höher sind als die Investitionsausgaben, die über den Durchschnitt der Investitionsausgaben der vergangenen zehn Jahre hinausgehen. Bei genügend hohem Wirtschaftswachstum kann eine höhere Neuverschuldung mit der Einhaltung der Maastricht-Kriterien einhergehen. Dadurch wird dem Investitionsstau begegnet und der Weg frei für zukunftsorientierte Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Forschung.

Die Schuldenbremse abschaffen oder erhalten? An die Stelle dieser primitiven Form der Fragestellung sollte nach der erfolgten Bundestagswahl 2025 die Frage treten, wie man die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erhalten, aber so ergänzen kann, dass sie für die Zukunftsfähigkeit des Landes notwendige Investitionen nicht hemmt, sondern fördert.

Da die öffentlichen Haushalte in Deutschland noch immer auf dem traditionellen, kameralen Rechnungswesen basieren, stellt auch die Schuldenbremse auf den Saldo aus Einnahmen und Ausgaben ab. Im Unterschied dazu werden im kaufmännischen Rechnungswesen Erträge und Aufwendungen betrachtet. Der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Rechnungslegungssystemen besteht darin, wie Investitionen behandelt werden. Während die Kameralistik alle Ausgaben und so auch alle Investitionsausgaben auf der Negativseite verbucht, werden im kaufmännischen Rechnungswesen nur die jährlichen Abschreibungen über die Nutzungsdauer der Investitionsgüter als Aufwand gebucht. Nettoinvestitionen, also der Investitionsbetrag eines Unternehmens, der über die Summe der Abschreibungen hinausgeht und der das Vermögen des Unternehmens erhöht, gelten im kaufmännischen Rechnungswesen hingegen nicht als Aufwand, sondern erhöhen in der Bilanz sogar die Aktiva. Bei einer Ergänzung der Schuldenbremse sollte es das Ziel sein, Nettoinvestitionen des öffentlichen Sektors nicht länger als etwas Negatives zu sehen und nicht länger deren Kreditfinanzierung zu verbieten.

Konstruktionsfehler in den Schuldenbremsen von 1949 und 2009

Die alte, aus der Weimarer Verfassung von 1919 in das Grundgesetz von 1949 übernommene Regelung, dass kreditfinanzierte Staatsausgaben zulässig sind, solange die Einnahmen aus Krediten die Summe der veranschlagten Ausgaben für Investitionen1 nicht überschreiten, erwies sich nicht wegen eines unscharfen Investitionsbegriffs als problematisch, wie oft fälschlicherweise behauptet wird. Der gravierende Konstruktionsfehler war vielmehr, dass die zulässige Nettoneuverschuldung der öffentlichen Hand an den Betrag der Bruttoinvestitionen gekoppelt wurde statt nur an den der Nettoinvestitionen, also nur an den Teilbetrag der Investitionssumme, der über die Abschreibungen hinausgeht (BMF, 2025, S. 21). Abschreibungen waren in der öffentlichen Finanzbuchhaltung damals noch ein Fremdwort. Durch diesen Konstruktionsfehler wurden auch für bloße Ersatzinvestitionen legaliter neue, zusätzliche Schulden gemacht.

In seiner Expertise von 2007 sprach sich der Sachverständigenrat (SVR, 2007, S. 74) im Kern dafür aus, eine Neuverschuldung nur noch in Höhe der Nettoinvestitionen zuzulassen. Der Politik war diese „Goldene Regel der Staatsverschuldung“ aber immer noch zu großzügig. Bundestag und Bundesrat verankerten 2009 im Grundgesetz stattdessen die neue Schuldenbremse, nach der die öffentlichen Haushalte der Bundesländer spätestens ab 2020 ganz ohne und der Bundeshaushalt mit einem sehr kleinen (0,35 % des Bruttoinlandsprodukts) strukturellen Defizit auskommen müssen. Aufgegeben wurde damit allerdings auch die Kreditfinanzierung solcher Staatsausgaben, deren Nutzen nicht nur der aktuellen, sondern auch und vor allem künftigen Steuerzahlergenerationen zugute kommt. Aufgegeben wurde insoweit ein Stück Generationengerechtigkeit, obwohl doch die Generationengerechtigkeit die zentrale Begründung für die Einführung der Schuldenbremse war.2 Aufgegeben wurde mit der Schuldenbremse vor allem aber auch die Möglichkeit, durch kreditfinanzierte Nettoinvestitionen volkswirtschaftliche Wachstumsimpulse zu setzen. Die Schuldenbremse gibt hinsichtlich der Nettoinvestitionen ein falsches Signal für die staatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Diesen Fehler in der Schuldenbremse gilt es zu korrigieren.

Staatliche Nettoinvestitionen sind zu gering

Bundesweit zeigt die Investitionsstatistik kein gutes Bild. Auf 117 Mrd. Euro beliefen sich 2023 die staatlichen Investitionsausgaben in Deutschland (Abbildung 1). Aus einer vom Statistischen Bundesamt (2024) im Dezember veröffentlichten Arbeitsunterlage geht hervor, dass nach Abzug der Abschreibungen (115 Mrd. Euro), mit denen der Wertverlust am vorhandenen Anlagenbestand insbesondere durch die Abnutzung der Infrastrukturgüter gemessen wird, nur noch knapp 2 Mrd. Euro als Nettoinvestitionssumme übrig blieben. Pro Tag und Einwohner waren das 6 Cent, die der Staat 2023 für zusätzliche Investitionen ausgegeben hat. Auch in den Jahren davor waren die staatlichen Nettoinvestitionen bereits viel zu niedrig. 2023 sind sie aber noch einmal weiter abgesackt. Auch wenn man methodische Schwächen bei der Abschätzung der Abschreibungen durch das Statistische Bundesamt nicht ausschließen kann, bleibt es qualitativ bei der Feststellung, dass sich die staatlichen Nettoinvestitionen in Deutschland seit Jahren in der Nähe von Null bewegen.

Abbildung 1
Staatliche Nettoinvestitionen
Staatliche Nettoinvestitionen

Quelle: Cuny (2024), Datenbasis: Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Stand: 12. Dezember 2024.

Kaufmännische Ergänzung der Schuldenbremse

Ziel muss es sein, wieder mehr zusätzliche Investitionen zu erreichen, die über den bloßen Ersatz des eingetretenen Wertverlusts im Bestand hinausgehen. Reformziel muss sein, Nettoinvestitionen des Staates nicht länger als etwas Negatives zu verbuchen, sondern eine Nettoneuverschuldung für Nettoneuinvestitionen zuzulassen.3 Dies kann man in grober aber hinreichend guter Näherung erreichen, wenn man in Art. 109, Absatz 3, GG die Vorschrift, dass die „Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“ sind, um den Satz ergänzt (Kasten 1):

Dem ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten nicht höher sind als die Investitionsausgaben, die über den Durchschnitt der Investitionsausgaben der vergangenen 10 Jahre hinausgehen.

 

Kasten 1
Reform der Schuldenbremse zugunsten von mehr staatlichen Nettoinvestitionen
Reform der Schuldenbremse zugunsten von mehr staatlichen Nettoinvestitionen

Der Vorschlag lässt also eine Neuverschuldung im Umfang der zusätzlichen (additionalen) Investitionsausgaben zu, die über den Durchschnitt der Investitionsausgaben in den letzten zehn Jahren hinausgehen. Der Vorteil ist, dass man im Verfassungstext nicht mit den buchhalterischen Fachbegriffen „Nettoinvestitionen“ und „Abschreibungen“ hantieren müsste, zumal auch die genaue Messung der Abschreibungen Probleme bereitet.4

Bei dieser vorgeschlagenen pragmatischen Regelung wird implizit einfach näherungsweise unterstellt, alle staatlichen Investitionen würden einheitlich über zehn Jahre linear abgeschrieben. Mit dieser Unterstellung beziffert sich der rechnerische Betrag der Abschreibungen im zu planenden Haushaltsjahr exakt auf den Durchschnitt der in den zehn Jahren davor getätigten Investitionsausgaben.5 Die Investitionen, die über den Durchschnitt der letzten zehn Jahre hinausgehen, sind dann näherungsweise die Nettoinvestitionen. Wenn im Verfassungstext gleichzeitig die dem Bund zugestandene strukturelle Neuverschuldung in Höhe von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestrichen würde, wäre die vorgeschlagene Reform der Schuldenbremse für den Bund sogar eine Verschärfung insofern, als ihm dann strukturelle Neuschulden für konsumptive Zwecke nicht mehr wie bisher erlaubt wären.

Im Grundgesetz wären die Änderungen wie folgt zu formulieren (Kasten 1): Weiterhin erhalten bliebe die bisherige Regelung, mit der konjunkturelle Schwankungen ausgeglichen werden, sowie die Ausnahmeregelung für Notsituationen. Durch Streichung des letzten Halbsatzes in Art. 109, Absatz 3, GG würde die bisherige Ungleichbehandlung von Bundes- und Länderhaushalten bei der Schuldenbremse beseitigt, ohne dass die Landesverfassungen entsprechend geändert werden müssten (Normenhierarchie gemäß Artikel 31 GG).

Was Investitionen sind und was nicht, ist in den Haushaltsordnungen des Bundes und der Länder hinreichend klar definiert. Die Befürchtung einer manipulativen Auslegung, um auch konsumptive Ausgaben wie etwa Sozialausgaben mit neuen Schulden finanzieren zu können, erscheint deshalb unbegründet. Auch ein Ausufern der Neuverschuldung ist nicht zu befürchten. Denn mit jedem neuen Jahr rückt der Referenzzeitraum weiter, aus dem der Durchschnitt der Investitionsausgaben errechnet wird, und es erhöht sich damit die Schwelle, die für eine weitere Verschuldung überschritten werden muss. Politisch gilt es nun auszuloten, ob es die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine solche Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz geben könnte. Auf Grund der sehr einfach gehaltenen und für Laien verständlichen, pragmatischen Regelung dürfte eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung wohl zu finden sein.

Auflösung des Investitionsstaus

Vor der Bundestagswahl 2025 wurde von nahezu allen Seiten ein über Jahrzehnte entstandener Investitionsstau (festgemacht an Schlagworten wie Brücken, Bahnstrecken, Schulen) konstatiert. Investitionsstau bedeutet, dass in den letzten Jahren zu wenig investiert wurde. Da der obige Reformvorschlag auf die Kredifinanzierungsmöglichkeit für diejenigen Investitionen abzielt, die über das Investitionsniveau der letzten zehn Jahre hinausgehen, ist er also auch ein Instrument, mit dem die notwendige Nachholung unterbliebener Erhaltungs- und Ersatz­investitionen begünstigt wird. Eine darüber hinausgehende Öffnung der Schuldenbremse wird nicht benötigt, und schon gar nicht deren vollständige Abschaffung.

Investitionen in die Bildung

In der aktuellen Diskussion wird vorgetragen, es gebe auch nicht-investive staatliche Ausgaben, die erst in der Zukunft ihre Früchte tragen und für die deshalb ebenfalls eine Kreditfinanzierung ermöglicht werden müsse. Das stimmt. So haben z. B. auch die formal konsumptiven Ausgaben für Bildung (Lehrergehälter etc.) in der Tat quasi-investiven Charakter. Man könnte sie in die Neuregelung der Schuldenbremse durchaus mit einbeziehen. Allerdings müsste man dann auch hier Quasi-Abschreibungen gegenrechnen für jene Bildungsausgaben, mit denen lediglich der durch die Alterung der Erwerbsbevölkerung eingetretene Werteverzehr kompensiert wird. Entsprechend wären dann nur die Bildungsausgaben, die über den Durchschnitt der Bildungsausgaben der letzten zehn Jahre hinausgehen, als Quasi-Nettoinvestitionen anzuerkennen und für eine Kreditfinanzierung zuzulassen. Der neue Satz 2 in Art. 109 Abs. 3 würde dann lauten:

Dem ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten nicht höher sind, als die Ausgaben für Investitionen und für Bildung, die über den Durchschnitt der Ausgaben für Investitionen und für Bildung der vergangenen 10 Jahre hinausgehen.

Auch für diese etwas weiter gefasste Öffnung der Schuldenbremse ist eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung zu erwarten. Entsprechendes gilt, wenn man auch die staatlichen Ausgaben für die Forschung und Forschungsförderung als quasi-investiv einstuft, soweit sie nicht ohnehin schon als Investitionsausgaben verbucht werden. Exemplarisch wird aktuell gerne ein zusätzlicher Forschungsbedarf im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) genannt, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft wieder zu verbessern.

Vorschlag „Zukunftsquote“ und „Zukunftsausgaben“

Die von Bohne et al. (2024) detailliert als Indikator für die Zukunftsorientierung öffentlicher Haushalte beschriebene „Zukunftsquote“ geht tendenziell in die gleiche Richtung wie der hier vorgestellte Reformvorschlag. Die feingliedrig zu messende Zukunftsquote wird aber schon von den Autoren selbst vor allem eher als Monitoring-Instrument eingestuft und nur eingeschränkt als geeignet für eine Reform der Schuldenbremse.

Von Heinemann et al. (2025) wurde deshalb nun ein Konzept für einen Zukunftshaushalt präsentiert, der sich an die pragmatische Additionalitätsregelung in dem oben vorgestellten Reformvorschlag anlehnt. Sie empfehlen, im Grundgesetz eine Kreditfinanzierung zuzulassen für „Zukunftsausgaben, die über den Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre hinausgehen“. Zukunftsausgaben sollen dabei im Grundgesetz als „Ausgaben für Investitionen, Bildung, Forschung und Entwicklung, Umwelt- und Klimaschutz sowie Verteidigung“ definiert werden. Zusätzlich wollen sie die bisherige Zulässigkeit einer nicht zweckgebundenen strukturellen Neuverschuldung des Bundes in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beibehalten. Die Einnahmen aus Krediten insgesamt wollen sie in ihrer Summe im Grundgesetz nach oben limitieren auf vom Verfassungsgeber noch festzulegende prozentualen Anteil des Bruttoinlandsprodukts.

Dieser gut begründete Ansatz erscheint allerdings immer noch zu komplex. Allein schon die Benutzung des neuen Begriffs „Zukunftsausgaben“ im Grundgesetz würde Ängste nähren, hier könnte eine Tür für missbräuchliche Auslegung geöffnet werden. Bei den Entscheidungsträgern im Bundestag und Bundesrat, aber vor allem auch bei der Bevölkerung wäre deshalb die von Heinemann et. al. (2025) angedachte Lösung vermutlich schwerer vermittelbar als der hier vorgestellte deutlich einfachere Reformvorschlag.

Vorschlag des Sachverständigenrates

Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten 2024/2025 ebenfalls die „zukunftsorientierten öffentlichen Ausgaben“ im Blick, und sucht nach Wegen, sie mit einer Reform der Fiskalregeln zu erhöhen (SVR, 2024). Im Kern beinhaltet der Vorschlag eine Staffelung der Regelgrenze für das zulässige strukturelle Defizit in Abhängigkeit von der Staatsschuldenstandsquote in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (SVR, 2024, Ziffer 171). Liegt diese über 90 %, soll die bisherige Schuldenbremse gelten, die dem Bund – und nur dem Bund – ein strukturelles Defizit von 0,35 % des BIP erlaubt. Bei einer Staatsschuldenstandsquote unter 90 % soll ein strukturelles Defizit von 0,5 % des BIP und bei einer Staatsschuldenstandsquote von unter 60 % ein strukturelles Defizit von sogar maximal 1 % zugelassen werden. In der öffentlichen Diskussion wird dieser Vorschlag am Ende aber vermutlich als „Aufweichung“ der Schuldenbremse mit entsprechender negativer Konnotation bewertet werden, obwohl er in eine Reihe weiterer bedenkenswerter Maßnahmenvorschläge eingebettet ist.

Staatsschuldenquote und Wirtschaftswachstum

Neben der jährlichen Neuverschuldung ist allerdings in der Tat auch der Schuldenstand im Blick zu halten, und zwar in Relation zur gesamtwirtschaftlichen Leistung, wie es der Maastricht-Vertrag von 1992 festgelegt hat. Dort ist ein Schuldenstand von höchstens 60 % des BIP als einzuhaltende Quote festgelegt. Mit der Betrachtung der Staatsschulden in Relation zur gesamtwirtschaftlichen Leistung kommt das Wirtschaftswachstum ins Spiel, und zwar das nominale Wachstum, das sich aus der Inflationsrate und der realen Wachstumsrate (multiplikativ6) zusammensetzt und das den Nenner der Quote beeinflusst.

Dass die Staatsschuldenstandsquote, die nach der weltweiten Finanzkrise in Deutschland auf 81 % gestiegen war (Abbildung 2), bis 2019 wieder auf unter 60 % gesunken ist, war praktisch allein auf die Entwicklung im Nenner der Quote und damit auf das nominale Wirtschaftswachstum des Bruttoinlandsprodukts in diesen Jahren zurückzuführen. Der absolute Schuldenstand im Zähler der Quote war 2019 im Vergleich zu 2010 nahezu unverändert. Ohne das Wachstum des nominalen Bruttoinlandsprodukts hätte die Quote 2019 immer noch 79 % betragen. Das Gleiche gilt für die Entwicklung der Quote seit 2021: Ohne das Wachstum des nominalen (!) Bruttoinlandsprodukts wäre die Quote nicht wieder zurückgegangen, sondern wäre sogar gestiegen und läge heute bei rund 72 %.

Abbildung 2
Staatsschuldenquote
„Maastricht-Schulden“ in % des BIP in Deutschland
Staatsschuldenquote

Quelle: BMF-Monatsberichte, zuletzt November 2024.

Macht man sich den mathematischen Zusammenhang zwischen der Staatsschuldenquote SQ (Bruttoschuldenstand in Relation zum BIP), dem jährlichen Haushaltsdefizit/jährliche Neuverschuldung in Relation zum BIP d und dem nominalen Wachstum w des Bruttoinlandsprodukts klar, erkennt man, dass bei ausreichend hohem nominalen Wachstum die Staatsschuldenstandsquote trotz jährlicher Nettoneuverschuldung nicht ins Unermessliche explodiert, sondern über die Zeit auf einen endlichen Grenzwert konvergiert, der von der Höhe der relativen Nettoneuverschuldung (in % des BIP) und der Höhe des nominalen Wachstums abhängt (Abbildung 3).

Abbildung 3
Konvergenz des relativen Schuldenstands
Konvergenz des relativen Schuldenstands

Unter der Annahme von 2 % Inflation p. a. und 3,2 % realem Wachstum p. a. ergibt sich ein nominales Wachstum von w = 5,3 %, zusammen mit einer nach EU-Regeln konformen Nettoneuverschuldung von d = 3 % p. a. konvergiert der Schuldenstand gegen 60 % des BIP.
Quelle: eigene Berechnungen.

limt 𝘚𝘘 = dt wt + dt

= 0,03 / 0,053 + 0,03 ≈ 0,6 = 60 %.

Bei einem jährlichen nominalen Wachstum von durchschnittlich w = 5,3 %, kann sich der Staat jährlich im Durchschnitt um d = 3 % des BIP neu verschulden und erreicht im Zeitablauf immer noch eine Staatsschuldenstandsquote von 60 % – aus mathematischer Notwendigkeit und unabhängig vom Ausgangsniveau.7

Wenn also infolge der Coronapandemie und der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Wirtschaftskrise die Schuldenstandsquote vorübergehend wieder deutlich angestiegen ist, heißt dies nicht, dass der Staat in den nächsten Jahren Überschüsse erzielen und Schulden tilgen muss, um tendenziell wieder auf einen Schuldenstand von 60 % des BIP zu kommen. Nein: Der Staat kann sogar in begrenztem Umfang jedes Jahr weiterhin neue Schulden aufnehmen, sofern im Durchschnitt der Jahre ein ausreichend hohes nominales Wirtschaftswachstum erreicht wird. Die Schuldenstandsquote konvergiert auch dann über die Zeit wieder von allein nach unten in Richtung auf die 60-Prozent-Linie, wie sie im Vertrag über die Arbeitsweise der EU als Obergrenze festgelegt ist.

Ein zentrales Ziel der Wirtschafts- und Finanzpolitik muss es sein, das Land zukunftsfit zu machen. Und damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei den Nettoinvestitionen des Staates: Um das Wachstum zu unterstützen, mit dem die Zukunftsfähigkeit des Landes ermöglicht wird, sollte der Staat nicht nur die private Investitionstätigkeit anregen, sondern auch seine eigenen Nettoinvestitionen spürbar erhöhen.

Fazit

Bisher bewegen sich die Nettoinvestitionen des Staates in der Nähe von 0 % des BIP. Notwendig ist eine Ergänzung der Schuldenbremse um eine Regelung, die es erlaubt, künftig Nettoneuinvestitionen des Staates durch eine zusätzliche Nettoneuverschuldung zu finanzieren. Diese kaufmännische Betrachtungsweise wäre nicht nur förderlich für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, sondern läge auch im Interesse der Belastungsgerechtigkeit zwischen den Steuerzahlergenerationen.

Die Haushaltsplanung des Bundes und der Länder beruht in Deutschland noch immer auf der kameralen Betrachtung von Einnahmen und Ausgaben. Ein kaufmännisches Rechnungswesen, das stattdessen auf Erträge und Aufwendungen abstellt, ist im öffentlichen Sektor noch nicht überall vorhanden. Gleichwohl könnte die im Grundgesetz verankerte (kamerale) Schuldenbremse um eine Regelung ergänzt werden, die im Ergebnis staatliche Nettoinvestitionen begünstigt.

Dazu müsste im Artikel 109 Abs. 3 GG festgelegt werden, dass dem Prinzip eines Haushaltsausgleichs ohne Kredite auch dann entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten nicht höher sind, als die Investitionsausgaben, die über den Durchschnitt der Investitionsausgaben der vergangenen zehn Jahre hinausgehen. Eine jährliche Neuverschuldung und die Einhaltung des Maastrichtkriteriums einer Schuldenstandsquote von maximal 60 % schließen einander nicht aus. Dafür, dass der relative Schuldenstand im Verhältnis zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung im Zeitablauf trotz jährlicher Neuverschuldung sinken kann, ist ein ausreichend hohes jährliches nominales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts die notwendige Voraussetzung. Wachstum zu fördern, muss zentrales Ziel der Wirtschafts- und Finanzpolitik sein.

  • 1 Im Grundgesetz war die Bezeichnung dafür zunächst „Ausgaben für werbende Zwecke“. Dies wurde später in „Ausgaben für Investitionen“ geändert.
  • 2 Nach der geltenden Schuldenbremse wird von den Steuerzahlern 2025 ungerechterweise verlangt, die neuen Radwege und neuen Forschungslabore komplett im Voraus zu bezahlen, obgleich erst künftige Steuerzahlergenerationen den Nutzen davon haben.
  • 3 Auch der Internationale Währungsfonds Fonds (IWF) will mehr staatliche Nettoinvestitionen anstoßen. Debrun et al. (2018) stellen neue „Fiskalregeln der zweiten Generation“ als Idee zur Diskussion. Die vorgeschlagene neue Art von Schuldenbremse soll nicht mehr auf den Brutto-, sondern auf den Nettoschuldenstand der Staaten blicken und nur dessen Anstieg verhindern. Dafür werden die Schulden mit dem veräußerbaren Staatsvermögen saldiert. Schulden, mit denen zusätzliches Vermögen entsteht, sind bei dieser Betrachtung keine neuen Schulden mehr.
  • 4 Der SVR (2024, Ziffer 161) bezeichnet die haushaltsrechtliche Bestimmung der Abschreibungen als „Herausforderung, da Abschreibungen eine nicht beobachtbare Größe darstellen, zu deren Bestimmung Schätzungen nötig sind“. Zwar führten seit 2009 nach und nach mehrere Bundesländer ergänzend zum kameralen Haushalt das kaufmännische Rechnungswesen (die sog. „Doppik“) ein, weil diese Betrachtungsweise – so hieß es damals – der klassischen Kameralistik überlegen sei und ein ehrlicheres Bild der Vermögensentwicklung und des Ressourcenverbrauchs liefere. Diese kaufmännische Kalkulation findet aber bislang nur ex post als Jahresabschluss statt, sodass für die Haushaltsplanung und Haushaltsgesetzgebung valide Zahlen gar nicht verfügbar sind oder mit riesigem Aufwand bereitgestellt werden müssten.
  • 5 Rechnerisch ist die Summe der Abschreibungsbeträge von jeweils 1/10 der Investitionsausgaben in den letzten zehn Jahren identisch mit 1/10 der Summe der Investitionsausgaben der letzten zehn Jahre, also mit deren arithmetischem Durchschnitt.
  • 6 Aus z. B. 2 % Inflation und 3,2 % realem Wachstum resultiert ein nominales Wachstum von 5,3 % (1,02 x 1,032 ≈ 1,053).
  • 7 Ist das durchschnittliche jährliche nominale Wachstum niedriger als in diesem Beispiel und soll die Schuldenstandsquote weiterhin auf 60 % konvergieren, muss auch die Nettoneuverschuldung entsprechend niedriger ausfallen, für ein nominales Wachstum von nur w = 3 % ergibt sich z. B. eine Nettoneuverschuldung von d ≈ 1,75 %.

Literatur

Bohne, A., Heinemann, F., Niebel, T. & Thöne, M. (2024). Die Zukunftsquote: Ein neuer Kompass für den Bundeshaushalt. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 25(2), S. 113–129.

BMF – Bundesministerium der Finanzen. (2022). Kompendium zur Schuldenregel des Bundes (Schuldenbremse).

Debrun, X., Hodge, A., Duarte Lledo, V. & Pattillo, C. A. (2018). Second-Generation Fiscal Rules: Balancing Simplicity, Flexibility, and Enforce­ability. IMF Staff Discussion Notes, Nr. 2018/004.

Heinemann, F., Asatryan, Z., Bohne, A., Steger, P. (2025, 10. März). Zukunftshaushalt statt Schuldenbremse. Vorschlag zur Grundgesetzänderung. ZEW Diskussion Papier.

Statistisches Bundesamt. (2024, 10. Oktober). Arbeitsunterlage Investitionen, 2. Vierteljahr 2024.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2007). Staatsverschuldung wirksam begrenzen (Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie).

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren. Jahresgutachten 2024/25.

 

Title:A Pragmatic Proposal for a Revised Debt Brake Informed by the Perspective of Commercial Double-Entry Bookkeeping

Abstract:The current debt brake prevents necessary future investments. This article contains a pragmatic proposal to amend Article 109 paragraph (3) of the Basic Law, which essentially argues in favour of a transition from the cameralistic perspective on cash-based accounting to the perspective of commercial (double-entry) bookkeeping on income and expenditure. This would counter the investment backlog and pave the way for future-oriented expenditures, e.g. on infrastructure, education and research. Net government investment through additional borrowing can take place provided that the income from loans is not higher than the investment expenditure, which exceeds the average investment expenditure of the past ten years. If economic growth is sufficiently high, higher new borrowing is compliant with the Maastricht criteria. This will counter the investment backlog and pave the way for future-oriented spending on infrastructure, education and research.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0049