Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die im März 2025 beschlossene Grundgesetzänderung für das Finanzpaket erweitert die Spielräume der deutschen Finanzpolitik ganz erheblich: Erstens gibt es eine Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben, die oberhalb von 1 % des BIP mit Krediten finanziert werden dürfen. Zweitens steht für zwölf Jahre ein großes kreditfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Mrd. Euro für Infrastrukturinvestitionen und Klimaschutz zur Verfügung. Drittens erhalten die Länder eine strukturelle Verschuldungsmöglichkeit von jährlich 0,35 % des BIP. Das Finanzpaket bedeutet eine wirkliche Zeitenwende. Nach vielen Jahren der kontroversen finanzpolitischen Debatten ist die Schuldenbremse nun tatsächlich massiv reformiert und gelockert worden. Für die Finanzpolitik ist dies ein Befreiungsschlag. Nach dem jahrelangen lähmenden Haushaltsstreit in der Ampel-Koalition, die sich auf Betreiben ihres FDP-Finanzministers Christian Linder mutwillig um jegliche Spielräume gebracht hatte und am Ende wegen der Uneinigkeit über wenige Milliarden Euro zerbrach, verfügt die neue Bundesregierung jetzt über massive Spielräume. Sie kann sie nutzen, um Versäumnisse in zentralen Bereichen wie Verteidigungsfähigkeit, Infrastruktur, Klimaschutz und Bildung anzugehen und das Land zu modernisieren. Expansive fiskalpolitische Impulse sind zudem entscheidend für die Überwindung der durch den Corona- und den Energiepreisschock herbeigeführten Stagnationskrise.

Gewiss wird die konkrete Umsetzung herausfordernd: Kann ein umfangreiches Rüstungsprogramm angesichts der notorischen Probleme im Beschaffungswesen der Bundeswehr gelingen? Können die Infrastrukturinvestitionen zügig umgesetzt werden oder scheitert alles an langsamen Planungs- und Genehmigungsverfahren oder begrenzten Kapazitäten in der Bauindustrie, sodass es starke Preisschübe gibt? Solche besorgten Fragen sind legitim. Sie basieren allerdings auf den Erfahrungen der Vergangenheit, als öffentliche Investitionen – auch aufgrund der Politik der „schwarzen Null“ – häufig nach Kassenlage und unstetig erfolgten. Die Tatsache, dass nun die finanziellen Voraussetzungen vorhersehbar über einen längeren Zeitraum gegeben sind, dürfte sowohl die Planbarkeit als auch den Kapazitätsaufbau begünstigen. Bei aller Freude und Erleichterung über die Chancen der finanzpolitischen Zeitenwende sind dennoch mindestens vier durchaus ernsthafte Schönheitsfehler festzustellen.

Erstens ist das Finanzpaket konzeptionell genau falsch herum aufgesetzt. Eine dauerhafte Kreditfinanzierung weiter Teile der großenteils konsumtiven Verteidigungsausgaben lässt sich ökonomisch kaum rechtfertigen. Eigentlich wäre für die Verteidigungsausgaben ein vorübergehendes Sondervermögen sinnvoll gewesen, während dauerhaft eine Finanzierung aus den laufenden Einnahmen angezeigt gewesen wäre. Genau umgekehrt ist es bei den öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur, die nur auf zwölf Jahre befristet und nominal in der Höhe begrenzt über das Sondervermögen abgebildet sind. Bei ihnen wäre gemäß der goldenen Regel der öffentlichen Investitionen durchaus eine dauerhafte Kreditfinanzierungsmöglichkeit in Höhe der Nettoinvestitionen sinnvoll gewesen. Zwar ist es angesichts der empfundenen militärischen Bedrohungslage politisch verständlich, durch eine dauerhafte Ausnahme der Verteidigungsausnahmen von der Schuldenbremse ein starkes Signal der Entschlossenheit zu senden. Es ist jedoch klar, dass es nicht sinnvoll sein kann, zusätzlich zur Regelgrenze der Schuldenbremse von nun 0,7 % des BIP für Bund und Länder zwei bis drei oder sogar mehr Prozent des BIP an Verteidigungsausgaben dauerhaft über Kredite zu finanzieren. Dies liefe auf Schuldenstände oberhalb von 100 % des BIP hinaus. Der neuen Bundesregierung mangelt es offensichtlich aktuell noch an einem langfristig nachhaltigen – auch einnahmeseitigen – Finanzierungskonzept.

Zweitens ist die volle Ausschöpfung der nach der Reform dauerhaft zulässigen Verschuldung mittelfristig nicht mit den aktuellen EU-Fiskalregeln zu vereinbaren, die Obergrenzen von 1,5 % des BIP für das strukturelle Defizit und von 60 % des BIP für die Schuldenstandsquote vorsehen. Zwar kann man an den willkürlichen Grenzen der EU-Fiskalregeln auch nach der jüngsten Reform berechtigte Kritik üben. Es wirft aber ein schlechtes Licht auf Deutschland als EU-Partner, wenn es bei der Reform zunächst auf möglichst große Strenge drängt, um dann aus rein nationalen Motiven eine 180-Grad-Wende einzuleiten. Die Bundesregierung muss die EU-Perspektive mitdenken und konstruktiv an einer Reform der EU-Fiskalregeln oder alternativen Lösungen auf EU-Ebene mitwirken, die allen Mitgliedstaaten und nicht nur Deutschland die auch im europäischen Sinn notwendigen Ausgaben ermöglichen.

Drittens gewährleistet das Finanzpaket nicht in ausreichendem Maße die Zusätzlichkeit der kreditfinanzierten Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben. Deren volles Wachstumspotenzial kann nur ausgeschöpft werden, wenn insbesondere das Sondervermögen möglichst investiv und zusätzlich verausgabt wird. Zwar gibt es Vorkehrungen für die Zusätzlichkeit: So müssen Verteidigungsausgaben von 1 % des BIP ohne Kredite finanziert werden, und die Investitionsquote im Kernhaushalt muss mindestens 10 % betragen. Im Vergleich mit Vergangenheits- oder Planwerten sind diese Werte jedoch deutlich zu gering angesetzt, sodass erhebliche Spielräume im Kernhaushalt entstehen. Wenn diese Spielräume für konsumtive Zwecke genutzt werden, wird die makroökonomisch positive Wirkung des Finanzpakets gemindert; im Extremfall könnte sie ganz verpuffen. Insofern wären ehrgeizigere Vorgaben für Zusätzlichkeit und investive Verwendung angezeigt. Allerdings ist eine gedachte, aber zuvor gar nicht finanzierbare Planung kaum ein sinnvoller Ausgangspunkt zur Bestimmung der Zusätzlichkeit: Wenn am Ende Mittel zweckentfremdet werden, ist das zwar gemessen am Ideal schlecht, wenn es aber hilft, gravierende Kürzungen und damit eine unnötig restriktive Finanzpolitik zu vermeiden, kann das sinnvoll sein. Das gilt insbesondere für die Länder und vor allem die Kommunen, deren finanzielle Lage bereits seit 2023 prekär ist. Die jüngste Steuerschätzung brachte für die Kommunen gegenüber der vorherigen Schätzung bis 2029 Mindereinnahmen von 27 Mrd. Euro. Dies sollte für den Bund eine Mahnung sein, dass insbesondere die Finanzlage der Kommunen und deren aufgabengerechte Finanzierung deutlich mehr Aufmerksamkeit verlangen.

Viertens schließlich sind einige der konkreten Maßnahmen im Koalitionsvertrag problematisch. Zwar ist z. B. der schon kurzfristig geplante Investitionsbooster über vergünstigte Abschreibungsregelungen grundsätzlich wünschenswert, berücksichtigt aber nicht die erheblichen kontraproduktiven Steuerausfälle insbesondere bei den Kommunen. Manche der anderen Maßnahmen, wie etwa die Senkung der Gastro-Mehrwertsteuer, die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Mütterrente oder die Agrardieselvergünstigung sind schon für sich genommen kritikwürdig und wären, falls aus dem Finanzpaket finanziert, eine Verschwendung kostbarer Ressourcen.

Die Bundesregierung hat es in der Hand, möglichst viele der Schönheitsfehler durch die konkrete Umsetzung des Finanzpakets sowie die vorgesehene grundsätzliche Reform der Schuldenbremse noch zu beseitigen, damit die große Chance der Zeitenwende auch tatsächlich genutzt wird.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2025

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2025-0097