Die im Koalitionsvertrag angekündigte „Frühstart-Rente“ ist ein kapitalgedecktes Altersversorgungssystem, das bereits im frühen Kindesalter mit automatischen staatlichen Beiträgen beginnt. Das Konzept verspricht zwar beträchtliche langfristige Renditen und eine verbesserte finanzielle Allgemeinbildung, wirft jedoch Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung und der sozialen Gerechtigkeit auf, insbesondere im Falle einer begrenzten Inanspruchnahme durch einkommensschwache Haushalte über die staatlich finanzierte Ansparzeit hinaus. Zu den Herausforderungen gehören die Produktauswahl, die Kostenkontrolle, die Standardeinstellungen (Default-Optionen) und die Verhaltensanreize für nachhaltiges Sparen. Der Beitrag bewertet politische Handlungsoptionen und beschreibt die Bedingungen, unter denen sich die „Frühstart-Rente“ zu einem wirksamen zusätzlichen Element der dritten Säule entwickeln könnte.
„Ja zu mehr Vermögensbildung und sicherer Altersvorsorge“ schreibt die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025 und konkretisiert dies u. a. mit der Einführung einer Frühstart-Rente (CDU & CSU, 2025a). Demnach sollen junge Menschen möglichst früh selbst kapitalgedeckt vorsorgen und so ein Bewusstsein für Altersvorsorge und Kapitalbildung entwickeln. Mittlerweile wurde dieses Konzept im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD weiter ausgeführt. Dort heißt es wörtlich:
Zum 01.01.2026 wollen wir die Frühstart-Rente einführen. Wir wollen für jedes Kind vom sechsten bis zum 18. Lebensjahr, das eine Bildungseinrichtung in Deutschland besucht, pro Monat zehn Euro in ein individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot einzahlen. Der in dieser Zeit angesparte Betrag kann anschließend ab dem 18. Lebensjahr bis zum Renteneintritt durch private Einzahlungen bis zu einem jährlichen Höchstbetrag weiter bespart werden. Die Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein. Das Sparkapital ist vor staatlichem Zugriff geschützt und wird erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze ausgezahlt. (CDU, CSU & SPD, 2025, S. 19)
Im Koalitionsvertrag wurde für die Frühstart-Rente bewusst die Formulierung „wollen“ statt „werden“ gewählt. Dies deutet auf eine politische Absichtserklärung hin, die unter Finanzierungsvorbehalt steht und deren konkrete Umsetzungsschritte sowie Detailfragen – insbesondere zur steuerlichen Behandlung der Auszahlungsphase oder zur genauen Produktgestaltung – noch offengelassen wurden.
Ungeachtet dieser noch offenen Fragen greift die Initiative der Koalitionspartner jedoch Ideen auf, die bereits seit Längerem im Rahmen der Reformdiskussion zur privaten Altersvorsorge präsent sind. Angesichts der demografischen Entwicklung, der wachsenden finanziellen Belastung der gesetzlichen Rentenversicherung und der Schwächen der Riester-Rente steht die Reform der privaten Altersvorsorge seit drei Legislaturperioden auf der Agenda (Haupt, 2024a). Mit der Frühstart-Rente greifen CDU/CSU und nun die Regierungskoalition Konzepte auf, die zuletzt im Kontext möglicher Reformoptionen für die private Altersvorsorge in Deutschland diskutiert wurden. Dazu zählen das Kinderstartgeld des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR Wirtschaft, 2024) sowie der Diskussionsbeitrag der Fokusgruppe private Altersvorsorge, auch eigenständige Altersvorsorgeverträge für Kinder im Rahmen der Riester-Rente zu ermöglichen, selbst wenn die Eltern keinen eigenen Altersvorsorgevertrag besitzen. Dies garantiere eine maximale Laufzeit für den Ansparvorgang mit maximalem Zinseszinseffekt und maximaler zeitlicher Diversifikation (Fokusgruppe private Altersvorsorge, 2023).
Das Kinderstartgeld des SVR Wirtschaft sieht ebenfalls eine automatische staatliche Einzahlung von 10 Euro pro Monat über einen Zeitraum von 12 Jahren (6. bis 18. Lebensjahr) in einen liquiden Fonds mit breiter Diversifizierung und niedrigen Kosten vor. Allerdings kann die Auszahlung des angesparten Kapitals bereits ab dem 18. Geburtstag erfolgen. Im Gegensatz zur Frühstart-Rente liegt die Kernmotivation des Kinderstartgeldes also nicht in der Altersvorsorge, sondern beruht auf dem Teilnahme-Aspekt: Verbraucher sollen bereits in jungen Jahren durch die mithilfe des Kinderstartgeldes gewonnene Praxiserfahrung – unterstützt durch Finanzbildungsmaßnahmen – an den Kapitalmarkt herangeführt werden und ihre Finanzkompetenz stärken. Somit können sie von den höheren Renditen insbesondere der Anlageform Aktien profitieren. Daneben soll durch das Kinderstartgeld und die dadurch steigende Liquidität des heimischen Kapitalmarktes auch die Möglichkeit der Kapitalmarktfinanzierung für hiesige Unternehmen verbessert werden. Das Konzept des Kinderstartgeldes verfolgt somit auch eine wirtschaftspolitische Stoßrichtung, indem es die Kapitalmarktentwicklung und Unternehmensfinanzierung in Deutschland stärken möchte (SVR Wirtschaft, 2024).
Die Frühstart-Rente hingegen zielt zwar ebenfalls auf eine Verbesserung der Finanzkompetenzen und der finanziellen Bildung der Bevölkerung ab, ihr zentraler Fokus ist aber die Stärkung der privaten, kapitalgedeckten Altersvorsorge durch die Nutzung von Zinseszinseffekten bei der Geldanlage an den Kapitalmärkten. Auf das angesparte Kapital kann erst im Rentenalter zurückgegriffen werden. Sie hat damit eine starke sozialpolitische Motivation.
Mit dem Koalitionsvertrag vom 9. April 2025 liegt nun eine politisch abgestimmte Absichtserklärung zur Einführung der Frühstart-Rente vor. Sie signalisiert einen wichtigen Schritt in Richtung einer kapitalgedeckten Vorsorgekomponente für Kinder und knüpft damit an bestehende Reformvorschläge an. Zugleich bleiben zentrale Fragen der konkreten Durchführung – etwa zur Produktauswahl, zur steuerlichen Behandlung der Auszahlungsphase und zur administrativen Umsetzung – weiterhin offen. Diese Analyse leistet daher einen Beitrag zur vertieften Diskussion und dient durch konkrete Empfehlungen als Orientierung für die weitere Ausgestaltung.
Viele offene Fragen bei der Ausgestaltung
Viele Aspekte der Frühstart-Rente lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewerten, denn es stellen sich hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung ganz grundsätzliche Fragen: Soll für jedes Kind ein Depot durch den Staat eröffnet werden und zahlt dieser dann automatisch auf ein Konto oder in ein bestimmtes Produkt ein? Erfolgt die staatliche Einzahlung nur auf Antrag? Wird ein fixer Starttermin gewählt (z. B. für alle 6-Jährigen am 1. Januar 2026) oder werden auch Depots für zu diesem Zeitpunkt ältere Kinder eröffnet, für die dann zeitlich anteilig ein Ansparen erfolgt? Zwar legt der Koalitionsvertrag fest, dass das Depot privatwirtschaftlich organisiert ist und Einzahlungen automatisch erfolgen, dennoch bleiben auch Details der konkreten Produktgestaltung offen (CDU, CSU & SPD, 2025).
Diesen notwendigen strukturellen und organisatorischen Überlegungen schließen sich ganz konkrete Fragen zum Sparverhalten an. Diese beginnen mit den zu besparenden Anlageklassen und Vorgaben zum Risikomanagement. Es gilt festzulegen, ob nur Fonds oder ETFs (Exchange Traded Funds) oder auch Aktien oder gar Derivate infrage kommen und wie es sich mit einer möglichen vorgegebenen Diversifikation verhält (Länder, Sektoren, ESG-Kriterien (nachhaltige Anlagen)). Darüber hinaus ist zu bestimmen, ob Kinder bzw. deren Eltern überhaupt Anlageentscheidungen treffen sollen bzw. müssen oder es eine Default-Lösung gibt, bei der wie in Schweden beim Pensionsfonds AP7 das Geld bei Nichtauswahl automatisch in ein bestimmtes Basisprodukt fließt (Haupt et al., 2018). Dem schließt sich die Frage an, ob eine Vergleichsplattform und eine Clearingstelle für infrage kommende Sparprodukte eingerichtet werden sollen.
Offen ist außerdem, ob Sparprodukte bestimmten Kosten- oder Gebührenvorgaben unterworfen werden und ob die entsprechenden Vorsorgeprodukte einen Zertifizierungsprozess durchlaufen müssen, bevor sie im Rahmen der Frühstart-Rente zur Verfügung stehen. Insbesondere mit Blick auf das gescheiterte Riester-System und die Anfangsphase der schwedischen Prämienrente besteht nämlich die Gefahr, dass ungeeignete und überteuerte Finanzprodukte die Rendite der Frühstart-Rente deutlich schmälern könnten. Nicht zuletzt braucht es auch eine Strategie, mit der Menschen motiviert werden, über das 18. Lebensjahr hinaus selbstständig weiterzusparen.
Mit Blick auf das Ziel der Altersvorsorge muss darüber hinaus zwingend die Auszahlungsphase der Frühstart-Rente in den Blick genommen werden. Denkbar wäre eine (Teil-)Auszahlung des Kapitals zu Beginn der Rentenphase (z. B. 30 % des Kapitals) oder eine Verrentung. Bei dieser Leibrente würde das Kapital in der Regel durch eine Versicherung in eine lebenslange Rente umgewandelt. Die Versicherung garantiert damit regelmäßige Auszahlungen bis zum Lebensende, eine Vererbung ist in der Regel nicht möglich. Als dritte Variante und zuletzt im Kontext der Riester-Rente auch von der Fokusgruppe private Altersvorsorge gefordert (Fokusgruppe private Altersvorsorge, 2023), käme ein Auszahlungsplan in Betracht: Das Kapital bliebe als Eigentum der Person erhalten. Der Anbieter (z. B. die Bank oder der depotführende Broker) würde regelmäßige Raten so lange auszahlen, bis das Kapital aufgebraucht ist. Eine Garantie auf eine lebenslange Auszahlung gibt es daher nicht, ein nach dem Tod verbleibendes Restkapital könnte aber vererbt werden.
Neben der Frage nach den konkreten Auszahlungsmodalitäten spielen auch steuerliche Aspekte eine Rolle: Laut Koalitionsvertrag (CDU, CSU & SPD, 2025) soll es eine vollständige Steuerfreiheit in der Ansparphase geben. Zur Besteuerung während der Auszahlungsphase liegen keine Aussagen vor; es wäre aber eine Besteuerung nach dem individuellen progressiven Einkommensteuersatz denkbar – der Grenzsteuersatz liegt aktuell bei maximal 45 % plus Solidaritätszuschlag. Dieses Vorgehen wäre sozial ausgewogener als eine Versteuerung der Kapitalerträge über die Abgeltungsteuer, die pauschal 25 % plus Solidaritätszuschlag beträgt. Die Günstigerprüfung bei der Abgeltungsteuer ermöglicht es Steuerpflichtigen allerdings, ihre Kapitalerträge im Rahmen der Einkommensteuererklärung mit dem individuellen Einkommensteuersatz zu versteuern, wenn dieser unter dem pauschalen Abgeltungssteuersatz von 25 % liegt.
Eine andere Möglichkeit wäre ein zusätzlicher Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG in der Ansparphase – dies entspräche den Plänen der Ampel-Regierung zur Reform der Riester-Rente. Der Höchstbetrag für den Sonderausgabenabzug sollte dabei von derzeit 2.100 Euro auf zunächst 3.000 Euro und ab 2030 auf 3.500 Euro angehoben werden (BMF, 2024).
Einhergehend mit den Überlegungen zu einer staatlich geförderten Altersvorsorge für Kinder stellt sich die Frage nach den dabei entstehenden Kosten. Für die Frühstart-Rente kämen jährlich etwa 700.000 Kinder infrage, die in Deutschland geboren werden. Ein Geburtsjahrgang schlägt bei 10 Euro monatlich pro Kind bzw. 120 Euro jährlich mit deutlich unter 100 Mio. Euro zu Buche, über einen Zeitraum von 12 Jahren würden mit 12 Kohorten Kosten von rund 1 Mrd. Euro (nicht inflationsbereinigt) entstehen. Die Riester-Rente wird aktuell jährlich durch Zulagen bzw. durch den Sonderausgabenabzug mit ca. 4 Mrd. Euro gefördert (Timpe et al., 2024). Es ist anzunehmen, dass aus der Frühstart-Rente perspektivisch höhere Steuereinnahmen und geringere Sozialausgaben resultieren.
Verschiedene Szenarien des Ansparprozesses und der Kapitalentwicklung
Lässt man die Fragen nach der konkreten Ausgestaltung der Frühstart-Rente für einen Moment beiseite und konzentriert sich nur auf den Ansparprozess, dann zeigt sich die Bedeutung von Sparverhalten, Rendite und Kosten der Kapitalanlage. Die zu erwartende Ansparsumme hängt ganz entscheidend davon ab, ob und in welcher Höhe das gewählte Produkt aus der Frühstart-Rente auch über das 18. Lebensjahr hinaus eigenverantwortlich weiter bespart und mit welcher Rendite das Kapital verzinst wird. Auch diese Aspekte müssten bei der Entwicklung der Frühstart-Rente bedacht werden, wie nachfolgend anhand von drei verschiedenen Portfolioszenarien deutlich wird. Für alle Szenarien gelten folgende Prämissen: Die Portfolios bestehen vom 6. bis zum 67. Geburtstag, also 61 Jahre. Es erfolgen staatliche Einzahlungen von 10 Euro pro Monat vom 6. bis zum 18. Geburtstag. Diese Annahmen entsprechen den im Koalitionsvertrag festgelegten Parametern (CDU, CSU & SPD, 2025).
In Abbildung 1 wird bei einer angenommenen Rendite von 6 % pro Jahr verglichen, wie sich das Portfolio entwickelt, wenn nach dem 18. Lebensjahr eigenverantwortlich weiter gespart wird (100 Euro pro Monat) oder keinerlei persönliches Ansparen nach Einstellung der staatlichen Zahlungen erfolgt.
Abbildung 1
Vergleich der Kapitalentwicklung bei unterschiedlichem Ansparverhalten

Quelle: eigene Berechnungen.
Erfolgen keine weiteren Einzahlungen, so stehen am 67. Geburtstag 36.320 Euro zur Verfügung – diese setzen sich zusammen aus 1.440 Euro, die eingezahlt wurden, und 34.880 Euro an Erträgen. Dem gegenüber stehen 374.520 Euro, wenn mit 100 Euro pro Monat weiter gespart wurde. Einzahlungen in Höhe von 60.240 Euro haben dabei Erträge in Höhe von 314.280 Euro erwirtschaftet. Hierbei zeigt sich die große Wirkung des Zinseszinseffekts über einen sehr langen Anlagezeitraum, wenn kontinuierlich Geld in das Sparprodukt fließt.
Abbildung 2 zeigt, dass der Erfolg des Weitersparens auch stark von der jeweiligen Rendite und damit vom gewählten Sparprodukt abhängt. So erreicht das mit 100 Euro pro Monat weiter besparte Portfolio bei 2 % Rendite zum 67. Geburtstag eine Gesamtsumme von 103.690 Euro. Bei einer Rendite von 6 % ergibt sich mit 374.520 Euro ein mehr als dreimal so hoher Sparbetrag zum Rentenbeginn. Erträge von ca. 6 % lassen sich am ehesten mit Aktien-ETFs erreichen, während Garantieprodukte, Anleihen oder Spareinlagen in der Regel deutlich geringer verzinst sind.
Abbildung 2
Vergleich der Kapitalentwicklung bei unterschiedlicher Rendite

Quelle: eigene Berechnungen.
Abbildung 3 verdeutlicht die Unterschiede auf der Kostenseite. Für dieses Szenario wird angenommen, dass das Anlageprodukt Kosten in Höhe von 1,5 % aufweist. Den bereits erwähnten 374.520 Euro bei 6 % Rendite am Ende der Laufzeit stehen 225.230 Euro gegenüber, wenn das Kapital um die Kosten vermindert einen Ertrag von 4,5 % aufwies und die Sparsumme jeweils 100 Euro pro Monat nach dem 18. Geburtstag betrug. Das Kapital setzt sich zusammen aus Einzahlungen in Höhe von 60.240 Euro und Erträgen in Höhe von 164.990 Euro.
Abbildung 3
Vergleich der Kapitalentwicklung mit und ohne Berücksichtigung von Produktkosten

Quelle: eigene Berechnungen.
Bezüglich der Kosten sind aber nicht nur die Produktkosten relevant, auch die Konditionen der depotführenden Institute spielen eine Rolle. Im Allgemeinen wird zwischen Filialbanken, Direktbanken und Neobrokern unterschieden. Filialbanken betreiben ein Netzwerk von Niederlassungen, in denen Kunden persönlichen Service und persönliche Beratung erhalten. Dieses Geschäftsmodell führt zu höheren Betriebskosten, die in Form von Gebühren an die Kunden weitergegeben werden. Direktbanken verzichten auf ein Filialnetz und bieten ihre Dienstleistungen hauptsächlich online oder telefonisch an. Dadurch können sie Kosten einsparen und häufig günstigere Konditionen anbieten. Sie bieten ein umfassendes Spektrum an Bankdienstleistungen, einschließlich Girokonten, Kreditkarten und Krediten sowie eine große Anzahl an Börsenplätzen bis hin zur Möglichkeit des Handels an ausländischen Börsen. Neobroker (von altgriechisch „Néos“ = „neu“, „jung“) sind eine moderne Form der Direktbanken, die sich auf den Wertpapierhandel spezialisiert haben. Sie zeichnen sich durch besonders niedrige Gebühren und benutzerfreundliche app-basierte Plattformen aus, allerdings ist der Kundenservice deutlich reduziert. Während sie ursprünglich einen begrenzten Serviceumfang hatten, entwickeln sich viele Neobroker hin zu Vollbanken, wodurch die Unterschiede zu traditionellen Direktbanken zunehmend verschwimmen.
Aufgrund des unterschiedlichen Serviceangebots sowie der unterschiedlichen Kostenstrukturen gibt es deutliche Differenzen in der Preisgestaltung für den Endverbraucher. Während Neobroker regelmäßig kostenlose Sparplan-Ausführungen anbieten, verlangen Direktbanken meist eine Pauschalgebühr pro Transaktion, die sich beispielsweise prozentual am Kaufpreis orientiert, oder Gebühren in Form einer Flatrate. Filialbanken verlangen darüber hinaus oft zusätzliche Gebühren, z. B. in Form von Verwahrentgelten in Abhängigkeit vom verwalteten Vermögen. Diese Unterschiede in den Gebührenmodellen können sich auf mehrere Hundert Euro pro Jahr summieren und beeinflussen die langfristige Kapitalbildung. Im Falle eines für mehrere Jahrzehnte angelegten Wertpapiersparplans kann aufgrund des Zinseszinseffekts der Unterschied im Endkapital bei Eintritt in den Ruhestand deutlich über 100.000 Euro betragen, wie Abbildung 3 zeigt.
Bewertung und Handlungsempfehlungen
Das Konzept einer Frühstart-Rente bietet eine vielversprechende Basis, um eine wirkungsvolle und langfristig tragfähige kapitalgedeckte Altersvorsorge in der dritten Säule zu etablieren. Angesichts der wachsenden Herausforderungen im gesamten Alterssicherungssystem und der Schwächen bzw. des Scheiterns der Riester-Rente darf die Bedeutung einer solchen Maßnahme nicht unterschätzt werden. Allerdings hängt ihr langfristiger Erfolg entscheidend von einer durchdachten Ausgestaltung und einem gezielten Bündel flankierender Maßnahmen ab, die ihre Wirksamkeit und Attraktivität sicherstellen.
Durch die in jungen Jahren beginnende lange Ansparphase nutzt die Frühstart-Rente den Zinseszinseffekt maximal aus und ermöglicht den Teilnehmern über die Breite der Gesellschaft hinweg einen Zugang zu den Kapitalmärkten. Im Idealfall kommt so dem Thema Altersvorsorge mehr Aufmerksamkeit zu und auch einkommensschwachen Gruppen wird private Vorsorge für das Alter ermöglicht.
Andererseits sind viele Risiken der Frühstart-Rente unmittelbar mit ihrer individuellen Ausgestaltung verbunden. So sieht der Koalitionsvertrag vor, dass die Frühstart-Rente privatwirtschaftlich organisiert wird (CDU, CSU & SPD, 2025). Ohne eine klare Struktur und Regulierung droht die Gefahr, dass Verbraucher auf die Beratung durch Finanzvertriebe angewiesen sind. Dies könnte dazu führen, dass sie in ungeeignete oder überteuerte Produkte investieren, anstatt von kosteneffizienten und renditestarken Lösungen zu profitieren.
Ein weiteres Risiko entsteht, wenn die Bereitstellung der Anlageprodukte innerhalb eines dezentralen Systems vollständig der Privatwirtschaft überlassen wird. In diesem Fall könnten höhere Verwaltungskosten und geringere Skaleneffekte die Folge sein, da eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte auf den Markt kommt – mehr, als eigentlich notwendig wären. Dies würde nicht nur die Komplexität für Sparer erhöhen und möglicherweise zu einer Auswahlüberlastung (Choice Overload) führen, sondern auch die Effizienz der Frühstart-Rente insgesamt beeinträchtigen.
Als generelles Problem zeigt sich bei der Frühstart-Rente, dass vermögende Bevölkerungsgruppen in gleicher Weise wie von Armut betroffene Familien gefördert werden. Es ist außerdem anzunehmen, dass es vielen Menschen mit geringem Einkommen nicht möglich sein wird, nach der staatlichen Ansparphase weiter selbstständig in die private Vorsorge zu investieren. Bei vielen Menschen könnte darüber hinaus der irrtümliche Eindruck entstehen, dass durch die staatlichen Einzahlungen bereits ausreichend private Vorsorge betrieben wurde und daher keine zusätzlichen eigenen Beiträge zur finanziellen Absicherung des Ruhestands erforderlich sind.
Basierend auf der Diskussion der Chancen und Risiken der Frühstart-Rente werden folgende Empfehlungen für die weitere Ausgestaltung abgeleitet:
Staatliche und private Einzahlungen
Um den Zinseszinseffekt besser zu nutzen, sollten die staatlichen Einzahlungen möglichst nicht erst mit dem 6. Lebensjahr, sondern direkt mit der Geburt beginnen. So verstärkt sich automatisch die Wirkung des Zinseszinseffekts. Eine Verlängerung der staatlichen Einzahlungen bis zum 25. Lebensjahr wäre ebenfalls eine sinnvolle Option. Im Gegensatz zur bisherigen Grenze von 18 Jahren hätten junge Erwachsene so mehr Zeit, ein finanzielles Fundament aufzubauen. Mit 25 Jahren verfügen die meisten Menschen bereits über ein eigenes Einkommen, das ihnen ermöglicht, ihre Altersvorsorge eigenverantwortlich und kontinuierlich fortzuführen.
Zudem sollte perspektivisch geprüft werden, ob die aktuell vorgesehene Beschränkung privater Einzahlungen auf die Zeit nach dem 18. Geburtstag langfristig sinnvoll ist. Gerade die Möglichkeit, bereits während der staatlichen Einzahlungsphase private Sparbeiträge zu leisten, würde die langfristige Kapitalbildung durch den Zinseszinseffekt erheblich verstärken. Darüber hinaus könnte ein früher eigener Beitrag – auch symbolischer Natur – den Lerneffekt im Sinne der finanziellen Bildung zusätzlich erhöhen, da die persönliche Beteiligung die Auseinandersetzung mit Kapitalmarktmechanismen fördern kann (vgl. Haupt, 2024b). Dies verweist auf die zentrale Rolle, die gezielte Finanzbildung im Rahmen der Frühstart-Rente spielen muss – nicht nur als flankierende Maßnahme, sondern als integraler Bestandteil des Konzepts.
Finanzbildung
Es braucht ausreichend finanzielle Bildung, um die Wirkmechanismen der Finanzmärkte verstehen zu können, Ängste abzubauen und die Notwendigkeit privater Altersvorsorge zu verdeutlichen. Durch die Frühstart-Rente würden Millionen von Menschen erstmals über ein eigenes Altersvorsorgedepot verfügen. Dies eröffnet auch eine völlig neue Möglichkeit, Finanzbildung gezielt zu fördern, da ein solches Depot als zentrales Vehikel für den Zugang zu Finanzwissen dienen kann. Die regelmäßige Kommunikation kann dabei direkt über die Altersvorsorgedepots erfolgen – sei es durch transparente Informationen, personalisierte Hinweise oder interaktive Lerninhalte. Zusätzlich wäre eine Verknüpfung mit der digitalen Rentenübersicht denkbar, um den Nutzern einen säulenübergreifenden Blick auf ihre Altersvorsorge zu ermöglichen und die Eigenverantwortung weiter zu stärken (Haupt, 2024b).
Anlagestrategie und Auszahlung
Langfristig sind hohe Renditen nur mit einer sinnvollen Anlagestrategie und der richtigen Auswahl der Anlageklassen zu erzielen. Damit die Frühstart-Rente tatsächlich einen nachhaltigen Beitrag zur Altersvorsorge leistet, ist es daher unerlässlich, dass ihre Organisation nicht nur privatwirtschaftlich, sondern auch effizient, verbraucherfreundlich und kostengünstig erfolgt. Die jeweiligen Anlagemöglichkeiten sollten breit diversifiziert und transparent sein. Daher muss die Frühstart-Rente ein Angebot mit niedrigen Gebühren und unabhängigen, passiv verwalteten und weltweit investierenden, marktbreiten Indexfonds darstellen.
Eine klare Rahmensetzung durch den Staat ist notwendig, um sicherzustellen, dass die Mittel der Sparer bestmöglich angelegt werden und langfristig hohe Renditen erzielen. Die Bereitstellung von Musterdepots könnte hierbei als eine Art Anker wirken, indem sie eine erste Orientierung für Personen ohne oder mit nur geringer Erfahrung in der Kapitalanlage bieten. Solche standardisierten Anlagevorschläge können dazu beitragen, eine ausreichende Diversifikation sicherzustellen und das Klumpenrisiko zu minimieren.
Im Sinne einer möglichst ertragreichen Altersvorsorge ist entscheidend, dass keine Garantieprodukte eingesetzt werden. Nur eine kapitalgedeckte Anlage ohne Garantien ermöglicht langfristig Renditen deutlich oberhalb der Inflationsrate und sichert damit die nachhaltige Wirksamkeit der Frühstart-Rente.
Die Auszahlungsphase braucht klare Regeln, in welcher Form das Geld an die Sparenden ausgeschüttet wird und welche steuerlichen Regelungen greifen. Sowohl die Fokusgruppe private Altersvorsorge (2023) als auch die vorherige Bundesregierung mit ihrem pAV (private Altersvorsorge)-Reformgesetz (BMF, 2024) haben dazu konkrete Vorschläge und Alternativen vorgelegt.
Verhaltensökonomische Instrumente
Zuletzt steht und fällt der Erfolg der Frühstart-Rente auch mit dem jeweiligen Verhalten der Sparer. Weil Menschen oftmals dazu neigen, im Status quo zu verharren, muss der Übergang vom staatlichen zum eigenverantwortlichen Sparen eng begleitet und über sogenannte Nudges gezielt gesteuert werden (Thaler & Sunstein, 2008). Es geht dabei um kleine, gezielte Anstöße, ohne Verbote oder wirtschaftliche Anreize. Denkbar sind als Nudges zum Beispiel:
- Automatische Einbeziehung („Automatic Enrollment“ – Opt-out statt Opt-in): Sparer werden automatisch zur Weiterzahlung ihrer Beiträge angemeldet, sobald der staatliche Finanzierungsanteil endet, und müssen aktiv widersprechen (Opt-out), anstatt sich selbst aktiv anmelden zu müssen (Opt-in).
- Staatlich organisiertes Default-Angebot in Form eines breit diversifizierten Fonds: Automatische Anlage in einen staatlich organisierten, günstigen und breit gestreuten Fonds (ähnlich wie AP7 in Schweden) für Personen, die keine aktive Investitionsentscheidung treffen möchten oder können.
- Automatische Inflationsanpassung der Sparbeiträge: Automatische und regelmäßige Erhöhung der Beiträge, z. B. durch die depotführende Bank. Damit wird der reale Wert der Ersparnisse vor Inflation geschützt.
- Automatische Terminvergabe für unabhängige Beratung zum Renteneintritt: Die Zuweisung eines Beratungstermins erleichtert den Teilnehmern den Zugang zu einer unabhängigen Rentenberatung (z. B. durch die Verbraucherzentralen), wie dies auch der Sozialbeirat der Bundesregierung in seinem Jahresgutachten (2023) empfohlen hat.
Fazit
Unbestritten ist: Ohne eine grundlegende Reform der dritten Säule wird eine nachhaltige Altersvorsorge in Deutschland nicht gelingen. Die gesetzliche Rente allein reicht nicht aus, und das Scheitern der Riester-Rente hat deutlich gemacht, dass ein neuer, tragfähiger Ansatz erforderlich ist. Die Frühstart-Rente bietet die Chance, eine zukunftsfähige Lösung zu schaffen – doch ihr Erfolg steht und fällt mit der richtigen Ausgestaltung und einer konsequenten staatlichen Rahmensetzung. Dafür sollte die Frühstart-Rente auf vorhandenen Konzepten wie den Ergebnissen der Fokusgruppe private Altersvorsorge (2023) und dem Referentenentwurf des pAV-Reformgesetzes (BMF, 2024) aufbauen und sie ergänzen. Es braucht nicht nur ein effizientes und renditestarkes Anlagekonzept, sondern auch eine aktive Begleitung der Sparenden, damit eine breite gesellschaftliche Beteiligung an der privaten Altersvorsorge gelingt.
Jetzt ist die Politik am Zug: Halbherzige Maßnahmen reichen nicht aus. Es gilt, mutig zu handeln, strukturelle Weichen richtig zu stellen und ein Modell zu schaffen, dem die Bevölkerung langfristig vertrauen kann – damit die Frühstart-Rente ihr Potenzial nutzt und zu einem tragenden Element der privaten Altersvorsorge in Deutschland werden kann.
Literatur
BMF – Bundesministerium der Finanzen. (2024). Entwurf eines Gesetzes zur Reform der steuerlich geförderten privaten Altersvorsorge (pAV-Reformgesetz. Referentenentwurf. Deutscher Bundestag mit Bundesrat.
CDU & CSU. (2025a). Wahlprogramm von CDU und CSU zur Bundestagswahl 2025 – Langfassung.
CDU & CSU. (2025b). Politikwechsel für sichere Renten.
CDU, CSU & SPD. (2025). Verantwortung für Deutschland. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 21. Legislaturperiode, beschlossen am 09. April 2025.
Fokusgruppe private Altersvorsorge. (2023). Abschlussbericht. Bundesministerium der Finanzen.
Haupt, M. (2024a). Aktuelle Diskussionen zum Ausbau kapitalgedeckter Altersvorsorge als Ergänzung des Rentensystems. Wirtschaftsdienst, 104(2), 82–86.
Haupt, M. (2024b). The effects of pension communication on knowledge, attitudes, and behaviour: An integrative review of evidence and directions for future research. Population Ageing, 17, 475–518.
Haupt, M., Sesselmeier, W. & Yollu-Tok, A. (2018). Das Nudging-Konzept und die Altersvorsorge – Der Blick zu Knuff und Puff in Schweden. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 87(2), 17–31.
Sozialbeirat. (2023). Jahresgutachten 2023.
SVR Wirtschaft – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Ein Kinderstartgeld für Deutschland. Policy Brief, 3/2024. Sachverständigenrat für Wirtschaft.
Thaler, R. H. & Sunstein, C. R. (2008). Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt.
Timpe, K., Weber, M., Kruse, E. & Rohde, A. (2024). Förderung der Riester-Rente durch Zulagen und Sonderausgabenabzug: Erneut leichter Rückgang bei den geförderten Personen im Beitragsjahr 2020 im Vergleich zum Beitragsjahr 2019. RVaktuell, 1/2024.