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Die Prognosen der Konjunkturexperten für 2014 haben sich als zu optimistisch erwiesen. Eine wesentliche Ursache für die sich ausbreitende Stagnation ist die unsichere weltwirtschaftliche Lage und die gedämpfte Konjunktur im Euroraum. Um die Konjunktur anzukurbeln, werden unterschiedliche Maßnahmen vorgeschlagen: Abkehr von der Austeritätspolitik in Europa, aber auch verbesserte Bedingungen für den Freihandel durch eine Wiederbelebung der WTO-Verhandlungen und einen Abschluss der Freihandelsabkommen. Die sehr mäßige Entwicklung des Produktionspotenzials deutet allerdings darauf hin, dass es hier nicht um konjunkturelle Impulse gehen muss, sondern ordnungspolitische Reformen für mehr Wachstum erforderlich sind.

Nahe am Eichstrich – kein Bedarf für Konjunkturprogramme, Wachstum braucht ordnungspolitische Reformen

Unter dem Eindruck der schwachen Konjunktur im Frühjahr und Sommer 2014 kam es zuletzt reihenweise zu Abwärtsrevisionen für die Konjunkturaussichten in Deutschland. Angesichts geopolitischer Krisen außerhalb der Europäischen Union und der weiterhin schwelenden Krise im Euroraum hat sich die Produktion hierzulande allerdings als robust erwiesen. In seiner Herbstprognose von Anfang September hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft die Expansionsrate des Bruttoinlandsproduktes für dieses Jahr auf 1,4% veranschlagt.1 Die aktuellen Daten geben kaum Anlass, diese Prognose herabzusetzen. Hingegen dürfte der Sachverständigenrat für Wirtschaft in seinem jüngsten Gutachten die Expansionsrate mit 1,2% eher unterschätzen.2

Das derzeitige Konjunkturbild (mäßige, aber im Jahresvergleich robuste Expansion) lässt zuweilen die Frage aufkommen, ob das Glas halbvoll oder halbleer sei. Wer so fragt, hat ein zu großes Glas vor Augen. Das makroökonomische Glas – die Zunahme der Wirtschaftsleistung – ist derzeit etwa bis zum Eichstrich gefüllt. Das stabilitätsverträgliche Expansionspulver hat die deutsche Volkswirtschaft schon im ersten Quartal dieses Jahres so gut wie verschossen, und sie operiert derzeit nahe an der normalen Kapazitätsauslastung. Dies gilt ausweislich der Umfragewerte für weite Teile des Verarbeitenden Gewerbes und auch die Schätzungen zum gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial sowie die Arbeitsmarktlage deuten darauf hin, dass die Produktionslücke in Deutschland praktisch geschlossen ist. Folglich sind die Spielräume für eine spannungsfreie Expansion nun durch das Wachstum der Produktionskapazitäten beschränkt. Deren Entwicklung gibt kaum mehr als einen Anstieg der jährlichen Wirtschaftsleistung um 1% her. Eine kräftigere Expansion ist nicht möglich, ohne die Auslastung der Kapazitäten zu steigern und so die Schwelle zur Hochkonjunktur zu überschreiten.

Impulse zur Konjunkturstabilisierung?

Stabilisierungspolitik hat nicht den Zweck, möglichst hohe Expansionsraten zu erzeugen, sondern sie soll helfen, die tatsächliche Produktion nahe an dem bei Normalauslastung möglichen Niveau zu halten. Andernfalls trägt sie selbst zu Boom-Bust-Zyklen bei, die Wohlstand kosten. Im Boom werden systematisch Investitionsprojekte angereizt (man bringt das Glas zum Überlaufen), die sich aufgrund der Überhitzung der Volkswirtschaft später als unrentabel erweisen (und die damit buchstäblich überflüssig sind). Weil Rezessionen typischerweise ihre Ursache in vorangegangenen Übertreibungen haben, muss die Stabilisierungspolitik vor allem darauf achten, einer drohenden konjunkturellen Übertreibung zu begegnen.

Die Ansichten darüber, ob staatliche Stellen überhaupt in diskretionärer Weise adäquate Impulse zur Konjunkturstabilisierung zyklusgerecht setzen können, mögen in der Wissenschaft auseinandergehen. Es besteht aber mittlerweile Einigkeit darüber, dass makroökonomisches „fine tuning“ im Promillebereich des Bruttoinlandsproduktes vermessen wäre und expansive Maßnahmen in Zeiten normaler Auslastung unterbleiben müssen. Nimmt man die konjunkturpolitische Stabilisierungsaufgabe ernst, dann besteht derzeit kein Anlass, stimulierend einzugreifen. Dies gilt umso mehr, als die deutsche Volkswirtschaft weiterhin einem extrem expansiven monetären Umfeld ausgesetzt ist. Die Gefahren eines monetär getriebenen Booms in Deutschland sind trotz der gegenwärtigen Wellblechkonjunktur nicht gebannt und deutlich größer als mögliche Abwärtsrisiken.

Folgen der Niedrigzinspolitik

Je länger die extreme Niedrigzinsphase anhält, desto höher wird der Druck bei Kapitalanlegern, höhere Risiken in Kauf zu nehmen („search for yield“), um die Renditechancen aufzubessern. Im Ergebnis werden Risikopreise verzerrt und knappe Ressourcen vermehrt fehlgeleitet. Ein Anziehen der Kreditvergabe setzt neben der Kreditschöpfungsfähigkeit des Bankensektors einen solventen Nicht-Bankensektor voraus. In Deutschland haben sich die privaten Unternehmen und Haushalte in den vergangenen Jahren merklich entschuldet und damit ihre Kreditwürdigkeit erhöht. Sobald die Kreditexpansion angebotsseitig wieder in Gang kommt, dürfte sie in Deutschland auf besonders fruchtbaren Boden fallen.

Die kräftige Abwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar um mehr als 7% seit Jahresbeginn gehört zu den Begleiterscheinungen der hiesigen Zinspolitik. Bestärkt durch die Kommunikation der Europäischen Zentralbank, können die Marktteilnehmer davon ausgehen, dass der ultra-permissive geldpolitische Kurs im Euroraum länger gefahren wird als andernorts (mit Ausnahme Japans). Daraus resultieren Renditedifferenzen, die Kapitalexporte in Gang bringen und den Euro unter Abwertungsdruck setzen. Auch wenn der effektive Außenwert im bisherigen Jahresverlauf nur etwa halb so stark nachgab wie der Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar und die deutschen Exporte hierauf nicht sprunghaft reagieren dürften, so wird die geldpolitische Ausrichtung im Euroraum auch über den Außenhandelskanal stimulierend auf die Produktion in Deutschland wirken.

Darüber hinaus hat sich der Wohnungsbau in Deutschland angesichts unattraktiver Anlagealternativen und historisch günstigen Baugeldes bereits spürbar belebt („Flucht in Betongold“). Bislang kann zwar die lebhafte Bauaktivität nicht als übertrieben gelten. Auch ist die Immobilienfinanzierung hierzulande eher konservativ. Gleichwohl mehren sich die Anzeichen für Preisübertreibungen und eine steigende Bereitschaft zu höheren Kredithebeln. Die Gefahr einer Immobilienblase ist daher nicht gebannt. Belastbare Frühdiagnosen sind schwierig – sobald sich eine Blase aber deutlich abzeichnet, ist es meist schon zu spät. Dies mahnt zur Vorsicht.

Angesichts dieser Stabilitätsrisiken gibt die konjunkturpolitische Gemengelage in Deutschland Anlass zur Sorge. Es steht zu befürchten, dass ein Anziehen der Konjunktur in Deutschland, was wir für die nahe Zukunft für wahrscheinlich erachten, nicht als stabilisierungspolitische Zielverfehlung diagnostiziert, sondern von den wirtschaftspolitisch Handelnden als Erfolgsausweis vereinnahmt wird. Ein Aufschwung ist aber – wie diskutiert – nur solange erwünscht, bis die Normalauslastung noch nicht erreicht ist. Spätestens im Verlauf des kommenden Jahres dürfte die Auslastung dieses Maß überschreiten, sofern der Investitionsaufschwung, der zyklisch bereits seit einiger Zeit angelegt ist, nicht abermals durch exogenes Störfeuer unterbrochen wird. Deutschland droht dann mit nicht nachhaltigen Raten in die Hochkonjunktur zu expandieren.

Wachstumsorientierte Politik

In dem Maße, wie man die stabilitätsgerechten Expansionsraten hierzulande für unzureichend hält, muss man den Bereich der Konjunkturpolitik verlassen und das Feld der Wachstumspolitik betreten. Wachstum ist indes kein Selbstzweck, sondern Mittel für einen höheren materiellen Wohlstand in Form vermehrter Konsummöglichkeiten.3 Auch diese können nur insofern maßgebend sein, wie die ökonomischen Akteure einen höheren materiellen Wohlstand anderen Einsatzfeldern ihrer möglichen Arbeitszeit vorziehen. Eine Wirtschaftspolitik, die die Akteure durch heutige Entscheidungen (z.B. Verschuldungsaufbau durch staatliches „deficit spending“) auf höhere Zukunftsproduktion festlegt, nur um „aus den Schulden herauszuwachsen“, würde allein schon durch den Verstoß gegen die Konsumentensouveränität (zu der auch der Konsumverzicht gehört) in erhebliche Legitimationsprobleme hineinlaufen.

Für eine wachstumsorientierte Politik spielt die Gestaltung des Ordnungsrahmens die alles überragende Rolle. Dies umfasst alle Maßnahmen, die in einer arbeitsteiligen Ökonomie die Koordination zwischen den Unternehmen als Produzenten und Investoren einerseits sowie den privaten Haushalten als Konsumenten und Anbietern von Produktionsfaktoren andererseits verbessern. Quoten, Höchstpreise, Mindestlöhne oder versicherungsfremde Anreize zur Frühverrentung zählen nicht dazu.4

Der Ordnungsrahmen wirkt auf alle wachstumsrelevanten Faktoren. Neben der Innovationstätigkeit (Produktivitätswachstum durch technischen Fortschritt) und dem Arbeitspotenzial (Erwerbstätigkeit bei gegebener Bevölkerungsentwicklung) spielt der Kapitalstock eine wichtige Rolle für das Produktionspotenzial. Über diesen ist derzeit eine rege Debatte im Gange (Stichwort „Investitionsschwäche“).5 Höhere Investitionen vermehren aber nicht automatisch das Produktionspotenzial. Dessen Höhe stellt keine bloße Mengen-, sondern eine Wertgröße dar. Die einzige Wertquelle für jede ökonomische Aktivität bilden die Konsummöglichkeiten in Gegenwart und Zukunft. Produktionstätigkeit als Mittel zum Zweck erhält ihren Wert nur dadurch, dass am Ende der Produktionsketten wertgeschätzte konsumierbare Güter stehen, für die eine entsprechende Zahlungsbereitschaft besteht (privater Konsum) oder unterstellt werden kann (öffentlicher Konsum). Demzufolge kann auch Einkommen nur aus Produktion resultieren, die direkt oder indirekt Konsummöglichkeiten schafft, weil sich der Wert aller Produktionsfaktoren von der Bewertung des Produktionsergebnisses ableitet.6

Somit erhält auch der gesamtwirtschaftliche Kapitalstock nur dadurch einen Wert, dass er als intertemporaler Vorleistungsbestand für die Produktion zukünftiger Konsumgüter nützlich ist. Hierüber täuschen die statistisch ausgewiesenen Kapitalstockdaten hinweg, weil diese Angaben auf Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungspreisen beruhen. Beide Konzepte können von der Wertschätzung für die mit den Kapitalgütern zukünftig produzierbaren Konsumgüter erheblich abweichen. So enthält der für Spanien ausgewiesene gesamtwirtschaftliche Kapitalstock auch heute noch die Fehlinvestitionen aus den Jahren des Baubooms, obwohl die Marktwerte vieler Immobilien (entsprechend der Erwartungskorrektur über die Wertschätzung für die von diesen Immobilien zukünftig noch abzugebenden Leistungen) erheblich nachgegeben haben. Auch die Produktionskapazität im Bausektor hat erheblich an Wert verloren. Diese massive Kapitalstockverzerrung und die damit untrennbar verbundene Deformation der Produktions- und Preisstrukturen bleiben indes für den Betrachter statistischer Aggregate unsichtbar. Hierin liegt auch der Grund, weshalb aggregierte Produktionsfunktionen bei Strukturverwerfungen ein falsches Bild der Produktionsmöglichkeiten zeichnen.7

Für die Stärkung des Produktionspotenzials kommt es somit nicht nur darauf an, dass investiert wird, sondern auch, in welchen Bereichen die Investitionen erfolgen. Das Aufspüren zukünftiger Bedarfe ist die zentrale unternehmerische Funktion, die nicht durch staatliche Investitionsprogramme ersetzt werden kann. Auch Ausgaben für Infrastrukturen, etwa im Verkehrsbereich, sind nicht per se sinnvoll. Nur Verkehrswege, für die eine Wertschätzung in Form einer entsprechenden Zahlungsbereitschaft der direkten und indirekten Nutzer besteht, mehren das Produktionspotenzial.8 Hinzu kommt, dass höhere Infrastrukturinvestitionen nicht über Nacht möglich sind, sondern am besten über ein verstetigtes Ausgabegebaren gelingen. Hierdurch wäre der Stabilisierungsaufgabe mehr gedient, als kurzatmige „Investitionsoffensiven“ oder „Aktionsprogramme“ aufzulegen. Diese werden meist dann ausgerufen, wenn zugleich ein Konjunkturimpuls gesetzt werden soll. Dies geschieht wohl auch, um eine Defizitfinanzierung zu rechtfertigen. Offenbar lässt sich die notwendige Umschichtung in den öffentlichen Haushalten zugunsten höherer Investitionsausgaben selbst in Zeiten normaler oder guter Konjunktur politisch nicht umsetzen, was auf einen staatlichen Bereitstellungsdefekt schließen lässt.

Expansion im Euroraum

Seit einiger Zeit mehren sich die Stimmen, die die deutsche Wirtschaftspolitik zu expansiv wirkenden Maßnahmen drängen mit dem Ziel, hierdurch konjunkturelle Impulse für den übrigen Euroraum zu setzen. Abgesehen von den voraussichtlich geringen Übertragungseffekten ist dieser mechanisch-hydraulischen Sichtweise einer Makrosteuerung des Euroraums wenig abzugewinnen. Eine europäische Stabilitätspolitik kann nicht darin bestehen, die durchschnittliche Auslastung anzuheben, indem man normal ausgelastete Teilräume in die Überhitzung treibt. Wer die Füße in die Gefriertruhe hält und sich zum Ausgleich auf eine heiße Herdplatte setzt, wird dies trotz der moderaten Durchschnittstemperatur nicht als angenehm empfinden.

Dies gilt umso mehr, als die Krise im Euroraum nicht als primär konjunkturelles Problem begriffen werden kann. Vielmehr leiden die betroffenen Länder an massiven Kapitalstockverzerrungen als Folge der übermäßigen Kreditexpansion, die im Vorfeld der aktuellen Krise die Preis- und Produktionsstrukturen deformiert hat. Finanzwirtschaftlich äußert sich dies in hartnäckigen Überschuldungspositionen (Zombie-Strukturen im Banken- und Nicht-Bankensektor), die – solange sie nicht durch Restrukturierungen bereinigt werden – als Renditekiller für neue Investitionen wirken und die Erholung blockieren. Staatliche Investitionsprogramme können zwar auch zur Entschuldung des Privatsektors beitragen. Sie ermöglichen es den Unternehmen, marktferne Projekte zu realisieren und dabei Gewinne zu machen. Dies ist jedoch ein kostspieliges Verfahren (Ressourcen werden abermals in eine fragwürdige Verwendung gelenkt) und verlagert die Schuldenlast nur vom privaten in den öffentlichen Sektor. Die heiße Kartoffel wird weitergereicht, aber sie kühlt nicht ab.

Das ökonomische Wohlergehen im übrigen Euroraum bleibt aus der deutschen Wachstumsperspektive sehr wichtig, auch wenn die relative Handelsverflechtung seit dem Start der EWU im Trend stark rückläufig ist (gingen 1999 noch 46% der deutschen Ausfuhren in die übrigen Euroländer, so waren es zuletzt weniger als 37%). Von leistungsfähigen Nachbarn profitiert man mehr als von schwachen Partnern. Und zwar nicht, weil ein prosperierendes Umfeld höhere „effektive Nachfrage“ entwickelt, sondern weil sich mit ökonomisch potenteren Nachbarn mehr Möglichkeiten bieten, um in höherwertige arbeitsteilige Prozesse einzutreten (steigende Handelsströme sind die Folge, nicht die Ursache des durch Spezialisierungsvorteile getragenen Wachstumsprozesses). Daher muss die deutsche Wirtschaftspolitik ein vitales Interesse daran haben, keine Maßnahmen zu unterstützen, die nur kurzfristig stimulieren, aber längerfristig zu neuen Strukturproblemen im Euroraum führen. Sonst bleiben außer Investitionsruinen abermals nur neue Schulden zurück.

  • 1 J. Boysen-Hogrefe et al.: Deutsche Konjunktur im Herbst 2014 – Aufschwung abermals unterbrochen, Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 545/546, Kiel 2014.
  • 2 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Mehr Vertrauen in Marktprozesse, Jahresgutachten 2014/15, Wiesbaden 2014.
  • 3 Weil Konsum und nicht Produktion der Zweck des Wirtschaftens ist, müsste die wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik ihre Aufmerksamkeit stärker auf die Entwicklung des Volkseinkommens und weniger auf die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts richten. Dies kann an dieser Stelle jedoch nicht weiter vertieft werden.
  • 4 Vgl. S. Kooths, M. Wolters: Marktwirtschaftliche Politik statt politisierte Märkte – Wider den grassierenden Neointerventionismus, IfW-Fokus, Nr. 169, Kiel 2014.
  • 5 Auf die fortschreitende Erosion des öffentlichen Kapitalstocks in Deutschland hat das Institut für Weltwirtschaft bereits in seiner Frühjahrsprognose 2013 hingewiesen. Vgl. J. Boysen-Hogrefe et al.: Mittelfristprojektion für Deutschland, Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 520/521, Kiel 2013, S. 10 f.
  • 6 Mit keynesianischen Gruben, die im staatlichen Auftrag ausgehoben werden, um sie am nächsten Tag wieder zuschütten zu lassen, lässt sich daher kein Einkommen schaffen, sondern solche Maßnahmen behindern den Einsatz brachliegender Ressourcen für eine sinnvolle Produktion. Noch destruktiver wirken staatliche Programme, mit denen bestehende Güter zerstört werden sollen (Abwrackprämien), um die Produktion anzuregen.
  • 7 Vgl. E. Klär: Potential Economic Variables and Actual Economic Policies in Europe, in: Intereconomics, 48. Jg. (2013), H. 1, S. 33-40.
  • 8 Wo immer möglich sollten Infrastrukturen daher nicht steuerfinanziert, sondern nutzerfinanziert in geschlossenen Finanzierungskreisläufen bereitgestellt werden. Vgl. S. Kooths: Auf der Strecke geblieben – die Tücken der staatlichen Infrastrukturfinanzierung, IfW-Fokus, Nr. 164, Kiel 2014.
 

Schwache Konjunktur: das Ende der Illusionen

Die deutsche Wirtschaft hat nach einem verheißungsvollen Start zum Jahresbeginn 2014 im Sommerhalbjahr stagniert. Einem leichten Rückgang im zweiten Quartal folgte im dritten Quartal ein ebenso geringer Zuwachs, so dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gerade einmal das Niveau des ersten Quartals wieder erreichte. Die Konjunkturindikatoren lassen zudem auch für das Abschlussquartal des Jahres 2014 keine durchgreifende Erholung erwarten. Das Jahr 2014 hat demnach die Erwartungen auf einen selbstragenden Aufschwung enttäuscht.

Allen voran ist die wieder aufkeimende Unsicherheit bei den Unternehmen über die Auswirkungen der Krise des Euroraums, die das unstetige Investitionsverhalten prägte, als Ursache zu nennen. Aber auch die Geld- und Fiskalpolitik in Europa und in den USA sowie die geopolitischen Krisen in der Ukraine und Nahost trugen hierzu bei. Überdies verzerrten sowohl die außergewöhnlich milde Witterung des vergangenen Winters als auch die außergewöhnliche Lage der Sommerferien die ausgewiesene wirtschaftliche Dynamik im Jahresverlauf.

Gestützt wurde die Konjunktur vor allem von den privaten Konsumausgaben, aber auch die Staatsausgaben trugen hierzu bei. Hingegen setzen die Ausrüstungsinvestitionen ihre dynamische Expansion des vorigen Winterhalbjahres, die als Trendwende interpretiert werden konnte, nicht mehr fort und verzeichneten sogar einen deutlichen Rückgang. Entgegen den meisten Erwartungen ist die Investitionsschwäche noch nicht überwunden. Ebenfalls nachgegeben haben die Bauinvestitionen. Neben dem witterungsbedingten Reflex infolge des milden Winters deutet sich hier auch eine Abkühlung der Baukonjunktur an. Dagegen nahmen trotz der seit dem Frühjahr pessimistischeren Exporterwartungen die Ausfuhren verstärkt zu. Da die Importe in einer ähnlichen Größenordnung zulegten, war der rechnerische Effekt des Außenbeitrags auf das Wachstum jedoch gering. Bei alledem erwies sich der Arbeitsmarkt als robust. Die Beschäftigung blieb stabil und die Arbeitslosigkeit sank in der Tendenz leicht.

Bemerkenswert war der starke Umschwung der Stimmungsindikatoren. Bis zum Frühjahr herrschte die Erwartung, dass die Konjunktur deutlich aufwärtsgerichtet bleiben würde. Dann setzte ein drastischer Stimmungsumschwung ein, der viele sogar mindestens eine technische Rezession erwarten ließ. Hingegen wies der IMK-Konjunkturindikator in der Tendenz nur eine verhaltene Zunahme der Rezessionswahrscheinlichkeit auf etwa 20%, nach zuvor rund 5% aus.

Vergleich der Prognosen für 2014

Diese konjunkturelle Kehrtwendung lässt sich auch anhand der Prognosen nachvollziehen. Viele Ökonomen blickten zu Jahresbeginn sehr optimistisch auf das Jahr 2014. Dieser Optimismus verstärkte sich sogar noch bis in den Frühsommer hinein. Die meisten Institute, auch das zuvor skeptischere IMK, erwarteten ein kräftiges Wachstum. Das Prognosespektrum der Experten pendelte sich mithin auf eine Veränderungsrate für das deutsche BIP um die 2% ein (vgl. Tabelle 1). Der Sachverständigenrat Wirtschaft sah sich im März 2014 sogar zu einer Aktualisierung seiner Prognose veranlasst und erhöhte sie um 0,3 Prozentpunkte auf 1,9%. Tenor aller Vorhersagen war, dass maßgebliche Motoren für das Wachstum deutlich expandierende Exporte sein würden (Prognosespektrum 4% bis 6%), in deren Folge insbesondere die Ausrüstungsinvestitionen verstärkt ausgeweitet werden dürften (Prognosespektrum 6% bis 8%). Der Optimismus stützte sich im Wesentlichen auf eine durchgreifende Erholung im Euroraum. Die dortige Krise schien allmählich überwunden und die Ungewissheit über den Fortbestand der EWU in der bisherigen Form wich nun mehr und mehr der Hoffnung, dass sich die Konjunktur dort wiederbelebe und in einen von Investitionen getragenen Aufschwung übergehe.

Mit dem Stimmungseinbruch und im Licht der tatsächlichen Entwicklung wurden die Prognosen im Jahresverlauf dann wieder spürbar gesenkt. Das Prognosespektrum bewegt sich seit dem Herbst für 2014 nunmehr zwischen 1,0% und 1,5%. Entscheidend für die Abwärtskorrekturen sind im Wesentlichen eine bedeutend veränderte Einschätzung der Entwicklung der Exporte (Prognosespektrum 2½% bis 4½%) und der Ausrüstungsinvestitionen (Prognosespektrum 3% bis 4%) gewesen. Die erwarteten Konjunkturtreiber fielen aus.

Tabelle 1
Prognosespektrum für das Bruttoinlandsprodukt 2014
Veränderung in %, preisbereinigt
Prognose-
zeitpunkt
Institutionen
Oktober bis Dezember 2013 April bis Juni 2014 September bis November 2014
Gemeinschaftsdiagnose 1,8 1,9 1,3
Sachverständigenrat 1,6 1,9 1,2
Bundesbank 1,7 1,9 n.v.
HWWI 1,7 2,2 1,6
RWI 1,5 2,0 1,5
IWH 1,8 2,0 1,5
IMK 1,2 1,8 1,5
ifo 1,9 2,0 1,0
DIW 1,6 1,8 1,5
IfW 1,7 2,0 1,4
IWF 1,6 1,7 1,4
Prognosendurchschnitt 1,6 1,9 1,4

Quellen: Deutsche Bundesbank; DIW; HWWI; ifo; IfW; IMK; IWF; IWH; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose; Sachverständigenrat für Wirtschaft.

Einfluss der Weltwirtschaft

Ausschlaggebend für die veränderte Einschätzung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums in Deutschland ist die Entwicklung des außenwirtschaftlichen Umfelds. Die konjunkturelle Entwicklung der Weltwirtschaft ist 2014 merklich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das Expansionstempo hat sich nicht wesentlich beschleunigt. Das jahresdurchschnittliche reale Wachstum des globalen BIP dürfte für 2014 nur in der gleichen Größenordnung ausfallen wie im Vorjahr (2½%). Damit liegt es deutlich unter den Annahmen vieler Prognosen (3½%) zu Jahresbeginn. Zwar trugen sowohl die USA als auch Großbritannien spürbar zum globalen Wachstum bei. Ihre Expansionsraten fielen sogar höher aus als erwartet. Auch Chinas Wirtschaft expandierte kräftiger. Andere Länder aus der Gruppe der Schwellen- und Entwicklungsländer, Brasilien und insbesondere Russlands Wirtschaft – nicht zuletzt infolge des Ukraine-Konflikts – blieben aber weit hinter den Prognosen zurück.

Entscheidend war jedoch die schwächere Zunahme der Produktion im Euroraum. Die erwartete substanzielle konjunkturelle Erholung und damit die Überwindung der Krise blieb aus. So war die Zunahme des BIP im Euroraum insgesamt nur sehr verhalten. Die schwächere außenwirtschaftliche Dynamik – wie in den ersten Prognosen unterstellt – hat Auswirkungen auf die deutschen Exporte. Dabei ist sowohl die regionale als auch die sektorale Struktur des globalen Wachstums von hoher Relevanz für die deutschen Exportunternehmen. Hinsichtlich der regionalen Struktur ist es besonders bedeutsam, ob der Nachfrageimpuls hauptsächlich von den wichtigsten Handelspartnern ausgeht. Da die aktuellen Abwärtskorrekturen insbesondere die Wachstums­erwartungen im Euroraum betreffen, dem nach wie vor mit 37% Exportanteil der deutschen Unternehmen wichtigsten Absatzmarkt, ist dies für die deutschen Exporteure folglich besonders nachteilig.

Entsprechendes gilt für die sektorale Struktur. Die deutschen Unternehmen verfügen über hohe komparative Vorteile bei den Investitionsgütern. Daher ist es von Nachteil, wenn – wie geschehen – insbesondere die Nachfrage nach Investitionsgütern sinkt. Diese entgegen den Prognosen veränderten weltwirtschaftlichen Entwicklungen haben die deutsche Exportdynamik deutlich gedämpft. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Investitionsverhalten der Unternehmen.

Warum der Euroraum nicht aus der Krise herauskommt

Um die Zähigkeit der Krise des Euroraums zu verstehen, ist es notwendig, ihren Ursprung zu erkennen. Sie entstand am Schnittpunkt der dramatischen Finanzmarktkrise mit der schwelenden Krise der wirtschaftspolitischen Institutionen des Euroraums. Erstere hatte zu einer tiefgreifenden Verunsicherung geführt, die seither auf den Finanzmärkten lastet und bei jeder auch nur anscheinend schlechten Nachricht zu teilweise heftigen Kursverlusten führt. Letztere hatte offenbart, dass es keine Regelungen zur Vermeidung von Außenhandelsungleichgewichten als Folge einer auseinanderdriftenden Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum gab und vor allem keine Regelungen zum Umgang mit der daraus entstehenden gesamtwirtschaftlichen Verschuldung.

Schon diese Analyse ist strittig. Vielfach wird insbesondere die öffentliche Verschuldung als Wurzel der Probleme gesehen und häufig wird die Einführung des Euro als gemeinsame Währung eines nicht optimalen Währungsgebietes als der entscheidende Fehler betrachtet. Kommt man zu diesem Ergebnis, bietet sich die Auflösung der EWU letztlich als einziger Ausweg an. In der Wirtschaftspolitik durchgesetzt hat sich aber eine Sichtweise, die sowohl den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländern als auch die hohe Staatsverschuldung als Ursachenbündel benennt. Hieraus ergeben sich die Programme, die aus der Krise führen sollen. Zum Ersten soll mittels Strukturreformen insbesondere auf den Arbeitsmärkten, die Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer primär durch Lohnverzicht erhöht werden. Zum Zweiten soll durch einen harten fiskalischen Sparkurs, sei es durch verminderte Ausgaben, sei es durch höhere Steuern die öffentliche Verschuldung zurückgeführt werden.

Beide Elemente wurden je nach Krisenland in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlicher Form durchgeführt. Es zeigte sich rasch, dass mit diesem Maßnahmenbündel die Unsicherheit nicht hinreichend bekämpft werden konnte. Insbesondere brach in den Krisenländern die Nachfrage als Folge der Lohn- und Gehaltskürzungen sowie der staatlichen Kürzungsprogramme zusammen. Die Arbeitslosigkeit stieg teilweise dramatisch, was die Unsicherheit sogar noch weiter verschärfte.

Vor diesem Hintergrund war die EZB im Laufe der Zeit zu weitreichenden geldpolitischen Stabilisierungsmaßnahmen gezwungen. Die Leitzinsen wurden auf nahezu Null gesenkt, der Bankensektor billig und großzügig mit Liquidität versorgt und vor allem wurde angekündigt, im Notfall staatliche Anleihen unbegrenzt aufzukaufen. Zuletzt wurde dies auf private Anleihen ausgeweitet. All dies hat dazu gereicht, die Finanzmärkte halbwegs zu stabilisieren, wenngleich die Volatilität immer noch hoch ist. Doch eine nachhaltige realwirtschaftliche Erholung kommt nicht in Gang, auch wenn es zeitweilig in einzelnen Ländern den Anschein hatte. So gewannen zwar die Krisenländer durch den Druck auf die Löhne und damit die Inflationsraten – wie angestrebt – merklich an Wettbewerbsfähigkeit und konnten teilweise sogar kräftige Exportsteigerungen (Spanien) verzeichnen, doch reichte dies nicht aus, um die Arbeitslosigkeit zu senken, da sich die Binnennachfrage mit der fortgesetzt restriktiven Finanzpolitik nicht erholen konnte. Die Krisenländer verharren somit mit kurzen Unterbrechungen derzeit bestenfalls in einer Stag­nation.

Zeitweilig bestand die Illusion, dass sich die übrigen Länder des Euroraums von diesen Krisentendenzen lösen könnten. Diese Illusion, die eine Grundlage der optimistischen Prognosen zu Beginn dieses Jahres war, ist zerplatzt. Denn die intensiven Handelsbeziehungen zwischen den Ländern des Euroraums verhindern jedwede Isolationsbemühung. Die Krise des Euroraums ist letztlich die Krise aller Euroländer. Die teilweise dramatischen Einbrüche der Exporte in die Krisenländer, die zum einen auf der Krise der Binnennachfrage dort und zum Zweiten an deren verbesserter Wettbewerbsfähigkeit beruhen, haben die Exportwirtschaft mittlerweile auch in Deutschland nicht nur unmittelbar mit Produktionsausfällen reagieren lassen, sondern mittelbar auch noch ihre Investitionsneigung belastet. Eine ähnlich negative Reaktion in allen Ländern des Euroraums führt zu einer kumulativen Abwärtsbewegung. Der Investitionsprozess gerät somit immer wieder ins Stocken und mit ihm jedwede durchgreifende Aufwärtstendenz. Verschärft wird die konjunkturelle Lage derzeit, durch weitere weltwirtschaftliche Belastungen insbesondere in Schwellenländern, die das Investitionsklima noch weiter eintrüben. Vor dieser Kulisse schwelt die Krise des Euroraums weiter.

Erzeugung eines Nachfrageimpulses: unwahrscheinlich

Unter den gegebenen Umständen und mit der praktizierten wirtschaftspolitischen Ausrichtung ist es unwahrscheinlich, dass die wirtschaftliche Entwicklung im Euroraum in einen selbsttragenden Aufschwung mit signifikant abnehmender Arbeitslosigkeit mündet. Die einzige Chance wäre ein weltwirtschaftlicher Boom, bei dem die Exporte aus dem Euroraum markant stiegen, ohne dass es zu einer nennenswerten Aufwertung des Euro käme, der diesen Impuls alsbald wieder zunichte machen würde. Derzeit ist eine solche Tendenz vor dem Hintergrund der vielfältigen globalen Krisen nicht absehbar. Wenn aber ein Nachfrageimpuls nicht oder zumindest nicht verlässlich von außen kommt, sollte er binnenwirtschaftlich erzeugt werden. Die Geldpolitik ist hierzu nicht mehr in der Lage, da ihre Maßnahmen mit dem Erreichen eines Zinssatzes von Null sich darin erschöpfen, mittels Liquiditätszufuhr in großem Stil die Finanzmärkte zu stabilisieren. Sie agiert gleichsam im Leerlauf. Sie bedarf daher dringend einer Flankierung der Fiskalpolitik, die derzeit im Euroraum insgesamt ebenfalls einen expansiven Kurs einschlagen müsste.

Mit einem europaweiten fiskalischen Nachfrageschub, der entweder – und dies wäre die effektivste Strategie – mit erhöhten investiven Ausgaben oder aber gesenkten Steuern erreicht werden kann, würde die private Wirtschaft einen wichtigen Impuls empfangen. Finanziert werden müsste dieser Anstoß idealiter aus einer temporär höheren Verschuldung, die im Verlauf einer konjunkturellen Erholung allmählich wieder zurückgeführt werden sollte. Der Impuls würde die Erwartungen der Unternehmen optimistischer werden lassen. Dies würde sich über kurz oder lang auch in verstärkten privaten Investitionen und bei den niedrigen Zinsen in einer erhöhten Kreditnachfrage niederschlagen. Es käme zu einem sich selbst verstärkenden Prozess, da mit allgemein höheren Investitionen in der Folge auch Beschäftigung und Konsum steigen würden. Mit dem Aufkeimen von Zinserhöhungserwartungen nähme zudem die Kreditnachfrage verstärkt zu, da Unternehmen danach trachteten, noch in den Genuss möglichst niedriger Zinsen zu kommen. Nunmehr könnte auch die Geldpolitik wieder ihre volle Wirkung entfalten. Ein solches Szenario ließe die Krise allmählich verblassen.

Ein solches Szenario wäre zwar ökonomisch wünschenswert, doch stehen ihm massive rechtliche und politische Hindernisse im Wege, die seine Realisierung auf absehbare Zeit unwahrscheinlich erscheinen lassen. Allein in Deutschland, das eigentlich einen wesentlichen Beitrag zu diesem Nachfrageimpuls leisten müsste, verhindern die verfassungsrechtlich verankerte Schuldenbremse und die hohe wirtschaftspolitische Priorität eines ausgeglichenen Bundeshaushalts in Kombination mit der politischen Selbstverpflichtung, die Steuern nicht zu erhöhen, jeden nennenswerten expansiven fiskalischen Impuls. In den übrigen Ländern des Euroraums bestehen Beschränkungen durch den Fiskalpakt nebst Auflagen durch die EU-Kommission oder wie in Deutschland politische Selbstverpflichtungen zu einer höchstens neutralen fiskalpolitischen Ausrichtung. Zwar werden derzeit sowohl national wie auch auf EU-Ebene Versuche unternommen, mittels Investitionsfonds privates Kapital für Investitionen zu mobilisieren. Doch ist zweifelhaft, ob ohne staatlichen Ausgabenimpuls zusätzliche Investitionen tatsächlich ausgelöst werden können und wie hoch die Finanzierungskosten sind, da private Verschuldung im Vergleich zur öffentlichen mit höheren Risikozuschlägen auf den Zinssatz behaftet ist.

Vor diesem Hintergrund steht zu erwarten, dass die Krise im Euroraum auf absehbare Zeit weiter schwelen wird. Das bedeutet, die Wachstumsraten werden die 1%-Marke kaum je nachhaltig überschreiten, stattdessen wird es immer wieder zu stagnativen bis rezessiven Phasen kommen, und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Deutschland wird es aufgrund seiner diversifizierten weltwirtschaftlichen Verflechtungen besser als dem Durchschnitt des Euroraums ergehen. Doch ist ein selbsttragender Aufschwung derzeit auch hier nicht in Sicht. Um dies zu erreichen, bedürfte es eines grundlegenden Politikwechsels und Verständniswandels der Krise des Euroraums. Davon kann derzeit nicht die Rede sein.

 

Eine veränderte Kulisse globaler Risiken

Die deutsche Wirtschaft hält nicht mehr, was sie durch die Überwindung der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009 und die nachfolgende Erholung versprach. Auch wenn die Politik in Deutschland unverdrossen von der ökonomischen Stärke Deutschlands spricht, so sind doch selbst dort Vorsicht und ein Stimmungswandel zu erkennen. Zweifel und Verunsicherung prägen das Bild des ökonomischen und wirtschaftspolitischen Diskurses über die weitere Entwicklung der Konjunktur. Die jüngsten Prognosen für Deutschland waren spürbare Abwärtsrevisionen, von der Vorstellung eines 2%-Pfades 2014 und 2015 ist wenig übriggeblieben, der Prognosekonsens liegt jetzt für beide Jahre bei gut 1% für den jahresdurchschnittlichen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Derzeit erwartet indes niemand einen Absturz in eine Rezession. Auch rein technisch gesprochen sind das zweite Quartal mit einer geringen Schrumpfung um 0,1% in der laufenden Rate und das um 0,1% leicht positive dritte Quartal 2014 keine Belege für ein Abgleiten der Konjunktur.

Betrachtet man die längere Reihe der vierteljährlichen BIP-Ergebnisse seit Anfang 2012, dann vermittelt sich trotz der vier kräftigen Quartale bis zum Jahresanfang 2014 das Bild einer Seitwärtsbewegung. Wie in einer Wellblechkonjunktur findet die deutsche Volkswirtschaft keinen Ansatz zu einem längeren und stabileren Aufwärtstrend. Die für 2014 zunächst gehegten Hoffnungen auf eine größere Dynamik waren einerseits mit verminderter politischer Unsicherheit und dadurch sich stark belebender Investitionstätigkeit begründet worden,1 andererseits vor allem mit den sich verbessernden Aussichten in den Krisenländern der Eurozone sowie einer kräftigen Konjunktur in Nordamerika. Doch der starke Start in das Jahr, der keineswegs überraschend war wie der Sachverständigenrat für Wirtschaft meint,2 hat nicht weiter getragen. Es liegt angesichts der eigentlich seit dem zweiten Quartal 2011 prägenden Wellblechformation für die deutsche Konjunktur die Einschätzung nahe, dass längerfristige Faktoren eine bedeutsamere Rolle spielen, als dies in der kurzfristigen Betrachtung plausibel erscheinen mag.

Was trotz dieses Befundes eine positivere Bewertung für Deutschland im internationalen Vergleich rechtfertigt, das ist einerseits die Beschäftigungsentwicklung mit ihren immer neuen historischen Höchstständen und andererseits – damit verknüpft – die gute Entwicklung der öffentlichen Haushalte. Im dritten Quartal 2014 waren nach ersten Berechnungen 42,9 Mio. Personen erwerbstätig, das waren 384 000 Personen oder 0,9% mehr als ein Jahr zuvor. Gemessen an Wirkungszusammenhängen, die aufgrund jahrzehntelanger Empirie als robust angesehen werden konnten, sind diese Ergebnisse erstaunlich und nicht leicht zu erklären. Denn das Horten von Arbeit in den Unternehmen ist allenfalls auf kurze Sicht (für ein Jahr) sinnvoll, wenn es darum geht, qualifizierte Beschäftigte zu binden oder angesichts verschlechterter Fachkräfteversorgung Vorsorge zu betreiben. Doch letztlich muss sich dies in Markterfolgen rechtfertigen. Beschäftigungsaufbau als eine Wette auf die Zukunft muss irgendwann gedeckt werden. Eine plausible Erklärung für die Industrie liegt in den steigenden Dispositionsleistungen infolge immer komplexerer Produktionsstrukturen, was auch die Beschäftigung in Dienstleistungsbereichen fördert.

So gilt: Nicht nur die Investitionserwartungen vieler Prognostiker erwiesen sich als übertrieben, zugleich belegen die Fehlprognosen für Beschäftigung und Inflation, dass traditionelle Zusammenhänge nicht mehr so einfach gelten. Die Frage nach den Ursachen der Konjunkturflaute bewegt sich damit nicht in den üblichen Bahnen des Fachdiskurses. Es drängt sich erneut die These auf, dass tieferliegende Verwerfungen das gesamtwirtschaftliche Ergebnis stärker mitprägen als dies üblicherweise der Fall ist.

Erklärungsversuche

Die Hinweise des Sachverständigenrates, dass neben der geoplitischen Verunsicherung durch die Ukraine-Krise, dem militärischen Konflikt um den Islamischen Staat und der schwächer als erwartet verlaufenden Konjunktur in der Eurozone besonders die rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu der bemerkenswerten Eintrübung der Konjunktur beigetragen habe,3 sind auf erheblichen Widerspruch gestoßen. Während die Regierung verärgert behauptet, dass noch nicht wirksame Maßnahmen kaum die Konjunktur belasten können,4 wurde von anderer Seite darauf hingewiesen, dass sich zwischen Frühjahr und Herbst 2014 nichts Neues in der deutschen Wirtschaftspolitik ergeben habe, da es nur um die gesetzliche Regelung der Beschlüsse des Koalitionsvertrags gegangen sei.5

Die Kritik der Politik ist wenig überzeugend, denn Entscheidungen des Gesetzgebers entfalten ihre Wirkung nicht erst ab dem Tag der rechtlichen Gültigkeit, sondern bekanntermaßen über die Erwartungsbildung ab dem Zeitpunkt einer verlässlichen politischen Willenserklärung. Oder – um mit Ludwig Erhard zu sprechen: Wirtschaftpolitik ist vor allem Psychologie. Dafür gilt freilich der Hinweis: Was ist neu seit dem Koalitionsvertrag? Niemand konnte angesichts der Struktur und der Mehrheit der Regierungskoalition einen Zweifel daran haben, dass die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Beschlüsse auch umgesetzt werden – Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, Rente mit 63, Mütterrente, usf. Allenfalls ließe sich anfügen, dass im Zuge der weltwirtschaftlichen Abschwächung eine solche Regulierungspolitik eine zusätzliche Schärfe erhält, weil sie nicht mit Hilfe einer extern motivierten Dynamik überspielt werden kann.

Doch es bleibt die Frage, was die Konjunktur jenseits der abrupten Erwartungskorrekturen geschwächt hat. Die geopolitischen Risiken waren zu Jahresbeginn nicht zu antizipieren. Insbesondere die Eskalation in der Ukraine im Februar ermöglichte noch keine Einschätzung der seitherigen Entwicklung. Tatsächlich war zu erleben, dass die Sanktionen gegen Russland stärkere realwirtschaftliche Folgen haben, als dies gemeinhin bei politischen Krisen der Fall ist und zunächst erwartet wurde. Zudem wurde im Laufe des Jahres immer klarer, dass es eine schnelle Lösung und Korrektur der Belastungen nicht geben werde. Vor allem in den neuen Bundesländern schlägt sich die Ukraine-Krise in negativen Exporterwartungen und entsprechend zurückhaltenden Investitionsplanungen nieder.6 Auch gesamtwirtschaftlich und vor allem europäisch zeigen sich die Folgen beispielsweise in höheren Kreditausfallrisiken, während Deutschland besonders im Export betroffen ist (vgl. Abbildung 1).

Der Blick auf diese geopolitische Lage kann die Konjunkturflaute 2014 erklären. Diese bettet sich aber in eine längere Phase schwächerer Dynamik – in das Wellblech der Konjunktur – ein. Die eigentlich spannende und wirtschaftspolitisch bedeutsamere Frage ist deshalb, wie diese längere Phase der Stagnation zu erklären ist.

Abbildung 1
Ukraine-Krise: Folgen der Isolation Russlands für beide Seiten
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Quelle: Bloomberg.

Stillstand der Globalisierung?

Ein Blick auf die globale Entwicklung macht deutlich, dass sich die Weltwirtschaft insgesamt nicht gerade in einer Phase großer Dynamik befindet. Nach der Weltwirtschaftskrise und einer bis Mitte 2011 andauernden Korrektur dieses Einbruchs ist auch hier eine Seitwärtsbewegung festzustellen. Die Industrie, der Taktgeber der Konjunktur, findet in fast allen großen Wirtschaftsräumen nicht zu einem stabilen Wachstum. Der Einkaufsmanager­index verharrt nur leicht über der Expansionsmarke; lediglich die US-Wirtschaft scheint sich aus eigenen Gründen (insbesondere Energiekosten) zu stabilisieren (vgl.Abbildung 2).

Einmal wirkt sich in dieser Entwicklung aus, dass die tiefe Krise 2009 strukturell länger nachwirkt, als es die reine Korrektur des Einbruchs bei Produktion und Welthandel erkennen lässt. Denn das mit der Krise obsolet gewordene Geschäftsmodell einer auf Kreditexpansion beruhenden Investitionsdynamik hat bislang keine Nachfolge gefunden. Zudem befinden sich sowohl die Geldpolitik als auch die Finanzpolitik nahezu weltweit noch im Krisenmodus. Auch das beeinflusst die Erwartungsbildung der Investoren. Die Krise wirkt trotz aller Bereinigungen nahezu sedierend auf die aktuelle Konjunktur. Dies wird auch nicht dadurch ausgeglichen, dass in den letzten Monaten der Preis für Rohöl deutlich gesunken ist, was eigentlich einem Konjunkturprogramm gleichkommt.

Abbildung 2
Weltwirtschaft in der Seitwärtsbewegung
Einkaufsmanagerindex Industrie (50 = Expansionsmarke)
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Quelle: Bloomberg.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich in den vergangenen Jahren nicht nur durch das Scheitern der Doha-Runde in der Welthandelsorganisation die Aussichten für eine weitere Verbesserung des Freihandelsregimes verschlechtert haben. Vielmehr greifen vermehrt Industrie- und Schwellenländer zu protektionistischen Maßnahmen. Im jüngsten Bericht der EU-Kommission über handelshemmende Praktiken wird dies überdeutlich.7 So veranlassten 2013/2014 die G20-Mitglieder und andere wichtige Handelspartner der EU insgesamt 170 neue handelsschädigende Maßnahmen. Am häufigsten war dies in Russland, China, Indien und Indonesien der Fall, gefolgt von Argentinien, Ägypten, den USA, Südafrika, der Türkei und Thailand. Außerdem griffen viele Länder häufiger auf diskriminierende inländische Abgaben, technische Vorschriften oder Lokalisierungsauflagen zurück, um ihre Märkte gegen ausländische Wettbewerber abzuschotten.

Unabhängig von diesen ökonomischen Aspekten leidet die Globalisierung darunter, dass sich die Risiken für das Investieren in der Welt kaum vermindert haben und unverändert eine Zwei-Klassen-Struktur zeigen. Dafür liefert die von der OECD bereitgestellte Country Risk Classification interessante Ergebnisse.8 Dabei wird einerseits eine quantitative Abschätzung des Länderkreditrisikos (aufgrund der Zahlungsmoral, der finanziellen und ökonomischen Lage) vorgenommen, andererseits werden durch qualitative Expertenbewertungen politische und weitere Risiken erfasst. Vergleicht man die Ergebnisse für 2014 mit denen für 2004, dann fällt auf, dass sich mit wenigen einzelnen Ausnahmen außerhalb von Nordamerika, Europa, Japan und Australien unverändert spürbare Risiken zeigen. Ein Aufschließen dieser Regionen an die etablierten Industrieökonomien ist nicht festzustellen. Anders als zu Beginn des neuen Jahrtausends wird dieser Nachteil aber nicht durch einen globalen Investitionsboom überdeckt, auch wenn heute das Geld noch günstiger verfügbar ist als seinerzeit.

Der Anstieg der globalen Investitionsquote von 2002 bis 2007 um fast zwei Prozentpunkte konnte nicht gehalten werden, als die Krise 2009 die Welt prägte, und wurde danach nicht wieder erreicht, so dass sie heute mit gut 21% auf dem historischen Tiefstand angekommen ist. Bedenkt man, dass das globale Investitionsgeschehen der vergangenen zwei Jahrzehnte von den Schwellenländern – vor allem in Asien – getrieben wurde, dann muss sich in diesen Ländern etwas verändert haben. Von 2002 bis 2012 hat sich die Kapitalbildung von 7000 Mrd. US-$ auf über 17 000 Mrd. US-$ erhöht, nachdem in dem Jahrzehnt zuvor nur ein Anstieg um 1500 Mrd. US-$ zu verzeichnen war.9 Mit dieser Entwicklung hat sich die globale Struktur grundlegend verändert: Zeichneten um das Jahr 2000 die Schwellenländer für ein Viertel der weltweiten Investitionen verantwortlich, so ist es derzeit die Hälfte. Während der Krise entwickelten sich die Investitionen dort weitgehend robust, während sie in den Industrieländern das Vorkrisennniveau noch nicht wieder erreicht haben. Im Kontrast dazu verlieren nun die Schwellenländer zunehmend an Dynamik, es schwindet die Selbstverständlichkeit, mit der bislang auf diesen besonderen Antrieb der Weltwirtschaft gesetzt wurde. Seit Jahresanfang 2010 befindet sich der OECD Composite Leading Indicator für die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) durchweg im Sinkflug.

Schwellenländer mit Governance-Problemen

Die Investitionsgeschichte für die Schwellenländer muss vielleicht noch nicht gänzlich neu geschrieben werden, wohl aber steht sie auf dem Prüfstand. Immer deutlicher wird, dass in allen größeren Schwellenländern politische Steuerungsprobleme bestehen. Man gewinnt bei näherer Betrachtung den Eindruck, dass sich in diesen Staaten die wirtschaftliche Dynamik einerseits und die institutionellen Bedingungen andererseits in einem Spannungsverhältnis zueinander befinden, dessen Auflösung noch nicht zu erkennen oder zumindest auf die Schnelle nicht zu erwarten ist. Solche Spannungen können lange durch eine investitionsgetragene Dynamik überdeckt werden, die sich aus dem enormen Nachholbedarf von Schwellenländern beim Aufbau einer wettbewerbsfähigen unternehmerischen Basis sowie bei der Entwicklung der Infrastruktur ergibt. Daran wird sich bei allen erreichten Fortschritten in den Ländern lange nichts ändern, denn die Relation von Kapitalausstattung je Einwohner zum Bruttoinlandsprodukt je Einwohner ist dort – und selbst im viel gerühmten China – noch viel niedriger als in den etablierten Industrieländern.

Doch dieses Potenzial wird nun nicht mehr so selbstverständlich wie bislang moblisiert. Das hat mit Verteilungskonflikten und der ungenügenden Partizipation weiter Bevölkerungskreise an der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Das hat ebenso mit einem Regierungs- und Verwaltungshandeln zu tun, das weder Verfahrensverlässlichkeit noch Rechtssicherheit in dem gebotenen Maße gewährleistet. Gute politische Steuerung und verlässliche Administration sind bedeutsame Voraussetzungen für hohe Wettbewerbsfähigkeit. In diesem Zusammenhang stehen die Schwellenländer nicht nur schlecht dar (vgl. Abbildung 3), sondern haben in den letzten Jahren entweder stagniert oder sich gar verschlechtert.

Abbildung 3
Good Governance schafft Wachstum-Scores im Global Competitiveness Report 2014
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Quelle: World Competitiveness Report 2014.

Dies zeigt die Weltbank in ihrem Bericht „Doing Business“, wenn man nur die letzten beiden Datenstände miteinander vergleicht.10 Da ist Russland auf Rang 92 (von 185), China auf 96, Brasilien auf 116, und Indien auf 134 platziert; der Abstand zwischen den traditionellen Industrieländern mit hohem Einkommen und den anderen Ländergruppen ist robust. Ähnliche Ergebnisse liefert der Korruptionsindex, den Transparency International veröffentlicht.11 Da landet Russland auf Platz 127 (von 175), Indien auf 94, China auf 80 und Brasilen auf 72. Diese Ergebnisse erinnern daran, dass wirtschaftliche Aufholjagden nicht automatisch zu stabilen Entwicklungsprozessen werden, sondern dafür der ständigen Begleitung durch glaubwürdige Politik, verlässliche Verwaltung und Rechtssicherheit bedürfen. Das spricht nicht gegen ein Engagement in solchen Märkten, es verlangt aber nach einem differenzierten Blick und es warnt vor Euphorie.

Natürlich sind Russland und China gigantische Märkte mit großem Potenzial. Doch der einseitige Fokus auf Kosten und Nachfrage ignoriert, was Investoren wichtig sein muss: gute Institutionen. Dabei steht China vor besonderen Herausforderungen im Entwicklungsprozess, weil es seine Exportzuwächse bislang durch Lohnvorteile erwirtschaftet hat und dieser Vorteil zunehmend erodiert, weil die Löhne kräftig gestiegen sind und andere Länder mit niedrigen Kosten aufrücken.12 China muss eine neue Welle der Reformen in Gang setzen, um durch eigene Innovationskraft eine höhere Produktivität zu erreichen. Ob dies gelingt ist durchaus fraglich, zumal andere Schwellenländer – wie Brasilien – in dieser Falle stecken. All das wird derzeit zunehmend in den Unternehmen realisiert. Dies und die Perspektive der „Industrie 4.0“ mit der Folge weitgehender IT-basierter Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette führen dazu, dass die traditionellen Industrieländer als Investitionsstandorte wieder stärker in den Fokus rücken. Bislang finden sich jedoch allenfalls anekdotische Hinweise auf entsprechend motivierte Rückverlagerung von Produktionsstandorten.13

Wirtschaftspolitik: Freihandel und gute Angebotsbedingungen

Im Lichte der erläuterten Zusammenhänge kann die Wirtschaftspolitik in zwei Kontexten handeln: Einerseits in der Absicherung der globalen Arbeitsteilung durch eine verlässliche Freihandelspolitik, andererseits binnenwirtschaftlich ausgerichtet durch stabile und gute Angebotsbedingungen. Die Verpflichtung zum Freihandel sollte sich trotz aller Probleme wieder der Welthandelsorganisation bedienen und den Versuch nicht scheuen, die Doha-Runde wiederzubeleben. So konnte jüngst durch einen Kompromiss zwischen Indien und den USA doch noch der Weg für das im vergangenen Dezember in Bali geschlossene Abkommen zur Liberalisierung des Welthandels frei gemacht werden. Dieses sieht Handelserleichterungen, den Abbau von Bürokratie und Zollhemmnissen sowie einen schnelleren Marktzugang der Entwicklungsländer vor. Es ist das erste globale Abkommen seit 20 Jahren.

Zugleich muss das Abkommen zwischen Europa und den USA über eine Handels- und Investitionspartnerschaft erfolgreich verhandelt werden, nachdem ein vergleichbares Abkommen mit Kanada bereits zur Ratifizierung ansteht. Hiermit verbindet sich neben der historisch wohl einmaligen Chance, den größten Wirtschaftsraum der Welt zu begründen, die Möglichkeit, wichtige Standards für die globale Ordnung zu definieren. Vor allem für die Gestaltung von Investitionsschutzsabkommen ist dies bedeutsam. Statt Ablehnung, wie sie von vielen Nicht-Regierungsorganisationen vorgetragen wird, muss es, beispielsweise anhand der Vorschläge der UNCTAD,14 um eine sinnvolle Weiterentwicklung gehen.

Zusammenfassend sollte die Wirtschaftspolitik vermeiden mit Illusionen zu hantieren und keynesianische Rezepte in einer Zeit angebotsseitiger Probleme anzuwenden. Die Bundesregierung ist gut beraten, bei ihrer Linie der Konsolidierung zu bleiben. Des Weiteren sollte sie die Standortprobleme, die sich im internationalen Vergleich aus sehr hohen Industriestrompreisen und einem zunehmenden Fachkräftemangel ergeben, ernst nehmen. In beiden Bereichen fehlt der neuen Bundesregierung bei aller verbalen Positionierung die notwendige Konsequenz. Bislang sind entweder unzureichende – so bei der Energiewende – oder falsche Schritte getan worden. Eine angebotspolitische Agenda fehlt.

Title:Does the Business Cycle Turn and What Has to Be Done?

Abstract:The latest economic forecasts have been revised downwards. This correction is not surprising, since earlier optimism was based on the assessment that the crisis in the euro area had been largely overcome. Furthermore, country risks remain high, new geopolitical conflicts have arisen and emerging markets are becoming less dynamic. Conventional monetary policy has reached the limit of its possibilities. It requires a fiscal policy support, but the fiscal pact and other political commitments by governments impose tight constraints. The question arises whether the economy needs only short-run impulses. Some authors state that the long period of stagnation since 2011 is essentially structural. Moderate German GDP figures are in line with the poor condition of the country’s potential output growth. Thus, launching stimulus programmes would further increase the risk of overheating, as the country would remain exposed to an extremely expansionary monetary environment. Achieving stronger sustainable growth requires structural reforms that strengthen long­run productivity progress. The authors are convinced that economic policymakers should realise that Keynesian policies do not work in an environment of supply-side problems.


DOI: 10.1007/s10273-014-1759-6