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Während der EU-Schuldenkrise wurde einigen Staaten unterstellt, sie seien insolvent. Können Staaten aber tatsächlich Bankrott gehen? Der Autor hält einen Vergleich von Staaten mit Unternehmen für unzulässig. Solange ein Staat sich in eigener Währung verschuldet, kann er sich durch Anhebung der Steuern oder mithilfe der Zentralbank als „Lender of Last Resort“ entlasten. Besteht die staatliche und private Gesamtverschuldung jedoch vor allem aus Auslandskrediten, kann es zu einer zeitlich begrenzten Zahlungsunfähigkeit kommen.

In der Eurozone ist angesichts der Schwierigkeiten der sogenannten GIIPS-Länder (Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien) das Thema des Staatsbankrotts wieder aktuell: So wurde etwa 2012 im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen Schuldenerlass für den griechischen Staat immer wieder von der Gefahr eines Staatsbankrotts gesprochen bzw. davon, dass er eigentlich schon längst eingetreten sei. Allerdings fehlt es an eindeutigen Kriterien dafür, wann sinnvollerweise von einem Staatsbankrott gesprochen werden kann, bzw. was die Ursachen eines Staatsbankrotts sind.

Als Staatsbankrott soll eine Situation bezeichnet werden, in der der Staat bestehende Schuldverpflichtungen ganz oder teilweise nicht mehr erfüllt. Eindeutig ist diese Situation gegeben, wenn fällige Zinsen oder Rückzahlungen nicht mehr geleistet werden. Zuweilen wird auch eine Umschuldung/Restrukturierung von Staatsschulden oder auch eine Entwertung nominaler Gläubigeransprüche durch Inflation als Staatsbankrott bezeichnet; dennoch soll im Folgenden unter einer staatlichen Insolvenz oder einem Staatsbankrott nur der eindeutige Fall einer Nicht-Bedienung expliziter, d.h. aufgrund von Wertpapieremissionen oder Kreditaufnahmen entstandener Zahlungsverpflichtungen verstanden werden. Die Grenzen sind nicht immer ganz einfach zu ziehen.1

Staatsbankrott analog zur Unternehmensinsolvenz?

Es scheint auf den ersten Blick naheliegend, einen Staatsbankrott in ähnlicher Weise zu behandeln wie eine unternehmerische Insolvenz. Hierfür ist beispielsweise in der deutschen Insolvenzordnung (InsO) ein Insolvenzverfahren vorgesehen, das zum Ziel hat, „die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird“ (§ 1 InsO). Für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens muss das Unternehmen entweder zahlungsunfähig sein (d.h. nicht mehr in der Lage, fällige Zahlungspflichten zu erfüllen – § 17 InsO) oder überschuldet (d.h. das Vermögen deckt nicht mehr die bestehenden Verbindlichkeiten, so dass das Reinvermögen negativ ist – § 19 InsO), wobei beide Tatbestände unabhängig voneinander vorkommen können. Lassen sich diese beiden Gründe für einen Bankrott bzw. eine Insolvenz auch so einfach auf den Staat übertragen? Und vor allem: Welche Folgen hätte es, wenn das Vorliegen einer dieser Gründe festgestellt wird?

Überschuldung auf staatlicher Ebene?

Um das Kriterium der Überschuldung auf den Staat überhaupt anwenden zu können, muss eine Vermögensbilanz erstellt werden. Tatsächlich werden seit einigen Jahren für Deutschland integrierte sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen erstellt. Diese Bilanzen listen für jeden einzelnen Sektor auf der Aktivseite die Sachvermögensgüter inklusive der immateriellen Vermögensgüter und die Forderungen dieses Sektors gegenüber anderen Sektoren sowie gegenüber dem Ausland auf. Auf der Passivseite stehen die Verbindlichkeiten dieses Sektors und als Saldo das sich ergebende Reinvermögen.

Für den deutschen Staat ergibt sich für das Jahr 2012 die folgende Vermögensbilanz (vgl. Abbildung 1):2 Das Sachvermögen des Staates betrug knapp 1,4 Billionen Euro, wobei der Hauptteil auf Bauten (1,1 Billionen Euro) und Bauland (gut 200 Mrd. Euro) entfällt. Die finanziellen Forderungen beliefen sich auf gut 1 Billion Euro, während die Verbindlichkeiten gut 2,3 Billionen Euro ausmachten.3 Daraus ergibt sich ein negatives Nettogeldvermögen von gut 1,2 Billionen Euro. Das Reinvermögen des Staates ist somit vergleichsweise klein, es beträgt etwa 37 Mrd. Euro. Das Reinvermögen hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen: 1991 betrug es noch knapp 800 Mrd. Euro. Der steigenden Verschuldung (und damit dem sinkenden Geldvermögen) des Staates stand keine auch nur annähernd gleich große Sachvermögensbildung (im Sinne von Nettoinvestitionen) gegenüber. Prinzipiell ist es nicht ausgeschlossen, dass eines Tages auch ein negatives Reinvermögen des öffentlichen Sektors ausgewiesen werden könnte und somit – in Analogie zur unternehmerischen Insolvenz – der Tatbestand der Überschuldung erfüllt wäre. Ist dies ein Grund zur Beunruhigung?

Abbildung 1
Vermögensbilanz des deutschen Staates
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Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1991-2012, Wiesbaden 2013, S. 8 f.

Dabei ist zunächst zu sagen, dass die Vermögensbilanz bei den Verbindlichkeiten nur die tatsächlich bestehenden Kredit- und Kapitalmarktverbindlichkeiten erfasst, nicht jedoch z.B. die abdiskontierten zukünftigen Renten- und Pensionsanwartschaften der privaten Haushalte aus der Beamtenversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung, die sogenannte implizite öffentliche Schuld.4 Konsequenterweise müssten dann allerdings auf der Aktivseite die abdiskontierten zukünftigen Steuereinnahmen stehen. Beide Posten aber – sowohl die Höhe der künftigen Steuern als auch die Höhe von künftigen Zahlungsverpflichtungen, die sich nicht in tatsächlich verbrieften Verbindlichkeiten ausdrücken – sind in einem so hohen Maße von diskretionären politischen Entscheidungen abhängig, dass sich hinsichtlich des Reinvermögens des Staates praktisch jedes gewünschte Ergebnis generieren ließe. Es gibt also gute Gründe, derartige Posten nicht in eine Vermögensbilanz des Staates zu stellen.

Nehmen wir aber einmal an, die genannten Berechnungsschwierigkeiten wären überwunden und man würde mit der gleichen Sicherheit wie im Falle eines Unternehmens ein negatives Reinvermögen des Staates und damit seine Überschuldung feststellen: Müsste man dann sagen, der Staat sei bankrott oder insolvent? Hier zeigt sich deutlich, dass das keine sehr sinnvolle Aussage sein kann. Denn was würde daraus folgen? Ganz offensichtlich sehr wenig: Es ist wohl kaum vorstellbar, dass aufgrund dessen irgendein Gläubiger des Staates einen Insolvenzantrag stellt. Was sollte in einem solchen Fall auch geschehen? Soll das öffentliche Sachvermögen liquidiert werden, um die Gläubiger (anteilig) zu befriedigen? Soll der Staat selbst liquidiert werden, damit anschließend die Gesellschaft im Zustand der Anarchie weiter existiert? Alle derartigen Konsequenzen wären offenkundig absurd. Damit aber wäre die auf diese Weise festgestellte Überschuldung des Staates sozusagen ein Nicht-Ereignis: In keiner Weise könnte damit irgendetwas begründet werden, was mit der Insolvenz eines privaten Wirtschaftssubjekts verglichen werden kann, allein schon deshalb, weil eine solche Überschuldung für sich genommen weder die Existenz noch die Zahlungsfähigkeit des Staates infrage stellt.

Verschuldungshöhe und Zahlungsfähigkeit

Da also das Überschuldungskriterium für den Staat nicht weiterhilft, rückt das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit in den Vordergrund. Kann die Verschuldung des Staates in dem Sinne zu hoch sein, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu bedienen oder dass bereits vorher die potenziellen Kreditgeber – im Wissen um dieses Risiko – auf einmal Anschlusskredite verweigern? Genauso wie bei einem Unternehmen die absolute Höhe der Verschuldung wenig aussagekräftig ist, sondern in Beziehung zu den Vermögenswerten, die es besitzt oder dem Umsatz, den es erzielt, gesetzt werden muss, muss auch die Staatsverschuldung relativ zu einer anderen Größe betrachtet werden, wenn ihre Belastung richtig eingeschätzt werden soll. Im Allgemeinen verwendet man dazu die Höhe der Gesamtverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP), weil der Staat daraus ja seine Steuern erzielt, um die Mittel für die Bedienung der Staatsschuld zu gewinnen.

Seit der Modellrechnung von Domar ist bekannt,5 dass selbst dann, wenn der Staat jedes Jahr neue Schulden macht, unter bestimmten Bedingungen die Schuldenstandsquote nicht ständig steigt, sondern einem – wenn auch vielleicht hohen – Grenzwert zustrebt. Was aus Domars Rechnung allerdings nicht ohne Weiteres abgeleitet werden kann, ist die Antwort auf die Frage, welcher Grenzwert denn anzustreben ist, damit die Probleme einer eventuellen Zahlungsunfähigkeit des Staates nicht eintreten.6 Hier haben die jüngsten Ereignisse vor allem innerhalb der Eurozone gezeigt, dass von einem eindeutigen Zusammenhang zwischen der Höhe der öffentlichen Verschuldung und dem Eintreten von Zahlungsschwierigkeiten keine Rede sein kann.

Entwicklung von öffentlicher Verschuldung und Zins in der Eurozone

Im Zuge der Einführung des Euro konnte man beobachten, dass sich die Umlaufrenditen der Staatsanleihen aller Euroländer immer weiter angeglichen haben, so dass es praktisch keinen Unterschied mehr machte, ob man als Anleger eine deutsche, französische oder griechische Staatsanleihe erwarb (vgl. Abbildung 2). In der Finanzkrise der Jahre 2008 ff. sowie der Krise im Euroraum haben sich diese Umlaufrenditen zum Teil wieder dramatisch auseinanderentwickelt: Während die Renditen deutscher Staatsanleihen auf historische Tiefstände sanken, stiegen die Zinssätze für die GIIPS-Länder in kurzer Zeit stark an; da dies die Bedienbarkeit der Schulden erheblich infrage stellte, mussten die Länder auf Hilfsprogramme der Europäischen Union zurückgreifen. Zweifelsohne war diese Auseinanderentwicklung der Renditen dem Umstand geschuldet, dass die Anleger aus Angst vor einem Staatsbankrott in einem oder mehreren der GIIPS-Länder bestrebt waren, ihre Anleihenbestände von dort zu reduzieren.

Abbildung 2
Umlaufrenditen von Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit
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Quelle: Europäische Zentralbank, http://www.ecb.europa.eu/stats/services/downloads/html/index.en.html (15.6.2014).

Die entscheidende Frage ist jedoch, ob sich diese Befürchtung und die dadurch verursachte Entwicklung der Zinssätze mit der Höhe der Staatsverschuldung in einen konsistenten Zusammenhang bringen lässt. Abbildung 3 zeigt die (Brutto-)Staatsverschuldung für die gleichen Länder wie in Abbildung 2. Man sieht zum einen den starken Anstieg der Verschuldungsquoten im Gefolge der Finanzkrise: Die kreditfinanzierten Stabilisierungsmaßnahmen nahezu aller Industriestaaten ließen die Staatsverschuldung nach 2007 weltweit deutlich zunehmen. Zum anderen zeigt sich, dass es zwar einerseits Länder gibt, bei denen eine hohe (bzw. steigende) Verschuldungsquote mit steigenden Zinsen (z.B. Griechenland) einhergeht, aber andererseits auch Länder mit hohen Verschuldungsquoten, in denen die Zinssätze so gut wie gar nicht reagiert haben oder im Verlaufe der Finanzkrise trotz einer steigenden Verschuldungsquote sogar noch gesunken sind (z.B. Deutschland oder die USA). Das Extrembeispiel ist sicherlich Japan, das trotz einer Verschuldungsquote von fast 250% des BIP einen Zinssatz von lediglich 1% aufweist; der japanische Staat findet offenbar problemlos Kreditgeber zu günstigen Konditionen, und die Anleger scheinen keineswegs zu befürchten, dass er seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen werde. Aufschlussreich ist auch der Vergleich zwischen Spanien und Deutschland: während die spanische Verschuldungsquote zwischen 1996 und 2007 sank und erst wieder 2012 die gleiche Höhe wie in Deutschland erreichte, wurde zwar für Spanien ein Staatsbankrott befürchtet, zu keinem Zeitpunkt jedoch für Deutschland.

Abbildung 3
Staatsverschuldung
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Quelle: AMECO-Datenbank, http://ec.europa.eu/economy_finance/db_indicators/ameco/index_en.htm, Version vom 5.5.2014.

Die Bedeutung der Verschuldung in eigener Währung

Wenn daher die Höhe der öffentlichen Verschuldung keine Hinweise liefert, ob der Staat in Zahlungsschwierigkeiten gerät, so muss nach anderen Faktoren gesucht werden. Zwei Dinge spielen eine wesentliche Rolle: erstens die Frage, ob der Staat sich in eigener Währung verschulden kann und zweitens die Höhe der Auslandsverschuldung eines Landes (nicht unbedingt die staatliche).

Zunächst zur Frage der Verschuldung in eigener Währung: Alle Währungen der Welt sind heute „definitive Papierwährungen“7, da Einlöseverpflichtungen in Gold oder andere Sachgüter keine Rolle mehr spielen. Mit dem Wegfall derartiger Einlöseverpflichtungen haben die Zentralbanken – jedenfalls solange kein System fester Wechselkurse besteht – keinerlei Liquiditätsproblem mehr. Darüber hinaus hat die Zentralbank auch eine weitere wichtige Aufgabe: Sie ist der „Lender of Last Resort“, d.h. sie muss im Zuge einer Panik an den Finanzmärkten, während der es zu einer weitgehenden Einstellung der gegenseitigen Kreditvergabe – insbesondere unter den Banken – kommt, für Beruhigung sorgen, indem sie zusätzliche Liquidität bereitstellt und vergleichsweise großzügig Kredite vergibt, um so die Gefahr von Liquiditätskrisen und Bankenzusammenbrüchen zu vermeiden.8 Da eine Zen­tralbank die einzige Institution auf den Finanzmärkten ist, die kein Liquiditätsproblem hat, kann auch nur sie diese Aufgabe übernehmen. Sowohl in normalen als auch in Krisenzeiten bedeutet die Bereitstellung von Liquidität durch die Zentralbank immer, dass sie Wertpapiere unmittelbar auf dem Kapitalmarkt aufkauft oder im Zuge der Kreditvergabe an Banken als Sicherheiten erhält; dabei handelt es sich in erster Linie um Staatsanleihen. Der Grund dafür ist darin zu sehen, dass der Markt für Staatsanleihen sehr groß und sehr liquide ist: Die Zinssätze, die auf diese Anleihen gezahlt werden, sind eine wichtige Orientierungsmarke für das allgemeine Zinsniveau.

Sollte daher in Ländern, deren Regierungen Anleihen in eigener Währung ausgeben, eine Panik auf dem Anleihemarkt auftreten, die die Anleger diese Papiere in großen Mengen abstoßen und die Zinssätze ansteigen lässt, so wird die Zentralbank dieser Entwicklung entgegenwirken – und zwar auch dann, wenn sie von Weisungen der Regierung unabhängig ist. In den USA oder in Großbritannien wird der Staat daher nie in Zahlungsschwierigkeiten geraten: Jeder Kreditgeber des britischen oder des US-amerikanischen Staates kann davon ausgehen, dass im Bedarfsfall die jeweilige Zentralbank bereitstehen wird, um Anleihen aufzukaufen. Schon aus diesem Grunde ist eine Finanzkrise, die ihren Anfang auf dem Staatsanleihenmarkt nimmt, in diesen Ländern so gut wie ausgeschlossen; tatsächlich begann die Finanzkrise der Jahre 2007 ff. auf dem Markt für verbriefte Hypothekarkredite.9

Die Sorge um das Aufkommen von Inflation ist in einer Liquiditätskrise weitgehend unbegründet: denn die Situation, in der die Zentralbank die Rolle des Kreditgebers der letzten Instanz übernehmen muss, ist eher von Nachfragerückgängen und Ausgabeeinschränkungen gekennzeichnet. Die Zentralbank schafft dann in der Regel nicht etwa zusätzliches Geld, sondern sie ersetzt eher die ausbleibende Kreditvergabe und Geldschöpfung der Geschäftsbanken bzw. befriedigt den allgemein erhöhten Bedarf an Liquidität. Die Entwicklung der Geldmengen im Euroraum während der Finanzkrise zeigt dies deutlich (vgl. Abbildung 4): Während die Zentralbankgeldmenge vorübergehend stark angestiegen ist, gab es bei den Geldmengen M1 und M3 keine außergewöhnlichen Erhöhungen, d.h. die zusätzliche Liquidität verblieb im Wesentlichen im Bankensystem.10

Abbildung 4
Geldmengenentwicklungen im Euroraum
Indexwerte zum Monatsende (Dezember 1998 = 100)
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Quelle: Europäische Zentralbank, http://www.ecb.europa.eu/stats/services/downloads/html/index.en.html (19.6.2014); eigene Berechnungen.

Kann der Staat sich jedoch nur in Fremdwährung verschulden,11 so kann ein beträchtliches Liquiditätsproblem entstehen, denn er muss sich die entsprechende Währung zur Bedienung der Verbindlichkeiten beschaffen. Dies ist letztlich nur dann möglich, wenn das Land durch ausreichend hohe (Netto-)Exporte Deviseneinnahmen erzielt, mit deren Hilfe dann die eingegangenen Staatsschulden bedient werden können. Können diese Deviseneinnahmen nicht erzielt werden, so kommt der Staat möglicherweise in Zahlungsschwierigkeiten.

Die Bedeutung der Auslandsverschuldung

Welche Rolle die Auslandsverschuldung spielt, lässt sich gut an der Situation in der Europäischen Währungsunion zeigen. Für jedes einzelne Land gilt, dass aus seiner Sicht der Euro eine Fremdwährung darstellt, da die Zentralbank eines Eurolandes nicht die Kompetenz besitzt, bei krisenhaften Entwicklungen nach eigenem Ermessen einzugreifen und etwa – als Kreditgeber der letzten Instanz – in unbegrenztem Umfang Liquidität bereitzustellen; Entscheidungen darüber obliegen der EZB bzw. dem EZB-Rat, die Zentralbanken der Euroländer sind lediglich ausführende Organe. Dass der Euro für jedes einzelne Euroland so etwas wie eine Fremdwährung ist, die es nicht selbst herstellen kann, erklärt allerdings noch nicht, warum im Gefolge der Finanzkrise die GIIPS-Länder im Vordergrund standen: Die staatlichen Verschuldungsquoten allein können dafür, wie schon erwähnt, keine wesentliche Rolle spielen, da sonst beispielsweise Deutschland in gleicher Weise wie Spanien hätte betroffen sein müssen.

Hier kommt die (Netto-)Auslandsverschuldung der Länder (nicht notwendigerweise der staatlichen) ins Spiel: Es zeigt sich, dass die Krise auf dem Staatsanleihenmarkt diejenigen Länder getroffen hat, die eine hohe bzw. in den letzten Jahren stark ansteigende Nettoauslandsverschuldung aufweisen. Das wird deutlich, wenn man die Nettoauslandsposition der Länder – also den Saldo aus Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem Rest der Welt – betrachtet. In Abbildung 5 sind die Nettoauslandspositionen von Deutschland, Frankreich und den GIIPS-Ländern abgebildet.12

Abbildung 5
Nettoauslandspositionen
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Betrachten wir von den Ländern der Eurozone zunächst Deutschland im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass sich in den letzten zehn bis 15 Jahren die deutsche Nettogläubigerposition deutlich ausgeweitet hat. Diese lag 2004 noch relativ bescheiden bei etwa 10% des BIP, hat sich aber bis jetzt auf fast 50% des BIP erhöht.13 Auf der anderen Seite stehen die GIIPS-Länder, deren Nettoauslandsposition sich beständig verschlechtert hat, vor allem deswegen, weil sie kontinuierlich Leistungsbilanzdefizite aufwiesen.14 Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Im Prinzip kann ein Land ständig ein Leistungsbilanzdefizit haben und somit stets mehr ausgeben als es einnimmt. Was jedoch problematisch werden kann, ist eine Nettoschuldnerposition, die in Relation zum BIP immer weiter zunimmt. Denn irgendwann kommt der Punkt, an dem die Märkte aus welchen Gründen auch immer daran zu zweifeln beginnen, ob das Land seine Auslandsverbindlichkeiten pünktlich weiter bedienen kann. Die historische Erfahrung mit Finanzkrisen zeigt, dass es sich dabei keineswegs um einen kontinuierlichen Lernprozess handelt (mit schrittweise steigenden Zinsen, die es einem Land ermöglichen, sich allmählich anzupassen), sondern vielmehr um abrupte Umschwünge in den Markteinschätzungen, die zu plötzlich und stark ansteigenden Zinssätzen und Finanzierungskonditionen oder gar der Unmöglichkeit, Anschlusskredite zu erhalten, führen. Dabei muss die Nettoverschuldung gegenüber dem Ausland keineswegs durch den Staat verursacht, sondern kann genausogut das Ergebnis einer hohen Verschuldung des Privatsektors sein.15

Ein gutes Beispiel dafür ist die Entwicklung in Spanien. Wie Abbildung 6 zeigt, hat sich der staatliche Finanzierungssaldo bis zum Ausbruch der Finanzkrise ständig erhöht, in den Jahren 2005 bis 2007 hatte der spanische Staat sogar Finanzierungsüberschüsse. Demgegenüber war der Finanzierungssaldo der Unternehmen seit 1999 und der der Haushalte seit 2003 negativ. In der Summe ergab sich für Spanien daraus ein seit 1999 durchweg negativer Leistungsbilanzsaldo. Mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 reduzierte der Privatsektor seine Nachfrage und versuchte, seine Verbindlichkeiten abzubauen; in dieser Situation sprang der Staat als stabilisierender Faktor ein, was natürlich mit einem entsprechenden negativen Finanzierungssaldo verbunden war.

Abbildung 6
Finanzierungssalden in Spanien
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Quelle: AMECO-Datenbank, http://ec.europa.eu/economy_finance/db_indicators/ameco/index_en.htm (5.5.2014); eigene Berechnungen.

Die später als Staatsschuldenkrise bezeichnete Entwicklung und die damit verbundene Auseinanderentwicklung der Zinssätze innerhalb der Europäischen Währungsunion begann jedoch erst im Laufe des Jahres 2009: Die Finanzkrise veranlasste die Anleger ganz generell dazu, die Risiken ihrer Portfolios zu prüfen und deren Zusammensetzung zu ändern; 2009 kam die Aussage der griechischen Regierung, im Vorfeld des Beitritts zur Währungsunion falsche Zahlen zur Höhe des Staatsdefizits angegeben zu haben, hinzu. Da außerdem bei den Anlegern Unsicherheit darüber bestand, ob die EZB als Kreditgeber der letzten Instanz auftreten würde, reduzierten sie ihre Engagements in den als problematisch angesehenen Ländern und stießen in diesem Zusammenhang auch die Staatsanleihen dieser Länder ab, was zum starken Anstieg der Umlaufrenditen führte. Dieser Zinsanstieg ließ dann wiederum die Zweifel darüber wachsen, ob die Regierungen auch zukünftig in der Lage sein würden, ihre Verbindlichkeiten zu bedienen, was die Anleiheverkäufe nochmals verstärkte und die Zinssätze weiter steigen ließ. Selbst wenn der Staat grundsätzlich bereit ist, trotz alledem seine Verbindlichkeiten zu bedienen, kann er seine Zahlungsfähigkeit verlieren, einfach deshalb, weil alle Anleger davon ausgehen, dass er sie verliert, und ihm aus diesem Grunde keine Anschlussfinanzierung gewähren oder nur zu exorbitant hohen Zinsen, die auf längere Sicht nicht zu bedienen sind.16 Die Entwicklung auf dem Staatsanleihenmarkt hat somit nicht ihre eigentliche Ursache in einer von Anfang an hohen staatlichen Verschuldung – diese war in Spanien vor der Finanzkrise keineswegs sonderlich hoch –, sondern sie ist gewissermaßen das Ventil, über das sich die generell verschlechterte Einschätzung spanischer Schuldner und damit auch des spanischen Staates manifestiert. Diese verschlechterte Einschätzung hat ihren rationalen Kern – sofern man einen solchen annehmen will – in der hohen Nettoauslandsverschuldung. Denn sie bildet die Gemeinsamkeit derjenigen Länder der Währungsunion, deren Staaten mit rapide verschlechterten Finanzierungskonditionen konfrontiert waren und deshalb auf Stützungsmaßnahmen der anderen Mitgliedsländer zurückgreifen mussten, während in Deutschland mit seiner hohen Nettogläubigerposition der Staat trotz gleich hoher Staatsschuldenquote wie in Spanien als risikoarmer Schuldner eingestuft wurde und deshalb keinerlei Schwierigkeiten hatte, zu überaus günstigen – und sich noch verbessernden – Konditionen Kreditgeber zu finden.17

Zur weiteren Entwicklung in der Eurozone

Erst die Äußerung von EZB-Präsident Draghi vom 26. Juli 2012, man sei bereit, „to do whatever it takes to preserve the Euro“18, wurde als Signal interpretiert, dass die EZB auch auf dem Staatsanleihenmarkt die Rolle des Kreditgebers der letzten Instanz übernehmen werde. In der Folge sanken die Umlaufrenditen der Staatsanleihen der GIIPS-Länder wieder deutlich, ohne dass die EZB bisher tatsächlich als Käufer von Staatsanleihen auftreten musste.

Die Befürchtung, dass ein derartiges Eingreifen der Zentralbank zu Inflation führe, ist als unbegründet anzusehen. Auch etwaige Verluste, die die Zentralbank aufgrund eines solchen Engagements macht, sind weit weniger problematisch als häufig angenommen: Zum einen kann es eine Zentralbank im Zuge ihrer normalen Tätigkeit fast nicht vermeiden, Gewinne zu machen, so dass Verluste in einem oder mehreren Jahren in aller Regel problemlos durch die Gewinne anderer Perioden mehr als ausgeglichen werden können; zum anderen wäre die Zentralbank selbst bei fortgesetzten Verlusten und sogar bei einem dadurch verursachten negativen Eigenkapital weiterhin handlungsfähig, da sie in eigener Währung niemals zahlungsunfähig werden kann. Deshalb besteht auch keine Notwendigkeit, etwaige Verluste von Zentralbanken durch Zuweisungen aus dem Staatshaushalt auszugleichen.19

Überdies kann gerade durch ein solches Eingreifen der Zentralbank eine Zahlungsunfähigkeit der betroffenen Staaten und damit auch ein Verlust der Zentralbank verhindert werden. Zwar wird häufig vorgebracht, dass ein Eingriff der Zentralbank nur im Falle einer Liquiditätskrise und nicht bei einer Solvenzkrise erfolgen soll, aber die Unterscheidung zwischen einer reinen Liquiditäts- und einer Solvenzkrise ist praktisch kaum durchführbar. Es lässt sich sogar argumentieren, dass gerade diese unzureichende Unterscheidungsmöglichkeit die Notwendigkeit eines Eingreifens der Zentralbank begründet: Denn wenn auf einfache Weise zwischen bloßer Illiquidität und Insolvenz unterschieden werden könnte, könnte man es ja dem Finanzmarkt überlassen, den solventen, aber nur illiquiden Akteuren die erforderliche Finanzierung bereitzustellen.20 Des Weiteren zeigen die sehr unterschiedlichen Staatsschuldenquoten und die Möglichkeit eines Staates, seine Einnahmensituation durch hoheitliche Anordnung (d.h. Steuererhöhung) zu verbessern, dass es praktisch nicht möglich ist, eine Verschuldungshöhe zu benennen, die als objektiv untragbar bezeichnet werden könnte.

Der Eingriff der Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz auf dem Markt für Staatsanleihen sorgt auch dafür, dass es eine Anlagemöglichkeit gibt, die zwar keine hohen Erträge abwirft, aber von den Anlegern als sicher angesehen wird: Staatsanleihen aus Ländern mit wichtigen Weltwährungen galten als absolut risikolose Anlagen, die deshalb auch nur einen relativ niedrigen Zinsertrag generierten. Die Existenz einer solchen sicheren Anlage ist offenbar eine wichtige Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren des Kapitalmarktes.21 Nach dem Schuldenschnitt für Griechenland Anfang 2012 schwand zumindest innerhalb Europas diese Gewissheit und wurde erst durch die bereits erwähnte Rede Mario Draghis einigermaßen wiederhergestellt.

Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um eine (teilweise) Vergemeinschaftung der Schulden der Euroländer zu sehen: Der EZB als genuin europäischer Institution in der Geldpolitik steht bisher kein europäisches fiskalpolitisches Pendant gegenüber. Die Intervention auf den Märkten für die Staatsanleihen der Euroländer im Rahmen des OMT-Programms ist daher eigentlich nur die zweitbeste Möglichkeit, die sich aus dem Fehlen europäischer Staatsanleihen ergibt. Gäbe es europäische Anleihen, könnte sich die Intervention der EZB auf diese Anleihen beschränken. Der häufig gehörte Einwand, es dürfe keine europäischen Anleihen geben, weil damit die staatliche Eigenverantwortung in den Euroländern geschwächt bzw. verwässert werde, muss gerade umgekehrt werden: Erst wenn eine liquide europäische Anleihe existiert,22 die aufgrund der impliziten Garantie durch die EZB das Bedürfnis nach einer sicheren Anlage befriedigt, kann auf eine Stützung der Anleihen der Euro-Mitgliedsländer verzichtet werden. Ganz analog zur Situation in den USA: Dort stützt die Federal Reserve ebenfalls nur die Anleihen der amerikanischen Zentralregierung, nicht jedoch die der Einzelstaaten.

Allerdings ist das Eingreifen der EZB insofern unzureichend, als sie damit nichts an den eigentlichen Ursachen der Krise im Euroraum ändern kann. Wie gezeigt, ist die wirkliche Problematik in der Eurozone in den auseinanderlaufenden Nettoauslandspositionen der Mitgliedsländer zu sehen. Somit muss die Politik an der Korrektur der Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite ansetzen. Allerdings herrscht hier immer noch die Vorstellung vor, dass der hohe Leistungsbilanzüberschuss von Deutschland in erster Linie der Qualität seiner Produkte und der Steigerung seiner Produktivität zu verdanken ist. Das ist schon deshalb keine ausreichende Erklärung, weil diese Qualität nicht erst in den letzten zehn Jahren entstanden ist. Damit können der starke Anstieg der Ausfuhren und vor allem der Exportüberschüsse seit dem Jahrtausendwechsel nicht erklärt werden: Zwar war Deutschland immer ein Exportland, aber keineswegs immer ein Exportüberschussland.23 Auch war die Produktivitätsentwicklung in Deutschland seit Beginn der Währungsunion keineswegs überdurchschnittlich, wie ein Vergleich der Länder der Währungsunion bis zum Ausbruch der Finanzkrise deutlich macht: Zwischen 1999 und 2007 war die jahresdurchschnittliche Steigerungsrate der Arbeitsproduktivität in Spanien mit 0,51% am geringsten und in Griechenland mit 2,88% am höchsten; in Deutschland betrug sie 1,75%.24

Demgegenüber war ein wichtiger Grund für die Entstehung der Ungleichgewichte die vergleichsweise geringe Steigerung der Löhne, was in Deutschland dazu geführt hat, dass die Lohnstückkosten (Lohnsatz im Verhältnis zur Produktivität) in deutlich geringerem Maße angestiegen sind als in den anderen europäischen Ländern (vgl. Abbildung 7). Da die Lohnstückkosten ganz wesentlich das Preisniveau eines Landes bestimmen und innerhalb einer Währungsunion keine Möglichkeit einer (nominalen) Abwertung mehr besteht, erklärt das zu einem guten Teil die entstandenen Leistungsbilanzungleichgewichte. Allerdings ist es eine zu kurz gegriffene Schlussfolgerung, von den Defizitländern zu fordern, sie sollten ihre Lohnstückkostenentwicklung an Deutschland anpassen – was nichts anderes als absolute Lohnsenkung bedeutet und in den südeuropäischen Ländern sowie in Irland in den vergangenen Jahren tatsächlich auch praktiziert wurde, wie man an der jüngsten Entwicklung der Lohnstückkosten sehen kann. Diese Art der „Anpassung“ ist aber nur um den Preis einer rezessiven oder gar depressiven Entwicklung möglich – mit allen bekannten negativen Folgen für gesamtwirtschaftliche Nachfrage, Produktion und Beschäftigung. Griechenlands BIP beispielsweise ist seit 2007 um gut 23% gesunken.25

Abbildung 7
Lohnstückkostenentwicklung in der Eurozone
Index (1999 = 100)
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Quelle: AMECO-Datenbank, http://ec.europa.eu/economy_finance/db_indicators/ameco/index_en.htm, Version vom 5.5.2014; eigene Berechnungen.

Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass die Mitglieder einer Währungsunion die gleiche Inflationsrate haben müssen, um kumulative Gewinne und Verluste an Wettbewerbsfähigkeit zu vermeiden. Als Richtschnur kann hier das Inflationsziel der EZB dienen: unter, aber nahe 2% (in Abbildung 7 konkretisiert als eine Steigerungsrate von 1,9%). Entsprechendes muss dann für die jeweiligen Steigerungen der Lohnstückkosten gelten. Wenn man daraufhin die Lohnstückkostensteigerungen der Mitglieder der Eurozone betrachtet und mit dem EZB-Ziel einer Lohnstückkostensteigerung von 1,9% vergleicht, so sieht man, dass die GIIPS-Länder vor der Finanzkrise Lohnstückkostensteigerungen von über 2% hatten, aber Deutschland Steigerungen von deutlich unter 2%. Es ist daher nicht gerechtfertigt, lediglich die Krisenländer für die Entwicklung verantwortlich zu machen; die Verantwortung Deutschlands ist vor diesem Hintergrund mindestens genauso, wenn nicht noch stärker zu betonen. Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Entwicklung Frankreichs ansieht: Frankreich hat sich beinahe mustergültig an die 2%-Regel gehalten, sieht sich aber dennoch mit einer Verschlechterung seiner Nettoauslandsposition konfrontiert, die in jüngster Zeit die Diskussion um die französische Wettbewerbsfähigkeit verstärkt hat. Wenn man vermeiden will, dass Frankreich zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit eine stärker deflationär orientierte Politik verfolgt, ist es umso wichtiger, dass sich Deutschland mit einer höheren Steigerungsrate seiner Lohnstückkosten dem gewünschten Entwicklungspfad der Lohnstückkosten und damit der Inflationsrate wieder annähert.26

Fazit

Halten wir also fest: Wenn ein Staat sich in eigener Währung verschuldet und die Zentralbank als Kreditgeber der letzten Instanz agiert, die im Falle einer plötzlichen Panik auf den Anleihemärkten für niedrige Zinsen sorgt, dann kann ein Staatsbankrott im engeren Sinne des Wortes, d.h. die Suspendierung (eines Großteils) der staatlichen Zahlungsversprechen, nicht vorkommen. Soweit sich der Staat in fremder Währung verschuldet, ist entscheidend, ob das Land als Ganzes gegenüber dem Rest der Welt Nettoschuldner oder Nettogläubiger ist: Ist es Nettoschuldner und nimmt die Verschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung beständig zu, kann irgendwann der Punkt kommen, an dem die Zahlungsfähigkeit der inländischen Schuldner generell bezweifelt wird und dadurch eine Panik auf dem Staatsanleihenmarkt ausbricht.

Mit diesem Argumentationszusammenhang soll nicht gesagt werden, dass Staatsverschuldung in inländischer Währung völlig bedeutungslos ist oder keinerlei negative Wirkungen haben kann. Dies stand hier aber nicht zur Diskussion; es sollte vielmehr deutlich gemacht werden, dass es für die Frage, unter welchen Umständen ein Staatsbankrott wahrscheinlich ist, zu kurz gegriffen ist oder sogar in die Irre führen kann, wenn man lediglich die absolute Höhe der Staatsschuld oder die Staatsschuldenquote betrachtet.

Für die Eurozone bedeuten diese Überlegungen: Will man sich mit der impliziten Garantie der Anleihen praktisch aller Eurostaaten durch die EZB nicht zufriedengeben und zugleich aber sicherstellen, dass Staatsanleihen (wieder) als sichere Anlagen wahrgenommen werden, führt wahrscheinlich kein Weg daran vorbei, zum einen in irgendeiner Weise europäische Anleihen einzuführen und zum anderen die Nettogläubiger- und Nettoschuldnerpositionen der Unionsländer, die immer stärker auseinanderlaufen, allmählich abzubauen. Für die Erreichung beider Ziele liegt eine Hauptverantwortung bei Deutschland.

  • 1 Beispielhaft wurde das deutlich, als im Zuge des griechischen Schuldenschnitts darüber entschieden werden musste, ob hier ein Zahlungsausfall vorliegt und damit Ansprüche aus Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps – CDS) fällig werden oder nicht.
  • 2 Vgl. Statistisches Bundesamt, Deutsche Bundesbank: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1991-2012, Wiesbaden 2013, S. 9.
  • 3 Bei der Diskussion über die Staatsverschuldung wird meist nur dieser Bruttowert der Verbindlichkeiten genannt; dass der Staat demgegenüber aber auch Forderungen hat, wird oft vergessen.
  • 4 Vgl. Deutsche Bundesbank: Integrierte sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen für Deutschland, in: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, 60. Jg. (2008), Nr. 1, S. 39.
  • 5 Vgl. E. D. Domar: The „Burden of the Debt“ and National Income, in: American Economic Review, 34. Jg. (1944), H. 4, S. 798-827.
  • 6 Der für geraume Zeit genannte und vor allem für das BIP-Wachstum angeblich kritische Grenzwert von 90%, der sich aus Untersuchungen von Reinhart/Rogoff ergab, ließ sich bei genauerer Betrachtung nicht halten, vgl. C. Reinhart, K. Rogoff: Growth in a Time of Debt, in: American Economic Review, 100. Jg. (2010), H. 2, Papers and Proceedings, S. 573-578. Zur Kritik daran siehe T. Herndon, M. Ash, R. Pollin: Does High Public Debt Consistently Stifle Economic Growth? A Critique of Reinhart and Rogoff, in: Cambridge Journal of Economics, 38. Jg. (2014), H. 2, S. 257-279.
  • 7 W. Stützel: Über unsere Währungsverhältnisse: Zehn Jahre Floating – Verheißungen und Erfahrungen, (Vorträge und Aufsätze, Walter-Eucken-Institut, Nr. 91), Tübingen 1983, S. 7.
  • 8 Die klassische Begründung dieser Zentralbankfunktion liefert W. Bagehot: Lombard Street: A Description of the Money Market. Faksimile der 1873 in London erschienenen Erstausgabe, Düsseldorf 1873 (1996).
  • 9 Einen Überblick über die Geschehnisse zu Beginn der Finanzkrise liefert M. K. Brunnermeier: Deciphering the Liquidity and Credit Crunch 2007-2008, in: Journal of Economic Perspectives, 23. Jg. (2009), H. 1, S. 77-100.
  • 10 Vgl. zur Frage der Inflationsgefahr durch diese Zentralbankintervention auch P. de Grauwe: The European Central Bank: Lender of Last Resort in the Government Bonds Market?, CESifo Working Paper, Nr. 3569, München 2011, S. 4-6.
  • 11 Das kann seine Ursache darin haben, dass ein Land keine eigene Währung hat und die Währung eines anderen Landes als allgemeines Zahlungsmittel verwendet, oder dass die Regierung aufgrund gesetzlicher Vorschriften unmittelbar von der Zentralbank keine Kredite bekommen kann und die Anleger aufgrund eines Misstrauens in die inländische Währung nur in Fremdwährung zur Kreditvergabe bereit sind.
  • 12 Die USA und Japan wurden weggelassen, da die Höhe der Auslandsverschuldung für die Möglichkeit des Staatsbankrotts kein relevanter Faktor mehr ist, wenn eine Verschuldungsmöglichkeit in eigener Währung besteht.
  • 13 Während also der deutsche Staat als Nettoschuldner ein negatives Geldvermögen hat, hat Deutschland als Ganzes gegenüber dem Rest der Welt ein positives Geldvermögen, ist also Nettogläubiger.
  • 14 Im Falle Irlands dürften aber im Wesentlichen (Buch-)Verluste auf Auslandsvermögen der dominierende Grund sein.
  • 15 Vgl. dazu R. C. Koo: It Is Private, Not Public Finances that Are Out of Whack, in: German Economic Review, 15. Jg. (2014), H. 1, S. 166-190.
  • 16 Dieser Selbstverstärkungsmechanismus und die Bedeutung der Erwartungen wird ausführlich analysiert von P. de Grauwe: The Governance of a Fragile Euro Zone, Working paper, Universität Leuven, 2011, http://www.econ.kuleuven.be/ew/academic/intecon/Degrauwe/PDG-papers/Discussion_papers/Governance-fragile-eurozone_s.pdf (2.1.2014). Zusätzlich muss noch berücksichtigt werden, dass die Entwicklung der Finanzmärkte es möglich gemacht hat, sich mit Hilfe von Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps – CDS) nicht nur gegen den Zahlungsausfall eines Staates abzusichern, sondern auch aktiv darauf zu spekulieren, da es für den Erwerb eines CDS nicht erforderlich ist, auch die Staatsanleihen zu besitzen, deren Ausfall der CDS absichern soll. Die Erwartung einer Zahlungseinstellung des im Fokus stehenden Staates lässt die CDS-Prämien steigen, dies führt zu weiter steigenden Zinsen, was wiederum die Erwartung einer Zahlungseinstellung nochmals verstärkt, die CDS-Prämien erneut steigen lässt usw.; vgl. dazu S. Schulmeister: The European Monetary Fund: A Systemic Problem Needs a Systemic Solution, in: C. Mathieu, H. Sterdyniak (Hrsg.): The Euro Zone in Crisis, in: Revue de l’OFCE/Debates and Policies, Nr. 127, 2012, S. 390-393.
  • 17 Damit ist natürlich noch nicht die Frage beantwortet, warum sich diese veränderte Einschätzung so plötzlich eingestellt hat und nicht einem allmählichen Wandlungsprozess unterliegt. Dies führt zu dem Problem der Rationalität oder Irrationalität von Finanzmärkten, das hier aber nicht weiter behandelt werden soll.
  • 18 Speech by Mario Draghi, President of the European Central Bank, at the Global Investment Conference in London, 26.7.2012, http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2012/html/sp120726.en.html (18.12.2013).
  • 19 Vgl. dazu T. Jordan: Braucht die Schweizerische Nationalbank Eigenkapital? Vortrag vor der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Basel am 28.9.2011, Manuskript vom 28.9.2011, http://www.snb.ch/jordan.pdf (29.3.2012), S. 5-11.
  • 20 Vgl. P. de Grauwe: The European Central Bank ..., a.a.O., S. 9 f.
  • 21 International Monetary Fund: Safe Assets: Financial System Corner­stone?, in: Global Financial Stability Report: The Quest for Lasting Stability, Washington, April 2012, S. 81-122.
  • 22 Wie derartige europäische Anleihen eingeführt werden sollen, dafür existieren mehrere Vorschläge: Für die Einführung von sogenannten „Blue Bonds“, die durch die Gemeinschaft der Euroländer garantiert werden vgl. J. Delpla, J. von Weizsäcker: The Blue Bond Proposal, Bruegel Policy Brief, Nr. 2010/03, Brüssel 2010; für die Gründung eines Europäischen Währungsfonds, der Eurobonds ausgibt vgl. S. Schulmeister, a.a.O.; für die Einführung einer europäischen „Treasury“, die für die Finanzierung der öffentlichen Investitionen innerhalb der Eurozone sorgen soll vgl. J. Bibow: Lost at Sea: The Euro Needs a Euro Treasury, IMK Study, Nr. 35, Düsseldorf 2013.
  • 23 Hohe positive Salden im Außenhandel gab es in Deutschland im Wesentlichen in den 1980er Jahren und seit Beginn der Währungsunion.
  • 24 Berechnet als jahresdurchschnittliche Steigerung des realen Bruttoinlandprodukts je Arbeitsstunde aufgrund der Daten in der AMECO-Datenbank.
  • 25 Dass die europäische Austeritätspolitik gänzlich kontraproduktiv ist, wird gezeigt von P. De Grauwe, Y. Ji: Panic-driven Austerity in the Eurozone and its implications, Artikel vom 21.2.2013, http://www.voxeu.org/article/panic-driven-austerity-eurozone-and-its-implications (2.1.2014).
  • 26 Auf die Problematik der deutschen Lohnpolitik wurde bereits frühzeitig hingewiesen von H. Flassbeck, F. Spiecker: Die deutsche Lohnpolitik sprengt die Europäische Währungsunion, in: WSI-Mitteilungen, 57. Jg. (2005), H. 12, S. 707-713; zur Frage der darauf basierenden möglichen Lösung der Krise im Euroraum siehe auch H. Flassbeck, F. Spiecker: Lohnpolitische Konvergenz und Solidarität oder offener Bruch: eine große Krise der EWU ist nahezu unvermeidlich, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 3, S. 183 f. Der Einwand, dass es doch im Wettbewerb eine übliche Strategie sei, sich durch Kostensenkung einen Vorteil zu verschaffen, übersieht wichtige Unterschiede des Wettbewerbs zwischen Unternehmen und zwischen Ländern; warum es unsinnig ist, die Wettbewerbsidee auf ganze Länder auszudehnen, wird ausführlich erläutert in H. Flassbeck: Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 2010, S. 169-176 und 205-216.

Title:From Sovereign Debt to Sovereign Default?

Abstract:The increase of sovereign debt and the crisis in the Eurozone led to a public discussion about the possibility and the causes of a sovereign default. This paper shows by looking at the development in the Eurozone that for a government defaulting on its debt the amount of sovereign debt is not crucial; the essential question is whether a government is able to borrow in its own currency and – if that is not the case – the amount of international debt of the whole country. This leads to important conclusions for European economic policy.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1732-4

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