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Anlässlich der EU-Sanktionen gegen Russland wird in Deutschland wieder einmal darüber diskutiert, ob Sanktionen „etwas bringen“. In der Form, wie sie die öffentliche Debatte beherrscht, ist die Frage falsch gestellt. Es wird nämlich implizit unterstellt, der einzige Sinn und Zweck von Sanktionen bestehe darin, die Regierung eines bestimmten Landes kurzfristig zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Tritt diese nicht ein, so hat die Sanktion zwar einen volkswirtschaftlichen Schaden verursacht, aber keinen politischen Nutzen erbracht. Als Teilaspekt des Problems ist die Frage allerdings unbestritten berechtigt. Der US-amerikanische Ökonom Gary C. Hufbauer, der ihr anhand empirischer Fälle nachgegangen ist, kommt zu drei wesentlichen Ergebnissen: „Stark und schnell“ lautet die Devise, d.h., eine rasche Umsetzung weitreichender Maßnahmen ist der erste Erfolgsfaktor. Zweitens spielt das Kräfteverhältnis eine Rolle – je größer das sanktionierte Land, desto weniger abhängig ist es von den internationalen Märkten. Und drittens schließlich kommt es darauf an, dass die sanktionierenden Staaten geschlossen auftreten.

Warum nun ist die Frage in dieser Form falsch gestellt? Vor allem übersieht sie, dass es sich bei Sanktionen in erster Linie um Akte politischer Kommunikation handelt. Fordert ein Land, z.B. durch eine eindeutige Verletzung des Völkerrechts, die internationale Staatengemeinschaft heraus, so kann diese auf dreierlei Art reagieren: Sie kann rein verbal reagieren, militärisch intervenieren oder Sanktionen verhängen. Hinsichtlich der Optionen zwei und drei ist entscheidend: Aus Sicht der internationalen Staatengemeinschaft ist die – militärische oder wirtschaftliche – Bestrafung des Übeltäters ein öffentliches Gut. Das bedeutet, jede Regierung hat davon einen Nutzen, ganz unabhängig davon, ob sie sich an den Kosten der Strafaktion beteiligt hat oder nicht (Problem der Nicht-Ausschließbarkeit). Daraus ergibt sich für jede Regierung ein Anreiz, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten, also darauf zu warten, dass andere Länder die Kosten der Bestrafung tragen, von der man selbst zu profitieren hofft – mit dem wahrscheinlichen Ergebnis, dass die Bestrafung ausbleibt.

Daraus folgt umgekehrt: Damit eine Gruppe von Staaten erfolgreich Sanktionen verhängen kann, müssen die beteiligten Regierungen bereit sein, nationalstaatliche Egoismen zugunsten eines kollektiv verfolgten Ziels aufzugeben. Und sie müssen sich auf ein Maßnahmenpaket einigen, dessen volkswirtschaftliche Kosten auf Seiten der sanktionierenden Staaten immer ungleich verteilt sein werden. In dieser Demonstration der Fähigkeit, kollektiv zu handeln, liegt die eigentliche Bedeutung von Sanktionen als Akte politischer Kommunikation: „Wir als Staatengemeinschaft sind in der Lage, auf einen Verstoß gegen internationale Regeln geschlossen zu reagieren“, so lautet die Botschaft. Und selbst wenn in einem Konflikt – wie im aktuellen Fall – die militärische Option ausgeschlossen wird, schwingt in diesem „wir können“ immer auch ein „übrigens auch anders“ mit. Denn, noch einmal: Sanktionen wie militärische Interventionen (letztere zumindest dann, wenn sie von mehreren Ländern gemeinsam durchgeführt werden) setzen kollektives Handeln voraus – und Sanktionen belegen die Entschlossenheit und die Fähigkeit dazu.

Eine solche Geschlossenheit herzustellen, ist für eine Staatengemeinschaft wie die EU eine besondere Herausforderung. Der Unmut darüber, dass die französische Regierung darauf besteht, zwei Hubschrauberträger an Russland zu liefern, hat wenig mit der Frage zu tun, ob dieses Kriegsgerät im Ukraine-Konflikt zum Einsatz kommen könnte. Sondern damit, dass die politische Botschaft der Sanktionen entscheidend an Überzeugungskraft verliert, wenn eine besonders wichtige europäische Regierung es demonstrativ verweigert, Kosten kollektiven Handelns zu tragen. Mit ihren Gegensanktionen im Bereich der Landwirtschaft versucht die russische Regierung, einen Keil zwischen die landwirtschaftlich und die industriell geprägten Länder innerhalb der EU zu treiben. Wenngleich bisher wenig erfolgreich, handelt es sich um eine gut nachvollziehbare Strategie, hat doch dieser Cleavage den europäischen Integrationsprozess von Anfang an begleitet. Sollte sich der Konflikt mit Russland weiter verschärfen, wird sich die EU auf weitere Spaltungsversuche dieser Art einstellen müssen. Sie könnten sich durchaus als ein Lackmustest für die Fähigkeit zu kollektivem europäischen Handeln erweisen. Insofern gilt: Stellt man die Frage danach, was Sanktionen bewirken können, einmal ganz offen und in beide Richtungen, so lautet eine mögliche Antwort, dass sie, da sie die europäischen Regierungen zu kollektivem Handeln zwingen, Fortschritte bei der „gelebten“ politischen Integration der EU herbeiführen könnten.

Es gehört zur Natur von Sanktionen als Akte politischer Kommunikation, dass sie eine eindeutige Aussage darüber machen, welche Verhaltensänderung zur Aufhebung der Sanktionen führen wird. Man nimmt die Botschaft von Sanktionen aber zu wörtlich, wenn man ihren Erfolg an den offiziell proklamierten Zielen messen will. Auch dies lässt sich anhand der aktuellen Ukraine-Krise sehr gut veranschaulichen. Immer wieder ist zu hören – unter anderem von Martin Schulz, einem der exponiertesten Politiker Europas – Sanktionen würden „nichts bringen“, da sich Putin nicht an den Verhandlungstisch werde zwingen lassen. Die neuerliche Verschärfung des Konflikts spricht dafür, dass er mit dieser Einschätzung wohl richtig liegt. Das sagt aber nichts über mögliche längerfristige Wirkungen. Mit den Mitte Juli 2014 verhängten Sanktionen hat die EU nicht nur ihre Handlungsfähigkeit demonstriert. Sie hat auch gezeigt, dass sie begriffen hat, wo die Achillesferse der russischen Volkswirtschaft liegt – nämlich in der Abhängigkeit von westlicher Hochtechnologie und in der Schwäche des einheimischen Kapitalmarkts. Über kaum etwas wird in Russland derzeit so intensiv diskutiert wie über die Notwendigkeit einer tiefgreifenden strukturellen Erneuerung der russischen Volkswirtschaft. Dazu bedarf es massivster Investitionen und der technologischen Erneuerung des Kapitalstocks. Beides ist, das weiß auch die russische Regierung, ohne Investitionen und Know-how aus dem Westen nicht zu schaffen. Schon heute dürfte einer ausreichenden Zahl mächtiger russischer Wirtschaftsakteure klar geworden sein, in welchem Maße die derzeitige russische Außenpolitik die wirtschaftliche Modernisierung des Landes bedroht. Ob und gegebenenfalls wie sich dies in der mittleren bis längeren Frist politisch auswirken wird, ist eine spannende Frage, über die sich derzeit aber nur spekulieren lässt. Meine Vermutung lautet jedenfalls, dass sich die russische Regierung und die sie umgebenden Eliten angesichts der westlichen Sanktionen bewusster geworden sind, welchen wirtschaftlichen Preis eine Fortsetzung der jüngsten territorialen Expansionsbestrebungen hätte. Ist diese Überlegung richtig, so hätten die Sanktionen zweifellos etwas gebracht.

Ein letzter Punkt: Die Kritiker der aktuellen Sanktionen gegen Russland argumentieren nicht selten, es sei besser, miteinander zu reden als Sanktionen zu verhängen. Auch hier findet sich der fundamentale Denkfehler, einen Gegensatz zwischen Sanktionen auf der einen und Kommunikation auf der anderen Seite zu konstruieren. Noch einmal: Die westliche Staatengemeinschaft kann auf einen Verstoß gegen das Völkerrecht rein verbal, mit Sanktionen oder mit militärischem Eingreifen reagieren. Militärisches Eingreifen und Verhandeln schließen sich tatsächlich aus. Sanktionen als Akt politischer Kommunikation haben demgegenüber gerade den Vorteil, dass sie es erlauben, gleichzeitig auch verbal miteinander zu kommunizieren. So ist etwa der Gesprächsfaden zwischen der deutschen und der russischen Regierung zumindest bisher nicht abgerissen. Auch in dieser Hinsicht würde die Diskussion um den Sinn oder Unsinn von Sanktionen erheblich davon profitieren, wenn sie weniger als kurzfristig angelegte wirtschaftliche Strafaktionen, sondern als eine Form politischer Kommunikation verstanden würden, deren Wirkungen weniger an den offiziell deklarierten kurzfristigen Zielen, als vielmehr an ihren mittel- bis längerfristigen Effekten zu messen sind.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1723-5