Vom Flüchtlingszustrom erhoffen sich viele vor allem eine Linderung des Fachkräftemangels und eine Entlastung der sozialen Systeme. Die Integration der Flüchtlinge sollte also nicht als „Belastung“, sondern als Zukunftsinvestition verstanden werden. Langfristig gibt es gute Aussichten, dass positive Wohlfahrtseffekte erzielt werden können. Kurzfristig müssen dazu die Potenziale von Flüchtlingen besser identifiziert und gestärkt werden. Ein Zuwanderungsgesetz ist aber weiterhin nötig.
Die schwerwiegenden Folgen von Krieg, Bürgerkrieg und Terror im Nahen Osten haben inzwischen auch Deutschland erreicht. Gleichzeitig haben auch die Fluchtbewegungen aus einzelnen Regionen Afrikas stark zugenommen. Zu lange Zeit hat die Politik darauf gesetzt, dass die aktuellen Fluchtbewegungen Deutschland nicht stark treffen würden. Dabei häuften sich schon früh die Anzeichen von Überforderung, etwa in den Mittelmeerstaaten Griechenland und Italien. Auch die im Vergleich noch weit problematischere Lage in den Hauptaufnahmeländern von Flüchtlingen in der Krisenregion selbst – insbesondere im Libanon, aber auch in der Türkei – hat auf europäischer Ebene wenig zielgerichtetes Handeln ausgelöst. Vorbereitungen auf die Aufnahme einer größeren Zahl von Flüchtlingen in Europa und Deutschland wurden nicht systematisch getroffen, die Bevölkerung wurde nicht entsprechend auf eine solche Situation vorbereitet. Stattdessen wurde ein tiefer Riss in Europa sichtbar, wenn es um die Art und Weise der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU geht. Europäische Solidarität gerät in einem weiteren Politikfeld in Bedrängnis.
Umso bemerkenswerter ist das große Ausmaß an Unterstützung, das die Aufnahme von mehreren Zehntausend Flüchtlingen im Herbst 2015 aus der deutschen Öffentlichkeit erfahren hat. Diese positive Reaktion bietet für Deutschland eine große Chance: Wenn es gelingt, die Zustimmung der Bevölkerung in ein neues Gesamtkonzept für Asyl und Migration umzumünzen, das humanitären wie auch ökonomischen Prinzipien folgt und Wanderungswilligen transparente und zugleich limitierte Angebote macht, wäre für die Gesellschaft viel erreicht. Denn gerade Deutschland steht in den kommenden Jahren vor erheblichen demografischen Veränderungen und sieht sich mit einem wachsenden Mangel an Arbeitskräften und Auszubildenden in vielen Segmenten seines Arbeitsmarktes konfrontiert.
Naturgemäß können die Bereiche der Schutzgewährung gegenüber Flüchtlingen und die Anerkennung von Asylgründen nicht mit dem Interesse Deutschlands an einer gezielten Zuwanderung von Fachkräften vermengt werden. Es ist jedoch legitim, im Rahmen der Flüchtlingspolitik auch nach Wegen zu suchen, wie Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge weit gezielter und konsequenter als bislang entsprechend ihrer Qualifikation innerhalb Deutschlands verteilt und – soweit möglich – zügig in Beschäftigung oder Ausbildung gebracht werden können. Flüchtlinge in diesem Sinne nicht nur als „Belastung“, sondern auch als „Zukunftsinvestition“ zu begreifen, wird eine der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der nächsten Zeit sein. Dies gilt umso mehr angesichts der gegenwärtig emotional aufgeladenen öffentlichen Debatte.
Die zufällige Zusammensetzung der Flüchtlingsgruppen im erwerbsfähigen Alter bietet keinerlei Gewähr, dass sie sofort – oder überhaupt – beschäftigungsfähig sind. Hier kommen auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft neue Aufgaben insbesondere hinsichtlich Spracherwerb und Qualifizierung zu. Das Ziel muss sein, denjenigen Flüchtlingen, die von Beginn an eine hohe Bleibe- bzw. Anerkennungswahrscheinlichkeit mitbringen, den Start in Deutschland zu erleichtern. Das ist nicht allein Sache der Politik, sondern erfordert einen konkreten Beitrag gerade auch der nach Fachkräften rufenden Unternehmen. Deutschland sieht sich mit diesen Herausforderungen in einer Zeit wirtschaftlicher Stärke konfrontiert, anders als viele europäische Nachbarländer, deren Zögerlichkeit bei der Flüchtlingsaufnahme teils auch auf die eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Arbeitsmarktprobleme zurückgeführt werden kann. Für Deutschland ist dagegen die Konstellation für eine Neuorientierung seiner Flüchtlings- und Migrationspolitik vergleichsweise günstig.
Die zu erwartenden erheblichen Kosten für die Flüchtlingsaufnahme und -unterbringung, für zusätzlichen Wohnungsbau, schulische Integration, Sprach- und Bildungsprogramme, aber auch für Maßnahmen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, werden die Etats von Bund und Ländern letztlich nur moderat belasten. Viele der jetzt erforderlichen Investitionen – etwa im Wohnungsbau – holen vor allem Versäumtes nach und sind nicht allein der Flüchtlingsaufnahme zuzurechnen. Investitionen in die Integration und Qualifikation werden sich zugleich langfristig auszahlen.1 Für die hochverschuldeten Kommunen, die vielfach bereits ihre Kapazitäten für die Unterbringung von Flüchtlingen ausgeschöpft haben, wird allerdings eine weitreichendere, flexiblere und zugleich nachhaltigere Unterstützung erforderlich werden als zurzeit vorgesehen. Denn in den Kommunen werden in Form von Unterbringung, Unterstützung und Integration die Weichen für die gesellschaftliche Akzeptanz von Flüchtlingen und den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg der Integration gestellt.
Unbestritten birgt das Ausmaß der Flüchtlingsaufnahme auch einige soziale und politische Sprengkraft. Planungs- und Kommunikationsfehler bei der Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland und Europa können ebenso wie die offensichtlichen Bestrebungen rechtspopulistischer Gruppierungen, aus diesem Thema politisches Kapital zu schlagen, latente Ausländerfeindlichkeit schüren und ein gesellschaftliches Klima von Intoleranz begünstigen. Mangelnde europäische Solidarität kann letztlich zu einem „Umkippen“ der Stimmung auch in Deutschland führen. Der gegenwärtig praktizierte Weg einer Aussetzung der europäischen Grundprinzipien von Offenheit und Freizügigkeit durch die – vorübergehende – Wiedereinführung von Grenzkontrollen erhöht zudem die Gefahr einer Verhärtung von widerstreitenden nationalen Interessen und könnte Europa noch weiter auseinanderdriften lassen, als es im Umfeld der Euro- und Griechenlandkrise ohnehin schon geschehen ist.
Jenseits aller Fragen einer faireren Verteilung in Europa wird sich Deutschland angesichts der akuten Krisenlage im Nahen Osten aller Voraussicht nach auch längerfristig auf eine hohe Zahl von Flüchtlingen einstellen müssen. Auch Fluchtursachen wie Klimawandel, Wasserknappheit und Hunger könnten in Zukunft verstärkt bis nach Europa spürbar werden. Proaktive Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit werden immer wichtiger, doch können sie nur langfristige Erfolge hervorbringen.
Von der EU wird Deutschland kurzfristig, wie die aktuellen Erfahrungen zeigen, wohl keine substanzielle Entlastung zu erwarten haben. Umso wichtiger ist es, in einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Medien und Wissenschaft die Organisation der Flüchtlingsverfahren zu modernisieren, die Migration von Arbeitskräften begleitend neu zu regeln und den inzwischen wieder deutlich wachsenden Vorbehalten in der Bevölkerung gezielt zu begegnen. Dies erfordert nicht nur raschere Asylverfahren und deren Fokussierung auf tatsächlich verfolgte Personengruppen, sondern erst recht größere Anstrengungen zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft.2
Bessere Informationen für eine bessere Integration?
Die derzeitigen Flüchtlingsströme kommen vor allem aus Ländern im Nahen und Mittleren Osten, aber auch aus der Balkanregion. Im ersten Halbjahr 2015 wurden die meisten Asylanträge von Menschen aus Syrien, Kosovo, Albanien, Serbien und dem Irak gestellt.3 Es finden sich aber auch einige Länder Afrikas unter den wichtigsten Herkunftsländern. Zuletzt war die Zahl der Asylbewerber aus Staaten des Westbalkans rückläufig; der überwiegende Teil der Antragsteller stammt aktuell aus Kriegs- und Krisengebieten in Syrien, Afghanistan und dem Irak.4
Relativ verlässliche Aussagen lassen sich derzeit nur bezüglich des Geschlechts und der Altersstruktur der Flüchtlinge treffen.5 Daten zu den Asylbewerbern aus den Jahren 2013 und 2014 zeigen, dass diese zu etwa zwei Dritteln männlich und eher jung sind (rund 90% sind jünger als 40 Jahre, etwa ein Drittel ist jünger als 18 Jahre). Dagegen sind die Angaben zur Qualifikationsstruktur der Flüchtlinge bislang als unzureichend und rudimentär zu bezeichnen. Sie beziehen sich zudem vor allem auf Asylbewerber und Flüchtlinge, die sich schon einen längeren Zeitraum in Deutschland aufhalten und bereits eine Aufenthaltserlaubnis bzw. -gestattung erhalten haben.6
Die derzeit vorliegenden Daten lassen auf eine sehr heterogene Qualifikationsstruktur der Flüchtlinge schließen. So dürfte einerseits die große Mehrheit eine Schule besucht haben (knapp 90%), und gut jeder zehnte Flüchtling dürfte ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen können (ca. 13%), aber andererseits dürfte mehr als die Hälfte über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen (ca. 58%). Zudem sind sehr häufig keine Zeugnisse und Zertifikate vorhanden, und deutsche Sprachkenntnisse sind eher schlecht.7 Inwieweit diese Daten auch für die aktuell einreisenden Flüchtlinge einen Anhaltspunkt darstellen können, ist ungewiss. Der hohe Anteil von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Bildungsland Syrien könnte dafür sprechen, dass das durchschnittliche Qualifikationsniveau der aktuellen Flüchtlingskohorten etwas höher veranschlagt werden kann.
Eine sachgerechte und evidenzbasierte Debatte kann jedoch nicht auf der Grundlage von Mutmaßungen geführt werden. Es ist dringend erforderlich, die Datenerfassung inhaltlich und organisatorisch zu reformieren. Hierzu auch die Kompetenz und Profiling-Erfahrung der Bundesagentur für Arbeit heranzuziehen, ist daher als ein zielführender Schritt zu bewerten. Über die genauen Profile der Flüchtlinge ist bislang zu wenig bekannt. Eine repräsentative empirische Datenbasis zu den derzeit ankommenden Flüchtlingen fehlt noch; auch über frühere Flüchtlingskohorten und ihre individuellen Merkmale liegen keine umfassenden Daten vor. Es ist deshalb zentral, zum frühestmöglichen Zeitpunkt – idealerweise schon bei der Erstaufnahme – genaue Informationen über die Profile der Flüchtlinge zu erfassen. Über die asylverfahrensrelevante Datenerhebung zu Herkunft und Fluchtgründen hinaus müssen, sofern möglich, unmittelbar auch bereits Qualifikationen und berufliche Fähigkeiten abgefragt werden. Nur auf diese Weise können frühzeitig Entscheidungen mit Blick auf die weitere Integration der Flüchtlinge getroffen werden.
Kommen etwa erstinstanzlich für plausibel erachtete Fluchtmotive und ein Nachweis von Bildungsabschlüssen zusammen, sollte ein „beschleunigtes Verfahren“ mit dem Ziel ermöglicht werden, rasch passgenaue Angebote etwa zum Spracherwerb bereitzustellen, Sperrfristen für den Arbeitsmarktzugang aufzuheben oder sogar konkrete Beschäftigungs- oder Praktika-Angebote in Kooperation mit den örtlichen Unternehmen bereitzustellen. Zwar können bislang sehr viele Flüchtlinge keine aussagekräftigen Dokumente zu ihrer Qualifikation und ihrem beruflichen Werdegang vorlegen. Die Information über die Aussicht auf ein beschleunigtes Verfahren könnte daran allerdings mittelfristig etwas ändern. Auch die Flucht vor Verfolgung und Krieg ist nicht immer eine spontane, sondern eine geplante Entscheidung. Die Aussicht auf ein womöglich beschleunigtes Asylanerkennungsverfahren könnte einen Beitrag dazu leisten, dass Flüchtlinge entsprechende Dokumente vor ihrer Flucht – etwa in digitalisierter Form – archivieren, sodass sie im Asylverfahren zugänglich sein könnten.
Das grundgesetzlich garantierte Asylrecht würde nicht dadurch in Frage gestellt, dass Bewerber mit besserer Datengrundlage beschleunigt behandelt werden. Im Gegenteil: Mit der hier vorgeschlagenen Beschleunigung für besonders arbeitsmarktrelevante Flüchtlinge würden die Asylverfahren für andere Personengruppen mit größerer Sorgfalt geführt werden können. An einer massiven zeitlichen Straffung der Verfahren führt dabei dennoch kein Weg vorbei. Die Wahrnehmung einer „Überforderung“ der Behörden stellt einen wesentlichen Grund mangelnder Akzeptanz von Flüchtlingspolitik dar.
Flüchtlinge helfen gegen Fachkräftemangel?
Es ist eine Illusion, dass die momentanen Flüchtlingsströme den Fachkräftemangel in Deutschland „auf einen Schlag“ beheben werden. Auch wenn, wie gerade dargelegt, zu wenig über die Qualifikationsstruktur der derzeitigen Flüchtlinge bekannt ist, bleibt es letztlich nur dem Zufall überlassen, inwieweit ihre Profile den Bedarfslagen des deutschen Arbeitsmarktes entsprechen. Das Asylrecht gestattet per se keine Auswahl nach Arbeitsmarkteignung.
Wie stark das Qualifikationspotenzial von Flüchtlingen dazu beitragen kann, auftretende Engpässe in Ausbildung und Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verringern, hängt neben dem Zufall deshalb entscheidend davon ab, wie gut es gelingt, diese Potenziale zu identifizieren, zu fördern und rasch zu integrieren. Das oben genannte Instrument des Profiling kann sich an dieser Stelle bewähren und ist eine überfällige Ergänzung der Asylverfahren.
Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich der Kontakt von Flüchtlingen und Asylsuchenden mit dem deutschen Arbeitsmarkt vorwiegend entweder in Gestalt von Aushilfstätigkeiten oder in Branchen mit einem relativ hohen Anteil „atypischer“ – oder besser flexibler – Beschäftigung vollzieht.8 Dies ist nicht zuletzt auf die rechtlichen Zugangsbarrieren etwa in Form von Vorrangprüfungen oder des häufig ungesicherten Status von Asylsuchenden im (langwierigen) Verfahren zurückzuführen. Kurzfristig muss deshalb davon ausgegangen werden, dass auch die Beschäftigungsquote der in den letzten Monaten eingereisten Flüchtlinge und Asylbewerber zunächst relativ gering ausfallen wird, sofern hier nicht gezielte Aktivierungsmaßnahmen greifen, in die sich auch die Unternehmen aktiver einbringen. Eine Auswertung nach den vorwiegenden Herkunftsländern für früher eingereiste Flüchtlinge deutet auf eine Quote von etwa 30% hin.9 Auch nach einer anderen Auswertung machten nur knapp 40% der früheren Flüchtlinge berufliche Erfahrungen in Deutschland.10 Vor diesem Hintergrund ist kurzfristig auch ein geringfügiger Anstieg der Arbeitslosenquote als Effekt der jüngsten Flüchtlingsströme zu erwarten. Anders als noch in früheren Berechnungen angenommen, könnte diese Zunahme mehr als 0,15 Prozentpunkte betragen.11
Diesen kurzfristigen, tendenziell eher negativen Effekten können positive mittel- bis langfristige Wirkungen folgen: Der unerwartet starke Zuzug junger Menschen kann in der Tat dazu beitragen, die Folgen des demografischen Wandels in Deutschland geringfügig zu lindern – sofern es gelingt, die Flüchtlinge zu einem Großteil erfolgreich in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen. Darüber hinaus kann mit einer (qualitativ wie quantitativ) steuernden Migrationspolitik der Versuch unternommen werden, durch begrenzte Zuwanderung die Folgen der demografischen Schrumpfungsprozesse für Arbeitsmärkte und soziale Sicherungssysteme teilweise aufzufangen. Das hohe Flüchtlingsaufkommen macht eine aktive Steuerung und Begrenzung an dieser Stelle umso dringender erforderlich.
Wie gelingt eine erfolgreiche Integration?
Die Integrationsfähigkeit von Einwanderern hängt grundsätzlich sehr stark von der Motivlage der Zuwanderung ab.12 So sind Arbeitsmigranten typischerweise schneller integrierbar als Flüchtlinge – diese aber wiederum gliedern sich in der Regel im Falle ihrer Anerkennung besonders erfolgreich ein. Wissenschaftliche Untersuchungen erklären dies mit der überdurchschnittlich hohen Motivation von Flüchtlingen, sich in der neuen Heimat eine gesicherte Existenz aufzubauen. Am Beispiel der USA zeigt sich, dass die Arbeitsmarkterfolge von Flüchtlingen nach gewisser Zeit sogar diejenigen von „klassischen“ Arbeitsmigranten übertreffen können.13 Um eine erfolgreichere Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt und die Gesellschaft zu erreichen, müssen vor allem in drei Bereichen erhebliche Fortschritte erzielt werden: Dauer der Asylverfahren, Qualifikationsfeststellung und Sprachförderung.
Die Dauer der Asylverfahren hängt wesentlich davon ab, inwieweit von vornherein aussichtslose Bewerbungen weiter verfolgt und geprüft werden und zugleich besonders „vielversprechende“ Bewerbungen im Sinne einer hohen Arbeitsmarkteignung beschleunigt bearbeitet werden. In beiderlei Hinsicht müssen die Asylverfahren dringend reformiert werden. Der Aufwand für die Prüfung aussichtsloser Asylanträge muss im Interesse der zügigen Bearbeitung und „Profilbildung“ aussichtsreicher Bewerbungen reduziert werden. Die politischen Bemühungen zur Effizienzsteigerung der Verfahren sind auch aus ökonomischer Sicht zu unterstützen.
Nicht nur aus arbeitsmarkt-, sondern auch aus gesellschaftspolitischer Sicht muss das Instrument der Qualifikationsfeststellung künftig eine zentrale Rolle bei der Datenerhebung zu neu eintreffenden Flüchtlingen einnehmen. Denn nur auf dieser Grundlage lassen sich etwaige Integrationshemmnisse identifizieren und passgenaue Angebote und Kurse bereitstellen. Es liegt im Interesse von Arbeitsmarkt und Flüchtlingen, dass an dieser Stelle rasch und kompetent nach Optionen gefahndet wird, Flüchtlinge bereits in einer frühen Phase ihres Aufenthalts in Deutschland an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Die Bundesagentur für Arbeit kann diese Profilbildung leisten und zugleich den Kontakt zu Verbänden, Gewerkschaften und Unternehmen herstellen.
Ohnehin sollten sich, die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, die deutschen Unternehmen über viele Einzelinitiativen hinaus noch umfassender und konzertiert für die Integration von Flüchtlingen engagieren. Sie müssen ein eigenes Interesse daran haben, aus dem Reservoir von Flüchtlingen womöglich neue Auszubildende oder Beschäftigte zu gewinnen. Ihr konkreter Beitrag kann z.B. für jüngere Flüchtlinge in der Bereitstellung oder Mitfinanzierung von Sprachkursen oder Praktikumsplätzen zur Anbahnung von Ausbildung oder Beschäftigung bestehen. Im Umkehrschluss müssen die Unternehmen darauf vertrauen können, dass ihnen bei konkretem Beschäftigungsinteresse unbürokratisch Wege eröffnet werden, Flüchtlinge zu Mitarbeitern zu machen.
Der ausreichende Spracherwerb von Flüchtlingen als Einstieg in die Integration setzt neben der systematischen Bedarfserfassung zu Beginn eines Asylverfahrens den Aufbau von entsprechenden Strukturen voraus. Auch andere Migrantengruppen sind nicht selten mit defizitären Sprachkursangeboten konfrontiert. Da ein flächendeckend ausreichendes Angebot Zeit benötigt, sollte der Spracherwerb stärker als gemeinschaftliche Aufgabe kommuniziert werden. Vereine, christliche wie muslimische Kirchen, Ehrenamtliche und nicht zuletzt auch Migrantenorganisationen können hier gezielt eingebunden werden.
Generell ist zu fragen, wie vorhandene Kapazitäten zur Integration besser genutzt werden können. Dabei geht es nicht nur allgemein um eine bessere Verzahnung der Flüchtlingsarbeit mit ehrenamtlichem Engagement und der Vereinsarbeit in Deutschland, sondern auch um die Einbindung von Organisationen der „Diaspora“. Gerade die muslimischen Verbände und Vereine können noch weit aktiver an der Betreuungs- und Integrationsarbeit mitwirken.
Dabei gilt auch für Flüchtlinge: Eine erfolgreiche Integration lässt sich nicht einfach mit einer Assimilation der Zuwanderer gleichsetzen. Im Gegenteil: Wenn Zuwanderer ihre Talente und Kompetenzen, die sie mitbringen, in unsere Gesellschaft und Wirtschaft einbringen können, dann ist das ebenfalls als erfolgreiche Integration zu bezeichnen.14 Denn in ihrer Unterschiedlichkeit liegt die wahre Stärke von Zuwanderern. Wenn sich die verschiedenen Lebensperspektiven und Fähigkeiten von Einheimischen und Zuwanderern auf der Basis der verbindlichen Werte und Regeln Deutschlands ergänzen, kommt es nicht nur zu einer größeren Vielfalt im Alltag – auch die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft nimmt dann zu. Größere Anstrengungen zur Integration von Flüchtlingen zahlen sich langfristig aus.
Nehmen uns Flüchtlinge die Arbeitsplätze weg?
Es gibt keine überzeugenden Belege für tatsächliche „Verdrängungseffekte“ durch Zuwanderung auf dem Arbeitsmarkt. Zu dieser Frage liegt inzwischen eine große Zahl von empirischen Studien vor, die mehrheitlich entweder keine Effekte feststellen (insbesondere kurzfristig) oder positive Effekte von Zuwanderung auf die Arbeitsmarktergebnisse der einheimischen Bevölkerung nachweisen (vor allem mittel- bis langfristig).15
Auch die möglichen Effekte von Zuwanderung auf das Lohnniveau der einheimischen Bevölkerung wurden wiederholt untersucht.16 Sie fallen kurzfristig äußerst gering aus oder sind praktisch gleich Null. Neuere Studien, die einen längeren Zeithorizont analysieren, ermitteln sogar mehrheitlich positive Effekte von Zuwanderung auf das Lohnniveau der einheimischen Bevölkerung. Diese positiven Effekte resultieren vor allem aus expandierenden Firmen und einer gesteigerten Innovationskraft als Folge der Zuwanderung.
Sind diese Resultate auch auf die Zuwanderung von Flüchtlingen übertragbar? Dies mag fraglich erscheinen, da die Qualifikationsstruktur von Flüchtlingen sehr heterogen ist und der Anteil geringqualifizierter Personen tendenziell hoch ausfällt. Empirisch zeigt sich jedoch, dass auch der Zuzug von Flüchtlingen positive Effekte auf die Beschäftigung und das Lohniveau im Aufnahmeland haben kann – allein schon durch die Nachfrageeffekte, die dies auslösen kann.
Exemplarisch verdeutlicht dies eine Untersuchung der massiven Einwanderung von Flüchtlingen nach Dänemark in den Jahren von 1990 bis 2008.17 Darin zeigt sich, dass Einheimische als Folge der Flüchtlingswelle beruflich verbesserte und anschließend komplexere Tätigkeiten ausübten.18 Dieser Befund wird damit erklärt, dass Flüchtlinge vor allem aufgrund von Sprachproblemen zumindest anfangs fast ausschließlich in Berufe mit einfacheren und handwerklichen Tätigkeitsprofilen drängten. Im Ergebnis entstehen auf diese Weise durch die Zuwanderung von Flüchtlingen auch positive Lohneffekte für Einheimische, die (ursprünglich) geringer entlohnte Tätigkeiten ausüben – ohne dass sich ihr Arbeitslosigkeitsrisiko dauerhaft erhöht.
Stärker als auf dem Arbeitsmarkt können die Auswirkungen massiver Einwanderungswellen allerdings – zumindest kurzfristig – auf anderen Märkten spürbar werden. Dies gilt insbesondere für den Wohnungsmarkt, sofern dort regional Knappheit herrscht. Deshalb ist eine erneute Intensivierung des Baus preiswerter Wohnungen – von der nicht allein Flüchtlinge begünstigt wären – eine wichtige staatliche Aufgabe, für die entsprechende Mittel einzuplanen sind.
Wie lässt sich die Flüchtlingsproblematik entschärfen?
Die Ursachen von Flucht und Vertreibung können in den Herkunftsländern durch eine vorausschauende Entwicklungspolitik und durch eine Stärkung der dortigen Wirtschaft und der Arbeitsmärkte bekämpft werden. Allerdings sind hier keine kurz- und mittelfristigen, sondern allenfalls langfristige Erfolge realistisch, und es kann auch nicht das Ziel sein, Migration insgesamt zu bekämpfen. Denn im weltweiten Maßstab führt Arbeitskräftemobilität zu einer besseren Verteilung von Ressourcen und zu einem Abbau von Ungleichgewichten. Vor diesem Hintergrund gibt es innerhalb Europas auch weiterhin nicht zu viel, sondern zu wenig Migration.19
Es muss deshalb dringend über alternative legale Wege nachgedacht werden, auf denen potenzielle Flüchtlinge für befristete Zeit nach Europa kommen können, um dort zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren. Ein solcher Weg kann z.B. auch über bilaterale Abkommen beschritten werden. Darin könnte unter anderem vereinbart werden, dass offene Ausbildungsplätze mit jungen Leuten aus den Herkunftsländern besetzt werden und diese Möglichkeit dort beworben wird. Ebenso dringend erscheint eine verstärkte Kooperation der Europäischen Union mit den Mittelmeeranrainern in Nordafrika und im Nahen Osten. Dort die wirtschaftlichen Verhältnisse durch engere Handelsbeziehungen mit der EU deutlich zu verbessern, wäre ein wichtiger Beitrag zur Entschärfung von Flüchtlingskrisen. Eine solche vorausschauende Politik lässt die EU bislang fast völlig vermissen.
Auch im Zusammenhang einer „Mittelmeer-Union“ wären Angebote einer zirkulären Migration von jungen Menschen wertvoll und eine sinnvolle Ergänzung zu anderen migrationspolitischen Optionen. Wanderungsbewegungen vollziehen sich heute in immer variantenreicheren Formen. Einmal nach Europa oder Deutschland eingereiste Zuwanderer bleiben nicht „zwangsläufig“ dauerhaft dort. Sie nutzen möglicherweise schon bald attraktivere Offerten anderer Einwanderungsländer oder streben einen häufigeren Wechsel zwischen verschiedenen Weltregionen an. Globalisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt werden das Bedürfnis nach flexibler Migration sowohl bei Wanderungswilligen selbst als auch bei den Unternehmen noch steigern.
Zirkuläre, befristete Migration kann an dieser Stelle ein Scharnier bilden und auch für Personen eine Alternative darstellen, die sich sonst in Ermangelung anderer Möglichkeiten als Flüchtlinge auf den Weg nach Europa machen. Wenn in Form transparenter, legaler Zuwanderungsangebote eine Chance besteht, in Europa eine Zukunftsperspektive aufzubauen, würde das dazu beitragen, das Flüchtlingsaufkommen zu reduzieren. Zirkuläre Migration wäre auch ein Beitrag zur wirtschaftlichen Stärkung von Entwicklungsländern. Die im Verlauf befristeter Aufenthalte als Auszubildende oder Beschäftigte erworbenen Qualifikationen können im Anschluss im Herkunftsland zum Einsatz kommen. Zu einem späteren Zeitpunkt wäre eine erneute befristete Einreise nach Europa möglich.
Allerdings hat die Entwicklung besserer wirtschaftlicher Perspektiven in den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen auch einen anderen Effekt: Wirtschaftliche Entwicklung und bessere Bildung schaffen häufig erst die Ressourcen, die Wanderungsbewegungen ermöglichen. Entwicklungspolitik trägt somit nicht nur dazu bei, die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bekämpfen, sondern sie ermöglicht umgekehrt oft auch erst eine Migration. Gleichzeitig zählen sowohl Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einzelner Länder als auch unterschiedliche Lebensstandards zu den Hauptmotiven von Migranten. Entwicklungspolitik nimmt somit eine zentrale und sehr ambivalente Rolle bei der „Regulierung“ von Migration ein. Dass Migration andererseits in Form von Finanztransfers der Emigranten in ihr Herkunftsland und durch Innovationsanstöße aus der Diaspora selbst einen Beitrag zur Entwicklung leistet, ist wiederholt analysiert worden.20
Schließlich steht außer Frage, dass zur (kurzfristigen) Entschärfung der Flüchtlingsproblematik auch ein sehr viel höheres Maß an internationaler Solidarität erforderlich ist. Erste Schritte müssen in einer angemessenen, über Europa letztlich hinausreichenden Verteilung der Flüchtlinge anhand einer klaren Quotenregelung21 sowie in der Festlegung von international einheitlichen Mindeststandards zum Asyl bestehen.
Ist ein Einwanderungsgesetz überflüssig?
Auch angesichts der aktuellen Flüchtlingsströme ist ein deutsches Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Auswahlverfahren für qualifizierte Zuwanderer weiterhin notwendig. Ein solches Gesetz wäre ein äußerst wichtiges Signal nach innen und außen. Nach innen würde es der einheimischen Bevölkerung verdeutlichen, welche Kriterien für die Auswahl von Zuwanderern gelten, dass die Zulassung einer begrenzten Zahl entsprechender Kandidaten im Interesse des heimischen Arbeitsmarktes liegt und demzufolge keine „unkontrollierte“ Zuwanderung jenseits der Flüchtlingsaufnahme erfolgt. Nach außen würden Interessenten – und unter ihnen zweifellos auch zahlreiche potenzielle Flüchtlinge – die Möglichkeit erhalten, sich auf ein knappes Kontingent freier Plätze für geeignete Zuwanderer zu bewerben.
Die Autoren haben hierzu wiederholt konkrete Vorschläge vorgelegt, deren Aktualität sich angesichts der jüngsten „Flüchtlingskrise“ einmal mehr erweist.22 Anders als häufig dargestellt, schafft erst ein Zuwanderungsgesetz mit klar definierten Auswahlkriterien und jährlichen Höchstquoten, das an die Stelle der bislang zu intransparenten oder mangels entsprechenden Marketings unbekannten Einzelregelungen tritt, einen Rahmen, der eine gezielte Steuerung und damit eben auch Begrenzung der Einreisen je nach erkannter Notwendigkeit zulässt. Umgekehrt zeigt die Tatsache, dass die bestehenden, faktisch schon seit Jahren sehr weitreichenden Zuwanderungsangebote für qualifizierte Bewerber bislang nur ein kaum nennenswertes Interesse von Fachkräften entfachen23 einen erkennbaren gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf.
Innerhalb eines neuen Zuwanderungskonzepts sollte ein „Quereinstieg“ bzw. „Statuswechsel“ von ausgewählten Flüchtlingen in ein reguläres Zuwanderungsverfahren ermöglicht werden. Flüchtlinge, die ihre Qualifikation im Rahmen des „Profilings“ nachweisen können, aber ohne Aussicht auf Anerkennung im Asylverfahren sind, müssten nicht abgelehnt, ausgewiesen und abgeschoben bzw. letztlich vielfach doch „geduldet“ werden, sondern hätten eine Chance, sich im Wettbewerb mit anderen Interessenten für eine Zuwanderung im Rahmen des jeweils geltenden Kontingents zu qualifizieren.
Die transparent gemachte Aussicht auf diese Möglichkeit könnte potenzielle Flüchtlinge, die nicht unmittelbar verfolgt sind, vorläufig davon abhalten, sich auf den unsicheren Weg des Asylgesuchs einzulassen, weil ihnen die Perspektive regulärer Arbeitsmigration eröffnet wird. Gleichzeitig würde Deutschland damit über ein Instrumentarium verfügen, um flexibel mit niedrig oder höher angesetzten Quoten für Fachkräfte auf die sich immer schneller ändernden Arbeitsmarktkonstellationen zu reagieren. Es wird Zeit brauchen, bis sich ein solches Verfahren im internationalen Wettbewerb um knapper werdende Fachkräfte erfolgreich bewähren kann – ein Grund mehr, verstärkt auch die Potenziale von Flüchtlingen zu identifizieren und zu erschließen, statt sie wie bislang oft zu ignorieren.
Fazit: Position der wirtschaftlichen Stärke nutzen
Deutschland hat mit den international stark beachteten Bildern rund um die mit viel Zuspruch und Unterstützung aus der Bevölkerung organisierte Flüchtlingsaufnahme sein positives internationales Image weiter aufgewertet. Allerdings droht dieses Kapital, das auch für die Attraktivität Deutschlands als Zielland hochqualifizierter Fachkräfte relevant ist, durch die sich aktuell häufenden Vorfälle offener Fremdenfeindlichkeit wieder verspielt zu werden. Für die Politik muss beides, die nach wie vor breite gesellschaftliche Zustimmung gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen wie auch die starke Zunahme fremdenfeindlicher Straftaten ein Fingerzeig sein: Bei aller notwendigen Differenzierung zwischen Asylrecht und Zuwanderungsangebot sollte die Flüchtlingspolitik in eine insgesamt stärker an den eigenen ökonomischen Interessen ausgerichtete Migrationspolitik eingebettet werden. Darunter ist keine neuerliche Modifizierung oder „Aushöhlung“ des Asylrechts zu verstehen. Im Gegenteil: Mit den hier vorgeschlagenen Korrekturen insbesondere an den Prüfverfahren für Flüchtlinge und deren Arbeitsmarktintegration würde das Asylrecht wieder primär den tatsächlich Verfolgten offenstehen. Flüchtlinge können – die entsprechenden rechtlichen Korrekturen vorausgesetzt – erfolgreicher in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden, als dies derzeit der Fall ist.
Frühestmöglich müssen deshalb neben den asylrelevanten auch arbeitsmarktrelevante Daten von den Flüchtlingen erhoben werden. Allerdings kann auch das hohe Flüchtlingsaufkommen den einsetzenden, je nach Branche bereits deutlich spürbaren Fachkräftemangel nicht auffangen. Denn die Flüchtlinge erfüllen nur zufällig die Anforderungen an die gesuchten Fachkräfte. Umso mehr muss aber gelten, dass Deutschland sein Augenmerk verstärkt darauf richten sollte, auch innerhalb der Gruppe von Flüchtlingen sehr gezielt nach etwaigen Fachkräften zu suchen.
Anders als das bislang eher geringe internationale Interessen an Zuwanderungsangeboten wie der Blue Card oder anderen Einreiseangeboten für Qualifizierte, bietet die große Zahl von Flüchtlingen auch eine Chance. Sollen Potenziale an dieser Stelle erschlossen werden, setzt dies neben einer besseren Datengrundlage auch gezielte Integrationsanstrengungen voraus. Die Unternehmen können durch die finanzielle und organisatorische Beteiligung an Sprachkursen und die Bereitstellung von „Schnupperbeschäftigungen“, Praktikums- und Ausbildungsplätzen für junge Flüchtlinge einen wertvollen Integrationsbeitrag leisten. Allerdings erfordert dies, dass von Seiten der Politik die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen und Barrieren beseitigt werden, die nach wie vor der Heranführung von Flüchtlingen an den Arbeitsmarkt im Weg stehen.
Ein deutsches Einwanderungsgesetz mit Auswahlkriterien und Quoten ist dennoch überfällig. Es sorgt nach innen wie nach außen für mehr Klarheit und Berechenbarkeit. Flüchtlinge, die keine Aussicht auf eine Anerkennung im Rahmen eines Asylverfahrens haben, können im Falle ausreichender Qualifikation als Bewerber innerhalb eines Auswahlsystems für Zuwanderer infrage kommen. Deutschland sollte davon Abstand nehmen, potenziell gut integrierbare, weil qualifizierte und motivierte Flüchtlinge außer Landes zu weisen oder aber mit unsicherer Perspektive lediglich im Land zu dulden, sondern ihnen eine Chance in einem regulären Zuwanderungsverfahren einräumen. Ein Einwanderungsgesetz könnte dazu beitragen, den bestehenden Flüchtlingsdruck auf Deutschland partiell zu lindern, weil sich qualifizierte potenzielle Flüchtlinge ohne akuten Verfolgungsdruck dann ganz „offen“ um einen Platz im Rahmen eines jährlichen Zuwandererkontingents bewerben können. Darüber hinaus könnten Angebote zur zirkulären Migration befristete Einreisen für Ausbildung und Beschäftigung regeln, die etwa im Rahmen bilateraler Abkommen insbesondere mit den Mittelmeeranrainerstaaten in Nordafrika vereinbart werden sollten.
Deutschland steht vor einer erheblichen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe im Hinblick auf die erfolgreiche Integration von vielen Tausenden Flüchtlingen. Deshalb ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die „Rechnung“ langfristig aufgeht. Zwar verursacht die Unterbringung der Flüchtlinge zunächst erhebliche Kosten, doch langfristig stehen dieser Investition deutlich positive fiskalische Effekte im Zuge einer erfolgreichen Integration einer durchschnittlich sehr jungen Bevölkerungsgruppe entgegen. Durch gezielte Politikmaßnahmen sollte Deutschland darauf hinwirken, dass der positive Saldo aus den Transfers an Zuwanderer und den Beiträgen von Zuwanderern sich weiter stabilisiert und noch vergrößert. Dazu ist ein migrationspolitisches Gesamtkonzept erforderlich, das gut qualifizierte Flüchtlinge rascher in Arbeit bringt, zugleich aber auch aktiv um qualifizierte Zuwanderer wirbt und auch so den Flüchtlingsdruck mindert.
- 1 Wiederholt haben mit der Methodik der Generationenbilanzierung erstellte Studien gezeigt, dass der Saldo aus den von Migranten bezogenen Sozialtransfers und den von ihnen entrichteten Steuern und Sozialbeiträgen langfristig klar positiv ausfällt. Vgl. unter anderem H. Bonin: Der Beitrag von Ausländern und künftiger Zuwanderung zum deutschen Staatshaushalt, Gütersloh 2014, http://ftp.zew.de/pub/zew-docs/gutachten/ZEW_BeitragZuwanderungStaatshaushalt2014.pdf (15.9.2015); ders.: Langfristige fiskalische Erträge künftiger Zuwanderung nach Deutschland, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 4, S. 262-268. Dabei sind prinzipiell alle Kosten, also auch diejenigen der Flüchtlingsaufnahme, mit eingerechnet. Kurzfristig wird dieser positive Saldo aufgrund des Umfangs des Flüchtlingszuzugs abnehmen. Zugleich hätte Deutschland die Möglichkeit, diesen fiskalischen Überschuss mit dem Instrumentarium einer auswählenden Zuwanderungspolitik – wie auch einer die Flüchtlinge rascher in Beschäftigung bringenden Asylpolitik – wiederum zu vergrößern.
- 2 Vgl. U. Rinne, K. F. Zimmermann: Zutritt zur Festung Europa? Anforderungen an eine moderne Asyl- und Flüchtlingspolitik, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 2, S. 114-120, für eine Einschätzung der neuen Herausforderungen an die deutsche und europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik.
- 3 Vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Asylgeschäftsstatistik für den Monat Juli 2015, Nürnberg 2015, http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/ Asyl/201507-statistik-anlage-asyl-geschaeftsbericht.pdf (11.9.2015).
- 4 Pro Asyl: PRO ASYL veröffentlicht Zugangsstatistik für den August 2015, Presseerklärung vom 11.9.2015, http://www.proasyl.de/de/presse/detail/news/pro_asyl_veroeffentlicht_zugangsstatistik_fuer_den_august_2015/ (11.9.2015).
- 5 Vgl. Bertelsmann Stiftung: Die Arbeitsintegration von Flüchtlingen in Deutschland, 2015, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/Projekte/28_Einwanderung_und_Vielfalt/Studie_IB_Die_Arbeitsintegration_von_Fluechtlingen_in_Deutschland_2015.pdf (11.9.2015); Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB):Asyl- und Flüchtlingsmigration in die EU und nach Deutschland, Aktuelle Berichte, Nr. 8/2015, Nürnberg 2015, http://doku.iab.de/aktuell/2015/aktueller_bericht_1508.pdf (14.9.2015).
- 6 Vgl. Lawaetz-Stiftung: Zwischenauswertung der Qualifikationserhebung im Rahmen des ESF-Programmes „Bleiberecht II“, 2014, http://www.xenos-de.de/xenos/SharedDocs/Publikationen/Bleiberecht/2014_09_08_qualifi kationserhebung.pdf (11.9.2015); und Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, a.a.O.
- 7 Nach einer Auswertung der Lawaetz-Stiftung, a.a.O., liegen z.B. nur in 20% der Fälle Zeugnisse vor, wenn eine berufliche Ausbildung im Herkunftsland stattgefunden hat.
- 8 Vgl. Laweatz-Stiftung, a.a.O.; und K. F. Zimmermann: Die digitale Ökonomie wird die normale Arbeit auflösen, in: The Huffington Post vom 16.9.2015, http://www.huffingtonpost.de/klaus-zimmermann/flexible-arbeit-digitale-oekonomie_b_8122076.html (16.9.2015).
- 9 Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, a.a.O.
- 10 Vgl. Laweatz-Stiftung, a.a.O.
- 11 Vgl. Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, a.a.O.
- 12 Vgl. A. Aydemir: Skill-based Immigration, Economic Integration, and Economic Performance, IZA World of Labor, Nr. 41, 2014, http://wol.iza.org/articles/skill-based-immigration-economic-integration-andeconomic-performance-1.pdf (15.9.2015); A. F. Constant, K. F. Zimmermann: Immigrant Performance and Selective Immigration Policy: A European Perspective, in: National Institute Economic Review, 194. Jg. (2005), Nr. 1, S. 94-105.
- 13 Vgl. K. Cortes: Are Refugees Different from Economic Immigrants? Some Empirical Evidence on the Heterogeneity of Immigrant Groups in the United States, in: Review of Economics and Statistics, 86. Jg. (2004), Nr. 2, S. 465-480.
- 14 Vgl. U. Rinne, S. Schüller, K. F. Zimmermann: Ethnische Vielfalt und Arbeitsmarkterfolg, in: Journal for Labour Market Research, 44. Jg. (2011), Nr. 1/2, S. 81-89.
- 15 Vgl. den Überblick in A. F. Constant: Do migrants take the jobs of native workers?, IZA World of Labor, Nr. 10, 2014, http://wol.iza.org/articles/do-migrants-take-the-jobs-of-native-workers (15.9.2015).
- 16 Vgl. zuletzt unter anderem G. Peri: Do immigrant workers depress the wages of native workers?, IZA World of Labor, Nr. 42, 2014, http://wol.iza.org/articles/do-immigrant-workers-depress-the-wages-of-native-workers (15.9.2015).
- 17 Vgl. M. Foged, G. Peri: Immigrants’ Effect on Native Workers: New Analysis on Longitudinal Data, IZA Discussion Paper, Nr. 8961, 2015, http://ftp.iza.org/dp8961.pdf (15.9.2015).
- 18 Dies war im Übrigen auch eine Konsequenz der „Gastarbeiter“-Zuwanderung nach Deutschland in den 1960er Jahren.
- 19 Vgl. unter anderem K. F. Zimmermann: Migration, Jobs and Integration in Europe, in: Migration Policy Practice, 6. Jg. (2014), Nr. 4, S. 4-16, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/MigrationPolicyPracticeJournal_Issue18_9Dec2014.pdf#page=4 (14.9.2015).
- 20 Vgl. unter anderem S. Plaza: Diaspora Resources and Policies, in: A. F. Constant, K. F. Zimmermann (Hrsg.): International Handbook on the Economics of Migration, Cheltenham, Northampton 2013, S. 505-529.
- 21 Vgl. U. Rinne, K. F. Zimmermann, a.a.O.
- 22 Vgl. H. Hinte, U. Rinne, K. F. Zimmermann: Ein Punktesystem zur bedarfsorientierten Steuerung der Zuwanderung nach Deutschland, IZA Research Report, Nr. 35, 2011, http://www.iza.org/en/webcontent/publications/reports/report_pdfs/report_pdfs/iza_report_35.pdf (15.9.2015); dies.: Punkte machen?! Warum Deutschland ein aktives Auswahlsystem für ausländische Fachkräfte braucht, IZA Standpunkte, Nr. 79, 2015, http://ftp.iza.org/sp79.pdf (15.9.2015).
- 23 Vgl. Hinte et al.: Punkte machen?!, a.a.O.