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Mit dem Ziel, neben den bestehenden ein eigenes europäisches Navigationssatellitensystem zu etablieren, hat sich die Europäische Union eine große Aufgabe gestellt. Das umfangreiche industrielle Beschaffungsprojekt stößt an viele vergaberechtliche und -politische Grenzen. Die Bestandsaufnahme bei der Beschaffungsproblematik und die Entwicklungsperspektiven des Galileo-Betriebs sind Gegenstand dieses Beitrags.

Das Galileo-Projekt, das mit Abstand ambitionierteste industrielle Beschaffungsprojekt der Europäischen Union (EU), hat seit seiner Formulierung eine wechselvolle Geschichte erlebt. Zu diesen Wechselfälligkeiten der Projektentwicklung gehören die konzeptionellen Irrungen und Wirrungen bei der beschaffungsrechtlichen Umsetzung. Dies hängt damit zusammen, dass die EU – bzw. zum Zeitpunkt der Formulierung des Projektes die Europäische Gemeinschaft – trotz ihres unikaten Ehrgeizes, neben den bestehenden Navigationssatellitensystemen1 ein autonomes europäisches System zu etablieren, die Notwendigkeit erkannt hatte, mit Privatunternehmen zusammenzuarbeiten.

Die sich mit den beschaffungsrechtlichen Konzeptionen ergebenden Probleme des „EU-Leuchtturm-Projektes“ Galileo sind typisch für die staatliche Nachfrage nach Wirtschaftsgütern, die zur Erfüllung von hoheitlichen Aufgaben erforderlich sind. Mestmäcker formuliert dies wie folgt: „Während private Unternehmen über ihre Nachfrage nach Wirtschaftlichkeitskriterien entscheiden, ist die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung für die öffentliche Hand ein zwar wichtiger, aber nur ein Gesichtspunkt unter anderen. Gleichgewichtig ist das öffentliche Interesse, das im politischen Prozess durch eine Vielzahl anderer, potentiell gegenläufiger Ziele und Interessen bestimmt sein kann. Das Nachfrageverhalten der öffentlichen Hand kann z.B. mitbestimmt sein durch industrie-, regional-, sozial- oder arbeitsmarktpolitische Ziele. Um den Standort zu stärken und Arbeitsplätze in der Region zu sichern, werden Aufträge bevorzugt an in der Region ansässige Unternehmen vergeben. Die Teilnahme an Ausschreibungen wird unter sozialpolitischen Gesichtspunkten auf ausbildende Betriebe oder Betriebe begrenzt, die benachteiligte Gruppen von Arbeitnehmern beschäftigen.“2

Die vergabepolitischen Wirrungen beim Projekt Galileo veranschaulichen die Besonderheiten – um nicht zu sagen die Anomalien – öffentlicher Beschaffung von Wirtschaftsgütern zur Erfüllung von hoheitlichen Aufgaben. Zur Funktion des Vergaberechts in diesem Zusammenhang: „Die öffentliche Hand soll Verträge schließen, als ob sie ein Privatrechtssubjekt wie jedes andere wäre. Sie ist es in Wahrheit nicht. Ihre Handlungsfreiheit ist aus finanziellen Gründen nicht eingeschränkt wie die eines anderen Privatrechtssubjektes und ihre sekundären Eigeninteressen, die als politische Motive auf die Auftragsvergabe einwirken, gefährden die vertragliche Richtigkeitsgewähr. Diese Eigeninteressen werden bei Vertragsschluss weder durch das wirtschaftliche Eigeninteresse der öffentlichen Hand noch durch das wirtschaftliche Eigeninteresse der potentiellen Vertragspartner zulässig begrenzt. Das Versagen des vertraglichen Interessensausgleichs ist im Grenzfall der Korruption offensichtlich. Er tritt aber nicht nur in der Form der persönlichen Bereicherung, der für die öffentliche Hand handelnden Personen auf. Die abgesprochene Beteiligung der öffentlichen Hand am Gewinn, den ein bevorzugter Bieter durch den öffentlichen Auftrag erzielt, kann ebenso an sich legitimen Zwecken der Vergabe außerhalb der Haushaltsrechnung dienen.“3

Übertragen auf das Galileo-Projekt veranlassen diese Einsichten zu folgenden Bemerkungen. Ob ein Navigationssatellitensystem mit ca. 30 Satelliten neben den bestehenden Systemen wirtschaftlich sinnvoll ist und ob sich die daraus ergebenden Dienstleistungen durch ein Mehrangebot an Signalen zu kommerziellen Diensten verdichten lassen, war von Anfang an streitig. Angesichts der ungeklärten unternehmerischen Risikolage versuchte die damalige Europäische Gemeinschaft die für die Herstellung und den Betrieb von Komponenten geeigneten Unternehmen davon zu überzeugen, das Projekt mit einer sogenannten Public-Private-Partnership durchzuführen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass sich die Europäische Gemeinschaft (in Gestalt der zu diesem Zweck bereits gebildeten Aufsichtsbehörde GSA – European GNSS Agency)4 auf die Aufsicht und Regulation eines bislang nicht bekannten Marktes beschränkt hätte. Da die mit relativer Angebotsmacht ausgerüsteten Industriellen, deren Zahl aufgrund der hohen Anforderungen an die Technizität des Projektes absehbar war, nicht bereit waren, das Risiko der Errichtung und des Betriebs eines Navigationssatellitensystems vollständig zu übernehmen, scheiterte das Projekt einer Public-Private-Partnership zu einem Zeitpunkt, als die Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für die Errichtung eines solchen Systems ohnehin fraglich war.

Dazu folgende Hinweise:

  • Während heute durch den Vertrag von Lissabon (Art. 179 ff. AEUV) die Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet von Forschung, technologischer Entwicklung und Raumfahrt unstreitig ist, konnte sich das Projekt bis zu dem damaligen Zeitpunkt lediglich auf die Errichtung eines transeuropäischen Netzes (Ex. Art. 154 EGV/heute Art. 170 AEUV) gründen.5 Die Option nach dem Misserfolg der Public-Private-Partnership, das politisch gewollte Galileo-Projekt im Rahmen eines sogenannten gemeinsamen europäischen Unternehmens („European undertaking“) gemäß Art. 187 AEUV durchzuführen, blieb eine nur kurz dauernde Versuchung. Zu groß war die Befürchtung der Kommission, dass ein derartiges EU-Unternehmen aufgrund der Notwendigkeit, Stammkapital zu erbringen, und der erforderlichen Rechnungslegung Erträge und Verluste des Galileo-Projektes für jedermann deutlich machen würde.
  • So blieb der EU nichts anderes übrig, als – unter Berufung auf den politischen Charakter des Projektes – auf der hoheitlichen Durchführung des Projektes durch sie selbst (proprietary service) zu beharren. Trotz der funktionellen Arbeitsteilung zwischen der EU, vertreten durch die Europäische Kommission, und der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) als „leitendem Ingenieur“ des Projektes wird Galileo als eine EU-hoheitliche Aufgabe gemäß Art. 179 ff. AEUV durchgeführt. Der Weg aus der Sackgasse der Public-Private-Partnership führte indessen nicht sofort auf das freie Feld einer wettbewerblichen Vergabe, sondern ließ die EU innehalten, um mit einer einschlägigen Verordnung die spezifischen Kriterien für die Vergabe der unterschiedlichen Systemkomponenten normativ zu präzisieren. Die erste Galileo-Vergabeverordnung6 von 2008 stellte eine Spezialregelung zu der allgemeinen Haushaltsverordnung der EG vom 21.12.19777 dar. Beide Regelungen verstehen sich als Marktöffnungsrecht und zielen darauf ab, die Gleichbehandlung von Anbietern und insbesondere die Durchsetzung von Behinderungs- und Diskriminierungsverboten aufgrund des unterschiedlichen nationalen Sitzes der jeweilig anbietenden Gesellschaft zu gewährleisten.
  • Dieser Ansatz ist konzeptionell grundlegend von den vergaberechtlichen Regeln der ESA zu unterscheiden. ESA-Projekte werden nach dem Prinzip des „juste retour“ vergeben. Einfacher gesagt: Sie kommen erst zustande, wenn in der Mitgliedschaft der ESA die Bereitschaft entsteht, dass einzelne Länder für bestimmte Projekte Finanzierungszusagen geben. Sie haben politisch einen Anspruch darauf, dass in dem Maße ihrer Finanzierungszusage die Abwicklung des Vertrages durch ein Unternehmen mit Sitz in ihrem Land erfolgt. Dies erlaubt, nach Meinung der ESA, eine mikroökonomische Steuerung und Korrektur der Projekte. Ihre industrielle Bewältigung gestattet es der Europäischen Raumfahrt­organisation, auch die Angebotsseite mikroökonomisch zu steuern und durch Auftragsverteilung – ohne wesentlichen Wettbewerb – insbesondere hinsichtlich ihrer Ingenieurbüros strukturell zu erhalten. In dieser Hinsicht jedenfalls ist die ESA französisch geprägt.

Die Vergabepolitik und ihr rechtlicher Rahmen sind relevant im Hinblick auf

  • die Optimierung des Innovationspotenzials bei den für das Projekt interessierten Industrieunternehmen,
  • den Wettbewerb als Entmachtungsinstrument zugunsten der öffentlichen Hand und ihres fiskalischen Interesses sowie
  • praktische Schwierigkeiten, diese Instrumente umzusetzen: Wissensasymmetrie zwischen öffentlicher Vergabeinstanz und Industrie, die ein enges Oligopol darstellen, wenn nur europäische Anbieter berücksichtigt werden.

Vergabepolitische Optionen

Die Suche nach einer Optimierung der Beschaffung innerhalb der Galileo-Vergabeverfahren erfolgt nicht im rechtsfreien Raum. Die betriebswirtschaftlich etablierten und möglichen Verfahren zur Ermittlung der qualitativ besten Ausrüstung zum günstigsten Preis8 werden nach den hierfür maßgeblichen rechtlichen Regeln der EU angewandt. Dies sind die allgemeinen Vergabe­regeln, die die Vergabeentscheidung bzw. den Zuschlag davon abhängig machen, dass unter den Angeboten das wirtschaftlich günstigste bei bester Qualität zum Zuge kommt. Bei Galileo ist dieser Wirtschaftlichkeitsgrundsatz normativ spezifiziert und qualifiziert worden. Denn aus dem Erwägungsgrund Nr. 25 der Verordnung (EG) Nr. 683/2008 vom 9.7.2008 geht hervor, dass die EU das Vorhaben zu einem Musterbeispiel für das System unverfälschten Wettbewerbs machen wollte.9 Das Ziel eines offenen Zugangs und fairen Wettbewerbs für die gesamte industrielle Lieferkette hatte die Kommission zu dem operativen Grundsatz verdichtet, wonach gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. d der Verordnung Nr. 683/2008 eine normative Präferenz für doppelte Beschaffungsquellen schriftlich fixiert wurde. Diese steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie eine bessere Gesamtkontrolle der Programme, ihrer Kosten und des Zeitplans gewährleistet. Das setzt voraus, dass die Risiken und Kosten von Einzel- gegenüber Doppelquellenbeschaffung (Single bzw. Dual Sourcing) verglichen werden können.

Doppelquellenbeschaffung im Satellitensegment

Durch die Verordnung vom 9.7.2008 hatte sich die Kommission dazu verpflichtet, die Auftragsvergabe für die ersten 16 Satelliten nach dem Beschaffungsmodell des sogenannten Dual Sourcing vorzunehmen. Dieses folgt zum einen aus der normativen Präferenz für das Dual Sourcing gemäß Art. 17 Abs. 3 lit. d Galileo-Verordnung und zum anderen aus dem Umstand, dass die Vermutung zugunsten der Doppelbeschaffung in concreto nicht durch bessere Wirtschaftlichkeit des Single Sourcing widerlegt werden konnte. Dieses Beschaffungsmodell sollte während des gesamten Lebenszyklus des Langzeitprojektes Galileo einen ausreichenden Wettbewerb garantieren, damit sollte die Bildung eines Monopols im Satellitensegment verhindert werden.10 Die Produktion in Form des Single Sourcing wurde hingegen als Gefahr für die technische und zeitliche Erfüllung des Ablaufplans angesehen. Dafür sprach die Konstruktion der Probesatelliten. Sie hatte gezeigt, dass das Single Sourcing sowohl zu einer Vervielfachung der Kosten als auch zu Verzögerungen führt.

Das Ergebnis des Vergabewettbewerbs für das Satellitensegment belegt, dass die Ausschreibung öffentlicher Stellen für komplexe Anlagegüter manchmal zum Entdeckungsverfahren geraten kann. Wider Erwarten legte in dem Wettbewerb ein mittelständisches Unternehmen, das sich bisher nicht mit der Vergabeserienfertigung von Navigationssatelliten befasst hatte und im Übrigen mit einem englischen Universitätsunternehmen zusammenarbeitete, ein Angebot vor, das nach Aussage der ESA in technischer und preislicher Hinsicht die Konkurrenten schlug. Damit hatte sich ein Anbieter durchgesetzt, der bei der Produktion von Navigationssatelliten in der Erprobungsphase und ihrer Validierung industriell überhaupt nicht beteiligt war, also über sehr wenig Vorkenntnisse verfügte. Interessant ist nicht nur das Ausschreibungsergebnis, sondern auch das Verhalten der Unternehmen im Vorfeld: Der Konzern, der die Erprobungssatelliten gefertigt hatte, erwarb das englische Universitätsunternehmen (Surrey Technology), musste sich allerdings im Rahmen der europäischen Fusionskontrolle die Zusage abringen lassen, dass zwischen den Erwerberkonzernen und dem erworbenen Unternehmen eine sogenannte Chinese Wall eingezogen wurde. Auf dieser Grundlage konnte das englische Universitätsunternehmen dann mit dem erfolgreichen Anbieter im Vergabeverfahren kooperieren. Ohne Überraschung wurde das zweite Los im Satellitensegment an den erfolgreichen Bieter im folgenden Wettbewerb vergeben. Der erfolgreiche Bieter für das erste Los ist natürlicherweise ein besonders kompetitiver Anbieter auch für das zweite Los und kann in der Regel nur dann geschlagen werden, wenn die Wettbewerber bereit sind, unter Einstandspreis anzubieten.

Als die Fertigung der Satelliten sich signifikant verzögerte, befand sich die EU in einer durch sie selbst geschaffenen Notlage: Sie war vertraglich gebunden und konnte außer Schadensersatzforderungen gegenüber dem Industrieanbieter bereits aus faktischen, und nicht nur aus rechtlichen, Gründen nicht auf die vorhandene Fertigungskapazität anderer Anbieter ausweichen. Diese Erfahrung löste – verstärkt durch entsprechende Anregungen der ESA – in der Europäischen Kommission ein Nachdenken über die Richtigkeit der durch Art. 17 der Galileo-Vergabeverordnung 2008 vorgenommenen Selbstbindung aus. Für das verbleibendende Segment von anfänglich vier (jetzt durch den Satellitenausfall mittlerweile sechs Satelliten) drängte die ESA sogar darauf, die Restfertigung an einen bislang nicht zum Zuge gekommenen Wettbewerber zu geben. Dies hätte zur Folge gehabt, dass beim dritten Los ein Anbieter den Zuschlag erhält, der weniger kostengünstig als der bisherige Wettbewerber ist.

Die durch Art. 17 der Galileo-Verordnung geschaffene Selbstbindung der Europäischen Kommission wurde so als zunehmend hinderlich angesehen, um vorhandene industrielle Fertigungskapazitäten zu nutzen, wenn ein industrieller Anbieter in Verzug gerät. Dahinter steckt indessen die anhaltende Überlegung der ESA, eine „ausgeglichene“ Vergabe zu betreiben, um die gesamte bestehende industrielle Kapazität in Europa auszulasten. Diese Auslastungsgesichtspunkte sind Teil industriepolitischer Erwägungen, die sich mit den beschaffungsrechtlichen Grundsätzen der EU beißen. Mit der Verordnung (EU) Nr. 1285/2013 vom 11.12.201311 wurde das bisherige Vergabekonzept ersetzt und das Institutionengeflecht ergänzt. In vergaberechtlicher und -politischer Hinsicht hat die Europäische Kommission eine große Kehre eingeleitet. Die in der Verordnung 2008 vorgesehene Verhinderung von Zuschlägen für mehr als zwei Arbeitspakete zugunsten ein und desselben Bieters ist aufgegeben worden. Das Dual-Sourcing ist weitgehend relativiert worden. In Art. 19 Abs. 1 lit. d der Verordnung wird das Ziel der Vergabe präzisiert: „Erschließung mehrerer Bezugsquellen, soweit dies angezeigt ist, um eine bessere Gesamtkontrolle der Programme Galileo und EGNOS, ihrer Kosten und ihrer Zeitplanung zu gewährleisten.“

Neu eingeführt wurde gemäß Art. 24 der Verordnung die Vergabe von Aufträgen zu Selbstkostenerstattungspreisen. Was Selbstkostenerstattungspreise sind, kann nicht aus einer Verordnung abgeleitet werden. Es bedarf dazu Verwaltungsrichtlinien, die applikative Definitionen liefern. Auf diesem Gebiet hat die Europäische Kommission keinerlei Erfahrungen. Anderes gilt nur gemäß Art. 23 der Verordnung für die nunmehr normativ geregelte Auftragsvergabe mit Bedarfspositionen. Dabei handelt es sich um Aufträge, die eine Grundposition samt Mittelbindung umfassen, die zu einer verbindlichen Ausführung der für die Position vertraglich vereinbarten Arbeiten, Leistungen und Dienstleistungen verpflichtet, indessen andere Auftragspositionen offen lässt. Derartige Rahmenverträge mit losmäßigen Konkretisierungen sind bereits bei der Vergabe des Galileo-Satellitensegments praktiziert worden. Die Europäische Kommission normiert hier nur die von ihr den Unternehmen oktroyierte vergaberechtliche Praxis. Wes Geistes Kind die neue Vergabeverordnung ist, lässt sich aus den Erwägungsgründen entnehmen. Dort heißt es: „Darüber hinaus sollte die Entwicklung der europäischen Industrie geschützt und unter Einhaltung der internationalen Übereinkünfte, zu deren Vertragsparteien die Union gehört, in allen Bereichen gefördert werden, die mit der Satellitennavigation zusammenhängen“ (Erwägungsgrund 38).

Dies schränkt die Freiheit der Systemintegratoren, sich auf dem Weltmarkt mit entsprechenden Komponenten einzudecken, erheblich ein. Die Kehre in vergabepolitischer Hinsicht, die mit der Verordnung 2013 eingeleitet worden ist, dürfte vor dem Hintergrund der Selbstbindung der Verwaltung, der die Kommission unterworfen ist, höchst problematisch erscheinen: Wie kann eine Vergabebehörde im Jahre 2008 eine Vergabeverordnung erlassen und alle Folgeaufträge ihren normativen Regeln unterwerfen, um dann aus Opportunitätsgesichtspunkten fünf Jahre später eine neue Vergabeordnung zu erlassen? Dass die betroffenen Industrieunternehmen diesen Sinneswandel hinnehmen, hängt mit ihrer – auch zukünftigen – ökonomischen Abhängigkeit zusammen. Immerhin handelt es sich bei dem Auftragsvolumen für Satelliten und Zubehör bis 2020 um 7 Mrd. Euro.

Institutionenökonomische Probleme

Mit Beginn des Betriebs (partiell ab 2014 für Galileo, vollumfänglich für EGNOS) stellten sich eine Reihe institutioneller Herausforderungen für die bisherig beteiligten Organe der EU und Organisationen. Zu diesem Zweck hat die Verordnung (EU) 1285/2013 vom 11.12.201312 eine Arbeitsteilung festgelegt, die die Komplexität der Herausforderungen veranschaulicht. In Erwägungsgrund Nr. 26 der Verordnung 2013 heißt es dazu: „Die ordnungsgemäße öffentliche Lenkung der Programme Galileo und EGNOS setzt zum einen voraus, dass die Verantwortungs- und Aufgabenbereiche vor allem der Kommission, der Agentur für das Europäische GNSS und der ESA strikt voneinander abgegrenzt sind, und zum anderen, dass diese Lenkung schrittweise an die Betriebserfordernisse der Systeme angepasst wird“. Obwohl die EU gemäß Art. 6 der Verordnung Eigentümerin aller materiellen und immateriellen Vermögenswerte im Rahmen der Programme Galileo und EGNOS bleibt, ist sie berechtigt, die durch die Programme entstehenden Rechte des geistigen Eigentums an Dritte zu übertragen oder sie ihnen anderweitig zu gewähren. Die Europäische Kommission trägt gemäß Art. 12 der Verordnung die Gesamtverantwortung für die Programme und verwaltet die Mittel, die bereitgestellt werden bzw. beaufsichtigt die Durchführung der Programme im Hinblick auf Kosten, Zeitplanung und Ausführung.

Abbildung 1
Das Institutionengeflecht des globalen Navigationssatellitensystems (GNSS)
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Quelle: eigene Darstellung.

Da sich mit Inbetriebnahme der Systeme eine Fülle von Problemen technischer und betriebswirtschaftlicher Art stellen, die die Kommission nicht bewältigen kann, soll die Agentur für das europäische globale Navigationssatellitensystem GNSS (GSA) gemäß Art. 14 der Verordnung vollumfänglich für die Sicherheit des Systems verantwortlich sein und gleichzeitig auch den Betrieb sicherstellen (vgl. Abbildung 1). Da mit der Inbetriebnahme die Wartung eines Systems anfällt und die einzelnen Komponenten des Systems, insbesondere die Satelliten, entsprechend der betriebswirtschaftlichen Nutzung ersetzt werden müssen, wird ab 2016 diese Funktion auch auf die GSA übergehen.

Wie die GSA den Betrieb sicherzustellen vermag, steht bislang nicht fest. Die GSA stellt sich vor, durch Ausschreibungen Unternehmen aufzufordern, mit ihr Betriebsverträge abzuschließen. Ob es Unternehmen gibt, die an einem solchen Betriebsführungsvertrag – zumal unter welchen Bedingungen – ein Interesse haben, ist bislang nicht klar. Ebenso wenig ist klar, welche Garantien in technischer und betriebswirtschaftlicher Hinsicht von der GSA gegeben werden können und müssen. Sicher ist gegenwärtig nur, dass über die Errichtungsphase des Programms Galileo hinaus (vgl. Art. 15 der Verordnung) die ESA in erheblichem Maße technische Assistenz für das Projekt wird einbringen müssen. Dazu gehört nicht nur die Beratung hinsichtlich der Substituierung bestehender Satelliten durch neue Satelliten, sondern auch die Wartung des Gesamtsystems. Ob die ESA in der Lage sein wird, sich dieser neuen Erfahrung und Herausforderung erfolgreich zu stellen, bleibt ungewiss.

Fazit

Abgesehen von der anfänglich fragilen Zuständigkeit der EU für die Errichtung und den Betrieb eines Navigationssatellitensystems belegen die bisherigen Erfahrungen in Erprobungs-, Validierungs- und Errichtungsphase die Zweifel an der Eignung der EU, eine derartige Infrastruktur zu beschaffen und zu betreiben. Wegen der Unklarheiten bei Wartung und Betrieb dürften die in der Verordnung vom 11.12.2013 vorgesehenen Kooperationen zwischen Kommission, GSA und ESA nicht ausreichen, um die zu erwartenden Probleme zu lösen. Angesichts der Befugnis der EU als Eigentümerin des GNSS-Systems Rechte hieran an Dritte zu übertragen, stellt sich mehr denn je die Frage nach der Opportunität einer Gesamtübertragung an ein industrielles Konsortium unter Einschaltung europäischer Unternehmen. Ohne einer vorherigen Klärung der hiermit verbundenen infrastrukturellen und betriebswirtschaftlichen Risiken wird eine Antwort nicht zu finden sein. Die Risikoträgerschaft stand bei der Gestaltung des Galileo-Projekts als Public-Private-Partnership im Wege. Sie hat mit Inbetriebnahme von Galileo das Projekt wieder eingeholt.


Dem Text liegt der Vortrag des Autors vor der Fraunhofer-Gesellschaft in Euskirchen am 21.1.2015 zugrunde.


  • 1 Insbesondere das US-amerikanische globale Navigationssatellitensystem GPS und auch das russische System GLONASS.
  • 2 E.-J. Mestmäcker, H. Schweitzer: Europäisches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., München 2004, § 36 Rz. 2, S. 904.
  • 3 Ebenda.
  • 4 GSA ist die Abkürzung für European GNSS Agency, GNSS meint dabei ein globales Navigationssatellitensystem (Global Navigation Satellite System).
  • 5 Vgl. hierzu kritisch M. C. Kerber, D. Spethmann, J. Starbatty, F. L. Stauffenberg: Der Kampf um den Lissabon-Vertrag – Das Ringen der deutschen Bürgergesellschaft um die europäische Integration, Stuttgart 2012, S. 224 ff.
  • 6 Vgl. Verordnung (EG) Nr. 683/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.7.2008 über die weitere Durchführung der europäischen Satellitenprogramme (EGNOS und Galileo), Amtsblatt Nr. L 196, S. 1; EGNOS = European Geostationary Navigation Overlay Service.
  • 7 Amtsblatt 1977 Nr. L 1 356 / 1.
  • 8 Vgl. S. Schweiger (Hrsg.): Lebenszykluskosten optimieren, Paradigmenwechsel für Anbieter und Nutzer von Investitionsgütern, 1. Aufl., Wiesbaden 2009.
  • 9 Verordnung (EG), Nr. 683/2008, a.a.O. So heißt es im Erwägungsgrund Nr. 25 der Verordnung: „Es sollte für einen offenen Zugang und einen fairen Wettbewerb für die gesamte industrielle Lieferkette gesorgt werden, und die Möglichkeit einer ausgewogenen Beteiligung der Industrie auf allen Ebenen, insbesondere auch der kleinen und mittleren Unternehmen, sollte in allen Mitgliedsstaaten eröffnet werden. Ein möglicher Missbrauch einer beherrschenden Stellung oder eine langfristige Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern sollten vermieden werden. Um Programmrisiken zu verringern, die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern zu vermeiden und eine bessere Gesamtkontrolle der Programme sowie ihrer Kosten und Zeitpläne zu gewährleisten, sollte auf doppelte Beschaffungsquellen zurückgegriffen werden, wo immer dies zweckdienlich ist.“
  • 10 Ziele und Erwägungen (25), Gründe für den Erlass der Galileo-Verordnung; Art. 17 Abs. 2 Galileo-Verordnung.
  • 11 Verordnung (EU), Nr. 1285/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.12.2013 betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 876/2002 des Rates und der Verordnung (EG), Nr. 683/2008, a.a.O., Amtsblatt L 347 S. 1 ff. vom 20.12.2013.
  • 12 Ebenda.

Title:The European Navigation Satellite System Galileo: Challenge for European Procurement

Abstract:Apart from the contested institutional competence of the EU for the construction and management of a navigation satellite system the hitherto experience in the trial and validation phase has confirmed doubts concerning the EU’s capacity to procure and manage an infrastructure like Galileo. Regarding the unresolved problems of maintenance and management, the concepts proposed by the EU regulation as of 11 December 2013 will not be sufficient to overcome the expected difficulties. With regard to the capacity of the EU as the owner of the Galileo navigation satellite system the question of whether to give a concession to an industrial consortium or to European industrial intermediaries is therefore more topical than ever.


DOI: 10.1007/s10273-015-1841-8