Die Industrie ist ein Eckpfeiler des wirtschaftlichen Erfolgs Deutschlands. Ihre Investitionstätigkeit ist im internationalen Vergleich zurzeit allerdings schwach. Befürchtet wird, dass die Kosten der Energiewende die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Attraktivität des Produktionsstandorts Deutschland einschränken. Die Antwort der Politik auf diesen vermeintlichen Zielkonflikt sind umfangreiche Ausnahmeregelungen, die zusätzliche Kosten für die deutsche Industrie verhindern sollen. Es weisen aber nur wenige Industriezweige gleichzeitig hohe Energiekosten und eine hohe Exportintensität auf; der Kapitalstock dieser Sektoren ist meist überdurchschnittlich alt. Die Industrie insgesamt profitiert von der Nachfrage nach Klimaschutztechnologien. Ein Politikwechsel scheint also erforderlich.
Die Industrie1 ist nach dem Energiesektor in Deutschland mit einem Anteil von zuletzt 20 % am Gesamtvolumen (vgl. Tabelle 1) der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Trotz einer deutlichen Abnahme in den vergangenen 25 Jahren sind weitere Emissionsminderungen um mindestens weitere 20 % bis 2030 notwendig, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Die Industrie ist demnach gefordert, sowohl Energie einzusparen als auch weitreichende technologische Innovationen für eine Abkehr von fossiler Energie, insbesondere Öl, Kohle und Gas, zu entwickeln und umzusetzen. Branchen mit hohem Energieverbrauch, hohen Emissionen von Treibhausgasen und hohen Energiekosten sind besonders relevant für die Erreichung von Klimazielen und von Klimaschutzstrategien wie der Energiewende potenziell besonders betroffen.
Tabelle 1
Emissionen und Sektorziele im Klimaschutzplan 2050 für Deutschland
Treibhausgasemissionen in Mio. t CO2-Äquivalent | Emissionsminderung in % | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1990 | 2014 | 2030 | Real: 1990-2014 |
Ziel: 2014- 2030 |
Ziel: 1990- 2030 |
||||
von | bis | von | bis | von | bis | ||||
Energiewirtschaft | 466 | 358 | 175 | 183 | 23 | 51 | 49 | 62 | 61 |
Gebäude | 209 | 119 | 70 | 72 | 43 | 41 | 39 | 67 | 66 |
Verkehr | 163 | 160 | 95 | 98 | 2 | 41 | 39 | 42 | 40 |
Industrie | 283 | 181 | 140 | 143 | 36 | 23 | 21 | 51 | 49 |
Landwirtschaft | 88 | 72 | 58 | 61 | 18 | 19 | 15 | 34 | 31 |
Sonstige | 39 | 12 | 5 | 5 | 69 | 58 | 58 | 87 | 87 |
Gesamtsumme | 1248 | 902 | 543 | 562 | 28 | 40 | 38 | 56 | 55 |
Quellen: Sachverständigenrat für Umweltfragen: Kohleausstieg jetzt einleiten, Stellungnahme, 2017, S. 1; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, 2016, http://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzplan_2050_bf.pdf (25.6.2018).
Gleichzeitig ist der Industriesektor in Deutschland, viel mehr noch als in anderen westlichen Industrieländern, eine tragende Säule der Volkswirtschaft und des Exports.2 Soll die deutsche Industrie auch künftig ihren wichtigen Beitrag zum Außenhandel, zum Wachstum und zur Produktivität leisten, ist in diesem Bereich eine massive Steigerung der Investitionen erforderlich. Zuletzt war die Investitionstätigkeit in der Industrie ausgesprochen schwach. Daher wird untersucht, wie diese beiden Erfordernisse – Emissionssenkungen in der Industrie einerseits, Investitionen in diesem Sektor andererseits – besser in Einklang gebracht werden können und insbesondere wie die Energiewende gestaltet werden sollte, damit sie einen Impuls zur Modernisierung des Kapitalstocks leistet. Es zeigt sich zudem, dass die deutsche Industrie eine starke Stellung bei sogenannten Klimaschutzgütern hat, sodass sie hier neue Geschäftsfelder erschließen könnte.
Deutschlands Industrie als Wohlstandsfaktor
Der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Wertschöpfung lag in Deutschland 2015 bei fast 24 %. In anderen großen EU-Ländern sind es dagegen nur rund 10 % bis 15 %, in den USA 12 % (vgl. Abbildung 1). Zudem konnte Deutschland im Vergleich zu 2007 – also vor der Finanz- und Wirtschaftskrise – seine reale industrielle Wertschöpfung spürbar ausweiten (vgl. Abbildung 2). In allen anderen großen westlichen Industrieländern hat die Industrieproduktion das Vorkrisenniveau immer noch nicht erreicht. Besonders langanhaltend ist der Einbruch in Italien und Großbritannien. Aber auch in Frankreich und den USA konnte die Industrie die Krisenverluste bisher nicht wettmachen.
Abbildung 1
Industrieanteile: Verarbeitendes Gewerbe an der Gesamtwirtschaft
Quellen: OECD-NA (2017), OECD-STAN (2017), OECD-SBS (2017), Eurostat-NA (2017), Eurostat-SBS (2017), EU KLEMS (2017), JIP (2015); eigene Berechnungen und Schätzungen.
Abbildung 2
Reale Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes
Index 2007 = 100
Quellen: OECD-NA (2017), OECD-STAN (2017), Eurostat-NA (2017); eigene Berechnungen und Schätzungen.
Die deutsche Industrie ist relativ breit aufgestellt. Sowohl Spitzentechnologien (Pharmazie, Elektronik, Luftfahrzeugbau) als auch weniger forschungsintensive Industrien (Chemie, Metallverarbeitung etc.) haben einen überdurchschnittlichen Anteil an der gesamten Wertschöpfung. Vor allem sind Branchen in den hochwertigen Technologiefeldern (Maschinenbau, Elektrotechnik, Straßenfahrzeugbau) stark vertreten. Diese Spezialisierung ist jedoch auch mit Risiken verbunden, da in den letzten Jahren die Konzentration auf die Autoproduktion zugenommen hat.3
Eine starke und differenzierte Industrie gilt als Garant für künftigen Wohlstand. So leistet die deutsche Industrie einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Außenwerts des Euro und damit für die Kaufkraft in Deutschland und der Eurozone. In Deutschland ist die Industrie für weit mehr als 80 % der Exporte verantwortlich. Allein die Industrie hatte 2016 einen Handelsüberschuss von 330 Mrd. Euro.4 Die Industrie spielt auch eine bedeutende Rolle für eine ausgewogene Verteilung des Wohlstands. In diesem Sektor werden viele Maschinen eingesetzt und damit eine hohe Arbeitsproduktivität erreicht, gleichzeitig herrscht dort eine hohe Tarifbindung. Beides zusammen trägt wesentlich zu hohen Löhnen auch in mittleren Gehaltssegmenten bei.5 Entsprechend weisen Regionen mit einem stabilen Industrieanteil geringere Tendenzen der Einkommenspolarisierung auf als andere.6 Die Industrie kann daher einen wesentlichen Beitrag zum inklusiven Wachstum leisten.7
Auch kommt der Industrie in Bezug auf technologischen Fortschritt eine wichtige Rolle zu. Ein Indikator für technologischen Fortschritt ist die Entwicklung der Produktivität und hier insbesondere der totalen Faktorproduktivität. Die totale Faktorproduktivität bildet dabei jenes Wachstum ab, das über die reine Zunahme des Arbeits- und Kapitaleinsatzes hinaus realisiert wird. Laut empirischer Befunde litt Deutschland – wie die meisten anderen entwickelten Länder – zuletzt unter einer ausgeprägt schwachen Produktivitätsentwicklung.8 Von den großen Wirtschaftssektoren leistet lediglich die Industrie noch einen spürbaren Beitrag zum Wachstum der totalen Faktorproduktivität: In diesem Sektor stieg die totale Faktorproduktivität zwischen 2007 und 2015 doppelt so stark wie im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.9 Wesentlicher Träger des technologischen Fortschritts sind gerade in Zeiten der Digitalisierung Investitionen in die Modernisierung des Kapitalstocks – sprich dem materiellen und immateriellen Anlagevermögen. Je höher die Investitionen, bezogen auf den vorhandenen Kapitalstock, desto rascher finden neue Technologien Eingang in den Produktionsapparat (kapitalgebundener technologischer Fortschritt).
Abbildung 3
Reales Bruttoanlagevermögen im Verarbeitenden Gewerbe
Index 2007 = 100
Quelle: EU KLEMS, release 2017.
Allerdings wird in Deutschland seit Jahren zu wenig investiert. Dies gilt besonders für die Industrie.10 Deutschland gerät nicht nur gegenüber aufstrebenden Ländern wie China, sondern auch gegenüber wichtigen etablierten Wettbewerbern, unter anderem den USA, immer mehr ins Hintertreffen (vgl. Abbildung 3). Soll die Industrie in Deutschland auch künftig ihren wichtigen Beitrag zum Außenhandel, zum inklusiven Wachstum und zur Produktivität leisten, ist eine massive Steigerung der Investitionstätigkeit erforderlich. Entsprechend ist eine Ausgestaltung der Energiewende anzustreben, die die Anreize für Investitionen erhöht.
Investitionen für Klimaschutzmaßnahmen gering
Die Klimaschutzinvestitionen des Verarbeitenden Gewerbes machten 2014 1,6 % der Gesamtinvestitionen der Industrie aus (vgl. Abbildung 4). In einzelnen Branchen ist dieser Anteil allerdings deutlich höher. So wies er 2014 bei der Druck- und Medienindustrie einen Spitzenwert von 4,4 % auf. Besonders in einigen der großen Industriebranchen wie der Automobilindustrie und dem Maschinenbau erreicht der Anteil der Klimaschutz- an den Gesamtinvestitionen (mit 0,5 % bzw. 1,2 %) jedoch nur unterdurchschnittliche Werte.
Abbildung 4
Branchen des Verarbeitenden Gewerbes mit den höchsten Anteilen von Klimaschutzinvestitionen an den Gesamtinvestitionen 2014 in %
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 19, Reihe 3.1, Wiesbaden 2014; eigene Berechnungen.
Abbildung 5
Branchen des Verarbeitenden Gewerbes mit den höchsten Anteilen von Investitionen zur Energieeffizienzsteigerung und zur Energieeinsparung an den Klimaschutzinvestitionen 2014 in %
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 19, Reihe 3.1, Wiesbaden 2014; eigene Berechnungen.
Mit einer Zurückhaltung bei den Klimaschutzinvestitionen werden auch Potenziale zur Produktivitätssteigerung und Kostensenkung verschenkt. Zum größten Teil dienen Klimaschutzinvestitionen der Steigerung der Energieeffizienz und der Einsparung von Energie. Im Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes beträgt der Anteil 72 %, in einigen energieintensiven Sektoren liegt er deutlich höher (vgl. Abbildung 5). So erreicht die Kokerei und Mineralölverarbeitung einen Spitzenwert unter den Branchen des Verarbeitenden Gewerbes von rund 93 %. In der chemischen Industrie allerdings dienen lediglich 44 % der Klimaschutzinvestitionen der Steigerung der Energieeffizienz und der Energieeinsparung. Einen wichtigen Impuls für mehr Investitionen in die Energieeffizienz könnte und sollte die Politik geben. Allerdings wird bisher ein anderer Weg verfolgt.
Politik entlastet Industrie
Energieintensive Industrien, die hohe Energiekosten haben und im internationalen Wettbewerb stehen, werden oftmals von möglichen erhöhten Kosten von energie- und klimapolitischen Maßnahmen, wie beispielsweise im Rahmen des Emissionsrechtehandels oder der Umlage im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), teilweise oder ganz befreit. Um zu verhindern, dass energie- und CO2-intensive Unternehmen in Regionen mit weniger Umweltregulierung und Klimaschutzmaßnahmen abwandern (carbon leakage), werden oft umfangreiche Ausnahmen gewährt. Insbesondere sind im Rahmen der besonderen Ausgleichregelung der Zahlung der EEG-Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien umfangreiche Ausnahmen für besonders stromintensive Industrien geschaffen worden. Viele energieintensive Unternehmen sind zudem häufig von der Energie- und Steuerlast befreit. Das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft (FÖS) hat errechnet, dass die Ausnahmeregelungen für die energieintensive Industrie immer mehr ausgeweitet wurden und sich mittlerweile auf etwa 17 Mrd. Euro pro Jahr summieren, wobei mehr als ein Drittel auf die Ausnahmen bei der EEG-Finanzierung und etwa ein Viertel auf die Ausnahmen bei der Energie- und Stromsteuer zurückzuführen sind.11
Die Gewährung der umfangreichen Ausnahmen für die deutsche Industrie entlastet zwar auf der einen Seite zahlreiche Unternehmen, führt aber zu erheblichen Mehrbelastungen anderer Unternehmen und Verbraucher sowie des Staatshaushalts. So gibt es zahlreiche Vorschläge zu einer Reform der Energiewende-Finanzierung. Die Vorschläge reichen von einer Veränderung der Erhebungsgrundlage der EEG-Umlage, der Nutzung der Stromsteuer zur Teilfinanzierung, der Einführung eines staatlichen Streckungsfonds bis hin zur Abschaffung des EEG und vollständigen Finanzierung der Energiewende aus dem Staatshaushalt.12
Nur wenige Schlüsselindustrien sind betroffen
Es liegt eine Vielzahl von Studien vor, die sich mit dem Zusammenhang von Umweltregulierung und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen oder Standorten auseinandersetzen. Danach ergeben sich für die Unternehmen und Standorte nur dann Auswirkungen, wenn die Kostensteigerungen durch Umweltregulierung signifikant sind und die Kosten als Wettbewerbsfaktor eine bedeutende Rolle spielen.13 Unter dem Gesichtspunkt, dass die Stärke des Industriesektors insgesamt für die deutsche Volkswirtschaft wichtig ist, ist auch das Gewicht der jeweiligen Branchen im Verhältnis zum gesamten Industriesektor von Bedeutung.
Abbildung 6
Branchen mit den höchsten Anteilen an der industriellen Wertschöpfung 2015 in %
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 4, Reihe 4.3, Wiesbaden 2015; eigene Berechnungen.
Gemessen an ihrer Wertschöpfung sind die Kraftfahrzeugbranche und der Maschinenbau mit Anteilen von fast 18 % bzw. gut 15 % an der gesamten industriellen Wertschöpfung 2015 die bedeutendsten deutschen Industriebranchen14 (vgl. Abbildung 6). Zusammen erbrachten sie fast ein Drittel der Wertschöpfung der Industrie. Weitere bedeutende Branchen sind die Metallerzeugung, die Chemie- sowie die Elektroindustrie, die zusammen für mehr als 20 % der industriellen Wertschöpfung stehen.15
Die absolute Höhe des Energieverbrauchs gibt Hinweise darauf, welchen Branchen zum Erreichen ambitionierter Klimaschutzziele eine besonders große Bedeutung zukommt. Im Jahr 2015 weisen die chemische Industrie mit 5,9 Mrd. Euro und die Metallerzeugung und -bearbeitung mit 5,0 Mrd. Euro die höchsten Energiekosten auf.16 Im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt belaufen sich die Energiekosten auf 35,4 Mrd. Euro. Die Höhe der Energiekosten gemessen am Bruttoproduktionswert17 einer Branche ist ein Indikator dafür, in welchem Ausmaß diese von möglichen klimaschutzbedingten Steigerungen der Energiekosten betroffen sein könnte. Für Branchen mit hohen Energiekostenanteilen an der Bruttoproduktion könnte eine Reduzierung der Ausnahmeregelungen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Im Verarbeitenden Gewerbe beträgt der durchschnittliche Anteil der Energiekosten an der Bruttoproduktion 2,1 % (vgl. Abbildung 7). Bei den großen Branchen Herstellung von Kraftfahrzeugen und Kraftwagenteilen beträgt der Anteil 0,8 %, im Maschinenbau und bei der Herstellung von elektrischen Ausrüstungen jeweils 1,0 %, in beiden Fällen also deutlich unter dem Durchschnitt. Die höchsten Energiekosten tragen die Branchen Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden, Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus und Metallerzeugung und -bearbeitung. Keine dieser Branchen ist für die deutsche Industrie und Wirtschaft insgesamt quantitativ von großer Bedeutung. Der Anteil der vier Branchen zusammen an der industriellen Wertschöpfung liegt unter 10 %. Zudem weisen sie eine geringe Exportintensität aus, d. h., sie sind dem internationalen Kostenwettbewerbsdruck weniger ausgesetzt als andere Branchen.
Abbildung 7
Energiekostenanteil und Exportintensität der Branchen des Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2013
Die Fläche der Kreise repräsentiert den Anteil der Branche am gesamten Bruttoproduktionswert des Verarbeitenden Gewerbes. Die Bedeutung der Energiekosten ist für die Branchen des Verarbeitenden Gewerbes sehr unterschiedlich. Sie beträgt im Durchschnitt 2,1 %.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 4, Reihe 4.3, Fachserie 18, Reihe 2; eigene Berechnungen.
Die Branchen mit der größten Exportorientierung wiederum (Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen und Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen) weisen eine geringe Energiekostenintensität aus. Das gilt auch für zwei Kernbereiche der deutschen Industrie, Fahrzeugbau und Maschinenbau. Anders verhält es sich mit der Chemie: Sie ist exportorientiert und hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, gleichzeitig ist ihre Energiekostenbelastung mit 4,7 % relativ hoch.
Energiekostenintensive Branchen nutzen Anlagen länger
Grundsätzlich können Unternehmen auf geänderte Rahmenbedingungen – in diesem Fall potenziell höhere Energiekosten im Verarbeitenden Gewerbe aufgrund von Klimaschutzmaßnahmen reagieren, indem sie Produktionsprozesse und den Kapitalstock anpassen. Die Fähigkeit zur Anpassung und die damit verbundenen Kosten hängen im Wesentlichen von Eigenschaften des Kapitalstocks ab (Nutzungsdauer der Kapitalgüter und Modernitätsgrad des Kapitalstocks), die je nach Sektor unterschiedlich sind. Eine lange Nutzungsdauer von Kapitalgütern und ein niedriger Modernitätsgrad der Produktionsanlagen erschweren den Strukturwandel bzw. erhöhen die Kosten der Anpassung.
Die Produktionsmöglichkeiten eines Wirtschaftsbereichs – durch den Bestand an Produktionsanlagen definiert – werden durch die über einen längeren Zeitraum getätigten Anlageinvestitionen beschrieben. Der sich aus verschiedenen Investitionsjahrgängen zusammensetzende Bestand an Produktionsanlagen wird als Bruttokapitalstock (auch Bruttoanlagevermögen) bezeichnet.18 Die Anpassungsfähigkeit ergibt sich aus der durchschnittlichen Nutzungsdauer der Kapitalgüter in den einzelnen Wirtschaftsbereichen. Eine kürzere Nutzungsdauer erhöht die Anpassungsfähigkeit des Wirtschaftsbereichs, weil bestehende Produktionsanlagen schneller aus dem Anlagenbestand ausscheiden und dann kostengünstig durch moderne, umweltverträglichere Produktionsanlagen ersetzt werden können. Im Durchschnitt über alle Branchen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland beträgt die Nutzungsdauer der Kapitalgüter gut 14 Jahre.19
Abbildung 8
Nutzungsdauer des Kapitalstocks (Anlagen) in Branchen des Verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2015 in Jahren
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, Reihe 1.4, Wiesbaden 2015; eigene Berechnungen.
Betrachtet man die einzelnen Bereiche des Verarbeitenden Gewerbes, erhält man einen Eindruck von der unterschiedlichen Anpassungsfähigkeit des Kapitalstocks der Branchen (vgl. Abbildung 8). Im Jahr 2015 hatte der Bereich Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen mit 10,6 Jahren die kürzeste Nutzungsdauer des Kapitalstocks. Die Herstellung von Textilien, Bekleidung, Lederwaren und Schuhen hatte dagegen die längste Nutzungsdauer (19 Jahre). Mit 18,1 Jahren folgt die von den Herausforderungen des Klimaschutzes in hohem Maße betroffene chemische Industrie. Auch andere energiekostenintensive Branchen (Papierherstellung, Glasindustrie und Metallerzeugung und -bearbeitung) weisen eine überdurchschnittliche Nutzungsdauer ihres Kapitalstocks auf. Diejenigen Branchen also, die eine Anpassung am nötigsten hätten, sind am wenigsten agil und anpassungsfähig. Entsprechend könnte hier auch ein Ansatzpunkt für wirtschaftspolitische Maßnahmen liegen, die darauf zielen, diesen Branchen bzw. Unternehmen zu helfen, den Wandel zu bewältigen, anstatt sie dauerhaft und pauschal von Kosten abzuschirmen.
Deutsche Industrie profitiert von den Käufen klimafreundlicher Technologien
Die deutschen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes profitieren von der energiesparenden Modernisierung des Kapitalstocks auch durch Umsätze mit Gütern und Leistungen für den Klimaschutz. Allerdings sind es im Allgemeinen nicht die Branchen, die die höchsten Energiekostenanteile haben, die auch durch Umsätze für den Klimaschutz am stärksten begünstigt werden.
Von den Umsätzen mit Waren und Leistungen für den Umweltschutz der Betriebe und Einrichtungen des Umweltschutzsektors20 (66 Mrd. Euro) entfiel 2015 mit 57 % (37,9 Mrd. Euro) der größte Teil auf den Klimaschutz; in diesem Umweltschutzbereich waren fast 4900 Betriebe und Einrichtungen aktiv.21 Die umsatzstärksten Klimaschutzgüter und -leistungen waren mit 16,3 Mrd. Euro die zur Verbesserung der Energieeffizienz, darunter waren 9,4 Mrd. Euro zur Verbesserung der Energieeffizienz im industriellen und sonstigen Nicht-Gebäude-Bereich, etwa durch Wärmetauscher oder durch energieeffiziente Antriebe und Beleuchtung. Umsätze von rund 10 Mrd. Euro entfielen auf Windenergie, Umsätze von etwa 3,8 Mrd. Euro auf Solarenergie.
Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes setzten mit Gütern und Leistungen für den Klimaschutz rund 32,6 Mrd. Euro um. Von diesen Klimaschutzumsätzen wurden 12,3 Mrd. Euro (38 %) auf Auslandsmärkten erzielt. Eine herausragende Rolle bei der Herstellung von Gütern für den Klimaschutz spielen Betriebe des Maschinenbaus. Sie setzten mit Klimaschutzgütern und -leistungen 16,7 Mrd. Euro um, das waren gut 50 % der Klimaschutzgüter und -leistungen des Verarbeitenden Gewerbes. Damit machen Klimaschutzgüter und -leistungen einen nicht unerheblichen Teil der Gesamtumsätze des Maschinenbaus aus: bezogen auf den Bruttoproduktionswert des Maschinenbaus waren es 6,6 % (vgl. Abbildung 9). Gut 44 % der klimaschutzbezogenen Umsätze der Betriebe des Maschinenbaus wurden im Ausland erzielt.
Abbildung 9
Branchen des Verarbeitenden Gewerbes mit den höchsten Umsatzanteilen mit Klimaschutzgütern und -leistungen am Bruttoproduktionswert 2015 in %
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 19, Reihe 3.3, Wiesbaden 2015; eigene Berechnungen.
Noch bedeutender war der Klimaschutz für Betriebe, die bei der Reparatur und Installation von Maschinen tätig sind: als Anteil am Bruttoproduktionswert dieser Branche machten die Umsätze mit Klimaschutzgütern und -leistungen in Höhe von 2,4 Mrd. Euro einen Anteil von 7,4 % aus. In diesen Zahlen dürfte sich im Besonderen der Ausbau der erneuerbaren Energien ausdrücken. Zu den Sektoren mit hohen Anteilen von Klimaschutzgütern und -leistungen am Gesamtumsatz gehören außerdem die Herstellung von Glas und Glaswaren und Keramik zusammen mit der Verarbeitung von Steinen und Erden (Umsatz 2 Mrd. Euro; Anteil am Bruttoproduktionswert 4,7 %) sowie die Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (3,2 Mrd. Euro; 2,9 %), die Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren (2,2 Mrd. Euro; 2,8 %) und die Herstellung von Holz- und ähnlichen Waren (0,5 Mrd. Euro; 2,6 %).
Fazit und wirtschaftspolitische Schlussfolgerungen
Die Energiewende stellt Teile der deutschen Industrie vor große Herausforderungen, bietet aber auch erhebliche Chancen. Dort, wo hohe Energiekostenanteile und eine hohe Außenhandelsintensität – wie in der chemischen Industrie oder in der Metallerzeugung – zusammentreffen, ist der Anpassungsdruck hoch. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass die Anpassung in diesen Sektoren durch die langen Nutzungsdauern der Anlagen erschwert wird. Wirtschaftspolitische Maßnahmen, die eine schockartige Belastung der betroffenen Unternehmen verhindern, scheinen daher durchaus gerechtfertigt. Dies gilt aber nur insofern, als diese Schutzmaßnahmen Spielräume für die Anpassung an die geänderten Rahmenbedingungen schaffen: Ausnahmen für energieintensive Industrien sind nur dann sinnvoll, wenn sie zeitlich befristet und degressiv ausgerichtet und gleichzeitig innovationsfördernd sind. So sollte die Gewährung von Ausnahmen an Technologieinnovationen gekoppelt werden.
Die politischen Maßnahmen müssen dabei der hohen Komplexität und Dynamik von Innovationsprozessen gerecht werden.22 Zentrales Element einer innovationsorientierten Politik ist die Integration verschiedener Politikfelder und Wertschöpfungsbereiche durch die Bildung von Netzwerken. Sie muss sich an konsentierten verbindlichen Zielvorgaben orientieren und auf eine flexible Kombination von Instrumenten setzen, die ökonomische Anreize mit Auflagen und Informationsangeboten kombinieren.
Bei einer innovationsorientierten Umsetzung kann die Energiewende sogar einen wesentlichen Beitrag zur Modernisierung und Neuausrichtung der Industrie in Deutschland leisten. Viele Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes profitieren schon heute durch Umsätze mit Gütern und Leistungen für den Klimaschutz. Im Zuge eines steigenden Klimaschutzes werden insbesondere Branchen mit hohem Einsatz fossiler Energien vor der Herausforderung stehen, die Transformation aktiv umzusetzen. Dabei geht es vor allem um Innovationen der Produktionsprozesse, um fossile Energien ganz zu ersetzen bzw. den Bedarf auf ein Minimum zu reduzieren. Im Zuge der Energiewende wird der Bedarf an klimaschonender Energieproduktion, der Energiespeicherung, aber auch der Weiterverwendung von CO2 zunehmen. Dazu sind massive Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig.
Die bisherige einseitige Ausrichtung der politischen Maßnahmen auf die Gewährung von Ausnahmen energie- und stromintensiver Industrien fördert weder ausreichend Innovationen noch schafft sie hinreichend Anreize für notwenige Investitionen. Die umfangreichen Ausnahmen für energieintensive Industrien sind daher auf ein notwendiges Minimum zu reduzieren und mehr und mehr durch ein innovationsorientiertes Förderkonzept zu ersetzen, das generelle Technologieentwicklung ebenso wie konkrete Anwendungsbeispiele unterstützt.
- 1 Als „Industrie“ werden die in der jeweiligen Statistik erfassten Unternehmen oder Betriebe des Verarbeitenden Gewerbes bezeichnet. Im Klimaschutzplan umfasst der Sektor Industrie alle Emissionen aus Verbrennungsprozessen und der Eigenstromversorgung des Verarbeitenden Gewerbes sowie Emissionen aus industriellen Prozessen und der Produktverwendung fluorierter Gase (direkte Emissionen). Zusätzlich werden die Emissionen aus dem Sektor Gewerbe, Handel und Dienstleistungen (GHD), die nicht der gebäudebezogenen Wärmebereitstellung dienen, einbezogen. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung, 2016, S. 56, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzplan_2050_bf.pdf (19.7.2018).
- 2 Vgl. M. Gornig: Wie viel Industrie braucht das Land?, in: WSI-Mitteilungen, 68. Jg. (2015), H. 7, S. 500-506, https://www.boeckler.de/wsimit_2015_07_gornig.pdf (11.1.2018).
- 3 Vgl. M. Gornig, A. Schiersch: Perspektive der Industrie in Deutschland, in: Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 84. Jg. (2015), H. 1, S. 37-54, https://ejournals.duncker-humblot.de/doi/pdf/10.3790/vjh.84.1.37 (19.7.2018).
- 4 Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis): Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18, Reihe 1.4, 2016, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Inlandsprodukt/InlandsproduktsberechnungEndgueltigPDF_2180140.pdf?__blob=publicationFile (11.1.2018).
- 5 Vgl. G. Bosch, C. Weinkopf: Reducing Wage Inequality: The Role of the State in Improving Job Quality, in: Work and Occupation, 44. Jg. (2017), H. 1, S. 168-188.
- 6 Vgl. M. Gornig, J. Goebel: Deindustrialisation and the Polarisation of Household Incomes: The Example of Urban Agglomerations in Germany, in: Urban Studies, 55. Jg. (2018), H. 4, S. 790-806, http://dx.doi.org/10.1177/0042098016669285 (19.7.2018).
- 7 Vgl. A. G. Schmidt et al.: Agenda Inklusives Wachstum für Deutschland, Bd. 20, Gütersloh 2017, https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/BSt_Broschuere_Agenda_inklusives_Wachstum_D_web.pdf (23.6.2018).
- 8 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (BMF): Produktivität in Deutschland – Messbarkeit und Entwicklung, Monatsbericht, 10.10.2017, S. 8-16.
- 9 Vgl. EU KLEMS Growth and Productivity Accounts: Statistical Module, ESA 2010 and ISIC Rev. 4 industry classification, 2017.
- 10 Vgl. M. Gornig, A. Schiersch: Weak Investment Poses a Threat to Industry in Europe, in: Intereconomics, 51. Jg. (2016), H. 5, S. 272-277.
- 11 Vgl. C. Freericks, S. Fiedler: FÖS Ausnahmeregelungen für die Industrie bei Energie- und Strompreisen, FÖS Kurzanalyse, Nr. 04/2017, http://www.foes.de/pdf/2017-04-FOES-Kurzanalyse-Industrieausnahmen-2005-2016.pdf (20.1.2018).
- 12 Vgl. J. Scheyhing: Alternativen zur EEG Umlage. Mögliche Auswirkungen einer Reform der Energiewende-Finanzierung auf die Industrie, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Nr. 07/2017, S. 25-28.
- 13 Vgl. L. Lankoski: Linkages between Environmental Policy and Competitiveness, OECD Environment Working Papers, Nr. 13, Paris 2010; T. Koźluk, C. Timiliotis: Do Environmental Policies Affect Global Value Chains? A new Perspective on the Pollution Haven Hypothesis, OECD Economics Department Working Papers, Nr. 1282, Paris 2016; H. Naegele, A. Zaklan: Does the EU ETS Cause Carbon Leakage in European Manufacturing?, DIW-Discussion Papers, Nr. 1689, 2017, http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.565609.de/dp1689.pdf (11.1.2018).
- 14 In der Kostenstrukturerhebung werden Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes mit mehr als 20 Beschäftigten erfasst.
- 15 Die vergleichsweise hohe Bruttowertschöpfung des zusammengefassten Sektors der Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, von Getränken und der Tabakverarbeitung ebenso wie der Mineralölverarbeitung ist durch die hohen Gütersteuern bedingt, die auf Produkte dieser Wirtschaftszweige anfallen; nach der Nettowertschöpfung zu Faktorkosten rangiert die Nahrungs-, Futter-, Getränke- und Genussmittelindustrie an sechster und die Mineralölverarbeitung an zwanzigster Stelle unter den größten Industriesektoren.
- 16 Da die Branchen einen unterschiedlichen Energiemix mit unterschiedlichen spezifischen Preisen verwenden, sind die Energiekosten nur ein Indikator für die genutzten physischen Energiemengen.
- 17 Der Bruttoproduktionswert einer Branche entspricht konzeptionell der Summe der Umsätze der erfassten Unternehmen in der Branche.
- 18 Der Kapitalstock wird nach der Kumulationsmethode (Perpetual-Inventory-Methode) berechnet. Er besteht aus Zugängen an Anlagevermögensgütern in der Vergangenheit, die um Abgänge in Abhängigkeit von der Nutzungsdauer der Kapitalgüter bereinigt werden.
- 19 Die Daten aus der Anlagevermögensrechnung des Statistischen Bundesamtes beziehen sich auf das Anlagevermögen der Wirtschaftsbereiche, das Bauten und Ausrüstungen umfasst. Die Wirtschaftsbereiche sind nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008) gegliedert. Die durchschnittliche Nutzungsdauer ergibt sich aus der Division von Abschreibungen und Anlagevermögen.
- 20 Neben dem Produzierenden Gewerbe gehören zum Berichtskreis die Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen sowie von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen.
- 21 Statistisches Bundesamt: Umwelt. Umsatz mit Umweltschutzgütern und Umweltschutzleistungen 2015, Fachserie 19, Reihe 3.3, Wiesbaden 2017.
- 22 Vgl. J. Blazejczak et al.: Umweltpolitik und Innovation: Politikmuster und Innovationswirkungen im internationalen Vergleich, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 22. Jg. (1999), H. 1, S. 1-32.