Einwanderungsgesetz: Mehr Recht, weniger Gesetz!
Deutschland sollte geltendes Einwanderungsrecht konsequent durchsetzen und rechtskräftige Urteile rasch vollstrecken. Dann braucht es kein neues Einwanderungsgesetz. Denn, was nützen neue Regulierungen, wenn bestehendes Recht nicht konsequent durchgesetzt wird und Urteile ohnehin nicht zügig umgesetzt werden? Ein neues Einwanderungsgesetz dürfte in einer überhitzten medialen Öffentlichkeit unerfüllbare Hoffnungen in die Steuerbarkeit von Migrationsbewegungen wecken. Allein schon die Erwartungen auf die faktische Wirkung sind maßlos überzogen. Eine nationale Steuerung der Einwanderung ist eigentlich nur noch für die Arbeitsmigration aus Nicht-Mitgliedsländern der EU möglich. Auf Flüchtlinge und das Asylwesen wird das Völkerrecht und in der Praxis das Europarecht angewandt. Internationale Vereinbarungen und moralische Verpflichtungen lassen hier genauso wenig nationale Spielräume offen wie bei der Familienzusammenführung.
In Bezug auf die quantitativ mit riesigem Abstand stärksten Zuwanderungsgruppen gibt ein neues Einwanderungsgesetz somit gar keine rechtliche Handhabe: Nach Angaben des Ausländerzentralregisters sind 2017 insgesamt 1 179 593 ausländische Staatsangehörige nach Deutschland zugewandert. Davon waren 634 836 Angehörige eines EU-Mitgliedslandes, also freizügigkeitsberechtigt und damit nationalen Regulierungen entzogen. Unter den 544 757 Drittstaatsangehörigen (aus Nicht-EU-Staaten) machen Flüchtlinge und nachzugsberechtigte Familienangehörige den Löwenanteil aus, der ebenfalls nicht durch ein Einwanderungsgesetz regulierbar ist. Unter die rechtliche Kompetenz eines neuen Einwanderungsgesetzes fallen lediglich die Personen, die aus Drittstaaten (aus Nicht-EU-Staaten) kommen und nicht aus Gründen der Asylsuche, sondern der Erwerbstätigkeit oder Arbeitsplatzsuche wegen nach Deutschland wollen. Damit wären nur rund 10 % aller Zuwanderer – 2017 waren es gerade einmal 126 184 Personen – von einem neuen Einwanderungsgesetz betroffen.
Es trifft somit vollends zu, was der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem Jahresgutachten 2018 so formuliert hat: „Weder sollte die Steuerungsmacht eines Einwanderungsgesetzes noch der Einfluss von Integrationsgesetzen überschätzt werden.“ Migration und Integration sind hochkomplexe Phänomene, sowohl was Ursachen als auch Wirkungen auf einzel- und gesamtwirtschaftlicher Ebene betrifft. Die Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern, hängt auch, aber eben nicht nur, von Recht und Gesetz ab. Wie gerade die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre in dramatischer Weise offenbaren, lassen sich (verzweifelte und existenziell bedrohte) Menschen (oft) auch nicht durch rechtliche Verbote, Stacheldraht und Grenzwächter davon abschrecken, alles zu versuchen, um nach Europa und Deutschland zu kommen.
Mit einer medial aufgeputschten Diskussion eines neuen Einwanderungsgesetzes wird der Irrglaube genährt, dass allein schon auf dem Papier stehende Regulierungen Flüchtlingswanderungen nach Deutschland verhindern würden. Wenn man politisch wirklich wollte, ließe sich dieses Ziel mit den bereits bestehenden europarechtlichen „Dublin-Regeln“ erreichen. Denn das Europarecht schließt an sich eine unkontrollierte Zuwanderung nach Deutschland weitgehend aus. Fehlt jedoch der politische Wille, geltendes Recht in Realität und Alltag durchzusetzen, nützen die besten Gesetze nichts. Das wäre bei neuen Regulierungen keinen Deut anders. Ein neues Einwanderungsgesetz ohne politische Verpflichtung zur unbedingten Rechtstreue dürfte eher das Gegenteil dessen bewirken, was es vorgibt, erreichen zu wollen: die Bevölkerung verliert den Glauben an Rechtsstaat, Gesetze und Gerichte. Nichts jedoch würde die deutsche Demokratie so sehr schwächen wie eine (schleichende) Erosion der Rechtsstaatlichkeit.
Verkehrsinfrastruktur: Erhaltungsinvestitionen zu gering
Der Brückeneinsturz von Genua illustriert grell, welche Schwachstellen die in den letzten Jahrzehnten rasch gewachsene und noch stärker beanspruchte Straßeninfrastruktur aufweist. Hierzulande hat vor allem die Brückensperrung der Rheinbrücke bei Leverkusen Aufmerksamkeit erregt. Im internationalen Ranking des Weltwirtschaftsforums hat Deutschland bei der Straßeninfrastruktur stark eingebüßt: Die Qualität von Straßen und Brücken rutschte seit 2008 vom 4. auf den 16. Rang ab. Aber auch die zahlreichen Langsamfahrstellen im Bahnnetz sowie der marode Nord-Ostsee-Kanal zeigen einen massiven Investitionsstau bei den Erhaltungsmaßnahmen auf. Diese sind seit langem bekannt und in zahlreichen Kommissionen beziffert worden. Allein für den Substanzerhalt in den nächsten 15 Jahren bezifferte die Daehre-Kommission 2013 den zusätzlichen Investitionsbedarf auf 7,2 Mrd. Euro pro Jahr, und danach dauerhaft auf weitere 4 Mrd. Euro jährlich.
Obwohl sich das Bundesfernstraßennetz seit den 1950er Jahren mehr als verdoppelt und die Fahrleistung etwa vervierfacht hat, leistete sich der Verkehrsetat des Bundes bis 2012, mehr Mittel für den weiteren Ausbau als für den Erhalt zu veranschlagen. Erst in jüngster Zeit ist ein Umdenken erkennbar, das jedoch bei weitem nicht ausreicht. Von den über 20 Mrd. Euro der Bundesausgaben für den Verkehr geht etwa die Hälfte in den nicht-investiven Bereich, darunter Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr und fast 4 Mrd. Euro für Pensionen von Bundesbahn-Beamten. Dabei liegen die straßenverkehrsbezogenen Bundeseinnahmen (Energiesteuer-Anteil, Kfz-Steuer, Lkw-Maut) mit über 40 Mrd. Euro jährlich weit über den entsprechenden Ausgaben, werden aber von anderen Staatszwecken absorbiert.
Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP) wurden 2016 die Weichen für das künftige Verkehrsnetz gestellt. Für die Bundesfernstraßen sind von 2016 bis 2030 Investitionen von 133 Mrd. Euro vorgesehen. Rund 67 Mrd. Euro sollen in Erhalt und Sanierung von Straßen und Brücken fließen. Der Erhalt hat nun endlich Priorität vor Neu- und Ausbau. Noch aber liegt der jährliche Verkehrsetat für die Sanierung bei deutlich unter 4 Mrd. Euro. Allein für die Sicherung des im BVWP prognostizierten Erhaltungsbedarfs müssten diese Mittel allerdings auf fast 5 Mrd. Euro steigen. Polit-ökonomisch kann der jahrzehntelange Neubau-Bias ebenso wenig überraschen wie die aktuellen Schwierigkeiten, die notwendigen Zusatz-Investivmittel bereitzustellen. Auf Wählerstimmen-Märkten versprechen Neubauprojekte deutlich mehr positive Resonanz als Sanierungsmaßnahmen, die sich noch dazu für eine lange Zeit auf künftige Amtsträger-Generationen verschieben ließen. Und woher die Zusatzmittel nehmen? Steuererhöhungen, Neuverschuldung, Ausgabenkürzungen an anderer Stelle oder die Einführung einer Pkw-Maut bedeuten hohe politische Opportunitätskosten und wetteifern um den Rang der unpopulärsten Maßnahme. Die Misere wird strukturell noch dadurch verschärft, dass künftig die Einnahmen aus der klassischen Energie- und Kfz-Steuer schrumpfen dürften, je stärker alternative Antriebe Marktanteile gewinnen. An zusätzlichen Nutzerfinanzierungen für jedermann führt wohl kein Weg vorbei.
Doch die Herausforderungen gehen weit über die bloße Mobilisierung zusätzlicher Finanzmittel hinaus: Die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft besteht nicht mehr nur aus Schienen, Straßen, Wasserwegen und Brücken. Zu ihr gehören eine Lade- und Tankstelleninfrastruktur für die Energieträger der Verkehrswende, aber auch die digitale Infrastruktur. Die jetzt anstehenden Infrastrukturinvestitionen können die bislang notleidende Energiewende im Verkehr endlich in Gang bringen oder aber das bestehende klimaschädliche Verkehrssystem zementieren und ein Umsteuern verzögern und so unnötig verteuern.
Wohnungsbau: Kommunen schuld am Mangel?
Seit nunmehr acht Jahren steigen die Preise für Wohnungen in den Großstädten. Ursächlich für diese Entwicklung ist das Auseinanderfallen von Angebot und Nachfrage. Alle Großstädte sind in den letzten Jahren stark gewachsen. In Berlin beispielsweise wächst die Bevölkerung um rund 40 000 Menschen pro Jahr, doch die Zahl der fertiggestellten Wohnungen liegt im Mittel deutlich unter 15 000 pro Jahr. Angesichts der niedrigen Zinsen und hohen Preise mangelt es nicht an Investoren, die Wohnungen bauen möchten. Das Nadelöhr ist aber das Bauland. Daher rücken die Kommunen zunehmend in den Fokus der Debatte. Gerade die Immobilienwirtschaft hat in letzter Zeit vermehrt darauf hingewiesen, dass die Kommunen deutlich mehr tun müssten. Und in der Tat könnten sie durch eine entschiedenere Flächenausweisung den Markt wieder moderieren. Planungen für neue Stadtviertel hingegen auf Eis zu legen, wie etwa in Berlin das geplante Stadtviertel Elisabeth-Aue, wird den Wohnungsmangel weiter vergrößern.
Dennoch ist es zu einfach, den schwarzen Peter für den Mangel an Bauflächen allein den Kommunen zuzuschieben. Erstens sind die Kommunen gar nicht frei in der Ausweisung neuer Bauflächen. Vielmehr müssen sie sich an die Landesentwicklungspläne halten. Diese sind aufgrund des 30-ha-Ziels der Bundesregierung zur Eindämmung der Siedlungs- und Verkehrsflächen teilweise recht restriktiv. Hinzu kommt, dass die Großstädte oft nur geringe Möglichkeiten haben, großvolumig neue Flächen auszuweisen. Oft liegen die Potenziale im Umland, doch nicht jede Umlandgemeinde ist bereit zu wachsen. Hier bedarf es einer verstärkten überregionalen Planung, die die unterschiedlichen Interessen zusammenführt und Kompromisse zwischen Metropolen und Umlandgemeinden erzielt. Zweitens fehlt es den Kommunen an finanziellen Mitteln, um die Stadterweiterung voranzubringen. Dies beginnt in den Bauämtern. Unter dem Sparzwang der 2000er Jahre wurden die Personalkapazitäten teilweise deutlich zurückgefahren. Heute lassen sich qualifizierte Mitarbeiter nur schwer gewinnen, zumal Projektentwickler Bauingenieure und Planer deutlich besser entlohnen. Hinzu kommt, dass gerade neue Stadtviertel auch neue Infrastruktur benötigen, die vorfinanziert werden muss. Langfristig rentieren sich neue Stadtviertel für die Kommunen, doch angesichts teils hoher kommunaler Schulden sind die Potenziale für Investitionen stark begrenzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch im Bestand Investitionsrückstände vorliegen, mitunter also die dringend erforderliche Schulsanierung mit dem notwendigen Neubau einer Schule in einem potenziellen Stadtviertel konkurriert. Oft versuchen Kommunen, die Kosten des Ausbaus über städtebauliche Verträge an die Bauträger weiterzuleiten, doch damit wird der Neubau deutlich teurer, was dem Ziel bezahlbarer Wohnungen entgegenläuft. Kooperationen zwischen privaten Investoren und den Kommunen oder auch Infrastrukturfonds bieten hier bessere Alternativen, sind aber in Deutschland wenig erprobt. Drittens ist die Rolle der Bürger nicht zu unterschätzen. Viele Bauvorhaben werden heute erbittert bekämpft, teils aus Umweltschutzgründen, wegen zusätzlicher Lärm- und Verkehrsbelastungen, teilweise aber auch einfach als Ausdruck einer NIMBY-Haltung (Not in my backyard: überall, bloß nicht hier!). Es bedarf daher Mut und Entschlossenheit von Kommunalpolitikern. Jeder Politiker unterliegt jedoch einem Wiederwahlkriterium. Potenzielle neue Einwohner sind noch keine Wähler, dadurch werden die Bedenken der vorhandenen Bürger oft stärker gewichtet als die Vorteile für neue Einwohner.
Hieraus folgt, dass Kommunen mehr Unterstützung brauchen, zum einen in finanzieller Hinsicht, zum anderen aber durch eine geänderte Einstellung. In den Niederlanden etwa hat die Bauministerin klar formuliert, dass nun auch wieder die grüne Wiese vor der Stadt bebaut werden muss, um den Wohnungsmangel zu beseitigen. Darüber hinaus wurden die Bauordnungen deutlich entschlackt. Diesen Rückenwind bräuchten auch deutsche Bürgermeister, um die Flächenausweisung entschlossener angehen zu können.
Kfz-Steuer: Vertane Chance
Kraftfahrzeuge verbrauchen im Alltag mehr Treibstoff und stoßen mehr Abgase aus, als die Prospekte der Autobauer behaupten. Seit dem 1.9.2018 rücken diese Werte näher an die Realität. Kraftstoffverbrauch und Emissionen werden jetzt in der EU nach der sogenannte Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure (WLTP) gemessen. Wie der bisherige wird auch die WLTP auf einem Prüfstand „gefahren“, allerdings sind die Anforderungen anspruchsvoller, dadurch erhöht sich bei Neuwagen der Treibstoff- und somit auch der CO2-Ausstoßwert auf dem Papier um 20 %. Beide Werte orientieren sich aber nicht am tatsächlichen CO2-Ausstoß des jeweiligen Autofahrers, sondern an einem allgemeinen Prüfstandprotokoll. Identische Autos werden mit unterschiedlichen CO2-Werten eingestuft, je nachdem ob sie vor oder nach dem 1. September 2018 erstmals zugelassen wurden.
Der Gewinner der Umstellung ist weder der Verbraucher noch die Umwelt. Sie macht den Bundesfinanzminister mit der Kfz-Steuer zum großen Gewinner, denn neben dem Hubraum ist der CO2-Ausstoß nach Prüfstandprotokoll die Bemessungsgrundlage für die Kfz-Steuer. Mit den höheren Werten ergeben sich im ersten Jahr Steuermehreinnahmen von 170 Mio. Euro. Da im Laufe der Jahre der gesamte Pkw-Bestand in Deutschland von rund 45 Mio. Fahrzeugen von der neuen Messung erfasst wird, wachsen die jährlichen Kfz-Steuereinnahmen auf mehr als 2,5 Mrd. Euro. Selbstverständlich hat der Finanzminister auf den Effekt hingewiesen, aber das Bundesministerium der Finanzen plant, die Wirkung der neuen Messung auf die Kfz-Steuer nach einer Erfahrungszeit von zwölf Monaten zu prüfen. Wie und wann dann Steuerrückerstattungen kommen, weiß bis heute niemand.
Dabei gäbe es mit der WLTP-Umstellung eine große Chance, das Steuersystem besser, lenkungsorientierter und gerechter zu gestalten. Die Kfz-Steuer bezieht sich auf das stehende Auto. Wer 100 000 km pro Jahr fährt, bezahlt den gleichen Betrag wie derjenige, der gar nicht fährt. Welchen Lenkungseffekt bei so einer Kopf-Steuer der durchschnittlich gemessene CO2-Ausstoß hat, bleibt unklar. Der tatsächliche Lenkungseffekt wirkt an der Tankstelle. Der CO2-Ausstoß ist proportional zum Treibstoffverbrauch. Wer also viel fährt, ein „dickes“ Auto hat oder mit Vollgas unterwegs ist, wird über den Treibstoffverbrauch erfasst. Statt unterschiedliche Steuern für identische Fahrzeuge zu erheben, könnte man die Kfz-Steuer ganz entfallen lassen. Eine zweite Fliege ließe sich mit derselben Klappe schlagen, wenn man den seit Jahrzehnten immer wieder angeprangerten Steuervorteil des Dieselkraftstoffs aufheben würde. Die politisch verursachte Verzerrung im Auto- und Kraftstoffmarkt sowie der künstliche Boom bei Dieselfahrzeugen würden aufgehoben. Würde man den Liter Diesel exakt mit dem gleichen Satz wie Benzin besteuern und beide Steuern um 0,01 Euro pro Liter anheben, ließe sich im Gegenzug die Kfz-Steuer ersatzlos streichen.
Ein gleiches Steueraufkommen, aber ein besseres, einfacheres, lenkungsorientiertes und verwaltungsärmeres Steuersystem wäre das Resultat. Die Umwelteffekte wären für jeden Autofahrer individuell an der Tankstelle spürbar. Statt ein jahrzehntealtes, überkommenes Steuersystem mit umständlichen Umrechungsfaktoren, die kein Mensch versteht, weiter zu komplizieren, hätte das Finanzministerium die Umstellung auf die WLTP für eine echte Reform der Kfz-Steuer nutzen können. Was es gebraucht hätte, wäre etwas Mut in der Bundesregierung. Aber dort agiert man nicht nur beim Diesel mutlos.