Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Politikmaßnahmen könnten regelgebunden evaluiert werden. Dafür sind die Bedingungen derzeit besser denn je. Eine Evidenzbasierung der Politik ist nötig, in einer Zeit populistischer Strömungen, die häufig auf fehlerhaften Informationen basieren. Der Beitrag zeigt auf, welche Elemente ein strukturierter Politikzyklus enthalten sollte, welche Beispiele es hierfür im internationalen Umfeld gibt, wie Politikevaluierung in Deutschland besser vorankommen kann, und welche Maßnahmen helfen können, die Infrastruktur für Evaluierungen zu verbessern.

Die Bedingungen für evidenzbasierte Entscheidungen sind heute so gut wie noch nie. Es sind mehr und qualitativ bessere Daten verfügbar, nicht zuletzt auf Grund zahlreicher neuer Forschungsdatenzentren.1 Wissenschaftliche Methoden zur Arbeit mit Mikrodaten und zur Identifikation kausaler Effekte sind verfügbar und werden weiter entwickelt. Viele Absolventinnen und Absolventen empirischer Studiengänge sind in Ministerien, Forschungsinstituten und in der Verwaltung beschäftigt und können dort ihre methodischen Kenntnisse einbringen. Umfragen zufolge besteht grundsätzlich ein großes Vertrauen in der Bevölkerung gegenüber wissenschaftlicher Forschung.2

Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche der öffentlichen Diskussion, die durch Argumente von Interessengruppen geprägt sind und in denen nicht viel Zeit für einen sachlichen Austausch bleibt. Populistische Strömungen bieten zudem in vielen Ländern Grund zur Sorge – mehr als 80 % der Befragten einer Erhebung von Eurobarometer sehen „fake news“ und fehlerhafte Informationen in Online-Medien sogar als eine Gefahr für demokratische Strukturen.3

Die in diesem Spannungsfeld getroffenen politischen Entscheidungen betreffen nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und wirken zum Teil weit in die Zukunft. Demografischer Wandel, Digitalisierung und Globalisierung fordern Entscheidungen ein, um sicherzustellen, dass Arbeits-, Finanz- und Produktmärkte ihre Aufgaben erfüllen und zum Wohlstand beitragen. Solche Entscheidungen sollten auf einen informierten politischen Diskurs zu politischen Zielen und Maßnahmen gestützt sein. Wählerinnen und Wähler müssen in die Lage versetzt werden zu beurteilen, ob öffentliche Gelder und Regulierungen effektiv eingesetzt werden, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen.

Systematische und fest in den politischen Entscheidungsprozess eingebettete Evaluierungen können hierzu beitragen. Sowohl international als auch national gibt es Beispiele dafür, wie Politikmaßnahmen strukturiert überprüft werden können. In Deutschland sind entsprechende Verfahren noch zu wenig in politischen Entscheidungsprozessen und in der öffentlichen Verwaltung verankert. Vorgaben der Verwaltung betreffen in der Regel die Frage, wie ein Gesetz rechtlich korrekt formuliert wird.4 Nur wenig Zeit wird darauf verwandt, die Ziele eines Gesetzes zu definieren und zu diskutieren, Indikatoren zur Zielerreichung festzulegen und die Wirkung der Maßnahmen strukturiert zu überprüfen. Wissenschaftliche Begleitungen von Evaluationen beruhen zudem auf einem guten Verständnis institutioneller Strukturen. Ein konstruktiver Dialog zwischen Wissenschaft und Politik kann daher dazu beitragen, die hierfür notwendigen Prozesse zu verbessern. Bislang werden Politikevaluationen, die wissenschaftlichen Standards genügen, in Deutschland aber eher punktuell eingesetzt.

Elemente eines strukturierten Politikzyklus

Evidenzbasierte Politik folgt einem kontinuierlichen, faktenbasierten Lernprozess: Sie definiert Ziele, setzt Vorhaben um, prüft deren Wirksamkeit, passt Maßnahmen an und lernt für zukünftiges Handeln. So kann Politik effektiver werden: Maßnahmen, die nicht wirken und unerwünschte Nebenwirkungen haben, werden zurückgenommen; Maßnahmen, die erfolgreich sind, werden beibehalten oder gestärkt. In diesem Zyklus hat die Evaluierung eine begleitende Rolle: Wissenschaftlich fundierte Analysen können den politischen Entscheidungsprozess nicht ersetzen.5 Aber sie können die Basis für besser informierte Entscheidungen liefern.

Ein Politikzyklus, der Evaluierungen beinhaltet, kann in vier Schritte unterteilt werden:

  • In einem ersten Schritt müssen die häufig abstrakt vorgegebenen übergeordneten Ziele einer beabsichtigten Politikmaßnahme in kleinteiligere, konkrete Teilziele übersetzt werden. Zielerreichung, mögliche Nebenwirkungen, aber auch Zielkonflikte sollten untersucht werden können. Eine derart aufgeschlüsselte Zielvorgabe ist Grundlage für eine differenzierte Bewertung der Politikmaßnahmen und ermöglicht eine öffentliche Diskussion. So wurde beispielsweise in der Gesamt­evaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland das Politikziel der nachhaltigen Familienpolitik auf fünf konkrete Teilziele heruntergebrochen:6 Wirtschaftliche Stabilität von Familien, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Nachteilsausgleich zwischen und für Familien, frühe Förderung und Wohlergehen von Kindern sowie Erfüllung von Kinderwünschen.7
  • In einem zweiten Schritt müssen den Teilzielen objektiv nachprüfbare und messbare Indikatoren zugeordnet werden. Die wirtschaftliche Stabilität von Familien im obigen Beispiel wurde anhand einer detaillierten Aufschlüsselung der Entwicklung der Einkommens- und Beschäftigungssituation von Familien gemessen.8
  • Drittens sollten vor dem Inkrafttreten einer bestimmten Maßnahme die beabsichtigten Wirkungen auf die vorher festgelegten Indikatoren abgeschätzt werden. Ex-ante-Evaluierungen fragen, welche erwarteten Effekte Regulierungen und andere politische Maßnahmen haben. So können Maßnahmen, die voraussichtlich nur wenig geeignet sind, um Politikziele zu erreichen, bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden. Gleichzeitig bietet eine Kosten-Nutzen-Abschätzung den demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Optionen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen zu wählen.
  • Die in einem vierten Schritt durchgeführten Ex-post-Evaluierungen geben schließlich Aufschluss darüber, ob die Ziele wie beabsichtigt erreicht wurden und ob etwaige unerwünschte Nebenwirkungen aufgetreten sind. Hier ist es zentral, zwischen Korrelationen und kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden: Korrelationen beschreiben beispielsweise den zeitlichen Zusammenhang zweier Ereignisse, Kausalität eine Ursache-Wirkungs-Beziehung. Im Hinblick auf die Evaluierung von Maßnahmen muss der Fokus auf ihren kausalen Effekten liegen, nicht auf möglicherweise aus anderen Gründen gleichzeitig (korreliert) stattfindenden Ereignissen. Eine Ex-post-Evaluierung kann dazu führen, dass Maßnahmen verbessert oder auch eingestellt werden, wenn die Ziele nicht erreicht werden oder Kosten und Ertrag nicht in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Die Evaluierung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen kann hier als Beispiel dienen: In den 1990er Jahren wurden Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Milliardenhöhe in die aktive Arbeitsmarktpolitik investiert, in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder Ein-Euro-Jobs. Als Analysen in vielen Fällen keine oder sogar negative Effekte dieser Programme zeigten, wurden die Maßnahmen beendet und durch wirkungsvollere Maßnahmen ersetzt.9

Oft erschwert aber eine Reihe von Gründen eine verlässliche Wirkungsmessung: Politisches Handeln unterliegt dem Druck, schnelle Ergebnisse zu liefern, Verwaltungsprozesse und Kostenrahmen müssen eingehalten werden. Dies kann dazu führen, dass Interessenkonflikte entstehen, Evaluierungen verzögert oder gar nicht durchgeführt werden. Politik ist oft eher die „Kunst des Möglichen“ als das Ergebnis eines auf Evidenz basierenden Prozesses. Angebote aus Wissenschaft und Forschung sind oft nicht zuvorderst an der Nachfrage aus der Politik orientiert und geraten gegenüber den von Interessenvertretungen eingebrachten Informationen leicht ins Hintertreffen.

Dabei gäbe es durch methodisch fundierte Evidenz viel zu gewinnen – sowohl mit Blick auf die Kosten als auch auf die Effektivität von Maßnahmen. Diese Situation ruft nach einem verstärkten Dialog zwischen Politik und Wissenschaft, auch über Fachdisziplinen hinweg. Die Frage nach kausaler Wirkung muss mit geeigneten Methoden und Daten beantwortet werden. Sowohl Diagnose als auch Therapie von Fehlentwicklungen lassen sich so verbessern.

Die genannten Hindernisse für die Umsetzung wissenschaftlich gestützter Evaluierungen können überwunden werden, wenn methodisch gut fundierte Evaluierungen fester Bestandteil des politischen Entscheidungsprozesses werden und sich eine „Evaluationskultur“ mit den entsprechenden Ressourcen und Kompetenzen in der Verwaltung etabliert. In der Praxis werden politische Maßnahmen oft dadurch bewertet, dass Teilnehmende nach ihrer Zufriedenheit befragt werden oder ob vorgesehene Mittel ausgegeben wurden. Das ist zwar nicht unwichtig, zeigt jedoch nicht, ob auch die gewünschten Effekte erzielt wurden.

Beispiele aus dem internationalen Umfeld

Evidenzbasierung spielt als Konzept in der Medizin eine große Rolle, wo der Nutzen, aber auch die Schadlosigkeit bzw. Nebenwirkungen von Therapien nachgewiesen werden müssen. Zentral sind systematische Reviews, die unter anderem im Rahmen der Cochrane Collaboration nach methodisch festgelegten Bewertungsverfahren entstehen und in einer von ihr unterhaltenen Online-Bibliothek veröffentlicht werden. Transparenz in der Erarbeitung dieser Reviews ermöglicht die wissenschaftliche Debatte und Weiterentwicklung der jeweiligen Wissensbestände. Medizinische Fachgesellschaften nutzen diese Befunde dann als eine Quelle, um Handreichungen bzw. Leitlinien für praktizierende Ärztinnen und Ärzte zu entwickeln. Diese Bewertungspraxis nach Wissenschaftlichkeit, Relevanz und Praktikabilität sowie die Zusammenfassung eines großen Fundus an Wissen lässt sich auf andere Bereiche übertragen, auch wenn die Methoden der Evaluierung andere sein können.

Ein wichtiger Schritt für die Evidenzbasierung der medizinischen Versorgung war 2006 der Aufbau eines internationalen Registers klinischer Studien im Rahmen der WHO, nicht zuletzt ausgelöst durch Skandale um illegale Tests und die Schädigung von Probanden.10 Transparenz und die Verbreitung von Standards, aber auch die Überprüfung und Validierung von Aussagen werden durch internationale Register ermöglicht. Hier wäre analog ein Register von nationalen und internationalen Evaluierungen für andere Politikfelder denkbar, bei denen internationale Vergleiche von politischen Maßnahmen oder Regulierungen sinnvoll sind. Die Überprüfung von Robustheit der Evidenz, Wirkung und Kosten einer medizinischen Intervention kann die Gesundheits- und Sozialpolitik einschließen, insofern solche Interventionen gesundheitliche Auswirkung haben.11

In Großbritannien werden Aufgaben im Zusammenhang mit Evaluierungen seit einigen Jahren in What-Works-Zentren gebündelt, die als Mittler zwischen Forschung und Politik/Verwaltung unter anderem systematische Reviews erarbeiten (vgl. Tabelle 1). Diese Reviews sind öffentlich zugänglich. So ist transparent, nach welchen Verfahren die Wirkung einer Maßnahme bewertet wird, an welcher Stelle Evidenz fehlt oder kein abschließendes Urteil möglich ist. Im Jahr 2015 wurde außerdem ein „Trials Advice Panel“ eingerichtet, das die Verwaltung bei der Konzipierung von experimentellen Studien berät. Sofern keine ausreichend belastbare Evidenz vorliegt, soll also politische Gestaltung nicht gelähmt, sondern durch ein schrittweises Vorgehen möglich werden.

Tabelle 1
Ausgewählte Beispiele für evidenzbasierte Politik: Großbritannien und Niederlande
Initiative Träger Politikbereich Aufgabe Website
Großbritannien
What Works Centres Regierung (Cabinet Office zusammen mit Wirtschafts­ministerium) 10 unabhängige Zentren (z. B. Gesundheit, Bildung, Altern, Verbrechensbekämpfung, Regional­entwicklung) Evidenz generieren und Entscheidungs­trägern bei der Umsetzung helfen; Output: Evidence Reviews; Studien/Versuche; Aus- und Fortbildung für Verwaltungsangestellte https://www.gov.uk/guidance/what-works-network
Behavioral Insights Team Regierung und Nesta Foundation Übergreifend, z. B. Gesundheit, Bildung, Justiz, Arbeitsmarkt, Steuern Anwendung von verhaltens­wissenschaftlicher Evidenz; Pilotversuche in Vorbereitung von großen Programmen, Evaluationen, Publikationen https://www.behaviouralinsights.co.uk/
Government Economic and Social Research Team (GESR)/Social and Economic Research Professions Regierung (Koordination unterstützt durch Finanz- und Wirtschaftsministerium) Übergreifend, alle Regierungsbereiche sowie nachgeordnete Behörden Sozial- und Wirtschafts­wissenschaftler bereiten mit wissenschaftlichen Methoden wie Surveys, kontrollierten Studien und Analysen statistischer und administrativer Daten Informationen für Entscheidungsträger auf Beispielprojekt: https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/647251/Department_for_Education.pdf; https://www.gov.uk/government/organisations/civil-service-government-social-research-profession/about
Niederlande
Bureau for Economic Policy Analysis (Centraal Planbureau) Unabhängige Einrichtung am Wirtschafts­ministerium Wirtschaftspolitik (z. B. auch Gesundheit, Bildung, Demografie) Wissenschaftliche Studien zur Information im Entscheidungs­prozess; Konjunkturprognosen, Kosten-Nutzen-Analysen, Analysen von Wahlprogrammen https://www.cpb.nl/en
Scientific Council for Government Policy (WRR) Unabhängige Einrichtung am Ministerium für Allgemeine Angelegenheiten Verschiedene Politikbereiche, https://english.wrr.nl/topics Berichte, Studien u. Ä. https://english.wrr.nl/

Quelle: eigene Zusammenstellung.

Evidenzbasierung spielt auch im Bereich der Finanzmarktregulierung eine immer größere Rolle. Im Nachgang der Finanzkrise wurden zahlreiche Reformen der internationalen Finanzmärkte beschlossen und bereits umgesetzt. Um international akzeptierte Leitlinien für die Evaluierung dieser Reformen zu vereinbaren, wurde 2017 unter der deutschen G20-Präsidentschaft vom Financial Stability Board ein Rahmenwerk12 entwickelt. Dieses Rahmenwerk ermöglicht eine strukturierte Evaluierung der Reformen, insbesondere mit Blick auf die Identifikation von kausalen und gesamtwirtschaftlichen Effekten.13

Diese Beispiele zeigen, dass gute Strukturen erforderlich sind, über die Politik und Wissenschaft in einen Austausch treten können und die auch die Öffentlichkeit einbeziehen. Die systematische Aufbereitung und Synthese einer großen Zahl von Studien erfordert langfristig angelegte Strukturen. Zudem ist ein permanenter Dialog erforderlich, in den Forschung und Politik bzw. Verwaltung eingebunden sind, und der den Austausch über den Bedarf an Evaluierung ebenso wie über Vorgehen und Ergebnisse ermöglicht.

Politikevaluierung und die Initiative des Normenkontrollrats in Deutschland

In den USA wurde vor vielen Jahren ein wichtiger Schritt unternommen, um politische Entscheidungen in stärkerem Maße durch Fakten abzusichern (vgl. Tabelle 2). Unter republikanischer Administration wurde bereits 1981 eine Regelung erlassen, der zufolge Maßnahmen grundsätzlich von einer Kosten-Nutzen-Schätzung begleitet werden müssen. Spätere Administrationen haben diese Entscheidung bestätigt und weiter verfeinert. Cass Sunstein nennt dies eine „Revolution“ politischen Handelns.14

Tabelle 2
Ausgewählte Beispiele für evidenzbasierte Politik: USA und international
Initiative Träger Politikbereich Aufgabe Website
USA
What Works Clearinghouse Education Sciences Bildungsministerium – Institute of Education Sciences Bildung Vergibt Aufträge für thematische Evidenzreviews; Output: systematische Reviews, Einzelstudien, Handbücher und praktische Anleitungen, Daten, Trainings https://ies.ed.gov/ncee/wwc/FWW
What Works Cities/Communities Bloomberg Philantropies/ Stadtverwaltungen, Federal Reserve Bank of San Francisco und Low Income Investment Fund Kommunalpolitik Nutzung von Evidenz in der Kommunalpolitik; What Works Cities Certification Assessment, Mitgliedschaft im Netzwerk, gezielte technische Hilfe; Beispiel: OutcomeStat – Webseite, die Erfüllung bestimmter Entwicklungs­indikatoren veröffentlicht

https://whatworkscities.bloomberg.org/; https://bbmr.baltimorecity.gov/outcomestat-0; http://www.whatworksforamerica.org/
California Policy Lab Universität (UCLA/UC Berkeley), Arnold Foundation Sozial- und Wirtschaftspolitik, Bildung, Justiz Empirische Forschung und technische Assistenz für kalifornische Landespolitik: Evaluierung von Regierungsprogrammen, Bereitstellung von Infrastruktur für Auswertung und Vernetzung von Admin-Daten, Kapazitäts­entwicklung/Training für Verwaltung https://www.capolicylab.org/
Government Performance Lab Harvard Kennedy School Universität (Harvard), stiftungsfinanziert Justiz, Verkehrsinfrastruktur, Stadtentwicklung, Sozialpolitik Technische Assistenz, Publikationen, Daten https://govlab.hks.harvard.edu/
International
Cochrane Collaboration Stiftung; In Deutschland: Freiburger Uniklinikum, kofinanziert durch Bundesministerium für Gesundheit und Landesregierung Baden-Württemberg Medizin/Gesundheitsversorgung „evaluativ und systematisch durch Übersichts­arbeiten aufbereiteter Wissenstransfer in der Medizin zur Verbesserung der Qualität der Gesundheitsversorgung“ (www.cochrane.de); Cochrane Library: sechs Datenbanken mit qualitativ-hochwertiger, unabhängiger Evidenz; Methodische Weiterentwicklung; Leitlinien, Veröffentlichungen; Workshops/Trainings

Cochrane.de
FSB Framework for the Ex Post Evaluation of Financial Sector Reforms Financial Stability Board (FSB) Finanzsektor Rahmenwerk zur Evaluierung der G20- Finanzmarktreformen www.fsb.org

Quelle: eigene Zusammenstellung.

In Deutschland arbeitet der Nationale Normenkontrollrat (NKR) an Konzepten, die ähnlich weitreichende Konsequenzen haben könnten. Der Normenkontrollrat hat die Hauptaufgabe, die unmittelbaren Folgekosten von Gesetzen abzuschätzen. Im Jahr 2013 konnte er einen weiterführenden Beschluss der Bundesregierung zur „Konzeption zur Evaluierung neuer Regelungsvorhaben“ erwirken. Der Beschluss besagt, dass Regelungsvorhaben mit einem jährlichen Erfüllungsaufwand von mindestens 1 Mio. Euro drei bis fünf Jahre nach deren Inkrafttreten in Hinblick auf ihre Zielerreichung zu evaluieren sind. Darüber hinaus können Aspekte wie Nebenfolgen, Akzeptanz, Praktikabilität und Effizienz der Maßnahmen überprüft werden. Allerdings sind Evaluierungen weder in ihrer Tiefe noch Methodik vorbestimmt, so dass die federführenden Ressorts selbst über die Vorgehensweise entscheiden. Die über die Evaluierung erstellten Berichte werden unter anderem dem Normenkontrollrat zugeleitet. Damit ist er sowohl in die Ex-ante- als auch in die Ex-post-Evaluierung von Regelungen eingebunden.

Während der Beschluss aus dem Jahr 2013 überaus begrüßenswert ist, zeigt die Umsetzung, dass es weiterer Verbesserungen bedarf, um daraus ein wirksames Evaluierungsinstrument zu machen. Hilfreich könnte es beispielsweise sein, Leitlinien für das methodische Vorgehen zu vereinbaren, um Ergebnisse vergleichbar zu machen und verstärkt Methoden einzusetzen, mit denen kausale Effekte analysiert werden können.

Angesichts des relativ offen formulierten Beschlusses von 2013 können Evaluierungen noch stringenter durchgeführt werden: Externe Qualitätssicherung ist ebenso wünschenswert wie eine Rückkoppelung zwischen Ergebnissen der Evaluierungen und zukünftigen politischen Entscheidungen. Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Normenkontrollrats Johannes Ludewig können mit „verbindlichen Mindeststandards, klarer Zuständigkeit für Qualitätskontrolle sowie regelmäßiger Beteiligung von Dritten […] Evaluierungsergebnisse und ihre Akzeptanz verbessert werden.“15

Um dieses Anliegen zu befördern, hat der NKR ein Phasenmodel für gute Evaluierung vorgeschlagen.16 In der Phase 1 wird demnach die Evaluation geplant; hierbei geht es um die Prüfung des Evaluationsanlasses, die Formulierung von Evaluationsfragen und -zielen sowie die Festlegung von Methoden. Phase 2 widmet sich der Datensammlung und der Anwendung von Messverfahren. Phase 3 besteht aus der Beschreibung von Methodik, Datenbasis und Qualitätssicherung. Der Normenkontrollrat spricht hier vom „Dreiklang“: Zielformulierung, Indikatorenauswahl und Datengewinnung. Gerade gute Daten sollten so früh wie möglich verfügbar sein.

Entsprechend hat die Bundesregierung 2018 ein Arbeitsprogramm zur besseren Rechtsetzung und zum Bürokratieabbau beschlossen.17 Mit diesem Programm will die Bundesregierung die Auswertung des im Jahr 2013 getroffenen Evaluierungsbeschlusses in Angriff nehmen und die systematische Evaluierung von Gesetzen verbessern und fortentwickeln. Dazu zählt beispielsweise die Aufnahme einer klaren und möglichst nachprüfbaren Angabe zum Zweck und Ziel einer Regelungsmaßnahme, die eine Ex-post-Evaluierung ermöglichen soll. Auch sollen Ex-ante-Evaluierungen standardisiert werden und in den Evaluierungen Kosten und Nutzen von Maßnahmen dargestellt werden.

Fortschritte in diesen Bereichen finden positiven Widerhall in internationalen Diskussionen. Die OECD berichtet regelmäßig über Regulierungspolitik und hat kürzlich die deutsche Regelungspraxis gelobt.18 Gleichzeitig macht die OECD-Stellungnahme deutlich, dass die Evaluierungspraxis in Deutschland von einem weiteren Schub in Richtung Professionalisierung profitieren könnte. Ein systematischer Austausch und offene Kommunikationskanäle zwischen der zur Evaluation verpflichteten Exekutive und einer an Praxisrelevanz orientierten Wissenschaft könnten beides, Evaluierungen und Politik, nachhaltig verbessern.

Rahmenbedingungen für mehr Evidenz in der Politik

Die Idee, dass politische Entscheidungen auf guter Evidenz basieren sollten, ist plausibel. In der Umsetzung können sich aber rasch Probleme ergeben, wenn die Anreize der unterschiedlichen Akteure nicht ausreichend berücksichtigt werden. Aus politischer Sicht wird oft schon allein die Umsetzung von Maßnahmen als Erfolg gewertet. Mit einer Evaluierung betraute Wissenschaftler interessieren sich vor allem für methodisch besonders innovative Analysen. Die für die Evaluierung zuständigen Verwaltungen hingegen verfügen oft nur über begrenzte Ressourcen. Kluge Strukturen und Politikprozesse können dazu beitragen, die daraus resultierenden Kosten und Friktionen zu minimieren.

Folgende Aspekte sind wichtig, um einen verbesserten Wissenstransfer zwischen Politik und Wissenschaft zu ermöglichen:

  1. Politik sollte an der Erreichung von Zielen gemessen werden – nicht an der reinen Umsetzung von Maßnahmen. Politik, Verwaltung und nicht zuletzt die öffentliche Diskussion müssen daher überzeugt sein, dass durch Evidenz informierte Entscheidungen einen Mehrwert haben. Es sollte selbstverständlich werden, dass Maßnahmen bei positiver Evaluierung fortgesetzt werden können und bei negativer Evaluierung nachgebessert werden. Ohne Unterstützung der politischen Führung und ohne die Offenheit dafür, mit Evaluierungsergebnissen zu arbeiten, ist aber eine bessere Evidenzbasierung nicht etablierbar. Dazu zählt auch, dass verantwortliche Stellen dauerhaft über die entsprechende Kompetenz verfügen und so eine Evaluationskultur etabliert und gepflegt werden kann.
  2. Für Evaluierungen müssen Rechtsgrundlagen geschaffen werden, um Evaluierungen zu einem integralen Bestandteil politischer Prozesse zu machen. Ziele müssen frühzeitig definiert und diskutiert und Indikatoren der Zielerreichung festgelegt werden. Dies kann auch Interessenkonflikten und zögerlichen Umsetzungen vorbeugen. Vorab festgelegte methodische Leitlinien können die Akzeptanz der Ergebnisse einer Evaluierung stärken und das Verständnis dieser Ergebnisse verbessern.
  3. Der Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und Politik sollte erleichtert und institutionalisiert werden, beispielsweise über digitale Plattformen. Diese können eine verständlichere Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen ermöglichen und die Transparenz von Abläufen in der Verwaltung erhöhen. Solche Plattformen können sowohl ressortübergreifend eine Übersicht zu Synthesen und Metaanalysen liefern als auch die Öffentlichkeit über diesen Austausch informieren. Sie können einen Beitrag dazu leisten, über Unterschiede zwischen Korrelation und Kausalität und die methodischen Herangehensweisen der Evaluationsforschung zu informieren.
  4. Die für Evaluierungen notwendigen Daten sollten frühzeitig verfügbar sein. Oft sind Daten zwar vorhanden, werden aber nicht in ausreichendem Maße aufgearbeitet und genutzt. Daten im Nachhinein zu erheben kann sehr teuer oder sogar unmöglich sein. Pilotstudien können dabei helfen, den Datenbedarf bereits vor Umsetzung einer Maßnahme zu ermitteln. Breiter Datenzugang kann die Qualität von Evaluationsstudien erhöhen – und dies ist kein Widerspruch zur zentralen Rolle des Datenschutzes.
  5. Im wissenschaftlichen Bereich sollten die Anreize verbessert werden, Politik durch gute Evidenz zu unterstützen. Deutschland verfügt mit unabhängigen Forschungsinstituten (einschließlich der Ressortforschungsinstitute und Forschungsdatenzentren) über eine hervorragende Infrastruktur, die noch besser für den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis genutzt werden kann. Beispielsweise könnte in dem Mandat der Leibniz-Institute gleichwohl Evaluierungen noch konkreter verankert werden als bisher, und die Qualität von entsprechenden Studien könnte bei den Bewertungen der Arbeit der Institute besser honoriert werden.

„Mehr Evidenz“ in politische Entscheidungsprozesse zu bringen, ist ein wichtiges gesellschaftliches Ziel. Hierzu sind ein verstärktes Engagement, Offenheit und Dialogbereitschaft von Wissenschaft und Politik erforderlich. Je besser vorhandene Strukturen genutzt und Evaluierungen in laufende Prozesse eingebettet werden, umso geringer werden die Kosten von Evaluationen – und umso mehr können wir aus Erfahrungen lernen.

* Wir danken Monika Schnitzer für sehr hilfreiche und konstruktive Kommentare.

  • 1 M. Bug, S. Liebig, C. Oellers, R. T. Riphahn: Operative und strategische Elemente einer leistungsfähigen Forschungsdateninfrastruktur in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, in: Journal of Economics and Statistics (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik), 238. Jg. (2018), H. 6, S. 571-590.
  • 2 Vgl. Wissenschaft im Dialog, E. Kantar: Wissenschaftsbarometer, 2018, https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2018/ (2.2.2019) für Deutschland; oder C. Funk: Real Numbers: Mixed Messages about Public Trust in Science Issues in Science and Technology, XXXIV(1), Herbst 2017, für die USA.
  • 3 European Commission: Final Results of the Eurobarometer on Fake News and Online Disinformation, 2018, https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/news/final-results-eurobarometer-fake-news-and-online-disinformation (2.2.2019).
  • 4 Der Normenkontrollrat fordert daher, dass zunächst Eckpunktepapiere formuliert werden, die sich besser als Rechtstexte dazu eignen, eine breite öffentliche Diskussionen zu ermöglichen (Nationaler Normenkontrollrat: Deutschland: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, bessere Gesetze. Einfach machen!, Jahresbericht 2018, S. 5).
  • 5 In Bereichen mit vergleichsweise klar nachprüfbaren objektiven Kriterien – wie z. B. im Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen oder in der Entwicklung von Medikamenten oder Therapien – sind Evaluierungen integraler Bestandteil des Zulassungsprozesses. In diesen Bereichen spielen Evaluierungen eine aktivere Rolle.
  • 6 Prognos AG: Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Maßnahmen und Leistungen in Deutschland, Endbericht, Juni 2014.
  • 7 Vgl. M. Ristau: Evidenzbasierung in der Familienpolitik. Wie sie möglich wurde, was sie ausmacht und warum sie Promotoren aus der Gesellschaft braucht, in: C. M. Buch, R. T. Riphahn (Hrsg.): Evaluierung von Finanzmarktreformen – Lehren aus den Politikfeldern Arbeitsmarkt, Gesundheit und Familie, Leopoldina-Forum, Nr. 1, Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Halle 2019.
  • 8 Diese wurden wiederum nach drei Teilzielen – Vermeidung von Armut, Verbesserung der Wohlstandsposition von Familien sowie die wirtschaftliche Selbständigkeit beider Partner – gruppiert.
  • 9 Vgl. B. Fitzenberger: Evidenzbasierte Wirtschaftspolitik – Lehren aus dem Politikfeld Arbeitsmarkt; und U. Walwei: Evidenzbasierte Beratung im Politikfeld Arbeitsmarkt, in: C. M. Buch, R. T. Riphahn (Hrsg.): Evaluierung von Finanzmarktreformen, a. a. O.
  • 10 I. Sim, A. Chan, M. Gülmezoglu, T. Evans, T. Pang: Clinical Trial Registration: Transparency is the Watchword, in: The Lancet, 367. Jg. (2006), H. 9523, S. 1631-1633; D. Ghersi, T. Pang: En Route to International Clinical Trial Transparency, in: The Lancet, 372. Jg. (2008), H. 9649, S. 1531-1532.
  • 11 K. Baicker, A. Chandra: Evidence-Based Health Policy, 2017, in: The New England Journal of Medicine, 377. Jg. (2017), H. 25, S. 2413-2415.
  • 12 Financial Stability Board: Framework for Post-Implementation Evaluation of the Effects of the G20 Financial Regulatory Reforms, 2017.
  • 13 Vgl. Deutsche Bundesbank: Evaluierung der G20-Finanzmarktreformen, Finanzstabilitätsbericht 2018.
  • 14 C. Sunstein: The Cost-Benefit Revolution, Cambridge MA 2018.
  • 15 J. Ludewig: Regulierung und Evaluierung – Aufgaben des Normenkontrollrats, in: C. M. Buch, R. T. Riphahn (Hrsg.): Evaluierung von Finanzmarktreformen, a. a. O.
  • 16 Nationaler Normenkontrollrat: Bürokratieabbau. Bessere Rechtsetzung. Digitalisierung. Erfolge ausbauen – Rückstand aufholen, Jahresbericht des Nationalen Normenkontrollrates, 2017, S. 31. In seinem jüngsten Jahresbericht regt der NKR zudem an, Synergien zwischen nationalen und europäischen Evaluierungen besser zu nutzen (NKR 2018).
  • 17 Bundeskanzleramt: Arbeitsprogramm Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau, Kabinettbeschluss vom 12.12.2018, Berlin.
  • 18 Bundesregierung: Pressemitteilung Nr. 383 vom 6.11.2018, www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/oecd-lobt-qualitaet-der-deutschen-gesetzgebung-1546342 (2.2.2019).

Title:Understand – Develop – Test – Improve: Framework Conditions for Evidence-based Policies

Abstract:Policy measures can be evaluated using a structured approach. Conditions for doing so have never been better as data and empirical methods have improved greatly. This paper sheds light on the elements that need to be incorporated into a structured policy cycle, the international examples that are already available, the way in which policy evaluation can gain ground in Germany, and the measures that can help improve the infrastructure for policy evaluation.


DOI: 10.1007/s10273-019-2403-2