Die Konjunktur in Deutschland hat sich seit Mitte des Jahres 2018 merklich abgekühlt. Der langjährige Aufschwung ist damit offenbar zu einem Ende gekommen. Die schwächere Dynamik wurde sowohl vom internationalen Umfeld als auch von branchenspezifischen Ereignissen ausgelöst. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich – auch aufgrund politischer Risiken – eingetrübt, und das Verarbeitende Gewerbe hat mit Produktionshemmnissen zu kämpfen. Die deutsche Wirtschaft durchläuft nunmehr eine Abkühlungsphase, in der die gesamtwirtschaftliche Überauslastung zurückgeht.
Die Institute erwarten in ihrem Frühjahrsgutachten1 für das Jahr 2019 nur noch ein Wirtschaftswachstum von 0,8 % (vgl. Tabelle 1) und damit mehr als ein Prozentpunkt weniger als noch im Herbst 2018. Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession mit negativen Veränderungsraten des Bruttoinlandsprodukts über mehrere Quartale halten die Institute jedoch bislang für gering, sofern sich die politischen Risiken nicht weiter zuspitzen. Das 68 %-Prognoseintervall reicht im Jahr 2019 von 0,1 % bis 1,5 %. Für das Jahr 2020 halten die Institute an ihrer Prognose fest, dass das Bruttoinlandsprodukt um 1,8 % zunehmen wird.
Ursachen der konjunkturellen Abkühlung
Auch im Euroraum hat sich die Konjunktur spürbar abgekühlt. Hatte sich die Expansion im ersten Halbjahr 2018 bereits gegenüber 2017 deutlich verlangsamt, so kam sie im zweiten Halbjahr nahezu zum Erliegen.
Eine wesentliche Ursache war die Abschwächung der Weltkonjunktur und damit der Nachfrage nach im Euroraum erzeugten Gütern. So ist die Verlangsamung der Expansion im Jahresverlauf 2018 maßgeblich auf deutlich schwächere Exporte zurückzuführen, die im Jahr zuvor noch die Konjunktur getragen hatten. Damals war die kräftige Produktionsausweitung mit ungewöhnlich starken Impulsen aus dem Handel mit der übrigen Welt zusammengefallen. Seit Anfang 2018 hat sich die Dynamik der Warenexporte in verschiedene Weltregionen jedoch merklich abgeschwächt, entstehungsseitig zeigt sich dies vor allem im verarbeitenden Gewerbe.
Tabelle 1
Eckdaten der Prognose für Deutschland
2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | |
---|---|---|---|---|---|
Reales Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 2,2 | 2,2 | 1,4 | 0,8 | 1,8 |
Erwerbstätige im Inland in 1000 Personen | 43 642 | 44 269 | 44 838 | 45 265 | 45 531 |
Arbeitslose in 1000 Personen | 2 691 | 2 533 | 2 340 | 2 190 | 2 085 |
Arbeitslosenquote der Bundesagentur für Arbeit1 in % | 6,1 | 5,7 | 5,2 | 4,8 | 4,6 |
Verbraucherpreise2(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 0,5 | 1,5 | 1,8 | 1,5 | 1,8 |
Lohnstückkosten3(Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %) | 1,2 | 1,5 | 2,6 | 3,3 | 1,5 |
Finanzierungssaldo des Staates4 | |||||
in Mrd. Euro | 28,7 | 34,0 | 58,0 | 41,8 | 35,6 |
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts | 0,9 | 1,0 | 1,7 | 1,2 | 1,0 |
Leistungsbilanzsaldo | |||||
in Mrd. Euro | 265,5 | 261,9 | 246,4 | 225,4 | 230,2 |
in % des nominalen Bruttoinlandsprodukts | 8,4 | 8,0 | 7,3 | 6,5 | 6,3 |
1 Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit). 2 Verbraucherpreisindex (2015 = 100). 3 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde. 4 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG 2010).
Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2019 bis 2020: Prognose der Institute. © GD Frühjahr 2019.
Auf nachfrageseitige Ursachen der Schwäche deuten auch die Ergebnisse von Unternehmensbefragungen der Europäischen Kommission hin. Demnach nimmt seit Anfang des Jahres 2018 der Anteil der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes zu, deren Produktionstätigkeit durch mangelnde Nachfrage behindert wird. In Deutschland ist dieser Anteil im selben Zeitraum stärker gestiegen, wenngleich von einem deutlich niedrigeren Niveau ausgehend. Gleichzeitig berichten immer mehr Unternehmen im Euroraum von rückläufigen Auftragsbeständen. Auch hierbei ist die Abschwächung bei deutschen Unternehmen ausgeprägter als im übrigen Euroraum.
Gegen eine allein weltwirtschaftlich angelegte Verlangsamung spricht allerdings, dass sich die Konjunktur in den größten drei Volkswirtschaften des Euroraums besonders ausgeprägt verlangsamte, während sie in den anderen, nicht minder außenwirtschaftlich verflochtenen Volkswirtschaften relativ robust blieb. Auch hat sich die Dynamik im Euroraum deutlich stärker verlangsamt als in der gesamten Welt. Zudem entwickelten sich die Warenexporte des Euroraums (ohne Intrahandel) ab dem Jahresbeginn 2018 deutlich ungünstiger als die Gesamtexporte der Welt. So waren die Ausfuhren in die übrige Welt im Jahresverlauf 2018 leicht rückläufig, und dies, obwohl die exportgewichtete Wirtschaftsleistung dieser Ländergruppe um etwa 0,7 % je Quartal expandierte. Dies könnte darauf hinweisen, dass die Exporte nicht allein durch eine schwache Nachfrage gedämpft wurden, sondern auch durch angebotsseitige Probleme. So waren Umfragen zufolge die Kapazitäten des verarbeitenden Gewerbes im Euroraum zu Beginn des Jahres 2018 außerordentlich hoch ausgelastet, was darauf hindeutet, dass in zunehmendem Maße Engpässe einer stärkeren Ausweitung der Produktion entgegenstanden.
Deutsche Konjunktur stark durch Sonderfaktoren geprägt
Der für den Euroraum diskutierte Befund gilt für Deutschland in besonderem Maße: Die Verlangsamung der gesamtwirtschaftlichen Expansion konzentriert sich entstehungsseitig auf das verarbeitende Gewerbe und hier wiederum auf wenige Branchen; verwendungsseitig ist sie vor allem auf die Exporte zurückzuführen. Aber auch der private Konsum verlor im vergangenen Jahr erheblich an Dynamik und trug 2018 nicht mehr zur Expansion der gesamtwirtschaftlichen Aktivität bei. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Automobilindustrie. Deren Produktion sank im zweiten Halbjahr 2018 deutlich. Ein zentrales Hemmnis war die Umsetzung des neuen WLTP-Standards, der seit September 2018 verbindlich ist. Als absehbar wurde, dass viele Modelle nicht rechtzeitig die Zulassung nach diesem Standard erhalten würden, haben die Hersteller ihre Produktion massiv gedrosselt. Im Juli ging die Produktion im Fahrzeugbau um 7 % zurück und blieb seitdem, wenn auch unter erheblichen Schwankungen, in etwa auf diesem niedrigeren Niveau. Da der Anteil dieses Wirtschaftszweigs an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung 4,7 % beträgt, hat dieser Produktionsrückgang für sich genommen das Bruttoinlandsprodukt um etwa 0,35 % reduziert. Darüber hinaus dürfte es aufgrund der engen Produktionsverflechtung der Branche mit anderen Wirtschaftszweigen auch dort zu dämpfenden Effekten gekommen sein.
Ein Rückgang der Automobilproduktion seit Mitte des vergangenen Jahres war in vielen Ländern zu beobachten, da das WLTP-Verfahren zeitgleich in der gesamten Europäischen Union eingeführt worden war. In Deutschland war er jedoch besonders ausgeprägt und hartnäckig, auch weil deutsche Hersteller im europäischen Vergleich eine hohe Zahl verschiedener Kombinationen aus Fahrzeugtyp und Antrieb anbieten, die nach dem WLTP-Standard einzeln zu testen sind.
Auch die Schwäche des privaten Konsums dürfte mit den Schwierigkeiten in der Automobilindustrie zusammenhängen. So waren die Umsätze im Pkw-Handel insbesondere im dritten Quartal 2018 deutlich rückläufig, im Jahresverlauf stagnierten sie in etwa. Auch die Zahl der Neuzulassungen privater Halter weist auf eine Beeinträchtigung durch die WLTP-Einführung hin. Im September lagen diese 34 % unter dem Vorjahreswert. Dabei dürfte auch die Debatte um Fahrverbote die Nachfrage gedämpft haben. Folgerichtig zeigt die Zerlegung der privaten Konsumausgaben nach Verwendungszwecken, dass insbesondere der Teilbereich Verkehr und Nachrichtenübermittlung im Jahresverlauf negativ zur Expansion des Konsums beitrug.
Negativ auf die Industrieproduktion in Deutschland dürfte auch das Niedrigwasser des Rheins gewirkt haben. Dadurch wurden die Transportkapazitäten der Binnenschifffahrt massiv eingeschränkt, was in einigen Industrien die Lieferung von Vorleistungsprodukten erschwerte. Zudem war die Kühlwasserentnahme zeitweise beeinträchtigt. Im Durchschnitt der Monate August bis Dezember 2018 war die Produktion im verarbeitenden Gewerbe aufgrund des Niedrigwassers um 1,2 % geringer.2 Dies entspricht einer in diesem Zeitraum um etwa 0,3 Prozentpunkte niedrigeren Zuwachsrate des Bruttoinlandsprodukts. Die Wirkung auf die Produktion chemischer Erzeugnisse, die vergleichsweise stark von der Binnenschifffahrt als Transportmittel abhängig ist, dürfte sogar noch größer ausgefallen sein.
Angebots- und nachfrageseitige Einflüsse auf die Konjunktur
Die bisherigen Überlegungen setzen sich mit der Verlangsamung der Konjunktur in Deutschland und im Euroraum partialanalytisch auseinander. Um die zugrundeliegenden Treiber in einem gesamtwirtschaftlichen Rahmen zu identifizieren, werden dynamische stochastische allgemeine Gleichgewichtsmodelle (DSGE-Modelle) des IWH und des ifo Instituts verwendet.3
Abbildung 1
Historische Dekomposition für das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland
Quelle: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute.
Das ifo-DSGE-Modell erklärt die Schwächephase der deutschen Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2018 vornehmlich angebotsseitig (vgl. Abbildung 1). Die historische Schockzerlegung weist darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft im dritten und vierten Quartal 2018 mit negativen Produktivitätsschocks konfrontiert wurde. Hinzukommt, dass im vierten Quartal der bis dahin positive Nachfrageimpuls des Inlands wegfiel. Negative Produktivitätsschocks formalisieren im Rahmen eines DSGE-Modells verschiedene Produktionsbehinderungen. Man kann die negativen Produktivitätsschocks im zweiten Halbjahr 2018 so deuten, dass sie Phänomene wie die WLTP-Einführung oder das Niedrigwasser im Rhein abbilden. Diese erklären somit auch die fortgesetzte deutsche Exportschwäche in der zweiten Jahreshälfte 2018, da Fahrzeuge, die nicht produziert werden, auch nicht exportiert werden können.
Die historische Schockzerlegung mit dem IWH-DSGE-Modell bestätigt diesen Befund. Zudem trugen Risikoprämienschocks und ausländische Nachfrageschocks negativ zur Produktion bei, die 2017 noch die Konjunktur stimuliert hatten. Der Einfluss des Risikoprämienschocks, der als Flucht in sichere Anlagen bzw. als allgemeine Ausgabenzurückhaltung interpretiert werden kann, ist als negativer Effekt gestiegener Unsicherheit auf die inländische Nachfrage zu sehen. So erfasst der Schock den Teil der Abschwächung des privaten Konsums, der durch die Dynamik der Einkommen und der Realzinsen nicht erklärt werden kann.
Beide Modelle gelangen somit zu einer ähnlichen Einschätzung: einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der gesamtwirtschaftlichen Schwäche liefern negative Produktivitätsschocks. Allerdings nehmen auch die positiven Expansionsbeiträge der Nachfrage im Zeitverlauf ab bzw. dämpfen sogar in einzelnen Quartalen.
Gestiegene politische Unsicherheit wirkt dämpfend
Im Allgemeinen können negative Investitionsschocks als Abbildung ungünstiger Investitionsbedingungen interpretiert werden. Dass sich diese im zweiten Halbjahr 2018 verschlechtert haben, erscheint plausibel vor dem Hintergrund der Gelbwesten-Proteste in Frankreich, der Regierungsinstabilität in Spanien und der fiskalischen Unsicherheit in Italien. Dass die weltweite politische Unsicherheit in den vergangenen Jahren, vor allem auch aus den erwähnten Gründen, gestiegen ist, zeigt der Economic-Policy-Uncertainty-Index (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Economic-Policy-Uncertainty-Index
Der monatliche nationale Indexwert ist proportional zum Anteil der Zeitungsartikel aus dem jeweiligen Land, in denen die wirtschaftspolitische Unsicherheit in einem gegebenen Monat diskutiert wird. Der globale Index ist ein BIP-gewichteter Durchschnitt normalisierter nationaler Indizes für 20 Länder.
Quelle: S. J. Davis: An Index of Global Economic Policy Uncertainty, NBER Working Paper, Nr. 22740, Oktober 2016 (Daten verfügbar unter http://www.policyuncertainty.com/). © GD Frühjahr 2019.
Abbildung 3
Historische Dekomposition für die deutsche Industrieproduktion
1 Wert für erstes Quartal 2019 entspricht Januar 2019.
Quelle: Berechnungen der Institute.
Die Auswirkungen der gestiegenen Unsicherheit werden mit einem geschätzten strukturellen Vektorautoregressionsmodell für die Industrieproduktion analysiert. Demnach belastet ein Anstieg der globalen Unsicherheit die deutsche Industrieproduktion und führt zu einem kurzfristigen Rückgang der Exporte. Eine historische Zerlegung der deutschen Industrieproduktion mithilfe des Modells zeigt, dass die zunehmende globale Unsicherheit die Entwicklung der Industrieproduktion seit Ende 2018 bremst (vgl. Abbildung 3).
Finanzpolitische Implikationen
Die konjunkturelle Abkühlung wirft die Frage nach deren finanzpolitischen Konsequenzen auf. In der öffentlichen Debatte steht bislang die „Schwarze Null“ für den Saldo des Bundeshaushalts im Vordergrund. Zudem wird die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse erneut kontrovers diskutiert. Beide Konzepte sollten klar auseinandergehalten werden, weil bei der Schuldenbremse der strukturelle Finanzierungssaldo und nicht – wie bei der „Schwarzen Null“ – die Nettokreditaufnahme maßgeblich ist. Zwar werden sich die Überschüsse der öffentlichen Haushalte konjunkturbedingt verringern, die strukturellen Überschüsse bleiben jedoch zunächst beträchtlich.
Im Jahr 2018 hat der deutsche Staat mit 58 Mrd. Euro einen Rekordüberschuss erzielt. Im laufenden und im kommenden Jahr wird der Staatshaushalt weiterhin Überschüsse aufweisen, die aber im Vergleich zum Vorjahr geringer ausfallen dürften. Die Ausrichtung der Finanzpolitik ist expansiv. Der finanzpolitische Impuls liegt 2019 bei 22,9 Mrd. Euro und 2020 bei 14,3 Mrd. Euro. Die Umsetzung finanzpolitischer Maßnahmen dürfte die Konjunktur in Deutschland in diesem und im kommenden Jahr deutlich stimulieren.
Für diskretionäre Konjunkturpolitik besteht bei der aktuellen konjunkturellen Abschwächung kein Bedarf. Unabhängig davon, dass die gesamtwirtschaftliche Normalauslastung gar nicht wesentlich unterschritten werden dürfte, reichen die automatischen Stabilisatoren aus, um die verfügbaren Einkommen gegebenenfalls zu glätten. Zusätzliche konjunkturstabilisierende Maßnahmen kommen nur bei tiefen Konjunkturkrisen infrage, wie z. B. während der Großen Rezession 2008/2009.
Die Politik sollte die automatischen Stabilisatoren aber auch wirken lassen und nicht um der „Schwarzen Null“ willen der Konjunktur hinterhersparen. Konjunkturbedingte Defizite lassen die deutsche Schuldenbremse und das europäische fiskalpolitische Regelwerk ausdrücklich zu. Aus der Obergrenze der grundgesetzlichen Schuldenbremse von 0,35 % in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt resultiert für das Jahr 2019 ein zulässiges strukturelles Defizit des Bundeshaushalts von bis zu 11½ Mrd. Euro. Weil im Herbst 2018 eine Überauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten für 2019 erwartet wurde, schmälert die Konjunkturkomponente des Finanzierungssaldos den Spielraum für die maximal zulässige Nettokreditaufnahme um 4½ Mrd. Euro auf 7 Mrd. Euro. Allerdings ist bei Abrechnung der Schuldenbremse ein Konjunktur-Update vorgesehen, das die Differenz zwischen der erwarteten und der tatsächlichen Zuwachsrate des nominalen Bruttoinlandsprodukts berücksichtigt. Die Institute gehen für 2019 von einem Zuwachs des nominalen Bruttoinlandsprodukts von 3,2 % aus, während in der Projektion der Bundesregierung vom Herbst noch 3,8 % unterstellt waren. Die maximal zulässige Nettokreditaufnahme läge somit wiederum um 4½ Mrd. Euro höher bei 11½ Mrd. Euro. Kurzfristig erzwingt die Schuldenbremse somit keinen restriktiven Kurs der Finanzpolitik.
Insgesamt ergibt sich also aufgrund der Neueinschätzung der konjunkturellen Entwicklung kein finanzpolitischer Handlungsbedarf. Allerdings hat die Politik in den zurückliegenden „fetten“ Jahren rentenpolitische Leistungsausweitungen beschlossen, die die strukturellen Haushaltsüberschüsse bei geltendem Recht mittelfristig aufzehren werden. Die deutsche Wirtschaftspolitik schafft Risiken, indem sie die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung durch Leistungsausweitungen erheblich belastet, die aus dem Beitragsaufkommen nicht zu finanzieren sein werden. Dies lässt Steuererhöhungen erwarten, die den Investitionsstandort Deutschland beeinträchtigen. Zugleich verringern die Leistungsausweitungen den Spielraum an anderer Stelle. So sind Investitionen in Forschung, Bildung und Infrastruktur angesichts des schärfer werdenden internationalen Standortwettbewerbs dringender denn je. Zudem erfordert der demografische Wandel umso mehr eine Politik, die bei sozialpolitischen Maßnahmen auch ihre Wirkung auf die Arbeitsanreize in den Blick nimmt.
- 1 Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose: Konjunktur deutlich abgekühlt – Politische Risiken hoch. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2019, Halle (Saale) 2019.
- 2 M. Ademmer, N. Jannsen, S. Kooths, S. Mösle: Niedrigwasser bremst Produktion, in: Wirtschaftsdienst, 99. Jg. (2019), H. 1, S. 79-80; M. Ademmer, N. Jannsen, S. Kooths, S. Mösle: Zum Einfluss des Niedrigwassers auf die Konjunktur, IfW-Box 2018.17.
- 3 Das IWH-Modell wird beschrieben in: A. Drygalla, O. Holtemöller, K. Kiesel: The Effects of Fiscal Policy in an Estimated DSGE Model – The Case of the German Stimulus Packages During the Great Recession, in Macroeconomic Dynamics, erscheint demnächst. Das ifo-DSGE-Modell 2.0 ist eine Weiterentwicklung des ifo-DSGE-Modells 1.0, vgl. N. Hristov: The Ifo DSGE Model for the German Economy, ifo Working Paper, Nr. 210, 2016.