Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Unternehmensinsolvenzen sind nicht nur für Eigentümer und Gläubiger mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden, sie haben zumeist auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Arbeitnehmer, die dadurch in aller Regel ihre Arbeitsplätze verlieren. Insbesondere Insolvenzen großer Unternehmen mit mehreren Tausend Beschäftigten – prominente Fälle sind beispielsweise Schlecker, Praktiker oder Air Berlin – führen gelegentlich dazu, dass die Schicksale der betroffenen Arbeitnehmer auch in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit geraten. Das Interesse von Politik und Medien lässt jedoch meist schnell wieder nach, obwohl Unternehmensinsolvenzen natürlich weitaus häufiger vorkommen. Zwar ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen seit einigen Jahren rückläufig, dennoch waren 2018 deutschlandweit fast 20 000 Unternehmen und 200 000 Arbeitsplätze betroffen.1

Risiko für Arbeitnehmer im Durchschnitt gering, aber ungleich verteilt

Das Risiko, als Arbeitnehmer von einer Unternehmensinsolvenz betroffen zu sein, ist zumindest im Durchschnitt gering und liegt bei unter 1 %. Bedeutende Unterschiede zeigen sich jedoch insbesondere nach Größe und Alter der Betriebe. So ist das Risiko in kleinen Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten etwa viermal so hoch wie in Betrieben mit 250 oder mehr Beschäftigten. Auch für Beschäftigte in jungen Betrieben zeigt sich ein stark erhöhtes Risiko. So sind Arbeitnehmer in maximal zwei Jahre alten Betrieben etwa fünfmal häufiger betroffen als Beschäftigte in Betrieben, die älter als zehn Jahre sind.2 Zwar führt eine Insolvenz des Arbeitgebers nicht automatisch zum Jobverlust, jedoch kommt es in den allermeisten Fällen doch zur Stilllegung des Betriebs. So lag beispielsweise unter den 2009 eröffneten Insolvenzverfahren der Anteil der Betriebe, die nach der Verfahrenseröffnung weiter fortgeführt wurden, bei weniger als 5 %.3 Von Unternehmensinsolvenzen betroffene Arbeitnehmer müssen also in den allermeisten Fällen mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes rechnen.

Schätzung der Lohn- und Beschäftigungseffekte von Unternehmensinsolvenzen

Um die Lohn- und Beschäftigungseffekte für Arbeitnehmer, die aufgrund von Unternehmensinsolvenzen ihre Jobs verloren haben, zu schätzen, wird zunächst anhand eines Matching-Verfahrens jedem betroffenen Arbeitnehmer ein statistischer Zwilling aus einer Kontrollgruppe von Personen zugewiesen, die nicht vom Arbeitsplatzabbau betroffen waren. Danach wird mit Fixed-Effects-Regressionen die Entwicklung von Löhnen und Beschäftigung über die Zeit hinweg zwischen betroffenen Arbeitnehmern und ihren statistischen Zwillingen aus der Kontrollgruppe verglichen. Durch diese Vorgehensweise soll sichergestellt werden, dass eventuelle Änderungen in den Erwerbsbiografien oder der Entlohnung tatsächlich auf den Arbeitsplatzverlust zurückzuführen sind und nicht etwa durch andere Faktoren ausgelöst werden.

Abbildung 1
Beschäftigungseffekte von Unternehmensinsolvenzen
Tage pro Jahr
Beschäftigungseffekte von Unternehmensinsolvenzen

Anmerkungen: Dargestellt ist jeweils der Unterschied zwischen betroffenen Arbeitnehmern und der Kontrollgruppe. Die Differenz ist fünf Jahre vor der Insolvenz auf Null normiert.

Quellen: D. Fackler, S. Müller, J. Stegmaier: Explaining Wage Losses after Job Displacement: Employer Size and Lost Firm Rents, unveröffentlichtes Manuskript, Halle (Saale) 2019; Grundlage für die Berechnungen sind die Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) der Bundesagentur für Arbeit.

Die Ergebnisse beziehen sich auf Jobverluste aufgrund von Unternehmensinsolvenzen in den Jahren 2007 bis 2009. Dabei werden männliche Arbeitnehmer in Westdeutschland betrachtet, die zum Zeitpunkt des Arbeitsplatzverlustes 20 bis 55 Jahre alt und vollzeitbeschäftigt waren und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens drei Jahren hatten. Der Fokus liegt somit auf Beschäftigten mit einer starken Arbeitsmarktanbindung, bei denen davon auszugehen ist, dass sie ihre Betriebe unter normalen Umständen nicht verlassen hätten.4

Erhöhtes Risiko, arbeitslos oder atypisch beschäftigt zu sein

In Abbildung 1 sind zunächst die Auswirkungen von Unternehmensinsolvenzen auf die Beschäftigungsverläufe zu sehen. Demnach sind betroffene Arbeitnehmer im Jahr nach dem Arbeitsplatzverlust durchschnittlich 73 Tage weniger beschäftigt als Personen in der Kontrollgruppe. Das entspricht einer um 20 Prozentpunkte verringerten Beschäftigungswahrscheinlichkeit. Es zeigt sich zudem, dass die Wahrscheinlichkeit, nach der Insolvenz weiterhin vollzeitbeschäftigt zu sein, noch stärker abnimmt, nämlich um etwa 23 Prozentpunkte. Dies impliziert, dass sich durch den Arbeitsplatzverlust die Wahrscheinlichkeit, nur geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt zu sein, erhöht. Betrachtet man die Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbiografien noch weiter im Detail, so zeigt sich zudem, dass von Insolvenzen betroffene Arbeitnehmer danach auch häufiger in Zeit- oder Leiharbeitsverhältnissen tätig sind. Darüber hinaus erhöht sich das Risiko, trotz Erwerbstätigkeit auf Arbeitslosengeld oder Leistungen der Grundsicherung angewiesen zu sein.5

Weiterhin verdeutlicht Abbildung 1, dass die Beschäftigungswahrscheinlichkeiten der von Insolvenzen betroffenen Arbeitnehmer sich zwar im Laufe der Zeit wieder an die Kontrollgruppe annähern. Jedoch besteht auch fünf Jahre danach immer noch ein Unterschied von etwa 4 Prozentpunkten. Insolvenzen führen also nicht nur kurzfristig zu Arbeitslosigkeit, sie hinterlassen auch oftmals längerfristige Spuren in den Erwerbsbiografien.

Anhaltend geringere Löhne nach Wiedereintritt in Beschäftigung

Die betroffenen Arbeitnehmer sind infolge einer Insolvenz des Arbeitgebers allerdings nicht nur häufiger arbeitslos oder atypisch beschäftigt. Selbst wenn sie danach wieder vollzeitbeschäftigt sind, erhalten sie im Durchschnitt geringere Löhne (vgl. Abbildung 2). Im Jahr nach dem Arbeitsplatzverlust beträgt der Lohnunterschied zur Kontrollgruppe dabei ca. 6 % und auch fünf Jahre danach zeigt sich immer noch ein Rückstand von etwa 3 %.

Diese Lohnverluste können verschiedene Ursachen haben.

Einerseits können infolge des Jobverlusts spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten, die im Laufe eines Beschäftigungsverhältnisses erworben wurden (spezifisches Humankapital), ihren Wert verlieren und somit zu geringeren Löhnen bei Wiederbeschäftigung führen. Andererseits ist es auch möglich, dass die betroffenen Arbeitnehmer in schlechter bezahlenden, z. B. kleineren oder nicht tarifgebundenen Betrieben landen.

Abbildung 2
Lohneffekte von Unternehmensinsolvenzen
in %, logarithmiert
Lohneffekte von Unternehmensinsolvenzen

Anmerkungen: Dargestellt ist jeweils der Unterschied zwischen betroffenen Arbeitnehmern und der Kontrollgruppe. Die Differenz ist fünf Jahre vor der Insolvenz auf Null normiert; nur Löhne aus Vollzeitbschäftigung.

Quellen: D. Fackler, S. Müller, J. Stegmaier: Explaining Wage Losses after Job Displacement: Employer Size and Lost Firm Rents, unveröffentlichtes Manuskript, Halle (Saale) 2019; Grundlage für die Berechnungen sind die Integrierten Erwerbsbiografien (IEB) der Bundesagentur für Arbeit.

In Abbildung 2 ist daher auch die betriebsspezifische Lohnkomponente dargestellt, also der Teil des Lohns, der auf betriebliche Eigenschaften, wie z. B. Größe, Branchenzugehörigkeit oder betriebliche Lohnpolitik zurückzuführen ist, nicht aber auf Fähigkeiten oder Qualifikationen der einzelnen Arbeitnehmer. Betriebs- und personenspezifische Lohnkomponenten werden dabei anhand eines sogenannten Two-Way-Fixed-Effects-Verfahrens geschätzt. Vereinfacht gesagt werden dabei Lohnänderungen von Betriebswechslern analysiert. Werden Arbeitnehmer bei mehr als einem Arbeitgeber beobachtet, so ist es möglich, die beiden Lohnkomponenten zu isolieren.6

Vergleicht man nun die Entwicklungen von gesamtem Lohnverlust und betriebsspezifischer Lohnkomponente, so erkennt man, dass beide Kurven sehr ähnlich verlaufen. Dies bedeutet, dass die von Arbeitsplatzverlusten betroffenen Arbeitnehmer bei Wiederbeschäftigung in der Regel keine Lohneinbußen erleiden, weil ihnen grundlegende Kenntnisse und Qualifikationen fehlen, die sie erst wieder neu erwerben müssen, sondern weil sie zumeist in schlechter entlohnenden Betrieben landen.

Unterscheidet man zudem nach der Größe des Arbeitgebers, zeigen sich bei den Lohnverlusten deutliche Unterschiede. So sind diese für Arbeitnehmer, die zuvor in Betrieben mit 100 oder mehr Beschäftigten gearbeitet haben, in etwa dreimal so hoch wie für Personen, die in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten tätig waren. Für die betriebsspezifische Lohnkomponente ist das Bild sehr ähnlich. Hieraus sollte jedoch nicht vorschnell der Schluss gezogen werden, dass die Beschäftigten großer Unternehmen stärker unter einer Insolvenz zu leiden hätten. Ihre Lohnverluste sind nämlich vor allem deshalb größer, weil sie vor dem Arbeitsplatzverlust deutlich besser bezahlt wurden, und nicht etwa, weil sie danach weniger verdienen als Beschäftigte, die aus kleinen Betrieben entlassen wurden. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Beschäftigungseffekte kaum nach der Betriebsgröße unterscheiden.7 Für das Arbeitslosigkeitsrisiko spielt die Größe des insolventen Unternehmens somit keine Rolle.

Handlungsbedarf bei Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt

Diese Ergebnisse machen deutlich, dass eine Wiedereingliederung von Unternehmensinsolvenzen betroffener Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt häufig nur unzureichend gelingt und somit durchaus politischer Handlungsbedarf besteht. Die Beschäftigten verlieren ihre Arbeitsplätze schließlich nicht aus eigenem Verschulden, vielmehr sind sie Opfer unternehmerischer Fehlentscheidungen. Auch die Globalisierung oder technologischer Wandel können dazu führen, dass Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig sind und aus dem Markt ausscheiden. Marktaustritte von Unternehmen sind somit auch „eine Begleiterscheinung des Strukturwandels, der für eine kontinuierliche Erneuerung der Wirtschaft und Durchsetzung von Innovationen notwendig ist“8. Daher werden sie aus ökonomischer Sicht nicht von vornherein negativ bewertet, sondern häufig sogar als gesamtwirtschaftlich sinnvoll betrachtet. Vor diesem Hintergrund erscheint es umso wichtiger, die „Verlierer“ des Strukturwandels angemessen zu entschädigen.

Trotz einer mittlerweile recht umfangreichen Literatur zu den Folgen von Arbeitsplatzverlusten ist bislang wenig darüber bekannt, wie Arbeitnehmer, die aufgrund von Unternehmensinsolvenzen, Betriebsstilllegungen oder Massenentlassungen ihre Jobs verlieren, besser unterstützt werden können. So stellt auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer aktuellen Studie fest, dass die bisherige arbeitsmarktpolitische Forschung die spezifische Situation dieser Menschen nur unzureichend berücksichtigt, was jedoch insbesondere aufgrund anhaltender Diskussionen über die ungleiche Verteilung von Kosten und Erträgen des Strukturwandels wichtig wäre.9

Mit Transfergesellschaften und dem damit verbundenen Transferkurzarbeitergeld gibt es in Deutschland zwar ein Instrument, das die Folgen des Strukturwandels für betroffene Arbeitnehmer abmildern soll und das im Falle von Großinsolvenzen auch oft von Politikern und Arbeitnehmervertretern gefordert wird. Der Einsatz ist jedoch aufgrund der institutionellen Rahmenbedingungen praktisch nur in Großunternehmen möglich.10 Somit profitiert nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Arbeitnehmer davon. Vor allem Beschäftigte kleiner Unternehmen gehen dagegen meist leer aus. Angemessen erscheint vor diesem Hintergrund eine Verstetigung des Diskurses über Verbesserungen des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums und nicht nur gelegentliche Mitleidsbekundungen bei medienwirksamen Großinsolvenzen.

  • 1 Vgl. Creditreform: Insolvenzen in Deutschland – Jahr 2018, Neuss 2018.
  • 2 Vgl. M. Antoni, D. Fackler, E. Hank, J. Stegmaier: Insolvenzen in Deutschland – Deutliche Spuren in den Biografien der Beschäftigten, IAB-Kurzbericht, Nr. 5/2018, Nürnberg 2018.
  • 3 Vgl. Statistisches Bundesamt: Unternehmen und Arbeitsstätten – Beendete Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiung 2016, Fachserie 2, Reihe 4.1.1, Wiesbaden 2019.
  • 4 Die in diesem Artikel dargestellten Erkenntnisse stammen aus dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt „Lohn- und Beschäftigungseffekte von Insolvenzen“. Im Wesentlichen basieren sie auf D. Fackler, S. Müller, J. Stegmaier: Explaining Wage Losses after Job Displacement: Employer Size and Lost Firm Rents, unveröffentlichtes Manuskript, Halle (Saale) 2019.
  • 5 Vgl. D. Fackler, J. Stegmaier, E. Weigt: Does extended unemployment benefit duration ameliorate the negative employment effects of job loss?, in: Labour Economics, im Erscheinen, 2019.
  • 6 Für eine ausführliche Beschreibung des Verfahrens, vgl. D. Card, J. Heining, P. Kline: Workplace heterogeneity and the rise of West German wage inequality, in: Quarterly Journal of Economics, 128. Jg. (2013), H. 3, S. 967-1015.
  • 7 Vgl. hierzu auch D. Fackler, S. Müller, J. Stegmaier: Folgen von Arbeitsplatzverlusten: Vor allem aus Großbetrieben entlassene Arbeitnehmer müssen deutliche Lohneinbußen hinnehmen, in: Wirtschaft im Wandel, 24. Jg. (2018), H. 4, S. 59-62.
  • 8 K.-H. Röhl, G. Vogt: Zahl der Unternehmensinsolvenzen rückläufig, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 11, S. 854, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/11/zahl-der-unternehmensinsolvenzen-ruecklaeufig/ (6.6.2019).
  • 9 Vgl. OECD: Back to work: Lessons from nine country case studies of policies to assist displaced workers, OECD Employment Outlook 2018, Paris 2018, S. 123-184.
  • 10 Vgl. B. Reissert: Beschäftigtentransfer stärken – Lehren aus einem internationalen Vergleich, WISO Diskurs, Nr. 11/2018, Bonn 2018.


DOI: 10.1007/s10273-019-2471-3