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Seit 16 Jahren sinkt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland, nur kurz unterbrochen durch die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009. Die positive Wirtschaftsentwicklung mit steigenden Einkommen und wachsender Beschäftigung dürfte hierzu ebenso beigetragen haben wie die hohe Bilanzqualität der Unternehmen sowie das gute Kreditangebot des Bankensektors bei niedrigen Zinsen. Schon vor der Corona-Krise mehrten sich aber die Alarmsignale. Bereits seit zwei Jahren verzeichnet das Verarbeitende Gewerbe sinkende Auftragseingänge, die Industrie befand sich schon vor der Virusausbreitung in einer Rezession. Nach positiven Signalen Anfang 2020 schienen sich die Auswirkungen der Corona-Pandemie zunächst vor allem auf die Lieferketten auszuwirken, die von den Produktionsunterbrechungen in China betroffen sind. Doch mit dem verordneten Shutdown in Europa und den USA sind gravierende wirtschaftliche Folgen nicht mehr vermeidbar, die trotz Staatshilfen auch das Insolvenzgeschehen stark beeinflussen werden.

2019 war das Insolvenzgeschehen in Deutschland trotz der deutlichen Wachstumsabschwächung weiterhin rückläufig. Die Unternehmensinsolvenzen waren gegenüber dem Vorjahr um 2,9 % auf 18.749 Fälle zurückgegangen. Zum positiven Bild trugen auch weiter rückläufige Insolvenzforderungen bei, diese sanken um mehr als ein Fünftel auf 10,2 Mrd. Euro (Destatis, 2020). Langfristig haben sich die Unternehmensinsolvenzen im Vergleich zum Höhepunkt 2003 mit 39.320 Fällen in etwa halbiert und das Insolvenzniveau von 1994 wurde wieder erreicht (vgl. Abbildung 1).1

Abbildung 1
Unternehmensinsolvenzen in Deutschland
Unternehmensinsolvenzen in Deutschland

Quelle: Statistisches Bundesamt.

Bei den Unternehmensinsolvenzen handelt es sich um eine nachlaufende Variable des Konjunkturgeschehens. Stagnierende oder abnehmende Umsätze und schlechtere Möglichkeiten der Unternehmen, steigende Preise für Löhne und Vorleistungen an ihre Kunden weiterzugeben, wirken verzögert und zwingen schwächere Unternehmen in die Verlustzone. Erst danach führen Liquiditätsprobleme und Überschuldung zu einem Anstieg der Insolvenz­anträge. Durch die radikale Einstellung eines Großteils der Wirtschaftsaktivität seit Mitte März 2020 ergibt sich jedoch eine veränderte Situation, die auch zu einem schnellen Anstieg der Insolvenzen führen kann. Dies gilt vor allem, falls die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachten Liquiditätshilfen nicht ausreichen oder die geschlossenen Kleinunternehmen nicht erreichen, bevor sie zahlungsunfähig sind (Institut der deutschen Wirtschaft, 2020).

Bei der Fortschreibung der Entwicklung für 2020 wird trotz der großen Unsicherheit versucht, der aktuellen Situation gerecht zu werden (vgl. Abbildung 2). Dabei werden zwei im Institut der deutschen Wirtschaft entwickelte Szenarien in die Analyse einbezogen (Bardt und Hüther, 2020): In einem optimistischeren Szenario wird unterstellt, dass sich die Wirtschaft nach einem bis Ende April 2020 andauernden Shutdown im zweiten Halbjahr 2020 rasch erholt. Die Entwicklung der Wirtschaftsleistungen würde damit einer V-Form ähneln (V-Szenario). In diesem Szenario dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund 5 % und damit in ähnlicher Größenordnung wie im Krisenjahr 2009 (-5,7 %) zurückgehen. Zum zweiten wird in einem pessimistischeren Szenario davon ausgegangen, dass der Shutdown bis Ende Juni 2020 andauert und der Aufholprozess weniger dynamisch verläuft (U-Szenario). Für dieses Szenario wird ein BIP-Rückgang um rund 10 % angenommen.

Abbildung 2
Determinanten der Insolvenzentwicklung
Determinanten der Insolvenzentwicklung

Quellen: eigene Darstellung auf Basis des Schätzmodells des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR); Daten: Statistisches Bundesamt, BVR/DZ Bank.

Den methodischen Rahmen für die Insolvenzprognose liefert das Modell des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR, 2017). In dem aktualisierten Modell (Röhl und Vogt, 2019) wird die jährliche Veränderungsrate der Unternehmensinsolvenzen (dINS) durch die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (dBIP) und den Bilanzqualitätsindex (BQI) aus der Gemeinschaftsstudie „Mittelstand im Mittelpunkt“ von BVR und DZ Bank (2019), der die strukturelle Stärke des Unternehmenssektors widerspiegelt, determiniert (vgl. Kasten 1). Der Bilanzqualitätsindex basiert auf einer Auswertung der Jahresabschlüsse mittelständischer Firmenkunden der Volks- und Raiffeisenbanken. Der Index enthält fünf betriebswirtschaftliche Kennzahlen: Die Eigenkapitalquote, die Gesamtkapitalrentabilität, den Gesamtkapitalumschlag, den dynamischen Verschuldungsgrad (die theoretisch notwendige Zeit, um die Schulden aus dem Cashflow abzuzahlen) und die Liquidität 2. Grades (BVR und DZ Bank, 2019).

Kasten 1
Prognosemodell Unternehmensinsolvenzen

dINS = α + β dBIP + γ BQI + εt

Koeffizienten (t-Werte)

α = -1,604 (-1,379) β = -3,317 (-2,830)

γ = -4,630 (-4,257)

R2 = 0,637

Die Ergebnisse beruhen auf einer Ordinary-Least-Squares-Regression (OLS-Regression) mit Daten der Jahre 2000 bis 2019.

Quelle: Bundesverband Deutscher Volksbanken und Raiffeisenbanken.

Die Werte des Bilanzqualitätsindex sind stark negativ mit der Veränderungsrate der Unternehmensinsolvenzen korreliert (Korrelationskoeffizient 0,68). Die Bilanzqualität hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert, was sich vor allem in kontinuierlich steigenden Eigenkapitalquoten der Unternehmen zeigt. Das Modell wird für den Zeitraum von 2000 bis 2019 geschätzt, also für die Jahre nach der Insolvenzrechtsreform von 1999. In beiden Szenarien wird unterstellt, dass der Bilanzqualitätsindex 2020 auf dem zuletzt erreichten hohen Niveau verharren wird. Dies dient als Ausgangspunkt für weitere Berechnungen und ermöglicht es, den isolierten Effekt des Einbruchs der Wirtschaftsleistung zu quantifizieren. Dieser Effekt wird in der Realität durch die absehbare deutliche Verschlechterung der Bilanzqualität noch verstärkt, gleichzeitig dürften die umfassenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen ihm entgegenwirken. Zur besseren Interpretation der Ergebnisse werden die BIP-Wachstumsraten und der Bilanzqualitätsindex standardisiert. Den Modellschätzungen zufolge sind die beiden Koeffizienten auf einem Signifikanzniveau von 5 % als bedeutsam anzusehen. Der Bilanzqualitätsindex und die BIP-Veränderungsraten können gemeinsam etwa zwei Drittel des Verlaufs der Insolvenz-Veränderungsrate beschreiben (Bestimmtheitsmaß: 0,637). Eine Einschränkung resultiert daraus, dass für die Schätzungen und Tests nur 20 Jahreswerte verfügbar waren, was ihre Belastbarkeit mindert.

Die Veränderung der Bilanzqualität hat einen größeren Einfluss auf die Insolvenzzahlen als die wirtschaftliche Entwicklung. Abbildung 2 zeigt eine modellbasierte Dekomposition der jährlichen Insolvenz-Veränderungsraten. Das Schätzmodell zeigt z. B. für 2001, dass rund drei Fünftel des Anstiegs der Unternehmensinsolvenzen von 14,3 % auf die damals noch schlechte Entwicklung der Bilanzstrukturen zurückzuführen sind. Der schlechte Bilanzqualitätsindex hat rechnerisch um ca. 9 Prozentpunkte zum Anstieg der Unternehmensinsolvenzen beigetragen. Das Wirtschaftswachstum (1,7 %) wirkte demgegenüber 2001 dämpfend, spielte aber eine geringere Rolle. Es hat für sich genommen die Insolvenzen nur um rund 0,5 Prozentpunkte vermindert. Dies verwundert nicht, da das preis- und kalenderbereinigte BIP 2001 nur wenig stärker als im langjährigen Mittel (1,3 %) gewachsen ist. Mit etwa 6 Prozentpunkten entfällt für 2001 ein ungewöhnlich großer Anteil der Insolvenzentwicklung auf „sonstige Faktoren“, d. h. das Residuum und die Konstante der Schätzung. Dieser nicht durch die beiden exogenen Variablen erklärte Einfluss dürfte noch Auswirkungen der Insolvenzrechtsreform von 1999 (Röhl und Vogt, 2019, 39) enthalten.

Den Schätzungen zufolge kommt der Bilanzstruktur vor allem in den Jahren bis 2004 sowie ab 2014 eine dominierende Rolle für die Insolvenzentwicklung zu, allerdings mit gegensätzlichen Wirkungsrichtungen. Nach dem Jahr 2000 beförderte die vergleichsweise schlechte Qualität vieler Unternehmensbilanzen offenbar den Anstieg der Insolvenzzahlen bis zum Höhepunkt 2003. Ab 2010 und verstärkt nach 2013 trugen die Bemühungen der Unternehmen zur Stärkung der Eigenkapitalquoten und Verbesserung weiterer Bilanzkennzahlen spürbar zum Rückgang der Unternehmensinsolvenzen bei. Der erhebliche bilanzstrukturelle Einfluss wird in Abbildung 2 deutlich. Die solide Bilanzqualität – mit der Eigenkapitalquote als Element des Bilanzqualitätsindex BQI an erster Stelle – hat für sich genommen von 2015 an die Unternehmensinsolvenzen in einer Größenordnung von ca. 6 Prozentpunkten pro Jahr verringert. Die strukturell gut aufgestellten Unternehmensbilanzen wirken im Falle eines „normalen“ konjunkturellen Abschwungs als eine Art Stabilitätsanker, der einem plötzlichen Anstieg der Insolvenzen entgegensteht.

Von 2006 bis 2011 scheint der Verlauf der Unternehmensinsolvenzen weniger durch bilanzstrukturelle als durch konjunkturelle Einflüsse bestimmt worden zu sein. Das BIP war in diesem Zeitraum mit der tiefen Rezession 2009, aber auch kräftigen Wachstumsphasen davor und danach sehr starken Schwankungen unterworfen. Nach einem kräftigen Wachstum 2006 und 2007 ist die Wirtschaftsleistung 2009 um 5,7 % eingebrochen, was offenbar die wesentliche Ursache für die einzig merkliche Zunahme der Insolvenzen im Beobachtungszeitraum seit 2003 war. Seither trugen die zügige Erholung nach der Krise und das bis 2018 solide Wachstum zum Rückgang der Insolvenzzahlen bei. 2020 wird voraussichtlich wieder im Zeichen eines kräftigen BIP-Rückgangs stehen. Auf den gesamten Beobachtungszeitraum bezogen signalisieren die Schätzungen, dass die Veränderungsraten der Insolvenzen zu etwa einem Viertel durch das BIP und zu rund zwei Fünftel durch die Bilanzqualität getrieben sind.

Wenn das V-Szenario eintritt, wäre mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen um rund 6 % zu rechnen. Sollte sich das U-Szenario einstellen, würde die Insolvenzzahl um etwa 14 % steigen. Diese Prognosewerte beruhen auf der wenig realistischen Annahme einer anhaltend hohen Bilanzqualität. Da sich diese im Zuge des Shutdowns eher verschlechtern als verbessern dürfte, sind die Prognosewerte des Modells als eine Untergrenze für den zu erwartenden Insolvenzanstieg zu sehen (BVR, 2020). Um die Folgen der Corona-Krise zu schätzen, wird daher noch ein weiterer Prognoseansatz herangezogen. So ergab die Schätzung eines sogenannten Fehlerkorrekturmodells durch den BVR, dass zwischen den Unternehmensinsolvenzen und dem BIP im Zeitraum vom 1. Quartal 2003 bis zum 4. Quartal 2015 eine langfristige Gleichgewichtsbeziehung bestand (Röhl und Vogt, 2016, 29). In langfristiger Betrachtung führt demnach eine Erhöhung des preisbereinigten BIP um 1 % zu einer Verminderung der Insolvenzzahl um rund 3 %. Angewandt auf die beschriebenen Szenarien würde dies bedeuten, dass im Fall des Eintretens des V-Szenarios mit einem Anstieg der Insolvenzzahl um 15 % zu rechnen wäre. Sollte sich das U-Szenario manifestieren, wäre mit einem Anstieg um 30 % zu rechnen. Im Gegensatz zu den zuvor genannten niedrigeren Werten, die aufgrund des konstant angenommenen Bilanzqualitätsindex als Untergrenze zu sehen sind, könnten diese Werte die jeweiligen Obergrenzen markieren.

Trotz der starken Abschwächung des Wirtschaftswachstums in Deutschland drohte noch zum Jahreswechsel 2020 keine negative Trendwende beim Insolvenzgeschehen. Doch mit den dramatischen Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie ist ein kräftiger BIP-Einbruch von 5 % oder gar mehr wahrscheinlich geworden, der voraussichtlich einen Anstieg der Insolvenzzahl nach sich ziehen wird. Wie stark dieser ausfallen könnte, zeigt das hier verwendete Unternehmensinsolvenzmodell des BVR.

  • 1 Die Werte aus den 1990er Jahren sind aufgrund der im Aufbau befindlichen Unternehmenslandschaft in Ostdeutschland und der Insolvenz­rechtsreform von 1999 nur eingeschränkt mit den späteren Zahlen vergleichbar (Röhl und Vogt, 2016, 23 f.).

Literatur

Bardt, H. und M. Hüther (2020), Corona stoppt die Volkswirtschaft von allen Seiten, IW-Kurzbericht, 31, https://www.iwkoeln.de/studien/iw-kurzberichte/beitrag/hubertus-bardt-michael-huether-corona-stoppt-die-volkswirtschaft-von-allen-seiten-464653.html (1. April 2020).

Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) (2017), Weniger Unternehmensinsolvenzen dank solider Bilanzqualität und guter Konjunktur, Volkswirtschaft Kompakt, 3, https://www.bvr.de/p.nsf/0/E1E5FCCCF086228BC12580EC0033E3DF/%24FILE/BVR_VolkswirtschaftKompakt_Ausgabe_M%C3%A4rz2017.pdf (2. April 2020).

Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) (2020), Corona-Krise – Anstieg der Unternehmensinsolvenzen schwer abzuschätzen, Volkswirtschaft Kompakt, 3, https://www.bvr.de/p.nsf/0/C0E684874E482236C1258537004017EE/%24FILE/BVR_VolkswirtschaftKompakt_Ausgabe_3-2020.pdf (7. April 2020).

Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) und DZ Bank (2019), Mittelstand im Mittelpunkt, Ausgabe Frühjahr 2019, https://www.bvr.de/p.nsf/0/494DDCB46E8A6E01C125841D0041BF72/%24FILE/Mittelstand%20im%20Mittelpunkt%20Fr%C3%BChjahr%202019.pdf (2. April 2020).

Destatis (2020), Zahl der Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2019 um 2,9 % niedriger als 2018, Pressemitteilung, 13. März., 94.

Institut der deutschen Wirtschaft (2020), Corona-Krise trifft vor allem die Kleinunternehmen, iwd – Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, 20. März, https://www.iwd.de/artikel/corona-krise-trifft-vor-allem-die-kleinunternehmen-464230/ (1. April 2020).

>Röhl, K.-H. und G. Vogt (2016), Unternehmensinsolvenzen – Anhaltender Rückgang bei fortbestehenden regionalen Differenzen, IW-Trends, 43(3), 21-37.

Röhl, K.-H. und G. Vogt (2019), Unternehmensinsolvenzen in Deutschland – Trendwende voraus?, IW-Trends, 46(4), 37-52.

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© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.

DOI: 10.1007/s10273-020-2660-0

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