Die beiden wichtigsten Herausforderungen für die Politik in der EU sind die Überwindung der Wirtschaftskrise und die Bekämpfung des Klimawandels. Beide Ziele erfordern „Mega-Investitionen“, die Treibhausgasemissionen reduzieren und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum stärken. Beispiele für solche „Green-Deal-Projekte“ sind die energetische Sanierung des gesamten Gebäudebestands in der EU, der Bau von Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzen, der Übergang zu emissionsfreien Autos und zu Wasserstofftechnologien in der Industrie sowie ein massiver Ausbau der Produktion erneuerbarer Energie.
Das Potenzial eines „green growth“ im Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft kann jedoch nur realisiert werden, wenn die Preise fossiler Energie als Hauptverursacher von CO2-Emissionen schneller steigen als das allgemeine Preisniveau – ganz einfach deshalb, weil die Gewinne aus Investitionen in Energieeffizienz und/oder in erneuerbare Energien in den eingesparten Kosten fossiler Energie bestehen (Opportunitätsgewinne). Entscheidend ist die Verankerung der Erwartung aller Akteure, dass die Kosten für CO2-Emissionen nie wieder billiger werden, sondern stetig steigen. Da die Preise sowohl für fossile Energie als auch für CO2-Emissionsrechte zu den instabilsten Preisen in der Weltwirtschaft gehören, können weder CO2-Steuern noch der Emissionshandel diese Erwartungen verankern. Gleichzeitig haben Investitionen in den Klimaschutz extrem lange Amortisationszeiten und erfordern daher ein Höchstmaß an langfristiger Planungssicherheit.
Die spezifischen Bedingungen am Rohölmarkt (geringe Preiselastizität von Angebot und Nachfrage, Rolle der OPEC, Konflikte innerhalb des Ölkartells sowie mit anderen Ölproduzenten, politische Turbulenzen im Nahen Osten) sowie die zunehmende Bedeutung der Spekulation mit Erdölderivaten lassen die Preise für fossile Energie in einer Abfolge ausgeprägter Bullen- und Bärenmärkte schwanken, sie boomten in den 1970er Jahren, fielen in den 1980er und 1990er Jahren, stiegen massiv bis zur Finanzkrise und sind danach wieder gefallen.
Diese Entwicklung, insbesondere der jüngste Ölpreisverfall, hat die Kosten von CO2-Emissionen wieder gedämpft und damit auch Investitionen zu deren Vermeidung sinken lassen. Gleichzeitig versucht die Politik, CO2-Emissionen zu bepreisen, entweder durch den Emissionshandel oder durch CO2-Steuern. Keines der beiden Instrumente kann aber einen Pfad stetig steigender Emissionskosten realisieren und damit entsprechende Erwartungen verankern.
Schwankungen der CO2-Preise
Das EU-Emissionshandelssystem (ETS) wurde 2005 eingeführt und umfasst die großen CO2-Emittenten wie energieintensive Industrien sowie Stromerzeuger, auf die etwa 45 % aller Emissionen in der EU entfallen. Theoretisch stellt der Emissionshandel ein optimales Steuerungsinstrument dar: Die Emissionen werden durch das Volumen der CO2-Zertifikate begrenzt, und diese Obergrenze wird schrittweise verringert. An den Zertifikatbörsen wird ein einheitlicher CO2-Preis gebildet, der die Emissionen dorthin lenkt, wo ihr Nutzen am größten ist. Um Anreize für Investitionen in die CO2-Reduktion zu schaffen, sollten die Preise für die Genehmigungen stetig steigen. In der Praxis ist jedoch das Gegenteil der Fall: Seit 2005 schwankt der Preis für die Emission einer Tonne CO2 zwischen 32,30 Euro und 3,10 Euro (vgl. Abbildung 1). Dieses Desaster hat zwei Hauptursachen.
Abbildung 1
Schwankungen der CO2-Future-Preise
Quelle: Intercontinental Exchange (ICE).
- Die Menge der Zertifikate wird im Voraus für einen längeren Zeitraum festgelegt. Dies führt aufgrund der Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung zu Fehlallokationen und damit zu „falschen“ CO2-Preisen. So waren die Finanzkrise 2008 und ihre Folgen nicht vorhersehbar, das Überangebot an Emissionszertifikaten ließ deren Preis auf weniger als 5 Euro fallen.
- Finanzakteure verwenden auf den CO2-Preis bezogene Derivate (besonders Futures) als Spekulationsvehikel und nutzen so das „trending“ dieser Preise und verstärken es zugleich. Abbildung 1 zeigt, wie selbst ein simples technisches Spekulationssystem ausgeprägte Trends ausnutzt: Kaufe, wenn der aktuelle Preis den gleitenden 50-Tage-Durchschnitt von unten schneidet, und verkaufe im gegenteiligen Fall. So werden seit 2010 99 % aller Zertifikatstransaktionen mit Derivaten und nur 1 % mit echten Zertifikaten abgewickelt. Bereits 2012 war das Gesamtvolumen der CO2-Transaktionen mehr als 33 Mal höher als der „Compliance-Bedarf“ der Unternehmen.
CO2-Steuern sind keine Lösung
In allen EU-Ländern gibt es seit langem eine Steuer auf Treibstoffe. Sie entspricht einer Steuer auf die durch deren Verbrauch verursachten CO2-Emissionen, da ein festes Verhältnis zwischen der Treibstoffmenge und den dadurch verursachten CO2-Emissionen besteht. In Deutschland beträgt die Steuer auf Diesel 47 Cent pro Liter. Da bei dessen Verbrennung pro Liter 2,65 kg CO2 entstehen, belastet die Steuer den Ausstoß von einer Tonne CO2 mit rund 180 Euro (= 0,47/2,65 kg). Das ist deutlich mehr als bei den meisten geplanten oder – wie in Schweden oder der Schweiz – bereits eingeführten (allgemeinen) CO2-Steuern.
Aufgrund der schwankenden Rohölpreise sind Phasen deutlicher Preissenkungen bei Benzin, Diesel und Heizöl selbst bei einer hohen CO2-Steuer unvermeidlich. Angesichts des Ausmaßes der Ölpreisschwankungen gilt dies auch dann, wenn die Steuer schrittweise erhöht würde. Ein konkretes Beispiel: Zwischen 2004 und 2008 sowie zwischen 2009 und 2012 stieg der Ölpreis dramatisch an und mit ihm die Preise für Treibstoffe, Heizöl und Erdgas. Abbildung 2 zeigt den Preis für Rohöl der Sorte Brent und Diesel in Deutschland in Euro – letzterer stieg auf über 1,50 Euro. Auf die beiden Erdöl-Bullenmärkte folgten jedoch Bärenmarkte und der Dieselpreis fiel sowohl 2009 als auch 2016 wieder auf nur etwa 1 Euro. In der Folge zog die Nachfrage nach verbrauchsstarken Autos wie SUV wieder an. Investitionen in CO2-Reduzierungen, die bei einem Ölpreis von 70 Euro (und mehr) rentabel waren, wurden zu „sunk investments“. Dasselbe wiederholte sich kürzlich: Durch den Ölpreisverfall sank der Dieselpreis in Deutschland auf rund 0,90 Euro/l und ökologische Investitionen wurden „ex post“ unrentabel.
Abbildung 2
Öl- und Dieselpreis im Vergleich zum EU-Zielpreis
1 Erdöl verteuert sich um 3 Prozentpunkte stärker als die Zielinflation von 2 %, also um 5 % pro Jahr.
Quellen: OECD; Destatis; WIFO.
Auch langfristig dürften die Ölpreise niedrig bleiben, insbesondere wegen der schwindenden Marktmacht der OPEC, neuen Anbietern, insbesondere der USA, deren Produktion durch Fracking ab einem Preis von etwa 50 US-$ deutlich anzieht, sowie wegen des geringen Wirtschaftswachstums. Steigende CO2-Steuern können die Erwartung stetig steigender Emissionskosten nicht verankern. Eher Im Gegenteil: Je mehr es der EU (und anderen Ländern) gelingt, den Verbrauch fossiler Energie zu reduzieren, desto stärker würde der Ölpreis gedämpft, was wiederum dem Anstieg der Emissionskosten durch CO2-Steuern konterkariert.
Festlegung stetig steigender Preise für fossile Energie in der EU
Wie könnte ein steigender Pfad der fossilen Energiepreise erreicht werden? Statt den CO2-Gehalt von Öl, Kohle und Erdgas zu besteuern, sollte die EU einen Pfad mit stetig steigenden Preisen für diese Energieträger (zunächst für etwa 20 Jahre) festlegen und die Differenz zwischen dem EU-Zielpreis und dem jeweiligen Weltmarktpreis durch eine monatlich angepasste Mengensteuer abschöpfen. Diese Steuer stellt eine (implizite) CO2-Steuer dar, freilich anders konstruiert. Gleichzeitig würde eine solche Steuer für einen EU-einheitlichen CO2-Preis sorgen, da jede Einheit Rohöl, Kohle und Erdgas eine bestimmte Menge CO2 enthält.
Gedankenexperiment am Beispiel von Rohöl: Anfang 2006 wäre in der EU folgende Regelung in Kraft getreten: Auf Basis des (damals) aktuellen Ölpreises (Brent) von 52,0 Euro/Barrel wäre der innerhalb der EU gültige Preis auf einem vorgegebenen Pfad um 5 % pro Jahr gestiegen. Diese Veränderungsrate wäre viel geringer als die seither realisierten Schwankungen, aber sie ist immer positiv – und jeder kennt sie im Voraus. Zwischen März 2012 und Januar 2016 fielen der Ölpreis von 95,00 auf 28,30 Euro und der Dieselpreis in Deutschland von 1,52 auf 0,99 Euro (vgl. Abbildung 2). Der EU-Zielpreis für Öl läge jedoch im Januar 2016 bei 84,80 Euro/Barrel. Für Februar 2016 würde die EU-Energiesteuer somit 56,50 Euro/Barrel – 84,80 Euro minus 28,30 Euro– betragen, etwa das Doppelte der Ölrechnung (die Zahlen dienen nur zur Veranschaulichung; wäre tatsächlich ein EU-Preispfad eingeführt worden, wäre der Weltmarktpreis für Öl stärker gedämpft worden). Der Dieselpreis in Deutschland wäre kontinuierlich gestiegen, wenn auch wahrscheinlich etwas langsamer als der Ölpreis, aber schneller und stetiger als das allgemeine Preisniveau (ebenso die Preise für Erdgas und Kohle).
Wenn man bedenkt, dass die EU 2016 insgesamt 414,5 Mrd. Euro für fast ausschließlich fossile Energieimporte zahlen musste, wird deutlich: Eine solche Energiesteuer könnte langfristig (je nach Startpreis) mehr als 500 Mrd. Euro pro Jahr einbringen, und ihre Erträge würden überdurchschnittlich steigen: Zum einen steigt der EU-Zielpreis, zum anderen dämpft er gleichzeitig die Energieimporte der EU und damit die Weltmarktpreise. Also steigen die Preisspanne und damit auch die Steuereinnahmen. Technisch wäre die Umsetzung einer solchen flexiblen Mengensteuer im „digitalen Zeitalter“ einfach: Ausgehend von der Differenz zwischen dem EU-Zielpreis und dem Weltmarktpreis wird die im Folgemonat gültige Steuer pro Mengeneinheit Öl, Kohle und Erdgas am Ende eines jeden Monats von der EU-Kommission festgelegt und in den Mitgliedstaaten von den Produzenten und Importeuren fossiler Energie eingezogen (die Erträge könnten auf die Mitgliedsländer entsprechend ihrem CO2-Ausstoß verteilt werden, vorausgesetzt, ein Großteil wird für Maßnahmen der Emissionsreduktion verwendet).
Natürlich sollte das „Tempo“ der Preispfade in größeren Abständen an die Entwicklung angepasst werden, aber da eine Preissenkung fossiler Energie ausgeschlossen ist, gilt: Je früher eine Investition getätigt wird, desto größer ist ihr Gewinn. Ein solches Bepreisungssystem würde daher Investitionen in die CO2-Vermeidung nachhaltig stimulieren. In die EU importierte Waren würden einer analogen Energiesteuer (Border Carbon Adjustment Tax) unterliegen. Solange es bei den Handelspartnern der EU keine vergleichbaren CO2-Steuern gibt, müssten die EU-Exporte von der gezahlten EU-Steuer auf fossile Energie entlastet werden (analog zur Mehrwertsteuer). Technisch gesehen wäre es weitaus einfacher, nur drei flexible Mengensteuern auf Öl, Kohle und Erdgas einzuführen, als das komplexe und bürokratische EU-Emissionshandelssystem zu verwalten (ganz zu schweigen von seiner Ausweitung auf Verkehr und Wohnen).
Flexible Mengensteuer auf fossile Energie
Was wären die wichtigsten Preis- und Investitionseffekte der EU-Zielpreise für fossile Energien? Alle Waren und Dienstleistungen würden sich innerhalb der EU in dem Maße verteuern, in dem fossile Energie bei ihrer Herstellung verwendet wird – von Treibstoffen einschließlich Kerosin bis zu Kunststoffprodukten. Produkte, die mit erneuerbarer Energie oder weniger Energie hergestellt werden, würden sich relativ verbilligen. Die Investitionseffekte wären bedeutend: Da die Besitzer von Einfamilienhäusern, Wohnungsbaugenossenschaften usw. wissen, wie viel Heizkosten sie durch energieeffizientere Gebäude einsparen könnten, würden sie ihre Investitionen entsprechend ausweiten. Die verlässlichen Preispfade würden die Autofirmen von einem großen Teil des Risikos langfristiger Investitionen in die Entwicklung von Elektrofahrzeugen und wasserstoffbetriebenen Lkw entlasten. Dasselbe gilt für den noch komplexeren und teureren Übergang von fossiler zu „grüner“ Energie in der industriellen Produktion, insbesondere auf der Basis von Wasserstoff.
Der Anreiz für Investitionen in die Reduzierung der CO2-Emissionen durch stetig steigende Preise fossiler Energie sollte verstärkt werden, indem ein Teil der Steuererträge für langfristige Großprojekte verwendet wird (ein anderer Teil sollte die Belastung einkommensschwacher Gruppen ausgleichen). Zu diesen Projekten gehören die energetische Sanierung des gesamten Gebäudebestands in der EU (Isolierung, Photovoltaik, Wärmepumpen), die Schaffung eines transeuropäischen Netzes für Hochgeschwindigkeitszüge, die Umstellung auf Elektroautos und auf Wasserstofftechnologie in den energieintensivsten Industrien (Stahl, Papier, Grundstoffchemie, Baustoffe), Investitionen in öffentliche Nahverkehrssysteme und in die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Ein solcher Green Deal würde das Wirtschaftswachstum in der EU stabilisieren und gleichzeitig die Umwelt verbessern. Durch den Abbau von Arbeitslosigkeit und atypischen Beschäftigungsverhältnissen und damit der (Angst vor) Armut würde der langfristige Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft auch das europäische Sozialmodell stärken und die integrativen Kräfte innerhalb der EU.
Dieser Text ist eine Kurzfassung von Schulmeister (2020).
Literatur
Schulmeister, S. (2020), Fixing Long-term Price Paths for Fossil Energy – The Optimal Incentive for Limiting Global Warming, WIFO Working Paper, 604, Juli.