Das ehrgeizige Ziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden (EU, 2021), erfordert die Nutzung aller verfügbaren Technologien, die zur Verbesserung der Treibhausgasbilanz beitragen. Investitionen in die Dekarbonisierung von Stromerzeugung, Industrie, Gebäuden und Mobilität werden auch zukünftig im Zentrum stehen. Sie werden die Emissionen aber nie in die Nähe von null drücken können. Auch bei Ausschöpfung aller realistischen Technologieoptionen wird die EU im Jahr 2050 in Bruttogrößen voraussichtlich noch mehrere 100 Mio. Tonnen an Treibhausgasen emittieren (EU-Kommission, 2024a). Um diese zu kompensieren, sind massive Investitionen in CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage – CCS) unverzichtbar.
Mit ihrer im Februar 2024 veröffentlichten Industrial Carbon Management Strategy hat die Europäische Kommission erstmals konkrete Mengenziele für die zukünftige CO2-Abscheidung in der EU definiert und die Anforderungen an einen zukünftigen regulatorischen Rahmen für den Infrastrukturaufbau benannt (EU-Kommission, 2024b). Bis zum Jahr 2030 sollen Kapazitäten für die Speicherung von mindestens 50 Mio. Tonnen CO2 geschaffen werden. Das zu speichernde CO2 soll zunächst vorrangig aus industriellen Prozessemissionen abgeschieden werden, deren Vermeidung zu kostenintensiv wäre.
Keine echte Klimaneutralität ohne Negativemissionstechnologien
Methoden der CO2-Speicherung spielen in den Projektionsergebnissen anerkannter Klimamodelle eine wichtige Rolle, insbesondere im Bereich langfristiger Mitigationsstrategien. Simulationen des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen sehen umfangreiche Speicherkapazitäten für die Zeit nach 2030 als Voraussetzung für eine realistische Chance, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen (IPCC, 2018). Der größte Teil des gespeicherten CO2 wird aus der Anwendung von Negativemissionstechnologien (NETs) stammen müssen. Dieser Begriff umfasst Ansätze zur Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre. Dazu gehören sowohl etablierte Techniken des Carbon Farming als auch neu erforschte Technologien wie die Ozeandüngung, die Herstellung von Biokohle oder die Beeinflussung von Verwitterungsprozessen (Enhanced Weathering). Als besonders vielversprechend werden die Technologien des Direct Air Capture (DAC) und die Nutzung von Bioenergie mit anschließender CO2-Abscheidung (BECC) bewertet (McLaren, 2012). Davon zu unterscheiden sind Verfahren, die Emissionen aus der Verbrennung fossiler oder mineralischer Ressourcen absorbieren. Diese sind im günstigsten Fall klimaneutral.
Tatsächlich setzen alle Modellszenarien im IPCC-Sonderbericht 2018 zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C auf die direkte oder indirekte Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (IPCC, 2018). In einer umfassenden Metaanalyse von Strategien zur Eindämmung des Klimawandels hat das IPCC allein für das weniger ehrgeizige 2-Grad-Ziel einen mittleren Bedarf an kumulierten Kohlenstoffentnahmen von Hunderten von Gigatonnen CO2 im Zeitraum 2020 bis 2100 über die verschiedenen Modellierungsszenarien hinweg ermittelt (IPCC, 2022). BECC kommt dabei in vielen Klimamodellen eine Schlüsselrolle zu (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Bandbreite an kumulierten Kohlenstoffentnahmen, 2020 bis 2100 im Vergleich der IPCC-Szenarien

Oberes Ende: 95 %-Konfidenzintervall. Unteres Ende: 5 %-Konfidenzintervall. Raute: Medianniveau.
Quelle: IPCC (2022); eigene Darstellung.
Gleichzeitig wird die Frage der Nachhaltigkeit sehr kontrovers diskutiert. Im Falle von BECC ist ein kritischer Punkt die Herkunft der Biomasse. Werden Energiepflanzen speziell für diesen Zweck angebaut (z. B. Raps, Mais), können die bei Anbau und Ernte entstehenden CO2-Emissionen die Treibhausgasbilanz des Gesamtprozesses deutlich verschlechtern. Weitere negative Auswirkungen können sich aus direkten und indirekten Formen der Landnutzungsänderung durch den Anbau ergeben (z. B. Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, Verlust an Biodiversität) (Hanssen et al., 2020). Im Gegensatz dazu benötigt die künstliche Form der Kohlenstoffentfernung mit DAC weniger Land und Wasser und hat daher eine deutlich geringere direkte Auswirkungen auf lokale Ökosysteme (Realmonte et al., 2019).
Wenig Ehrgeiz bei Investitionen
Die kommerzielle Anwendung steckt jedoch derzeit weltweit noch in den Kinderschuhen. Gemäß der Projektdatenbank der IEA ist für die Zeit bis 2030 global die Inbetriebnahme von DAC-Anlagen mit einer Gesamtkapazität von etwa 13,4 Mio. Tonnen in Planung (IEA, 2023). Der geografische Schwerpunkt liegt dabei eindeutig auf den USA (vgl. Abbildung 2). Innerhalb Europas sind demnach lediglich im Vereinigten Königreich und Norwegen signifikante Kapazitäten in Planung. Projekte in der EU beschränken sich bislang auf Demonstrationsanlagen. Für BECC schätzt die IEA eine derzeitige weltweite Kapazität von 2 Mio. Tonnen CO2. Die derzeitigen Projektpläne würden bis 2030 eine Kapazität von etwa 50 Mio. Tonnen CO2 bedeuten, was ebenfalls deutlich unter dem Bedarf von 190 Mio. Tonnen liegt, von dem die IEA in ihrem Klimaneutralitätsszenario ausgeht (IEA, 2021).
Abbildung 2
Bis zum Jahr 2030 geplante neue DAC-Kapazitäten nach Ländern
in Mio. Tonnen

Quelle: IEA (2023); eigene Darstellung.
Erlösunsicherheit als zentrales Hemmnis
Ein entscheidender Parameter für Investitionsentscheidungen sind die Erlöse, die sich aus der weiteren Nutzung des abgeschiedenen CO2 ergeben. Diese können aus der Nutzung als industrieller Rohstoff oder aus der Zertifizierung der Langzeitspeicherung und dem Verkauf solcher Zertifikate (CO2-Speicherzertifikate als Nachhaltigkeitssignal) resultieren. Die Märkte befinden sich derzeit noch in der Entwicklungsphase (Dawes et al., 2023). Ihr zukünftiges Wachstum ist durch Unsicherheit über die Kapazitätsentwicklung der Verwertungsketten geprägt, sowohl im Hinblick auf den CO2-Transport (Geografie und Kosten einer Pipeline-Infrastruktur) als auch bei der Endnutzung (Verfügbarkeit und Kosten der geologischen Speicherung, Entwicklung von CO2-Rohstoffmärkten) (Smith et al., 2021).
Umgekehrt betrifft dies im Hinblick auf die zu erwartende Menge an abgeschiedenem CO2 auch die künftigen Betreiber von Transportnetzen und Speicheranlagen. Da die Entstehung liquider Märkte für abgeschiedenes CO2 eine entsprechende Infrastruktur voraussetzt, kann dieses Koordinationsproblem nicht über Knappheitspreise gelöst werden. Es hat damit den Charakter einer Koordinationsexternalität (Aiginger und Rodrik, 2020), vergleichbar mit den Herausforderungen beim Aufbau europäischer Lieferketten für grünen Wasserstoff.
Schließlich stellen auch kostensenkende Lerneffekte, die sich mit zunehmender Betriebsdauer von NET-Anlagen ergeben, eine im Zeitverlauf immer bedeutsamer werdende Externalität dar. In der Literatur wird etwa bei DAC-Technologien üblicherweise ein Wert von 10 % bis 15 % für die Lernrate angenommen (Fasihi et al., 2019). Das bedeutet, eine Verdopplung der Kapazitäten senkt die Stückkosten mittelfristig etwa um diese Prozentsätze. In Anbetracht des niedrigen Ausgangsniveaus der Kapazitäten ergibt sich so für NETs die Aussicht auf besonders dynamische Kostenpfade, die in der gegenwärtigen Kostenwettbewerb mit Alternativtechnologien nicht sichtbar werden.
Die Externalität besteht hier darin, dass Investoren in einzelne Anlagen nicht die positiven Wissenseffekte aus ihrem Erfahrungsgewinn für den Markt als Ganzes berücksichtigen, sofern sie sich nicht in privaten Einkommensströmen (z. B. Patenteinnahmen aus verstärkter Innovationstätigkeit) manifestieren. Angesichts der Langfristigkeit von Investitionsentscheidungen kann diese Marktunvollkommenheit einen großen Einfluss auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Technologien haben.
Die Entwicklung einer CO2-Infrastruktur wird durch ungünstige geografische Bedingungen in Europa erschwert. Geeignete geologische Senken befinden sich im Durchschnitt relativ weit entfernt von den derzeit wichtigsten industriellen Emissionsquellen. Umso wichtiger ist der rasche Aufbau eines Netzes für den Ferntransport von abgeschiedenem CO2. Große CO2-Mengen werden derzeit sowohl onshore als auch offshore fast ausschließlich über Pipelines transportiert, die technisch ausgereiftesten Form des Transports. Der größte Teil des weltweiten CO2-Pipelinenetzes befindet sich in den USA. In Europa unterhalten die Niederlande und Norwegen bereits Pipelinenetze. Pipelines werden wahrscheinlich auch in Zukunft – unterstützt durch Schiffe für die letzte Meile zu den Offshore-Speichern – den Transport über große Entfernungen dominieren, da sie erhebliche Größenvorteile bieten (Kearns et al., 2021).
Förderpolitik auf Negativemissionstechnologien fokussieren
Zusätzlich zu den bestehenden EU-Finanzierungsmöglichkeiten für CCS-Projekte im Allgemeinen (z. B. Innovationsfonds, Fazilität „Connecting Europe“) ist daher ein gezieltes Finanzierungsinstrument für den Aufbau von Kapazitäten bei Negativemissionstechnologien dringend erforderlich. Die (zeitlich begrenzte) Garantie eines über dem gegenwärtigen Preisniveau im Emissionshandel liegenden CO2-Preises kann einen wichtigen Impuls für den Kapazitätsaufbau und die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen bei „infant technologies“ wie DAC leisten. Um das Prinzip der Reziprozität zu wahren, sollte sie in Form von zweiseitigen Klimaschutzverträgen gewährt werden. Projekte erhalten für jede (netto) der Atmosphäre entnommene Tonne CO2 Zahlungen in Höhe der Differenz zwischen einem vertraglich festgelegten CO2-Preis und dem durchschnittlichen Preisniveau im Emissionshandel im jeweiligen Zeitraum. Auf diese Weise wird der anfängliche Kostennachteil von NET-Projekten im Wettbewerb auf den CO2-Rohstoffmärkten oder beim Zugang zu CO2-Speicherstätten kompensiert. Sobald sich eine ausreichende Anzahl von Anbietern am Markt etabliert hat, sollte die Vergabe von Klimaschutzverträgen und die Höhe der Vertragspreise Gegenstand europaweiter Auktionsverfahren sein, die unter dem Dach des Innovationsfonds durchgeführt werden.
Neben einer EU-weiten Projektfinanzierung erfordert die Entwicklung grenzüberschreitender Märkte für abgeschiedenes CO2 auch gemeinsame Regeln für die Projekt- und Infrastrukturentwicklung. Zu diesem Zweck sollten die letzten Mitgliedstaaten ihre ablehnende Haltung gegenüber der geologischen CO2-Speicherung aufgeben und den Bau von Speicherstätten in ihrem Hoheitsgebiet unter Einhaltung der Standards der CCS-Richtlinie 2009/31/EG (EU, 2009) zulassen. Zudem sollten sie der Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für strategische CCS-Projekte, wie sie im Net Zero Industry Act (EU-Kommission, 2023) vorgesehen sind, Priorität einräumen, unter anderem durch die Bereitstellung ausreichender Verwaltungskapazitäten.
Darüber hinaus sind auf EU-Ebene zusätzliche Rechtsvorschriften erforderlich, um gemeinsame Regeln für die Entwicklung und den Betrieb einer künftigen CO2-Pipeline-Infrastruktur zu schaffen, die in ihren Zielen der jüngsten Überarbeitung der Rechtsvorschriften für den Erdgasbinnenmarkt ähneln. Dazu gehören einheitliche Qualitätsstandards für den CO2-Transport (Temperatur, Druck, Reinheitsgrad) und Regeln für die Form der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der künftigen europaweiten Netzplanung sowie gemeinsame Grundsätze für die Erhebung von Netzentgelten beim Transport von CO2 aus externen Quellen. Die Vision muss ein Transportnetzwerk sein, das die Distanzen zwischen großen Emissionsquellen und geeigneten Speicherstätten in Europa in möglichst kostenminimaler Weise überbrückt. Ein neues Important Project of Common European Interest (IPCEI) im Bereich von CO2-Pipelines stellt ein geeignetes Vehikel dar, um diese Vision in die Realität umzusetzen.
Kooperationspotenziale nutzen
Zudem sollte die EU auch bei CCS den Blick über den Tellerrand richten. Die USA sind derzeit der wichtigste Akteur bei der weltweiten Einführung von CCS-Technologien und werden dies nach Maßgabe der gegenwärtigen Projektankündigungen auch in absehbarer Zukunft bleiben. Insbesondere bei der Hochskalierung der vielversprechenden NET-Technologien DAC und BECC wird die nordamerikanische Region (neben den USA auch Kanada) aufgrund ihrer ehrgeizigen Förderpolitik und der guten Ausgangsbedingungen eine Schlüsselrolle spielen. Die bei der Umsetzung dieser Technologien gewonnenen Erfahrungen werden zunächst vor allem dem Innovationspotenzial von US-Unternehmen zugutekommen. Die EU sollte diesen Umstand nicht beklagen, sondern ihn durch die Förderung einer transatlantischen CCS-Forschungspartnerschaft für eigene Entwicklungsziele nutzen. Durch die Etablierung gemeinsamer Forschungs- und Entwicklungsprogramme, durch gemeinsame Qualifizierungs- und Ausbildungsinitiativen sowie durch die Zusammenarbeit bei der Standardisierung und Weiterentwicklung von CCS-Zertifizierungsmethoden können die EU-Mitglieder direkt am zukünftigen Wissensgewinn partizipieren. Europa kann dabei seine eigene bedeutende Expertise in den Bereichen Zertifizierung und Grundlagenforschung in die Waagschale werfen.
Literatur
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EU-Kommission (2024b), Towards an ambitious industrial carbon management for the EU, Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, COM(2024) 62 final.
Fasihi, M., O. Efimova und C. Breyer (2019), Techno-economic assessment of CO2 direct air capture plants, Journal of Cleaner Production, 224, 957-980.
Hanssen, S. V., V. Daioglou, Z. J. Steinmann, J. C. Doelman, D. P. Van Vuuren und M. A. Huijbregts (2020), The climate change mitigation potential of bioenergy with carbon capture and storage, Nature Climate Change, 10(11), 1023-1029.
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