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Dieser Beitrag ist Teil von Die USA nach der Wahl

Nach den Präsidentenwahlen in den USA steht eine Neuausrichtung der transatlantischen Beziehungen an. Europa und die USA haben trotz vier politisch schwieriger Jahre eine starke wirtschaftliche Basis. Gelingt es, die schon vor der Trump-Administration existierenden und die in den vergangenen vier Jahren hinzugekommenen Barrieren abzubauen, sind erhebliche wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten zu erwarten, weil das Volumen des bilateralen Güter- und Dienstleistungshandel so hoch ist. Dies ist umso sinnvoller, weil sowohl die USA als auch die EU an relativer Bedeutung gegenüber den schneller wachsenden Schwellenländern, allen voran China, verlieren und die Volksrepublik einen gesellschaftspolitischen Ansatz vertritt, der in vielerlei Hinsicht schwer mit dem transatlantischen (sprich: westlichen) Gesellschaftsentwurf kompatibel ist. Dazu kommt die beiderseitige Überzeugung, endlich Fortschritte in der Bekämpfung des anthropogenen Klimawandels zu machen.

Während der nächsten vier Jahre werden die USA von einem Präsidenten regiert, der die geostrategische Herausforderung des Westens versteht. Aber Joe Biden wird hinsichtlich seiner inhaltlichen Schwerpunktsetzung und in der Wahl der Methoden gegenüber der Europäischen Union ganz anders vorgehen als sein Amtsvorgänger Donald Trump. Es ist nun wichtig, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten möglichst konkrete Vorstellungen entwickeln, welche Projekte gemeinsam mit den USA in den nächsten Jahren vorangebracht werden sollen, und welchen Preis sie dafür zu zahlen bereit sind. Dabei geht es einerseits um die Aufarbeitung der seit 2017 angesammelten Probleme, aber auch um längerfristige Projekte, die schon unter Barack Obama diskutiert und in den TTIP-Verhandlungen adressiert wurden, sowie auch um die großen Zukunftsthemen wie Klimawandel und neue Technologien, die dringend eines Ordnungsrahmens bedürfen, der auch in der Handelspolitik durchscheinen muss.

In den vergangenen vier Jahren fuhren die USA und die EU einen handelspolitischen Konfliktkurs. Diese Phase folgte drei Jahren intensiver Verhandlungen zu einem transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP, die zwar in vielen Details sehr schwierig verliefen, aber doch sehr klar den gemeinsamen Wunsch zum Ausdruck brachten, die Weltwirtschaft der nächsten Jahrzehnte nachhaltig transatlantisch zu prägen. Zwischen 2017 und 2020 kam es nicht nur nicht zu gemeinsamen Initiativen, sondern es kam zu bitteren gegenseitigen Vorwürfen, zur Verhängung von gegenseitigen Strafzöllen und zur Eskalation des schon lange schwelenden Streits um Subventionen in der Flugzeugindustrie.

Transatlantisches Misstrauen und ein begrenzter Handelskrieg

Schon im Wahlkampf machte Donald Trump klar, dass er als Präsident in all seinem Handeln einen kompromisslosen „America First“-Kurs einschlagen würde. Dabei verfolgte er nicht eine Strategie der Maximierung des Pro-Kopf-Einkommens oder eines anderen am absoluten Wohlergehen der US-Amerikaner*innen orientierten Maßes, sondern sah sein Ziel vorrangig darin, die relative Bedeutung der US-Volkswirtschaft zu verteidigen und auszubauen.1 Daher hatten er und seine Unterstützer*innen keine Bedenken, handelspolitische Maßnahmen zu ergreifen, die den USA schadeten, wenn sie nur in den Volkswirtschaften der Handelsgegner noch größere Schäden verursachten. Der Fokus auf relative Effekte folgt aus einem tiefen Misstrauen hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit der Handelspartner*innen. Wer stets annimmt, ein ausländischer Handelspartner verwendet die durch Handelsgewinne ermöglichten wirtschaftlichen Spielräume, um dem Inland Schaden zuzufügen, z. B. indem Monopole etabliert werden, der kann Spezialisierung durch Handel nicht gut heißen, selbst wenn damit absolute Vorteile auch für die eigene Volkswirtschaft verbunden sein mögen. Dies hat schon Adam Smith (1776) so gesehen, als er schrieb „…defence, however, is of much more importance than opulence“, und aus Sorge vor opportunistischem Verhalten der Handelspartner den „Navigation Act“ verteidigte, der holländischen Schiffen das Anlaufen britischer Häfen verbot.

Diese auf Misstrauen beruhende Nullsummenlogik erklärt manche handelspolitische Maßnahme der US-Regierung von 2017 bis 2020. In diesen vier Jahren kam es zu einem stufenweisen Hochfahren unilateraler handelspolitischer Maßnahmen außerhalb des multilateralen Ordnungsrahmens der Welthandelsorganisation. So kam es nach einem Jahr scharfer Rhetorik im Frühjahr 2018 zunächst zu „Strafzöllen“ auf Waschmaschinen und Solarpanele. Deutschland war hier nur indirekt betroffen, z. B. weil deutsche Unternehmen in Ländern wie der Türkei Waschmaschinen produzieren. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte waren aber vernachlässigbar. Bald darauf veröffentlichte die Trump-Administration eine Untersuchung, die im Wesentlichen feststellte, dass Importe von Stahl- und Aluminium und Stahl- und Aluminiumprodukten in den USA zu einer Verdrängung heimischer Produktion geführt hat. Auf dieser Basis wurde eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der USA argumentiert. Die Trump-Administration führte Zölle ein, die mit Hinweis auf Artikel XXI des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) – den Ausnahmen für nationale Sicherheit – begründet wurden. Zunächst wurden diese Zölle gegenüber China in Kraft gesetzt, wenig später auch gegenüber der EU, die ihrerseits Vergeltungszölle auf klassische US-amerikanische Güter wie Jeans, Erdnussbutter, Harley-Davidson-Motorräder und Tennessee-Whisky erhob. Diese Zölle betrafen deutsche Exporte in die USA in der Höhe von 1,7 Mrd. US-$. Versuche, die Zölle in Verhandlungen abzuwenden, scheiterten. Im Gegenteil, die US-Administration drohte immer wieder mit weiteren Zöllen, vor allem auf Autoimporte aus der EU. Zölle in dieser Höhe hätten in der EU, und hier vor allem in Deutschland erhebliche Schäden verursacht. Einer Abschätzung des ifo Instituts zufolge würden sich die Wertschöpfungsverluste in der deutschen Automobilindustrie auf etwa 7 Mrd. Euro belaufen. Es kam zwar nie zu diesen Zöllen. Die glaubwürdige Drohung hat deutsche Produzenten aber dazu veranlasst, den US-Markt stärker mit Autos aus US-amerikanischer Produktion und weniger mit Exporten zu bedienen.

Im Sommer 2018 schlossen die Europäische Union und die USA einen Burgfrieden, der in einer gemeinsamen Erklärung von Präsident Trump und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington verkündet wurde. Es wurde beschlossen, auf weitere Zölle zu verzichten und ein Abkommen zur vollständigen Eliminierung der Industriezölle und zur Reduktion nicht tarifärer Handelsbarrieren zu verhandeln. Dieser Erklärung folgten zwar Gespräche; sie brachten allerdings keine Fortschritte, weil – entgegen der Washingtoner Erklärung – die USA auch auf einer Liberalisierung des Agrarhandels beharrten. Im Sommer 2020 kam es nur zu einem Minimalabkommen, in dem die EU die europäischen Zölle auf US-amerikanischen Hummer eliminierte und im Gegenzug die USA Zölle auf einige wenige Produkte der EU (etwa Zigarettenanzünder, spezielle Farben und einige Meeresfrüchte) absenkte. Das Handelsvolumen bei diesen Gütern beträgt nicht einmal 170 Mio. Euro auf beiden Seiten, bei einem aggregierten Güterhandel von ca. 615 Mrd. Euro.

Während der transatlantische Waffenstillstand hielt, kam es zwischen den USA und China zu einer dramatischen Eskalation in mehreren Schritten. Im Januar 2018 lag der (ungewichtete) Durchschnittszoll der USA auf Exporte Chinas bei 3,1 %; zwei Jahre später betrug er 21,0 %. Der Durchschnittszoll Chinas auf Exporte der USA lag Anfang 2018 bei 8,0 % und wuchs über die nächsten zwei Jahre auf bis zu 21,8 % an. Aktuell, nach dem Abschluss eines Abkommens, das China zum Kauf von US-Agrarrohstoffen, Energie und Industrieerzeugnissen verpflichtet, liegen die Zölle nur geringfügig unter den genannten Spitzen. Der Streit zwischen den beiden wirtschaftlichen Supermächten erschütterte die Weltwirtschaft. Während es in manchen Branchen durchaus zu für die EU positiver Handelsumlenkung gekommen ist, schlagen auch negative Einkommenseffekte zu Buche, und die allgemeine Verunsicherung über die Zukunft des Welthandelssystems macht die Anbahnung neuer Exportgeschäfte riskanter.

Im September 2019 autorisierte die Welthandelsorganisation nach Abschluss eines 15 Jahre dauernden Verfahrens die USA wegen unerlaubter Subventionen der EU-Staaten an Airbus, Zusatzzölle auf ein Handelsvolumen von 7,5 Mrd. US-$ zu erheben. Die USA verhängte Zölle von zunächst 15 %, später von 25 % auf Flugzeuge- und Flugzeugteile sowie auf eine lange Liste von Gütern wie Handwerkzeuge und Maschinen, aber auch auf Lebensmittel, Wein und Spirituosen (Felbermayr und Stamer, 2019). Ungefähr ein Jahr später erlaubt die WTO auch der EU Zölle wegen unerlaubter Subventionen der USA an den US-amerikanischen Flugzeugbauer Boeing auf ein Handelsvolumen von 4 Mrd. Euro.

Neben diesen konkreten zollpolitischen Maßnahmen, setzte die US-Administration eine große Zahl von Regulierungen in Kraft, die explizit oder implizit Unternehmen aus dem Ausland diskriminieren (z. B. Evenett, 2019). Und neben der Drohung mit Autozollen kam es zu weiteren Drohungen, etwa gegen angebliche Wechselkursmanipulation vorzugehen, oder aus der WTO auszutreten. Bei dieser großen Zahl von handelspolitischen Konflikten stellt sich die Frage, wie sich der transatlantische Handel in den vergangenen vier Jahren entwickelt hat.

Nach vier Jahren Trump: Wie steht es um den transatlantischen Handel?

Abbildung 1a zeigt die deutschen Güterexporte, die in die USA gehen als Anteil an den Gesamtexporten für die acht Jahre der beiden Obama-Administrationen und für die Zeit der Trump-Regierung (bis September 2020). Der USA-Anteil der Exporte stieg stetig von ca. 7 % im Januar 2009 bis 10 % im September 2015. In dieser Zeit wurde der Euro gegenüber dem Dollar deutlich abgewertet, von ca. 1,3 US-$ im 1. Quartal 2009 auf ca. 1,1 US-$ pro Euro im 4. Quartal 2015, was die Exporte angeschoben hat. Umgekehrt stagnierte der Anteil der Importe, die Deutschland aus den USA bezog, bei ungefähr 5,5 % (vgl. Abbildung 1a). Schon vor dem Amtsantritt von Donald Trump am 20.1.2017 endete die Abwertung des Euro, und der Anteil der USA an den deutschen Gesamtexporten ging leicht zurück, um sich in den vergangenen vier Jahren um einen Wert von 9 % zu bewegen. Blickt man genauer auf die Amtszeit von Trump, so nahm der Anteil der USA zunächst wieder zu; ab Sommer 2019 ging er zurück. Wieder scheint der Euro-Dollar-Wechselkurs an dieser Dynamik beteiligt. Es liegt auch nahe, dass die ab 2018 geltenden Zölle und die hohe handelspolitische Unsicherheit ebenfalls dämpfend wirkten. Auf der Importseite kam es aber vor dem Ausbruch der Corona-Krise zu einem kleinen Boom, der unter anderem von höheren Importen Autos deutscher Marken getrieben war. Interessant ist auch, dass die deutschen Exporte in die USA leicht überdurchschnittlich in der aktuellen Krise einbrachen, die Importe aber stark überdurchschnittlich zurückgingen. Insgesamt ist es allerdings schwer, einen Trump-Effekt aus den Zahlen herauszulesen, vielmehr scheinen Wechselkursbewegungen einen höheren Erklärungsgrad für die aggregierten Handelsströme zu haben. Um dies genauer zu untersuchen, müsste man eine vollständige ökonometrische Untersuchung unternehmen, die den direkten Effekt der Handelspolitik, des Wechselkurses und des Wachstums des BIP separat quantifizierten müsste.2 Wie auch immer: Die USA haben während der Trump-Jahre nicht an relativer Bedeutung für die deutsche Exportwirtschaft verloren; für die Importe haben sie sogar an Bedeutung gewonnen.

Abbildung 1
Anteile der USA am deutschen Güterhandel und am Handelsbilanzüberschuss
Anteile der USA am deutschen Güterhandel und am Handelsbilanzüberschuss

Anmerkungen: Rollende Durchschnitte (3 Monate) unbereinigter Monatsdaten (in Euro). Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an.

Quelle: Destatis; eigene Berechnungen und Auswertung.

Zum Amtsantritt von Barack Obama entfielen etwa 10 % des deutschen Handelsbilanzüberschusses auf die USA; dieser Anteil stieg bis Mitte 2016 auf beinahe 25 % (vgl. Abbildung 1b). In der zweiten Hälfte der Amtszeit Trumps fiel er dann aber tendenziell auf etwa 20 % ab und brach in der Corona-Krise noch einmal deutlich ein. Aber auch in Hinblick auf den Überschuss lässt sich sagen, dass die Trump-Zeit keine einschneidenden Effekte erkennen lässt.

Abbildung 2a weist die volkswirtschaftliche Bedeutung der deutschen Exporte in die USA aus, indem sie die Güterexporte in die USA mit der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes ins Verhältnis setzt, aus dem der Großteil dieser Exporte entstammt.3 Die Abbildung zeigt, dass im ersten Quartal 2009 Exporte im Wert von 14 % der Industriewertschöpfung in die USA gingen. Zum Ende der Amtszeit von Präsident Obama war der Anteil auf 18 % angestiegen; zwischenzeitlich lag er sogar bei knapp 20 %. In der Trump-Zeit ging der Anteil bis vor den Start der Corona-Krise nach oben. Der Wert der Exporte in die USA wuchs tendenziell schneller als die Bruttowertschöpfung der (exportierenden) Industrie. Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn man die Exporte in die USA ins Verhältnis mit dem deutschen BIP setzt (vgl. Abbildung 2b). Die USA sind während der Amtszeit von Obama wichtiger für die deutsche Volkswirtschaft geworden; unter Trump gab es eine Seitwärtsbewegung auf historisch hohem Niveau.

Abbildung 2
Anteile der Exporte Deutschlands in die USA an der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes und der Gesamtwirtschaft (BIP)
Anteile der Exporte Deutschlands in die USA an der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes und der Gesamtwirtschaft (BIP)

Anmerkungen: Unbereinigte Quartalsdaten. Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an.

Quelle: Destatis; eigene Berechnungen und Auswertung.

Diese aggregierte Betrachtung verbirgt, dass einzelne Sektoren hart von den Zöllen der Trump-Administration getroffen wurden. So z. B. die Stahl- und Aluminiumbranche. Hier sind die Exporte in der Tat stark eingebrochen. Auch die durch die Airbus-Zollmaßnahmen betroffenen Sektoren haben deutlich sichtbar negative Effekte zu beklagen. Gesamtwirtschaftlich sieht das Bild aber stabil aus. Nach vier Jahren schwerer Turbulenzen ist aus Sicht Deutschlands überraschend wenig Terrain verloren gegangen. Anders gewendet: Das transatlantische Wirtschaftsverhältnis ist auf hohem Niveau stabil geblieben.

Unter Donald Trump waren vor allem Handelsbilanzsalden ein wichtiger Indikator für die US-amerikanische Handelspolitik, vor allem im Güterbereich. Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass sich das Handelsbilanzdefizit der USA bei Gütern im Verhältnis zum BIP in den letzten Jahren kaum verändert hat. Es lag unter Obama bei durchschnittlich -4,3 %; unter Donald Trump (bis einschließlich 2. Quartal 2020) bei -4,1 %. Diese Stabilität ist, gegeben die relativ hohe Schwankungsbreite des Euro-Dollar-Wechselkurses, bemerkenswert. Erst im Jahr 2019 zeigt sich eine Reduktion des Defizits; im 1. Quartal 2020 erreichte es -3,6 %, während es ein Jahr davor noch bei -4,1 % lag. Diese Veränderung ist allerdings vor allem auf einen Rückgang des Defizits mit China zurückzuführen. Auch gegenüber Deutschland ist das US-Defizit etwas gesunken (Abbildung 3a). Es betrug nach Angaben des US-Handelsministeriums (Bureau of Economic Analysis) im 2. Quartal 2020 knapp 11 Mrd. US-$, während es im Vorjahresquartal noch bei etwa 15 Mrd. US-$ lag. Auch das Leistungsbilanzdefizit, das neben dem Saldo des Güterhandels auch jenen des Dienstleistungshandels, des Primäreinkommens und des Sekundäreinkommens umfasst, ist gesunken, und zwar von mehr als 20 Mrd. US-$ im 3. Quartal 2019 auf circa 14 Mrd. US-$. Nun wissen wir (Braml und Felbermayr, 2019), dass die Leistungsbilanzdaten im transatlantischen Kontext nur beim Güterhandel belastbar sind, die Daten zu Dienstleistungen und Primäreinkommen hingegen sind massiv verzerrt. Deutschland importiert im großen Ausmaß Dienstleistungen aus europäischen Ländern (wie z. B. den Niederlanden oder Irland), die dort aber von US-Konzernen bereitgestellt werden, in denen entstehende Gewinne als Primäreinkommen in der Leistungsbilanzstatistik auftauchen. Dies wird sehr deutlich in Abbildung 3b, welche die Leistungsbilanzsalden der USA mit dem Rest der Eurozone ausweist: Die USA haben bei den Primäreinkommen einen Überschuss, der in den letzten Quartalen zwischen 20 Mrd. und 30 Mrd. schwankte und seit 2009 einen deutlich ansteigenden Trend aufweist. Die Abbildung zeigt auch, dass der Rest der Eurozone im Gegenzug im Güterhandel mit den USA einen wachsenden Überschuss aufweist. Im Unterschied zu Deutschland ist im Güterhandel kein deutlicher Rückgang des US-Defizits mit dem Rest der Eurozone zu beobachten.

Abbildung 3
Leistungsbilanzsalden und Komponenten aus Sicht der USA mit Deutschland und der Eurozone
 Leistungsbilanzsalden und Komponenten aus Sicht der USA mit Deutschland und der Eurozone

Anmerkung: Vertikale Linie zeigt Amtsantritt von Donald Trump an.

Quelle: Bureau of Economic Analyses; eigene Berechnung und Darstellung.

Insgesamt haben die USA mit dem Rest der Eurozone aber einen deutlichen Leistungsbilanzüberschuss in etwa der Höhe des Defizits mit Deutschland, sodass die Eurozone insgesamt eine sehr ausgeglichene Leistungsbilanz mit den USA aufweist. Abbildung 3 verwendet die offiziellen US-Daten. Die Daten von Eurostat oder der EZB hingegen zeigen ein Leistungsbilanzdefizit der USA. In Braml und Felbermayr (2019) argumentieren wir, dass die Realität besser mit den Daten des Bureau of Economic Analysis abgebildet wird, weil die europäischen Daten die Primäreinkommen unterschätzen.

Die Daten zeichnen das Bild eines bilateralen transatlantischen Verhältnisses, das trotz vier politisch schwieriger Jahre ökonomisch relativ stabil geblieben ist. Die jährliche Bestandsaufnahme der EU-US-Wirtschaftsbeziehungen von Hamilton und Quinlan (2020) breitet sehr viel detailliertere Daten aus, kommt aber zum selben Schluss. Dies bedeutet, dass die ökonomischen Beweggründe, die vor der Wahl von Donald Trump für eine intensivierte transatlantische Zusammenarbeit sprachen, z. B. durch ein Freihandelsabkommen (TTIP), nach wie vor gültig sind.

Punkte einer transatlantischen handelspolitischen Agenda für die nächsten Jahre

Weil das Handelsvolumen und die tiefe Integration der beiden Wirtschaftsräume die Turbulenzen der vergangenen vier Jahre relativ gut überstanden haben, können die EU und die USA bei einem Neustart ihrer Beziehungen auf eine starke gemeinsame Basis bauen. Weil das Handelsvolumen hoch ist, würden Zollsenkungen oder administrative Erleichterung große Effekte hervorbringen. Außerdem haben sich die Positionen der EU und der USA im Bezug auf China angenähert. Die während der Obama-Präsidentschaft versuchte Schaffung transatlantischer Standards für neue Technologien scheint daher dringender denn je. Und schließlich: Stärker noch als vor fünf Jahren stellt sich heute die Frage, wie internationale Klimapolitik ausgestaltet werden kann, und welchen Beitrag hier die transatlantischen Partner leisten können.

Die Frage ist eigentlich nicht, ob verstärkte Kooperation zwischen Washington und Brüssel sinnvoll ist, sondern, erstens, ob diese auf multilateraler Ebene – in Genf – oder auf bilateraler Ebene stattfinden soll, und, zweitens, ob ein umfassendes Abkommen verhandelt werden soll oder auf eine Vielzahl kleinerer, pragmatischer Deals gesetzt werden soll.

Die Erfahrungen seit 2001, dem Jahr des WTO-Beitritts Chinas, legen nahe, dass eine wirkliche Reform der Welthandelsorganisation außerordentlich schwierig ist, weil einzelne Länder – aus ganz verschiedenen Gründen – mittels Veto jede noch so sinnvolle Einigung verhindern können. Die Probleme der WTO liegen deutlich tiefer und sind viel umfassender als die Schwierigkeiten, die zwischen den USA und der EU auftreten. Außerdem ist kaum vorstellbar, dass eine Reform der WTO gelingen kann, ohne vorher eine Verständigung zwischen der EU und den USA herzustellen. Daher scheint die Konzentration auf das bilaterale Verhältnis sinnvoll.

Außerdem sollte nicht auf ein großes, allumfassendes Abkommen gesetzt werden. Der bescheidene Ansatz, der 2018 im Rosengarten des Weißen Hauses angedacht wurde und den Schwerpunkt auf Zölle und einzelne Regulierungsfelder legt, ist vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit TTIP (vgl. dazu Braml und Felbermayr, 2020) ambitioniert genug.

Die EU muss sich klar sein, dass eine transatlantische handelspolitische Aussöhnung auch Zugeständnisse ihrerseits erfordert. Nicht alle Trump’schen Vorwürfe erfolgten grundlos. Es stimmt, dass die EU deutlich höhere Durchschnittszölle aufweist als die USA und dass diese vor allem im Agrarsektor hoch sind, wo die USA einen komparativen Vorteil haben. Es stimmt auch, dass aktuelle Bestrebungen der EU, bei neuen Technologien auf „strategische Autonomie“ zu setzen und bei der Besteuerung von Digitalkonzernen das Ziellandprinzip zu verfolgen, wenigstens implizit gegen US-Technologiekonzerne gerichtet sind. Wenn die EU wirklich Fortschritte erzielen will, muss sie Zugeständnisse machen. Dazu gehört auch, die hohen Agrarzölle in die Verhandlungen einzubringen und bei den neuen Technologien gezielt auf transatlantische Kooperation z. B. in der Monopolkontrolle zu setzen.

Wenn die EU dazu nicht bereit ist, sollte sie wenigstens im Bereich der Klimapolitik alles daran setzen, mit den USA an einer gemeinsamen Lösung der Carbon-Leakage-Frage zu arbeiten. Statt mit Hilfe eines CO2-Grenzausgleichs zu versuchen, die unilaterale europäische Klimapolitik mit einer Einbeziehung von Importen in die heimische CO2-Bepreisung abzusichern und eine Klimafestung zu errichten, wäre es besser, auf einen transatlantischen CO2-Mindestpreis zu setzen und die USA dazu mit der (leisen) Drohung des Grenzausgleichs zu motivieren. Das wäre für das globale Klima und auch für den transatlantischen handelspolitischen Frieden sehr viel besser.

  • 1 Powell (1991) hat eine Theorie relativer versus absoluter Gewinne im Handelskontext entwickelt.
  • 2 Dies ist schwierig, weil der „Trump-Effekt“ einen Einfluss auf alle drei genannten Größen hat.
  • 3 Agrarische Rohstoffe machen einen sehr kleinen Anteil der deutschen Exporte in die USA aus.

Literatur

Braml, M. und G. Felbermayr (2019), What Do We Really Know about the Transatlantic Current Account?, CESifo Economic Studies, 65(3), 255-274.

Braml, M. und G. Felbermayr (2020), Understanding Free Trade Attitudes: Evidence from Europe, ifo Working Paper, 325.

Evenett, S. (2019), Protectionism, state discrimination, and international business since the onset of the Global Financial Crisis, Journal of International Business Policy, 2, 9-36.

Felbermayr, G., B. Heid, M. Larch und E. Yalcin (2015), Macroeconomic Potentials of Transatlantic Free Trade: a High Resolution Perspective for Europe and the world, Economic Policy, 491-537.

Felbermayr, G. und V. Stamer (2019), Airbus-Boeing-Konflikt gefährdet Waffenstillstand mit den USA, Kiel Policy Brief, 128.

Hamilton, D. S. und J. P. Quinlan (2020), The Transatlantic Economy 2020: Annual Survey of Jobs, Trade and Investment between the United States and Europe, Washington, DC, Foreign Policy Institute, Johns Hopkins University SAIS.

Powell, R. (1991), Absolute and Relative Gains in International Relations Theory, The American Political Science Review, 85(4), 1303-1320.

Smith, A. (1776), An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, Oxford University Press; Reprint Edition (17. April 2008), Book IV, Chapter II, 465.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2795-z

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