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Dieser Beitrag ist Teil von Verbessert digitales Nudging die Sicherheit in der Informationstechnik?

Im September 2019 kamen etwa 70 Verbraucherforscherinnen und -forscher im Wissenschaftszentrum Bonn (WZB) zu einem Verbraucherforschungsforum des Netzwerks Verbraucherforschung zusammen. Ziel dieses Forums war es, gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik das noch neue Konzept des Digital Nudging im Hinblick auf seine Bedeutung für die IT-Sicherheit zu entfalten, zu diskutieren und zu konkretisieren. Zudem sollte das Forum den Transfer zwischen der Verbraucherforschung und den sicherheitspolitisch verantwortlichen Akteuren ermöglichen. Konkret sollten unter anderen die folgenden Fragen diskutiert werden:

  • Wie lässt sich die Verbraucherposition im Entscheidungsmoment stärken?
  • Welche Änderungen in der Entscheidungsarchitektur können den Verbraucherinnen und Verbrauchern helfen, sich situationsspezifisch beispielsweise der Datensicherheitsproblematik bewusst zu werden?
  • Welche Implikationen ergeben sich daraus für die Verbraucherpolitik?

Ausgewählte Beiträge zum Digital Nudging

Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen wurde das Konzept des Digital Nudging in verschiedenen Referaten besprochen und diskutiert. Das vorliegende Wirtschaftsdienst-Zeitgespräch dokumentiert einige ausgewählte Beiträge, die im Folgenden kurz skizziert werden.

Nudging hell und dunkel: Regeln für digitales Nudging

Im ersten Beitrag stellt Lucia Reisch (Copenhagen Business School sowie Zeppelin Universität) zunächst einmal aus einer allgemeineren, praktisch-normativen Perspektive klar, was wesentliche Einsatzbereiche für Nudging sind, was regulatives Nudging ist sowie welche Kritik dieser spezifischen Form des Nudgings entgegengebracht wird. Darauf aufbauend zeigt sie, welche Bedingungen für die legitime Nutzung des Nudgings erfüllt sein sollten. Dem stellt sie dann Beispiele für sogenannte „Dark Nudges“ gegenüber, bevor sie abschließend und allgemeiner einige Regeln für eine gute Verhaltenspolitik nennt. Dass es dafür einen Bedarf gibt, veranschaulicht sie mit dem Blick nach China, der eine „digitale Dystopie“ zeigt, „in der gläserne, ständig bewertete Digitalbürger zur willenlosen Manipulationsmasse eines autoritären Staates degradiert werden“.

Verhaltenswissenschaftlich informierte Politik für mehr Cybersicherheit

Im zweiten Beitrag diskutiert Kathrin Loer (FernUniversität Hagen), welche verhaltenswissenschaftliche Expertise die Politik im Bereich der Cybersicherheit für Verbraucher verwenden könnte. Darauf aufbauend formuliert sie, dass der Umbau von Entscheidungsarchitekturen durchaus eine neue Option staatlichen Handelns darstellt. Dabei betont sie aber auch, dass die jeweiligen politischen Akteure, also Behörden, Agenturen, Verwaltungen, Spielräume benötigen, die ihnen die Nutzung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse erlauben.

Digital Nudging kann Nutzer online schützen

Im weiteren Verlauf verdeutlichen Thomas Hess und Charlotte Schöning (Ludwig-Maximilians-Universität München) in ihrem Zeitgesprächs-Beitrag, dass digitales Nudging Nutzer online schützen kann. Als Ansatzpunkt ihrer Ausführungen verwenden sie das Konzept der „Personal-ICT“ („PICT“). Hierbei handelt es sich um Informations- und Kommunikations-Anwendungen, die den persönlichen Bedürfnissen der Verbraucher bzw. Nutzer entsprechen. Im Zusammenhang mit der Entwicklung und Nutzung von PICT stellt sich nach Hess und Schöning unweigerlich die Frage nach der digitalen Privatheit der Nutzer. In diesem Zusammenhang stellen sie drei Studien vor, die beispielhaft aufzeigen, wie digitales Nudging im Kontext von Privatheit eingesetzt werden kann, um Nutzer zu besseren Entscheidungen bei der Sicherung der Privatsphäre zu veranlassen. Da Daten aber auch wichtig sind, um digitale Innovationen zu ermöglichen, betonen Hess und Schöning, dass ein Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Nutzer nach Privatheit und Datensicherheit als auch den Interessen der Wirtschaft sowie der Öffentlichkeit notwendig ist.

Behavioral Economics und Verbraucherschutz sowie Sicherheitsrecht in der IT-Welt

Komplementär dazu adressiert Gerald Spindler (Georg-August-Universität Göttingen) die rechtliche Perspektive. Dabei nennt er zunächst einmal die Chancen, die sich aus dem Wechselspiel zwischen Verhaltensökonomik („Behavioral Economcis“) und Digitalisierung ergeben. Er regt unter anderem an, dass der Staat Lösungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) in Gestalt von Open-Source-Software zur Verfügung stellen bzw. fördern könnte und vergleicht diesen Ansatz mit einer „Stiftung-KI-Warentest“. Danach spricht Gerald Spindler den Bereich „Behavioral Economics und IT-Sicherheitsrecht“ an. Hier betont er zunächst, dass das IT-Sicherheitsrecht trotz zahlreicher Reformen nach wie vor lückenhaft sei. Die Idee der Bundesregierung, ein IT-Sicherheitssiegel einzuführen, sieht er in diesem Zusammenhang als „begrüßenswerten Ansatz“. Im Fortgang weist er aber auch auf die damit verbundenen Schwächen hin.

Grundsätze ordnungsmäßiger Verbraucherinformationssysteme

Einen weiteren gestaltungsorientierten Beitrag leistet dann Reinhard Schütte (Universität Duisburg-Essen). Ausgehend von der Informationsproblematik der Verbraucher begründet und nennt er die folgenden sechs Grundsätze: (1) Problemadäquanz, (2) Richtigkeit, (3) Verständlichkeit, (4) Glaubwürdigkeit, (5) Vergleichbarkeit sowie (6) Wirtschaftlichkeit. Zusammenfassend betont Reinhard Schütte, dass ein Wechsel von der anbieterbezogenen zur verbraucherorientierten Perspektive eine Basis zur Verbesserung der Informationstransparenz der Verbraucher wäre.

Digitale Verhaltenspolitik – Herausforderungen und Umsetzungshürden

Im letzten Beitrag des Zeitgesprächs fokussiert Holger Straßheim (Universität Bielefeld) zunächst einmal die Probleme, die entstehen, wenn (digitale) Nudges versagen. Daran anschließend stellt er die für eine kritische Reflexion von Nudging durchaus relevante Frage, wer überhaupt die „Verzerrungen“ und „Kurzschlüsse“ der Entscheidungsarchitekten korrigiert und nennt in diesem Zusammenhang einige kognitive und soziale „Engführungen“. Abschließend diskutiert Straßheim die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Verhaltenspolitik und betont hierbei verschiedene Konsequenzen, die mit dem Umstand verbunden sind, dass Nudging nur einen Teilaspekt digitaler Verhaltenspolitik bilden kann.

Interdisziplinäre Perspektive erforderlich

Insgesamt zeigen diese sechs Beiträge die verschiedenen Perspektiven auf, aus denen man das noch neue Konzept des Digital Nudging betrachten kann. Möchte man darauf aufbauend den Versuch unternehmen, die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse aus verbraucherwissenschaftlicher Sicht zu reflektieren, so zeigt sich, dass es im Feld zweifelsohne schon einige Erkenntnisse gibt, die man als Orientierungswissen bezeichnen könnte. So ist bekannt, welche Systemelemente es gibt, welche empirische Bedeutung diese haben und welche Probleme es überhaupt gibt. Ähnlich ist der Wissenstand im Bereich des Systemwissens: Die Forschung hat die wesentlichen Zusammenhänge offenbar erkannt und kann etwas zu den Wirkungen und Wechselwirkungen verschiedener Instrumente und Akteure sagen.

Im Gegensatz dazu fehlt es aber an vielen Stellen noch an Transformationswissen, also an Wissen darüber, wie das in mancherlei Hinsicht wenig funktionale System der Verbrauchersicherheit in der Informationstechnik im Hinblick auf ein durch die Gesellschaft und Politik noch zu bestimmendes Ziel hin erfolgreich verändert werden kann. Exemplarische Fragen, die sich hier stellen, wären:

  • Wie kann die Verbraucherinformation in Deutschland im Bereich der IT-Sicherheit verbessert werden?
  • Welche funktionellen, institutionellen, rechtlichen, politischen, ökonomischen (etc.) Aspekte sind dabei wann, von wem, wie, mit wem zu beachten?
  • Wie kann die Befähigung der Verbraucher erhöht werden?
  • Wie lässt sich das Problem der Zuspitzung im „politischen Betrieb“ bei gleichzeitiger Heterogenisierung der Informationsbedarfe lösen?

Mit Blick auf diese Fragen wird deutlich, dass eine disziplinär isolierte Forschung zum Digital Nudging wenig erfolgversprechend ist. Vielmehr wird es auch hier wie im gesamten digitalen Zeitalter überhaupt darauf ankommen, den Verbraucher aus einer interdisziplinären Perspektive besser zur verstehen und darauf aufbauend theoretisch fundierte und empirisch abgesicherte Empfehlungen für eine realitätsnahe verbraucherorientierte Politik zu geben.

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© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2572-z

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