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In den vergangenen Wochen nahmen Bundes- und Landtagsabgeordnete, die Nebeneinkünfte erzielten, einen prominenten Platz in der öffentlichen Diskussion ein. Insbesondere ging es um Parlamentarier:innen, die über Provisionszahlungen an der staatlichen Beschaffung von Schutzmasken mitverdient hatten. Es ging aber auch um einen Rechtsanwalt, der als aktiver Abgeordneter eine achtstellige Summe von einem AfD-nahen Milliardär erhalten haben soll, um juristische Verfahren gegen die Euro-Rettungspolitik zu organisieren. Diese Fälle haben moralische Empörung hervorgerufen.

Im Fall des Maskenhandels ist diese Empörung unmittelbar verständlich. Der Staat befand sich zum Zeitpunkt der Geschäftsabschlüsse in einer Notlage, und man kann gut argumentieren, dass Abgeordnete mit entsprechenden Kontakten die Lieferung von Schutzmasken honorarfrei hätten vermitteln sollen. Bei der anwaltlichen Tätigkeit sieht es nach dem aktuellen Stand der Dinge vielleicht etwas anders aus. Der fragliche Abgeordnete war ohnehin als Euroskeptiker bekannt und wohl auch als solcher gewählt. Aber auch generell darf man fragen, was das Anlegen moralischer Maßstäbe an Mandanten etwa für Abgeordnete bedeuten würde, die eine Nebentätigkeit als Strafrechtsanwälte ausüben. Der Fall einer anwaltlichen Vertretung ist sicherlich anders gelagert als wirtschaftlicher Profit bei Geschäften zwischen Unternehmen und Staat.

Die direkte Beteiligung an Geschäften zwischen Unternehmen und Staat über Provisionen ist dennoch ein eher seltener Sonderfall. Allgemein werden Nebeneinkünfte von Abgeordneten vor allem deshalb skeptisch gesehen, weil man Interessenkonflikte befürchtet zwischen wie auch immer definierten Vorstellungen von Gemeinwohl und Sonderinteressen der Auftraggeber von Nebentätigkeiten. Es wäre allerdings kurzsichtig, dieses Spannungsverhältnis durch ein Verbot von Nebentätigkeiten aufzulösen. Empirische Indizien sprechen dafür, dass in diesem Fall weniger gut qualifizierte Individuen den Weg in die Berufspolitik suchen würden (z. B. Gagliarducci et al., 2010). Möglicherweise würden dann ganze Berufsgruppen, wie etwa Unternehmer:innen und Selbständige, weitgehend das Interesse am Abgeordnetenberuf verlieren. Zu bedenken ist auch, dass die starke Gewichtung von Sonderinteressen allgemein problematisch ist, egal ob sie durch Nebentätigkeiten oder anders motiviert sind. Rent-Seeking findet aber in der Praxis über viele verschiedene legale und illegale, moralisch verpönte und auch allseits respektierte Wege statt. Würde man stärker grundsätzlich von einer Kultur des Bedienens von Sonderinteressen (Choi und Storr, 2019) wegkommen und stattdessen zu einer ordnungspolitischen Orientierung der Politik zurückfinden, so wären auch Nebentätigkeiten weniger problematisch. Es lohnt sich, hier im Gleichgewicht zu denken: Je weniger akzeptiert eine Politik für Partikularinteressen allgemein ist, desto weniger lohnt es sich, für Nebentätigkeiten in der Absicht zu zahlen, politische Gegenleistungen anzureizen.

Eine weitere Frage ist, wie man verhindern kann, dass die eigentliche Abgeordnetentätigkeit zeitlich unter einer Vielzahl von Nebentätigkeiten leidet. Hier gibt es empirische Indizien, die darauf hinweisen, dass Abgeordnete mit mehr Nebentätigkeiten weniger Einsatz im Parlament zeigen (z. B. Staat und Kuehnhanss, 2017). Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass solche Studien nicht den direkten Nutzen messen können, den Abgeordnete z. B. für ihre Wahlkreise bringen. Sie messen den Input der Abgeordneten (etwa die absolvierten Sitzungsstunden) oder politische Zwischenprodukte, wie die Zahl der Beteiligungen an Gesetzentwürfen (Geys und Mause, 2013). Es wäre durchaus denkbar, dass produktivere Abgeordnete trotz Nebentätigkeiten in der Lage sind, gute politische Ergebnisse für ihre Wähler:innen zu erreichen. Grundsätzlich spricht einiges dafür, keine kleinteilige Unterscheidung zulässiger und nicht zulässiger Nebentätigkeiten im Detail zu versuchen, sondern auf Transparenz und Reputation zu setzen. Umfang von Nebentätigkeiten und Auftraggebern könnten noch wesentlich detaillierter veröffentlicht werden, als dies bisher in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist. Dies würde die Wählerschaft in die Lage versetzen, selbst zu beurteilen, wo Interessenskonflikte wahrscheinlich sind.

Literatur

Choi, S. G. und V. H. Storr (2019), A Culture of Rent Seeking, Public Choice 181, 101-126.

Gagliarducci, S., T. Nannicini und P. Naticchioni (2010), Moonlighting Politicians, Journal of Public Economics, 94(9-10), 688-699.

Geys, B. und K. Mause (2013), Moonlighting Politicians: A Survey and Research Agenda, Journal of Legislative Studies, 19(1), 76-97.

Staat, C. und C.R. Kuehnhanss (2017), Outside Earnings, Electoral Systems and Legislative Effort in the European Parliament, Journal of Common Market Studies, 55(2), 368-386.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2886-5