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Derzeit wird in der EU und Deutschland diskutiert, wie die Fiskalregeln zukünftig ausgestaltet sein sollen. Ein Punkt ist dabei die Berechnung des strukturellen Finanzierungssaldos. Fünf Kriterien sind wichtig, die strukturelle Salden erfüllen sollten. Die Revisionen, die sich aus dem bestehenden Produktionsfunktionsansatz ex post ergeben, zeigen die Revisionsproblematik auf. Ein umfragegestützter Ansatz kann diese Problematik deutlich entschärfen.

Die Coronakrise hat dazu geführt, dass viele Dinge auf den Prüfstand kommen: Homeoffice, Dienstreisen – und nicht zuletzt auch die Fiskalregeln in der EU und Deutschland. Dabei wurde über letztere auch schon in den Jahren vor der Coronakrise heftig diskutiert. Derzeit sind wichtige Regeln aufgrund der weltweiten Pandemie ausgesetzt. Auf EU-Ebene ist bereits eines klar: Die alten Regeln werden nicht zurückkommen. Doch welche Regeln genau wie geändert werden sollen, ist momentan noch offen. In Deutschland wird zurzeit darüber gestritten, ob die Schuldenbremse in ihrer bisherigen Form noch zeitgemäß ist.

Konzept der strukturellen Finanzierungssalden

Besonderer Stein des Anstoßes sind dabei immer wieder die Bestimmung der strukturellen Finanzierungssalden und damit einhergehend die Schätzung der Produktionslücken. Sie sind Kernbestandteile der EU-Fiskalregeln. So darf laut Fiskalpakt das strukturelle Defizit nicht größer als 0,5 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) ausfallen.1 Darüber hinaus spielen die strukturellen Salden bei beiden Komponenten des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) eine bedeutende Rolle. Beim präventiven Arm sind Grenzwerte für die strukturellen Salden definiert. Beim korrektiven Arm werden Maßnahmen zur Beseitigung eines übermäßigen Haushaltsdefizits empfohlen, bei denen ein Ausgabepfad mit einem strukturellen Budgetpfad kombiniert wird (ECOFIN, 2017; EC, 2018).2 Des Weiteren haben viele Staaten in der EU nationale Fiskalregeln, in denen strukturelle Salden eine zentrale Rolle spielen. Hierzu zählen auch Deutschland und Österreich. So erlaubt die Schuldenbremse in Deutschland eine strukturelle Neuverschuldung, die 0,35 % in Relation zum BIP nicht übersteigt (BMF, 2015). Im Österreichischen Stabilitätspakt 2012 (ÖStP 2012) darf das strukturelle Defizit des Gesamtstaats 0,45 % in Relation zum BIP nicht übersteigen.3

Grundsätzlich ist die Ausrichtung der Fiskalregeln an strukturellen Finanzierungssalden sinnvoll, da sie die Verschuldungsmöglichkeiten eines Staats unabhängig von der konjunkturellen Lage und einmaligen Ausgabe- oder Einnahmeschwankungen festlegen (Feld et al., 2021). Dadurch soll gewährleistet werden, dass die mit kurzfristigen Schwankungen einhergehenden Verbesserungen und Verschlechterungen des Finanzierungssaldos den staatlichen Handlungsspielraum nicht erhöhen oder beschränken. Daher wird zur Berechnung der strukturellen Finanzierungssalden der staatliche Finanzierungssaldo um konjunkturbedingte und einmalige Änderungen der Einnahmen und Ausgaben bereinigt.

Formal ist der strukturelle Finanzierungssaldo (X) definiert als Finanzierungssaldo (B) abzüglich der über eine Semi-Elastizität (εB,Y ) übersetzten konjunkturellen Lage (Y) und der Einmaleffekte (T):

Göttert Formel 14

Mit dem strukturellen Finanzierungssaldo versucht man, einen staatlichen Haushalt darzustellen, der sich in einem konjunkturell „normalen“ Jahr (Y = 0) ohne konjunkturbedingte oder einmalige Mehr- oder Minderausgaben ergeben würde. Im Kern drehen sich die meisten Kontroversen im Zusammenhang mit den strukturellen Finanzierungssalden um die Bestimmung der konjunkturellen Normal­situation. Formal ist diese Situation gegeben, wenn die Produktionslücke (Y = GAP) gleich Null ist, wobei diese sich wie folgt aus BIP und Produktionspotenzial (POT) ergibt:

Göttert Formel 2

Da das Produktionspotenzial im Gegensatz zum BIP eine unbeobachtbare Größe ist (Buti et al., 2019), hängt seine Bestimmung und damit die der Produktionslücke von modelltheoretischen Vorstellungen sowie von empirischen Schätzverfahren ab. Sowohl die EU-Kommission als auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IWF) nutzen dabei den sogenannten Produktionsfunktionsansatz.5 Allerdings gibt es eine Vielzahl weiterer Schätzmethoden, sodass es ein „wahres“ Produktionspotenzial oder eine „wahre“ Produktionslücke nicht gibt. Jedoch kann die Methode nicht beliebig gewählt werden. Vielmehr sollte sie den folgenden fünf Anforderungen genügen: (1) Bei der Schätzmethode sollte es sich um ein einfach kommunizierbares Konzept handeln. (2) Die Schätzmethode sollte keine Möglichkeit der politischen Einflussnahme bieten. (3) Die Produktionslücke sollte langfristig ausgeglichen sein. (4) Die Schätzung der Produktionslücke sollte mit möglichst geringen Revisionen verbunden sein. (5) Die Schätzung der Produktionslücke sollte keine systematische Verzerrung aufweisen.

Der erste Punkt ist die Einfachheit der Schätzmethode. Die EU-Fiskalregeln und die nationalen Fiskalregeln sind von sehr großer Bedeutung. Es ist wichtig, dass man sie der Öffentlichkeit so gut wie möglich kommunizieren kann. Das gebietet der politische Auftrag selbst.

Der zweite Punkt ist eine Selbstverständlichkeit. Bei der Bestimmung struktureller Finanzierungssalden sollten politische Entscheidungstragende nicht die Möglichkeit haben, an der Schätzmethode selbst Änderungen vorzunehmen, nur mit dem Zweck, den strukturellen Finanzierungssaldo in Richtung der eigenen politischen Vorstellungen zu verbiegen. Hier besteht auch eine Verbindung zum ersten Kriterium, der Einfachheit. Simple Methoden senken die Wahrscheinlichkeit von Hintertüren, mit denen die fiskalischen Messgrößen gebogen werden können und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Öffentlichkeit Tricksereien rasch durchschaut. Neben dem Einfluss des Regierungshandelns auf den unbereinigten Finanzierungssaldo und gegebenenfalls auf die konjunkturelle Lage sollten politische Entscheidungstragende über genau eine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Fiskalregeln verfügen: In der Legislative, wenn es um konkrete Grenzwerte der strukturellen Salden geht, auf EU-Ebene also z. B. die strukturelle Defizitgrenze in Höhe von 0,5 % des nominalen BIP im Rahmen des Fiskalpakts und auf nationaler Ebene die jeweiligen Grenzwerte.

Der dritte Punkt betrifft den langfristigen Mittelwert der Produktionslücke, der bei Null liegen sollte. Das bedeutet nicht, dass sich die Konjunktur überwiegend in dieser Normallage befinden muss, sondern über den Konjunkturzyklus hinweg um genau diese Lage schwankt. Nur so ist gewährleistet, dass sich die fiskalischen Be- und Entlastungen des staatlichen Haushalts, die im Zusammenhang mit konjunkturstabilisierenden Maßnahmen stehen, über die Zeit hinweg ausgleichen. Damit schließt der Punkt auch an den vorherigen an: Der Mittelwert darf kein politisches Spielfeld sein, die jeweiligen finanziellen Spielräume den eigenen finanzpolitischen Vorstellungen anzupassen. So ermöglicht eine Anpassung der Methode, die unter ansonsten unveränderten Bedingungen einen Mittelwert von unter Null ergibt, größere Verschuldungsspielräume für die öffentliche Hand. Falls die EU oder ein Mitgliedstaat sich einen größeren oder kleineren finanziellen Spielraum zugestehen wollen, sollten ganz offen in einem legislativen Prozess die Grenzwerte geändert werden. Einen anderen Ansatz verfolgen Krahé und Sigl-Glöckner (2021) sowie Krahé et al. (2021). Dort soll das Produktionspotenzial weniger eine konjunkturelle Normalauslastung anzeigen, sondern ein bei optimaler Nutzung aller Produktionsfaktoren zu erreichendes Produktions­niveau. Die daraus resultierenden Produktionslücken signalisieren dann auch nicht mehr die Position im Konjunkturzyklus, sondern die Abweichung von einem so definierten Optimum. Es ist davon auszugehen, dass die Produktionslücke bei einem solchen Ansatz im Mittel immer negativ wäre.

Der vierte Punkt betrifft die Stabilität der Schätzungen in Echtzeit. Hier sollte die Schätzmethode eine große Konstanz aufweisen. Die fiskalpolitische Überwachung ist einer der wichtigsten Bereiche der Kontrolle der politischen Entscheidungstragenden. Wenn die Größe dann substanziellen Revisionen unterliegt, kann in der Öffentlichkeit schnell der Eindruck der Beliebigkeit entstehen und, dass die Größe eigentlich nicht wichtig ist, da sie morgen schon ganz anders aussehen kann als heute. Zudem wird die Überprüfung der Einhaltung der festgeschriebenen Grenzwerte durch starke Revisionen massiv erschwert. Es kann schnell das Szenario entstehen, dass für ein ausgewähltes Jahr bei der Veröffentlichung der Wert noch im Rahmen war, ein Jahr später dann nicht mehr und noch ein Jahr später dann doch wieder.

Der fünfte Punkt ist eng mit dem vorherigen verknüpft: die Richtung der Revisionen. Wenn die Revisionen meist in eine Richtung ausfielen – egal ob nach oben oder unten – würde die Schätzmethode eine systematische Verzerrung aufweisen. Im schlimmsten Fall erfüllt dann ein Land zunächst noch die Grenzwerte seiner geltenden Fiskalregeln, kurze Zeit darauf aber nicht mehr.

Revision und Verzerrung struktureller Salden

Mit den letzten beiden Punkten, der Revisionsgröße und ihrer Richtung, werden wir uns etwas genauer auseinandersetzen. Dabei betrachten wir die Echtzeitdaten der EU-Kommission, der OECD und des IWF für Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Österreich, die zwischen Frühjahr 2003 und Frühjahr 2018 halbjährlich veröffentlicht wurden. Die strukturellen Finanzierungssalden werden ausgehend von den unbereinigten Finanzierungssalden mithilfe der ex post geschätzten Produktionslücken und der von der jeweiligen Institution verwendeten Semi-Elastizitäten berechnet.6

Der strukturelle Saldo (X) der Institution (k) für Land (l) und das Jahr (t) wird mit Xk,l,t,i bezeichnet, wobei i, den jeweiligen Ex-post-Stand anzeigt. Dabei erscheint die erste Ex-post-Analyse für das Jahr t im Frühjahr des Folgejahres von t (i = 1), die zweite im Herbst des Folgejahres von t (i = 2) usw. Für j > i ergeben sich die Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos dann aus

Göttert Formel 3

Abbildung 1 zeigt das durchschnittliche Ausmaß der Revisionen der strukturellen Finanzierungssalden. Dabei wurde der Mittelwert der absoluten Revisionen aller Jahre und aller Institutionen für jedes Land von einem Echtzeitdatenpunkt i zum nächsten i + 1 berechnet. Es zeigen sich für alle Länder bedeutende Revisionen, die zwar über den Zeitraum hinweg immer geringer werden, jedoch auch nach vier Jahren immer deutlich größer als Null sind. Die erste Revision beträgt 0,28 Prozentpunkte relativ zum Produktionspotenzial für Spanien, 0,20 für Frankreich, 0,17 für Italien, 0,14 für Deutschland und 0,13 für Österreich. Auch nach vier Jahren finden noch Revisionen im Ausmaß von 0,06 bis 0,11 Prozentpunkten in Relation zum Produktionspotenzial statt.

Abbildung 1
Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos bei Nutzung eines Produktionsfunktionsansatzes

in Prozentpunkten des Produktionspotenzials

Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos bei Nutzung eines Produktionsfunktionsansatzes

Quelle: EU-Kommission, IWF, OECD und eigene Berechnungen.

Die Richtung der Revisionen der strukturellen Finanzierungssalden wird in Anlehnung an Kempkes (2014) mit Hilfe eines Modells geschätzt, das ursprünglich von Holden und Peel (1990) formuliert wurde:

Göttert Formel 4

Dabei wird für jedes Land l die Revision des strukturellen Finanzierungssaldos zwischen der Erstveröffentlichung i = 1 und einem späteren Datenzeitpunkt j auf eine Konstante regressiert. Hierbei poolen wir die Daten der drei Institutionen und verwenden Newey-West-Standardfehler.

Wären die Revisionen im Durchschnitt ausgeglichen und würden im Mittel bereits die ursprünglichen Veröffentlichungen der Konjunkturkomponenten den richtigen Stand im Zyklus anzeigen, müsste die Schätzung α = 0 ergeben. Wenn α aber signifikant von Null abweicht, ist die Schätzmethode des strukturellen Finanzierungssaldos durch die Produktionslücke verzerrt. Sollte α größer Null ausfallen handelt es sich um eine Unterschätzung, da es mit den folgenden Revisionen systematisch nach oben korrigiert wird. Fällt α kleiner Null aus, ist es eine Überschätzung, da es mit den Revisionen nach unten korrigiert wird.

Die Ergebnisse von Gleichung (4) finden sich in Abbildung 2. Die blaue Linie zeigt dabei jeweils die Schätzungen für α in Abhängigkeit von der jeweiligen Zahl der Revisionen j - 1 an. Die hellblau schattierte Fläche stellt das 95 %-Konfidenzintervall dar. Für alle Länder lässt sich feststellen, dass systematische Abwärtsrevisionen stattgefunden haben und damit die ursprüngliche Schätzung als zu optimistisch betrachtet werden kann. Die fiskalische Position sieht in t + 1 für Jahr t also optimistischer aus als ein paar Jahre später. Diese Überschätzung des strukturellen Finanzierungssaldos spiegelt eine Unterschätzung der Produktionslücke wider. Letztere wird bei der Erstveröffentlichung für Jahr t systematisch kleiner eingeschätzt als bei späteren Veröffentlichungen. Ausgehend von der Definition des strukturellen Finanzierungssaldos in Gleichung (1) führt diese Unterschätzung der Produktionslücke durch das negative Vorzeichen zu einer Überschätzung des strukturellen Finanzierungssaldos.

Abbildung 2
Verzerrung der Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos (einschließlich 95 %-Konfidenzintervall) gegenüber der Erstveröffentlichung bei Nutzung eines Produktionsfunktionsansatzes
in %, in Relation zum Produktionspotenzial
Verzerrung der Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos (einschließlich 95 %-Konfidenzintervall) gegenüber der Erstveröffentlichung bei Nutzung eines Produktionsfunktionsansatzes

Quelle: EU-Kommission, IWF, OECD und eigene Berechnungen.

Besonders deutlich zeigt sich diese Überschätzung bei Italien und Frankreich, bei denen der strukturelle Finanzierungssaldo nach acht Revisionen (also nach vier Jahren) um insgesamt 0,8 Prozentpunkte in Relation zum Produktionspotenzial nach unten revidiert wird. In Deutschland, Österreich und Spanien fällt die Revision mit 0,3 bis 0,4 Prozentpunkten nicht ganz so deutlich aus. Bis auf Spanien sind auch alle Abwärtsrevisionen nach vier Jahren statistisch signifikant auf einem 5 %-Niveau. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass der Produktionsfunktionsansatz systematisch verzerrte Resultate für die strukturellen Finanzierungssalden liefert. In der Mehrzahl der untersuchten Fälle ist dieses Phänomen bereits ab dem ersten Jahr feststellbar. Lediglich bei Spanien kann überhaupt keine Verzerrung festgestellt werden. Die Revisionen für dieses Land sind so groß, dass die Konfidenzintervalle um ein Vielfaches größer als bei allen anderen Ländern ausfallen.7

Mit Umfragedaten stabilisieren

Um die mit dem traditionellen Produktionsfunktionsansatz verbundenen Probleme zu vermeiden, schlagen wir eine Methode zur Berechnung struktureller Finanzierungssalden vor, in der die konjunkturelle Lage (Y) durch eine im Rahmen von Unternehmensbefragungen erhobene Kapazitätsauslastung bestimmt wird. Bereits Orphanides et al. (2000) haben gezeigt, dass es eine hohe Korrelation zwischen der Produktionslücke und der Kapazitätsauslastung gibt. Dies überrascht wenig, denn „(d)er Potenzial-Output wird in aller Regel als jenes Aktivitätsniveau definiert, das bei einer ‚normalen‘ Auslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten erzielt wird“ (Deutsche Bundesbank, 2014, 14). Wenn die Kapazitätsauslastung über ihrem Normalniveau ist, ist das BIP größer als das Produktionspotenzial und die Produktionslücke damit positiv. Für eine Kapazitätsauslastung unter dem Normalniveau ist das BIP kleiner als das Produktionspotenzial und damit die resultierende Produktionslücke negativ.

EU-weit wird die Frage zur Kapazitätsauslastung im Rahmen von repräsentativen Unternehmensbefragungen einmal im Quartal abgefragt. Die befragten Wirtschaftsbereiche decken mit dem Produzierenden Gewerbe und den privaten Dienstleistungsunternehmen einen Großteil der Bruttowertschöpfung ab und sollten damit die Gesamtwirtschaft gut repräsentieren. Auch werden bei der Befragung implizit beide Produktionsfaktoren, Kapital und Arbeit, berücksichtigt. So argumentiert die EZB (2007, 47, Fn. 2): „(S)urvey respondents provide an answer about their overall resource utilisation, i. e. they consider both capital and labour inputs. This assumption is based on the overall content of the survey, which explicitly asks about various production constraints, including shortages of capital, labour and other inputs, suggesting that respondents have all those production inputs in mind when evaluating their capacity utilisation.“

Um den gesamtwirtschaftlichen Auslastungsgrad zu erhalten, wird ein gewichteter Durchschnitt der Reihen für das Produzierende Gewerbe und die privaten Dienstleistungsunternehmen gebildet. Im Einklang mit dem Economic Sentiment Indicator der EU-Kommission entfallen dabei 4/7 auf das Produzierende Gewerbe und 3/7 auf den Dienstleistungssektor. Übereinstimmend mit der Vorgehensweise von Marcellino und Musso (2011) wird die Normalauslastung der Kapazitäten als langfristiger Mittelwert der jeweiligen Zeitreihe definiert. Um das Ausmaß der Über- oder Unterauslastung und damit die konjunkturelle Lage (Y) im Land l zu bestimmen, wird die Kapazitätsauslastungslücke CUGl,t im Jahr t schließlich aus der Abweichung der in Prozent gemessenen Kapazitätsauslastung CUl,t von ihrem langjährigen Mittelwert berechnet:

Göttert Formel 5

Mit der so entstandenen Reihe kann dann mit Hilfe einer angepassten Semi-Elastizität ein struktureller Finanzierungssaldo gemäß Gleichung (1) ermittelt werden.8

Doch sind diese umfragegestützten strukturellen Finanzierungssalden den traditionellen tatsächlich überlegen oder sind sie nicht mehr als eine bloße Rechenübung? In Abbildung 3 sind die Revisionsgrößen (Mittelwert der absoluten Revisionen aller Jahre für jedes Land von einem Echtzeitdatenpunkt i zum nächsten i + 1) abgetragen. Diese liegen deutlich unter denen des Produktions­funktionsansatzes.

Abbildung 3
Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos bei Nutzung des umfragegestützten Ansatzes

in Prozentpunkten des Produktionspotenzials

Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos bei Nutzung des umfragegestützten Ansatzes

Quelle: EU-Kommission, Eurostat, eigene Berechnungen.

Zudem zeigt Abbildung 4, dass die systematischen Verzerrungen bei den Revisionen der strukturellen Finanzierungssalden (geschätzter Koeffizient α in Gleichung (4)) im umfragebasierten Ansatz deutlich geringer sind als im traditionellen Ansatz und sich nur unwesentlich von Null unterscheiden.

Abbildung 4
Verzerrung der Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos (einschließlich 95 %-Konfidenzintervall) gegenüber der Erstveröffentlichung bei Nutzung des umfragegestützten Ansatzes
in %, in Relation zum Produktionspotenzial
Verzerrung der Ex-post-Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos (einschließlich 95 %-Konfidenzintervall) gegenüber der Erstveröffentlichung bei Nutzung des umfragegestützten Ansatzes

Quelle: EU-Kommission, Eurostat, eigene Berechnungen.

Dass es zu Revisionen im umfragebasierten Ansatz kommt, liegt nicht an nachträglichen Änderungen der Befragungsergebnisse. Vielmehr hat das Hinzufügen von neuen Beobachtungen am aktuellen Rand einen geringfügigen Einfluss auf den langjährigen Mittelwert der Kapazitätsauslastung. Mit zunehmender Länge des Beobachtungszeitraums werden diese Revisionen aber immer geringer werden.

Fazit

Es spricht vieles dafür, bei den strukturellen Finanzierungssalden vom traditionellen Produktionsfunktionsansatz auf einen umfragegestützten Ansatz zu wechseln. Ein Produktionsfunktionsansatz, egal in welcher Form, ist der Öffentlichkeit nur schwierig zu vermitteln. Dass jedoch die Auslastung der Wirtschaft durch eine repräsentative Umfrage ermittelt und der Mittelwert der verfügbaren Zeitreihe das Normalniveau repräsentiert, sollte leichter zu transportieren sein. Die langfristige Ausgeglichenheit der neu konstruierten Lücke ist schon definitionsgemäß gegeben. Dazu bietet sie keinen großen Schwachpunkt zur politischen Einflussnahme. Viele der Teilnehmenden der repräsentativen Umfrage müssten ständig beeinflusst und zu immer extremeren Werten gedrängt werden, um dauerhaft die Lücke den eigenen finanzpolitischen Vorstellungen anzupassen. Das erscheint sehr abwegig und würde mit Sicherheit der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben. Vor allem aber ist die Revisionsproblematik nahezu nicht mehr vorhanden und wird in absehbarer Zeit verschwinden.

Jedoch ist bei den umfragegestützten strukturellen Finanzierungssalden noch ein Punkt offen: Die dargelegte Methodik wurde bislang nur für eine Ex-Post-Bestimmung der Salden evaluiert. Für den Teil der Fiskalregeln, die zukünftige Haushaltspläne adressieren, steht eine Evaluation einer um Prognosewerte erweiterten Methode noch aus. Da sich die Prognose der Kapazitätsauslastung sehr eng an der Prognose des BIP selbst orientieren wird, sollten die aus Prognoserevisionen und Fehlern folgenden Anpassungen der Kapazitätsauslastungslücke nicht höher ausfallen als die entsprechenden Anpassungen der Produktionslücke.

  • 1 Falls der staatliche Schuldenstand signifikant unter 60 % in Relation zum BIP liegt und die langfristige Stabilität der öffentlichen Finanzen gesichert ist, darf das strukturelle Defizit auch bis zu 1 % in Relation zum BIP betragen.
  • 2 Die Bedingungen für den Ausgabepfad hängen ebenfalls von der Produktionslücke ab.
  • 3 Hiervon entfallen 0,35 Prozentpunkte auf den Bund und die restlichen 0,1 Prozentpunkte auf Länder sowie Gemeinden (ÖStP, 2012).
  • 4 Die genauen Berechnungen der strukturellen Finanzierungssalden im Rahmen der deutschen und österreichischen Schuldenbremsen werden in BMF (2015) und ÖStP 2012 beschrieben.
  • 5 Auch bei der deutschen sowie der österreichischen Schuldenbremse wird der Ansatz der EU-Kommission, die Common Agreed Method (CAM) der Output Gap Working Group (OGWG), verwendet.
  • 6 Der Fokus liegt auf der Produktionslücke. Weitere Einfallstore für Revisionen des strukturellen Finanzierungssaldos sind Revisionen des veröffentlichten unbereinigten Finanzierungssaldos, des BIP, der verwendeten Semi-Elastizität und der Einmaleffekte. Es kann gezeigt werden, dass die Revisionen des unbereinigten Finanzierungssaldos und des BIP um ein Vielfaches kleiner ausfallen als die der Produktionslücke (Göttert und Wollmershäuser, 2021). Die OECD und der IWF haben ihre Semi-Elastizität in den vergangenen Jahren nicht angepasst. Zwar hat die EU-Kommission ihre Semi-Elastizität leicht revidiert (Mourre et al., 2019), jedoch führen die Schätzungen der Semi-Elastizität über die Jahre hinweg immer wieder zu ähnlichen Resultaten (Price et al., 2014). Größere und systematische Revisionen der Einmaleffekte, die den strukturellen Finanzierungssaldo substanziell beeinflussen, sind uns nicht bekannt.
  • 7 Die von uns vorgenommene Analyse beschränkt sich auf realisierte Finanzierungssalden, also auf Ex-Post-Daten. Für Prognosewerte lässt sich jedoch ebenfalls eine Überschätzung feststellen, wie Kempkes (2014) mit einer ähnlichen Analyse gezeigt hat.
  • 8 Zur Konstruktion der Kapazitätsauslastungslücke sowie zur Anpassung der Semi-Elastizität vgl. Göttert und Wollmershäuser (2021).

Literatur

BMF (2015), Kompendium zur Schuldenbremse.

Deutsche Bundesbank (2014), Zur Verlässlichkeit der Schätzungen internationaler Organisationen zur Produktionslücke, Monatsbericht April, 13-38.

ECOFIN (2017), Specifications on the Implementation of the Stability and Growth Pact and Guidelines on the Format and Content of Stability and Convergence Programmes, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-9344-2017-INIT/en/pdf (18. Januar 2022).

EC (2018), Vade Mecum on the Stability and Growth Pact, European Economy Institutional Paper, March 2018 075, European Commission.

EZB (2007), Prices and Costs – Capacity Utilisation in the Euro Area: Measures and Implications, https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/mb200710_focus05.en.pdf?be6b47dfc034153534fd0e4d34cd7581 (18. Januar 2022).

Feld, L. P., L. Nöh, W. H. Reuter und M. Yeter (2021), Von der Corona-bedingten Schuldenaufnahme zur Wiedereinhaltung der Schuldenbremse, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 22(4) 330-349.

Göttert, M. und T. Wollmershäuser (2021), Survey-Based Structural Budget Balances, CESifo Working Paper, 8911.

Holden, D. und K. A. Peel (1990), On Testing for Unbiasedness and Efficiency of Forecasts, The Manchester School, 58, 120-127.

Kempkes, G. (2014), Cyclical Adjustment in Fiscal Rules: Some Evidence on Real-Time Bias for EU-15 Countries, Public Finance Analysis, 70(2), 278-315.

Krahé M., Schuster, F. und P. Sigl-Glöckner (2021), Wird die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse ihrer Aufgabe noch gerecht? Wirtschaftsdienst, 101(8), 621-628.

Krahé M. und P. Sigl-Glöckner (2021), Die Definition einer zukunftsfähigen Finanzpolitik, Wirtschaftsdienst, 101(7), 497-504.

Marcellino, M. and A. Musso (2011), The Reliability of Real-Time Estimates of the Euro Area Output Gap, Economic Modelling, 28, 1842-1856.

Orphanides, A., R. D. Porter, D. Reifschneider, R. Tetlow und F. Finan (2000), Errors in the measurement of the output gap and the design of monetary policy, Journal of Economics and Business, 52(1-2), 117-141.

Price, R., T. Dang und Y. Guillemette (2014), New Tax and Expenditure Elasticty Estimates for EU Budget Surveillance, OECD Economics Department Working Papers, 1174, OECD.

 

Title:Putting Structural Budget Balances on Reliable Footing

Abstract:The design of future fiscal rules is currently being debated in Germany and the EU. A recurring point is the calculation of the structural budget balance. In the following, we present five criteria that should be fulfilled by structural budget balances. Moreover, we analyse the ex­post revisions of the existing production function approach and present a survey­based method that mitigates revision problems.

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3114-7

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