Der Einmarsch Russlands in die Ukraine wird zu Recht von etlichen Sanktionen des Westens begleitet. Dazu gehört auch eine halbherzig wirkende Abtrennung vom SWIFT-System. Halbherzig, weil man nicht alle Banken und Überweisungen ins Visier nimmt, denn man will ja weiter seine Gas- und anderen Rechnungen bezahlen (Guardian, 2022), und weil es auch signifikante Umgehungsmöglichkeiten, etwa über China oder Kasachstan, gibt. Drei weitere Maßnahmen könnten helfen, das System Putin hart zu treffen.
Erstens könnte man Importe aus Russland und Weißrussland weiter zulassen, darauf aber einen zusätzlichen Sonderzoll-tarif von z. B. 20 % erheben. Das GATT-Abkommen, das für den Warenverkehr das Kernstück der WTO-Verträge darstellt und eigentlich keine diskriminierenden Zölle zulässt, lässt Ausnahmen zu. In Art. XXI heißt es: „Die Bestimmungen dieses Abkommens hindern eine Vertragspartei nicht daran, […] b) Maßnahmen zu treffen, die nach ihrer Auffassung zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen notwendig sind […] iii. in Kriegszeiten oder bei sonstigen ernsten Krisen in den internationalen Beziehungen; c) Maßnahmen auf Grund ihrer Verpflichtungen aus der Satzung der Vereinten Nationen zur Erhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit zu treffen“ (Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags, 2019). Im Unterschied zum Verfahren bei den Standardzöllen in der EU sollten die Erträge dieses Sondertarifs bei den Nationalstaaten verbleiben. Daraus ließen sich dann Kompensationen für die betroffene Bevölkerung und Industrie finanzieren.
Zweitens sollten Visa für russische Staatsbürger:innen für Aufenthalte in der EU, den USA und anderen mitziehenden Ländern für die Dauer der Besetzung generell nicht mehr ausgestellt werden. Mit Ausnahmen für Studierende, Wissenschaftler:innen, Künstler:innen, Sportler:innen, Journalist:innen, die den Kern einer kritischen Zivilgesellschaft bilden könnten, und mit denen deshalb weiter ein Austausch aufrechterhalten werden sollte. Bisher gibt es solche Visa-Verweigerungen nur für wenige Politiker:innen und Militärs. Das ist als Signal zu wenig und da ginge mehr. Denn das Reisen ins Ausland ist bei Russ:innen populär. 2017 etwa waren in den ersten neun Monaten 31 Mio. grenzüberschreitend unterwegs, bei nur gut 144 Mio. Einwohnern insgesamt (Ostexperte, 2018). International belegt Russland damit immerhin Platz sechs bei den ausländischen Tourismusausgaben (UNWTO, 2021). Die vom System Putin mitprofitierenden besseren Schichten würden es sicher als erheblichen Verlust an Lebensqualität empfinden, von ihren Lieblingsurlaubszielen abgeschnitten zu werden.
Drittens existiert noch eine vermutlich weit wichtigere Gruppe an Putin-Unterstützer:innen, die bisher kaum ins Visier genommen wurde: die russische Oligarchie. Auch hier gibt es bisher nur Nadelstiche gegen einige wenige. Paul Krugman (2022) hat in der NYT darauf hingewiesen, dass Putins Schwachpunkt das im Ausland versteckte Vermögen seiner superreichen Unterstützer.innen sein könnte. Basierend auf Recherchen von Autor.innen um Gabriel Zucman zeigt sich, dass eine große statistische Lücke herrscht zwischen den offiziellen Reserven an ausländischen Zahlungsmitteln und dem langjährigen Überschuss im Welthandel. Die ins Ausland verbrachten Summen der Oligarchen entsprechen etwa dem Finanzvermögen aller russischen Haushalte im Lande selbst, was für ein auch im internationalen Vergleich erstaunliches Plünderungsausmaß spricht (Novokmet, Piketty und Zucman, 2018). Es gilt folgende Einschätzung: „The equivalent of about 10 % of world GDP is held offshore globally, but this average masks a great deal of heterogeneity – from a few percent of GDP in Scandinavia to about 15 % in Continental Europe, and more than 50 % in Russia, some Latin American countries and Gulf countries” (Alstadsæter, Johannesen und Zucman, 2018, 100). Thomas Piketty hat in der Le Monde vorgeschlagen, als Sofortmaßnahme zumindest auf den im Westen geparkten Anteil eine Steuer von z. B. 10 % oder 20 % zu erheben (Piketty, 2022). Die große Frage ist: Mehr Rüstungsausgaben sind schnell gefordert und bei der gegenwärtigen Stimmung schon alloziert, aber traut man sich auch, auf die Füße der eigenen Steuerflüchtlinge zu treten, was ein willkommenes Nebenprodukt wäre, wollte man die vermögende Putin-Kamarilla treffen?
Literatur
Alstadsæter, A., N. Johannesen und G. Zucman (2018), Who owns the wealth in tax havens? Macro evidence and implications for global inequality, in: Journal of Public Economics 162, 89-100.
Garside, J. (2022), Swift action at last brings meaningful sanctions against Putin regime, The Guardian, 27.2.
Krugman, P. (2022), Laundered Money Could Be Putin’s Achilles’ Heel, New York Times, 24.2.
Novokmet, F., T. Piketty und G. Zucman (2018), From Soviets to oligarchs: inequality and property in Russia 1905-2016, in: Journal of Economic Inequality volume, 16, 189-223.
Ostexperte (2018), Tourismus: Russen reisen wieder häufiger ins Ausland, 16.1.
Piketty, T. (2022), Sanction the oligarchs, not the people, Le Monde, 15.2.
UNWTO (2021), International Tourism Highlights, 2020 Edition.
Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestags (2019), Zur Geltendmachung nationaler Sicherheitsinteressen beim Aufbau des 5G-Netzes.