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Zwei Monate nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wandelt sich der Konflikt zu einem „War of Attrition“ einem Abnutzungskonflikt, bei dem Ausdauer und die Bereitschaft zum Einsatz von Ressourcen über den Ausgang des Konflikts entscheiden. Aus deutscher Sicht besteht die Frage, wie und mit welchen Maßnahmen zur Beilegung des Konflikts beigetragen werden kann. Zur Bewertung strategischer Konflikte ist seit den 1950er Jahren in den USA die Spieltheorie gefördert worden, viele Analysen behandeln Konflikte des Kalten Kriegs. Auch wenn in der Spieltheorie sehr rigorose Annahmen über die Rationalität der Agierenden getroffen werden, so erlaubt sie doch Vorhersagen, wie sich ein bestimmtes Verhalten in Konflikten auswirkt. Im Folgenden wird gezeigt, dass Strafzölle auf russisches Öl und Gas eine ideale Maßnahme sind, um Druck auf Russland zur Beilegung des Konflikts auszuüben. Über die Vorteile von Strafzöllen aus handelsökonomischer Perspektive liegen bereits Analysen vor (Sturm, 2022), und viele prominente Ökonom:innen sprechen sich auch öffentlich dafür aus (Chaney et al., 2022).

Gemäß dem War-of-Attrition-Modell ist es entscheidend, die russische Seite noch stärker unter Druck zu setzen. Die bisherigen Sanktionen wirken sich nur moderat auf Russland aus, und nur der Verlust der Öl- und Gasexporte wäre eine wirkliche Bedrohung für den russischen Staatshaushalt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die EU Russlands wichtigste Kundin für Öl und Gas ist, und die Exporte nicht ohne weiteres nach China oder Indien transportiert werden können (Kennedy, 2022). Mit einer Beschränkung der russischen Energieexporteinnahmen könnte Deutschland also einen wichtigen Beitrag leisten. Durch einen Strafzoll könnten dabei die viel diskutierten Härten eines Vollembargos für die deutsche Wirtschaft gestreckt werden.

Das Rubinstein-Modell (Rubinstein, 1987) zeigt eindrucksvoll, dass in einer Verhandlung die Partei mit dem größeren Zeitdruck eher zu Konzessionen bereit ist. Es ist davon auszugehen, dass Russland aktuell wenig Zeitdruck hat. In der Vergangenheit hat Russland eingefrorene Konflikte (Moldawien, Georgien, etc.) sehr lange aufrecht­erhalten. Hilfreich können daher Embargos oder steigende Strafzölle sein. Würde der Strafzoll auf russisches Öl und Gas mittelfristig ansteigen, entstünde ein starker Anreiz für Russland, einen Verhandlungsfrieden vorzuziehen.

Thomas C. Schelling hat in seinem Hauptwerk „The Strategy of Conflict“ zentrale Beiträge zu Drohungen, Glaubwürdigkeit und Festlegungen geleistet. Am berühmtesten ist die Erkenntnis zur Notwendigkeit von Festlegungen „The Power to constrain an adversary rests on the power to bind oneself“ (Schelling, 1960). Hier muss man nun eine entscheidende Schwäche der bisherigen Politik berücksichtigen. Nach der Invasion der Krim 2014 hatte Deutschland Russland zwar hart kritisiert und EU-Sanktionen unterstützt, bereits 2015 hat man aber mit Nordstream 2 der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wieder die Priorität eingeräumt. Das bedeutet, dass sich Deutschland eben nicht festgelegt hatte, aus der damaligen aggressiven russischen Außenpolitik Konsequenzen zu ziehen. Vor diesem Hintergrund kann die russische Politik erwarten, bei Beendigung des aktuellen Konflikts schnell wieder lukrative Geschäftsbeziehungen aufnehmen zu können. Die aktuellen Aussagen der Bundesregierung, in der Zukunft komplett auf russische Importe von Kohle, Öl und Gas zu verzichten, erscheinen aus russischer Sicht unglaubwürdig. Schelling empfiehlt dazu, angedrohte Maßnahmen in Teilschritte zu gliedern. So steigt nach Realisierung der ersten Schritte die Glaubwürdigkeit, dass auch weitere Schritte noch erfolgen. Strafzölle haben hier einen Vorteil gegenüber einem Vollembargo, wenn ein Stufenplan weiterer Erhöhungen besteht. Je länger der Krieg andauert oder je aggressiver Russland gegenüber der Zivilbevölkerung agiert, desto höher steigt der Strafzoll. So besteht weiteres Drohpotenzial und bereits mit der ersten Einführung eines Strafzolls steigt die Glaubwürdigkeit, dass die Maßnahme weiterhin genutzt wird. Anders als bei einem Embargo, steigt die Transparenz für Russland, bei welchen weiteren Schritten im Krieg welche Konsequenzen durch höhere Strafzölle drohen.

Aus Sicht der spieltheoretischen Konflikt- und Verhandlungsforschung zeigt sich, dass Deutschland und die EU mit Strafzöllen auf Öl und Gas ein sehr effektives Instrument zur Verfügung steht, die Anreize für einen baldigen Friedensschluss in der Ukraine zu erhöhen.

Literatur

Chaney, E, C. Gollier, T. Philippon und R. Portes (2022), Stop financing Russian aggression against Ukraine, https://www.stopfinancingwar.com/ (12. Mai 2022).

Kennedy C. (2022), The Rigidity of Russian Oil Holds the Key to Smart Sanctions, Politico Foreign Affairs.

Rubinstein, A. (1987), A Bargaining Model with Incomplete Information about Time Preferences in The Economics of Bargaining, Basil Blackwell.

Schelling, T. C. (1960), The Strategy of Conflict, Harvard University Press.

Sturm, J. (2022), The Simple Economics of Trade Sanctions on Russia: A Policymaker’s Guide, Working Paper, 9.4.

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© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3178-4

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