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Die im Koalitionsvertrag skizzierte Innovationspolitik stellt einen Übergang zwischen traditioneller und transformativer Politik dar. Die aktuelle deutsche Innovationspolitik zeichnet sich, neben unternehmenszentrierten Maßnahmen, vor allem durch die Ausrichtung auf gesamtgesellschaftliche Ziele aus. Dies bedeutet eine graduelle Weiterentwicklung im Vergleich zur Vorgängerregierung. Im Zentrum steht die Reorganisation von Wissenstransfer für gesellschaftliche Transformationen. Auswirkungen der Innovationspolitik der Ampelkoalition ergeben sich in den Bereichen der Technologieoffenheit, der Legitimation der Politikmaßnahmen und der Partizipation bei Änderung der Zielsetzungen.

Die Bundesregierung skizziert im Koalitionsvertrag eine Neuausrichtung der Innovationspolitik. Innovationen sollen einen zentralen Beitrag leisten bei der Gestaltung gesellschaftlicher Transformationsprozesse, wie z. B. bei der Bewältigung des Klimawandels oder der Digitalisierung. Sie sind dabei nicht nur aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verwertung relevant, sondern auch in Bezug auf die Erreichung gesamtgesellschaftlicher Ziele, wie z. B. die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Impulse gab es hierfür von Agierenden auf nationaler und internationaler Ebene. Auf nationaler Ebene haben unter anderem die Fraunhofer-Gesellschaft und die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) Konzepte für die Weiterentwicklung der Innovationspolitik vorgelegt (Botthof et al., 2020; EFI, 2021). Auf internationaler Ebene bietet die OECD z. B. ein digitales Toolkit an, das bei der Entwicklung von missionsorientierten Politikmaßnahmen unterstützen soll (Larrue, 2021). Des Weiteren kann der Green Deal der EU-Kommission als Beispiel dafür betrachtet werden, wie ein Set an Fördermaßnahmen, Strategien und regulatorischen Eingriffen Innovations- und Technologieentwicklung für Nachhaltigkeit fördern soll (EC, 2019).

Warum ist das Bedürfnis entstanden, Innovationspolitik neu auszurichten? Die Wahrnehmung von Agierenden aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zunehmender komplexer, zeitkritischer Probleme begründet die Forderungen, die Rolle von Innovationen neu zu diskutieren. Die Bewältigung des Klimawandels ist exemplarisch für die Herausforderung, das Zusammenspiel des Einsatzes innovativer Technologien, beteiligter Agierender, staatlicher Regulierung und Änderungen von Konsumpräferenzen durch Politikmaßnahmen zu unterstützen. Traditionelle Instrumente der Innovationspolitik reichen nicht aus, um neue Herausforderungen zu bewältigen. Diese konzentrieren sich auf die Internalisierung externer Effekte mithilfe von Subventionen für Forschung und Entwicklung (FuE) und der Förderung von Grundlagenforschung (Innovationspolitik 1.0) sowie auf die Optimierung von Innovationssystemen (Innovationspolitik 2.0) (Schot und Steinmueller, 2018). Innovationspolitik in Transformationen hingegen bedarf einer strategischen Ausrichtung, die Innovationsprozesse so gestaltet, dass sie auch gesellschaftlichen Mehrwert bieten. Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an das benötigte Wissen, mit dessen Hilfe die erforderlichen Maßnahmen entwickelt werden können. Dabei ist unter anderem darauf zu achten, dass ein unrealistischer planwirtschaftlicher Optimismus vermieden wird. Letztendlich besteht der Anspruch transformativer Innovationspolitik darin, Transformationen positiv zu beeinflussen, ohne die zukünftigen technologischen und nicht-technologischen Lösungen im Detail zu kennen.

Traditionelle Innovationspolitik orientiert sich auch an normativen Zielen, wie der Fokussierung auf die Innovationsfähigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit. Die dahinterliegende Argumentation basiert auf der endogenen Wachstumstheorie, welche die Rolle von Technologien zur Beförderung von Wachstum als einzige realistische Möglichkeit für entwickelte Länder betrachtet, um langfristig auf einem stetigen Wachstumspfad zu bleiben. Der Übergang „herkömmlicher“ Innovationspolitik zu einer direktionalen transformativen Innovationspolitik zeichnet sich vor allem durch die stärkere Fokussierung auf die normative Zielsetzung aus. Transformative Innovationspolitik orientiert sich an gesellschaftlichen Zielen. Sie geht über den Anspruch hinaus, Innovationssysteme zu optimieren und nimmt insbesondere auch die Richtung der Veränderungsprozesse, z. B. zur Erreichung der SDGs in den Blick.

Das Versprechen im Koalitionsvertrag, „mehr Fortschritt wagen“, wird die Ausrichtung der deutschen Innovationspolitik stark beeinflussen. Eingebettet in den internationalen Kontext, allerdings ohne viele konkrete historische Vorbilder in der europäischen Geschichte, steht die Bundesregierung vor der Herausforderung, in einem dynamischen Umfeld transformative Innovationspolitik zu entwickeln. Der erste Aufschlag der Innovationspolitik im Koalitionsvertrag soll im Folgenden hinsichtlich zweier Fragen analysiert werden: Erstens, wie sieht die innovationspolitische Strategie der Bundesregierung aus? Und zweitens, welche Auswirkungen sind durch die Fokussierung von Innovationspolitik auf gesellschaftliche Ziele zu erwarten?

Die Herausforderung der Direktionalität in der Innovationspolitik

Klassische ökonomische Bewertung von Innovationspolitik analysiert Politikmaßnahmen nach ihrer Effektivität, d. h. dem Beitrag zum Ziel, der Effizienz, also der Kosten-Nutzen-Relation und der Administrierbarkeit, den Verwaltungsprozessen der Politikmaßnahmen. Erst in den vergangenen zehn Jahren wurden die innovationspolitische Ausrichtung und deren gesellschaftliche Aushandlungsprozesse näher in den Blick genommen. Innovationspolitik im Kontext von Transformationsprozessen steht vor der Herausforderung, zu verstehen, welche gesellschaftlich gewünschten Ziele angestrebt werden und wie diese umgesetzt werden können (Weber und Rohracher, 2012). Zentrale Themen der aktuellen Diskussion sind die Bekämpfung des Klimawandels, soziale Inklusionsprozesse und der Umgang mit dem demografischen Wandel. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Aushandlung eines gemeinsamen Verständnisses, welche Ziele innerhalb unterschiedlicher sozio-technischer Systeme erreicht werden sollen. Gerade die Partizipation ist als Kernbestandteil für den Umgang mit direktionalen Herausforderungen von großer Relevanz (Weber und Rohracher, 2012). So werden momentan z. B. Konzepte entwickelt, um die Akzeptanz von weitreichenden sozio-technischen Systemen, wie sie beim Umbau des Energiesystems zu einem erneuerbaren Energiesystem zum Tragen kommen, zu erhöhen und Widerstände innerhalb der Zivilgesellschaft abzubauen (Seidl et al., 2019).

Die Umsetzung direktionaler Herausforderung in praktische Innovationspolitik orientiert sich insbesondere am Konzept der Missionsorientierung. Ursprünglich kommt die Missionsorientierung vor allem in großen Projekte der öffentlichen Hand zum Tragen. Die staatliche Investition in technologische Großprojekte, wie z. B. in Mondfahrtprojekte, galt als Vorbild einer neuen Missionsorientierung, die eine stärker lenkende Rolle der öffentlichen Hand bei Transformationsprozessen, gerade hin zu grünen Innovationen und nachhaltiger Entwicklung erfordert (Mazzucato, 2016). Innovationspolitik stellt mit der Missionsorientierung die investierende Funktion des Staates in den Mittelpunkt, um einerseits Entwicklungen zu beschleunigen, andererseits aber auch, um als Vorbild zu dienen.

Empirisch robuste Hinweise über die Vorteilhaftigkeit lassen sich bisher nur in einzelnen Fallstudien finden (Janssen et al., 2021). Direktionalität und neue Missionsorientierung sind Konzepte aus der Forschung und Politikberatung, die mit Transformationen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen umgehen wollen. Bislang existiert allerdings noch kein kohärentes Framework einer transformativen Innovationspolitik 3.0 (Schot und Steinmueller, 2018). Eine Analyse der Ausrichtung der Innovationspolitik in Deutschland kann aber Hinweise geben, wie der Übergang zwischen herkömmlicher Innovationspolitik zu transformativer Innovationspolitik in der Praxis ausgestaltet werden kann.

Direktionalität und Missionsorientierung

Die Absicht, Innovationspolitik mit gesellschaftlichen, nicht ausschließlich wirtschaftlichen Zielen zu verknüpfen, wird im Koalitionsvertrag deutlich. In 29 von 60 innovationsbezogenen Textstellen, in denen Innovation diskutiert wird, wird ein direkter Bezug zu Zielen der nachhaltigen Entwicklung und sozialen Innovationen hergestellt. Zudem findet sich im aktuellen Koalitionsvertrag erstmalig der Begriff der Missionsorientierung: „Wir können unser Innovationspotenzial heben, wenn wir unsere Ressourcen effektiv bündeln und einsetzen. An diesen Erfolg wollen wir anknüpfen, indem wir Programmlinien, Hightech-Strategie und Ressortforschungen missionsorientiert weiterentwickeln“ (SPD et al., 2021, 19 f.). Das deutliche Bekenntnis weist darauf hin, dass die Bundesregierung das Konzept und die damit verbundene stärkere lenkende Funktion staatlicher Innovationspolitik nutzen will. Das zeigt sich auch daran, dass ein Klima­check eingeführt werden soll, der eine abgeschwächte Form eines Vetos bei Gesetzesvorhaben darstellt und prüft, inwiefern Gesetzesvorhaben sich auf die Klimaschutzziele der Bundesregierung auswirken.

Jedoch bedeuten diese Ansätze weniger eine revolutionäre Wendung in der deutschen Innovationspolitik als vielmehr eine Weiterentwicklung der bisherigen Innovationspolitik der alten Bundesregierung. So finden sich einige Elemente der Ausrichtung an gesellschaftlich relevanten Ziele in Innovationsstrategien der Bundesregierung, die schon seit 2015 zu erkennen sind, als eine neue Hightech-Strategie (BMBF, 2018) aufgestellt wurde. Schon hier wird explizit auf die Dualität der Ausrichtung der Innovationspolitik zwischen Innovationsfähigkeit und Nachhaltigkeit hingewiesen. Der explizite Verweis auf die SDGs sind Beleg dafür, dass Innovationsziele im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Zielen gedacht werden. Auch war der Aufbau der Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND, die durch die letzte Bundesregierung gegründet wurde, ein Versuch, missionsorientierte disruptive Innovationen voranzubringen. Die direktionale und missionsorientierte Innovationspolitik ist letztendlich eine graduelle Weiterentwicklung, die, auch wenn sich das sprachlich zum ersten Mal im Koalitionsvertrag wiederfindet, eher als eine Weiterentwicklung und ein weiterer Baustein einer stärkeren Ausrichtung auf gesellschaftlich relevante Ziele zu betrachten ist.

Wissenstransfer für gesellschaftliche Transformation

Das Ziel, Wissenstransfer stärker an der gesellschaftlichen Wirkung zu orientieren, wurden schon von den Vorgängerregierungen verfolgt. Im aktuellen Koalitionsvertrag wird dieses allerdings expliziter ausgeführt. Das lässt sich an drei thematischen Schwerpunkten festmachen: Erstens konzentriert sich der regionale Wissenstransfer in Innovationsökosystemen neben der Förderung von klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) auf die Zusammenarbeit mit sozialen Organisationen und Agierenden der öffentlichen Hand, z. B. durch die Gründung einer spezialisierten Agentur. Zweitens sollen Gründungsaktivitäten beim Wissenstransfer einen zusätzlichen Schwerpunkt auf die Gründung sozialer Unternehmen legen. Drittens legt die Bundesregierung beim Wissenstransfer mit Entwicklungsländern den Fokus auf die Diffusion nachhaltiger, insbesondere klimafreundlicher, Technologien und Innovationen.

Aus dem Koalitionsvertrag geht nicht hervor, wie der Wandel von einem auf Marktakteur:innen fokussierten Wissenstransfer hin zu einem auf breitere gesellschaftliche Gruppen ausgelegten Transfer gestaltet werden soll. Auch wenn sich Forderungen nach einer stärkeren Ausrichtung an gesellschaftlichen Bedürfnissen wiederholt im Koalitionsvertrag finden, ist die Ausgestaltung direktionaler und missionsorientierter Innovationspolitik nur fragmentiert vorzufinden. Es fehlt eine umfassende Strategie und es bleibt weitgehend unklar, wie die Abstimmungsprozesse zwischen Politik und den einzelnen Stakeholdergruppen ausgestaltet werden. Die Rolle der Wissenschaftskommunikation, die zentraler Bestandteil sein könnte, beschränkt sich auf einen generellen Austausch zwischen Bürger:innen und Wissenschaft. Wie Prioritätensetzung stattfindet und Zielkonflikte gelöst werden, ist bislang noch offen.

Einen potenziellen Ausweg aus diesem Dilemma könnte die Erprobung neuer Governancemechanismen durch experimentelles Handeln darstellen. So wird im Koalitionsvertrag z. B. die Rolle der Ausnahmeregelungen und Reallabore betont. Sie sollen bei der Entwicklung neuer Politikmaßnahmen den Weg weisen, gerade in Politikfeldern, in denen Erfahrungen fehlen. Insbesondere für den Anspruch, Transformationsprozesse zu gestalten, reicht das traditionelle Set an innovationspolitischen Maßnahmen nicht aus. Regulatorische Experimente können einen Weg zeigen, wie transformative Innovationspolitikmaßnahmen eingeführt, getestet und validiert werden können. Allerdings weisen internationale Beispiele unter anderem in den Niederlanden, Norwegen und Großbritannien darauf hin, dass das regulatorische Lernen in Experimenten mit betroffenen Stakeholdern aus Verwaltung, Unternehmen und Kund:innen eine gewisse Zeit benötigt (Feser et al., 2021).

Parallelität traditioneller und transformativer Innovationspolitik

Innovationen werden von der neuen Bundesregierung nicht nur als Thema verstanden, das in einem spezifisch abgegrenzten fachpolitischen Gebiet zu verorten ist, sondern als Querschnittsthema. So findet sich Innovationspolitik in zweierlei Hinsicht im Koalitionsvertrag: Es gibt einerseits ein separates Kapitel, das sich auf die traditionelle Forschungs- und Innovationspolitik bezieht, andererseits finden sich im ganzen Koalitionsvertrag Verweise auf die Rolle und die Bedeutung von Innovationen für wirtschaftliche und auch für gesamtgesellschaftliche Ziele. Auffällig ist die Dualität der Rolle von Innovationen. In diesem Zusammenhang zeigt sich auf der einen Seite Innovation als klassisches Thema, wenn es um die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und die Förderung des Wirtschaftswachstums geht. Dabei werden die traditionellen Instrumente der Innovationspolitik, wie z. B. der Abbau von markthemmenden Faktoren und die Unterstützung von Wissenstransfer gestärkt und ausgebaut. Auf der anderen Seite finden sich Elemente transformativ ausgerichteter Innovationspolitik: So werden zum einen Digitalisierung und digitale Innovationen als Treiber verstanden, die einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und nachhaltiger Entwicklung leisten. Zudem werden Innovationen als Kernbestandteil angeführt, mit dessen Hilfe die Klimaziele erreicht werden können. Des Weiteren soll die Konkretisierung des Koalitionsvertrags in Förderprogrammen, Forschungsvorhaben und Strategien im Einklang mit der Missionsorientierung der öffentlichen Hand geschehen. Schließlich sollen ökologische und soziale Ziele bei den bestehenden Förderprogrammen berücksichtigt werden.

Ein Sachverhalt, der im Koalitionsvertrag weniger diskutiert wird, sich aber stärker auf die Rolle der Innovationspolitik auswirken wird, ist die Rolle der Trade-offs. Mit dem Ziel, Innovationspolitik stärker an ihrer Wirkung auszurichten, wird es offensichtlicher, dass es durchaus Trade-offs zwischen den einzelnen Politikzielen und innovationspolitischen Maßnahmen geben kann. Während Innovationspolitik herkömmlicher Art, die sich auf das Hervorbringen von Innovationen und den Wachstumsbeitrag, oftmals auch impliziter Natur, fokussieren konnte, sind transformative Ansätze von Innovationspolitik darauf ausgerichtet, schon im Innovationsprozess Auswirkungen zu reflektieren und auch nicht-intendierte Effekte, wie z. B. Rebound-Effekte zu bedenken.

Direktionalität und Technologieoffenheit

Zentrale Kritik aus ökonomischer Perspektive an der Bewertung transformativer Innovationspolitik hängt mit der Frage zusammen, inwiefern transformative Ansätze sich auf die Technologieoffenheit bei der Förderung von Innovationen auswirken. So wurde beispielsweise um die EU-Taxonomie zur Einordnung von unternehmerischen Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit eine hitzige Debatte geführt. Der Vorwurf planwirtschaftlichen Denkens wurde unter anderem mit dem Hinweis geäußert, dass zukünftige Technologieentwicklung gar nicht so weit vorhersehbar sei und Eingriffe negative Effekte haben können (Felbermayr, 2022). In diesem Zusammenhang kann sich eine stringente Anwendung transformativer Innovationspolitik durch eine gezieltere Ausrichtung auf die Auswahlmechanismen auf Technologiemärkten auswirken. Dies kann negative Folgen für Effizienz und Effektivität der Politikmaßnahmen haben. Diesbezüglich wird immer wieder die Sorge geäußert, dass Innovationspolitik den Grundsatz des effizienten Mitteleinsatzes vernachlässigt oder über Bord wirft. Verfrühte Richtungsentscheidungen können dazu führen, dass Technologien übersehen, Technologieentwicklungen nicht antizipiert und im schlechtesten Fall Rahmenbedingungen für ineffiziente Technologien optimiert werden, was sich durch das Ausschalten der Koordinationsfunktion des Marktes auf die Innovationsentwicklung auswirken kann. Regressive Verteilungen, z. B. im Bereich der Klimaförderung stellen ein Problem dar (Pritzl und Söllner, 2021).

Transformative Innovationspolitik stellt insgesamt hohe Anforderung an die Legeslative. Parlamentarier:innen müssen über weitgehendes Wissen verfügen, um Technologieentwicklungen antizipieren zu können. Die stärkere Ausrichtung auf insbesondere digitale oder nachhaltige Transformationsprozesse muss sich nicht zwangsläufig auf die Technologieoffenheit auswirken, denn es geht nicht um die arbiträre Einschränkung von Technologien, sondern der Ausrichtung von Innovationspolitik innerhalb von sozio-technischen Systemen. Während auf Technologie- und Innovationsebene nicht frühzeitig abzuschätzen ist, welche spezifische Innovation sich letztendlich durchsetzen wird, ist bei übergeordneten sozio-technischen Systemen, wie z. B. Mobilität oder Ernährung klar, welche Ziele erreicht werden müssen. Innovationspolitik kann nur erfolgreich handeln, wenn sie diesen Unterschied beachtet. In der Innovationsforschung werden im Zusammenhang mit Technologieoffenheit zwei Argumentationsstränge angeführt: Zum einen, dass transformative Innovationspolitik mit einem klaren Zeitfokus agiert. So orientiert sich auch die normative Ausrichtung der Politik in der Regel an klar gesteckten Zielen, z. B. den Klimazielen für 2030 und 2050. Die Einschränkung des Zeithorizontes kann dazu führen, dass bestimmte Technologien sich schon heute als effektiver und effizienter aus ökonomischer Betrachtungsweise erweisen und weitere Technologien keine Marktreife innerhalb des Zeitrahmens erlangen. Zum anderen sind finanzielle Ressourcen für innovationspolitische Maßnahmen knapp. Die Entscheidung über die Investition richtet sich danach, wo die höchste gesellschaftliche Wohlfahrt erzeugt werden kann.

Transformative Innovationspolitik erhöht die Verantwortlichkeit

Direktionalität und Missionsorientierung erhöhen die Verantwortlichkeit der Innovationspolitik. Während traditionelle Innovationspolitik am Entstehen von neuen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen gemessen wird, z. B. durch das statistische Erfassen von Patenten oder den Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt, erhebt transformative Innovationspolitik den Anspruch, auch den Einfluss auf die gesellschaftlichen Ziele darstellen zu können. Des Weiteren liegt bei transformativer Innovationspolitik ein stärkeres Gewicht auf dem Prozess und der Erstellung der Politikinstrumente. Für transformative Innovationspolitik besteht ein höherer Druck, sich für die Entscheidung von bestimmten Maßnahmen zu rechtfertigen. So führte der kurzfristige Stopp der Förderprogramme für energieeffizientes Bauen und Sanieren der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zu einer so großen Diskussion, dass die Bundesregierung sich gezwungen sah, mehr Haushaltsmittel für ein Programm bereitzustellen, das in seiner derzeitigen Form wenig effizient zu Emissionseinsparungen führt und laut Koalitionsvertrag zeitnah überarbeitet werden soll (dpa, 2022).

Zudem führt eine gezieltere Ausrichtung von Innovationspolitik zu einer höheren Relevanz von Trade-offs zwischen gesellschaftlich angestrebten Zielen. Wie mit Zielkonflikten, gerade bei missionsorientierten Projekten, umgegangen wird, ist festzulegen. Die Abwägungen darüber, welche Ziele priorisiert werden, zeigt sich insbesondere in Bezug auf den Klimazielen und SDGs. So beinhalten die SDGs 17 Oberziele und 169 Unterziele, wobei der Beitrag von Innovationen sich positiv auf ein einzelnes Ziel auswirken kann, während es andere negativ beeinflusst. Die Ausrichtung auf die multidimensionalen Ziele erzeugt Trade-offs. Im Koalitionsvertrag fehlt bislang eine Antwort darauf, wie Zielkonflikte gelöst werden sollen. Primär existiert noch kein geeignetes Indikatorensystem, um diese im ersten Schritt transparent zu machen. Derzeit gibt es nur Indikatorensysteme, getrennt nach Innovations- und Nachhaltigkeitsindikatoren. Um die Zusammenhänge zwischen Innovation und gesellschaftlichen Zielen zu verstehen, müssen Messinstrumente entwickelt werden, die den Beitrag zur Erreichung der Ziele, aber auch der Trade-offs messen können.

Gesellschaftlicher Konsens und die Änderung der Zielsetzung

Die stärkere und direktere Ausrichtung der Innovationspolitik an gesellschaftlicher Relevanz führt dazu, dass eine Änderung des gesellschaftlichen Konsenses über bestimmte Themen eine Umgestaltung der Innovationspolitik impliziert. In den vergangenen Jahren waren solche Änderungen deutlich sichtbar in den Diskussionen um Einwanderung, Klimapolitik und in jüngster Vergangenheit die Rolle der Verteidigung bedingt durch den Ukrainekrieg. Der schnelle Wandel steht im Widerspruch zur Kontinuität, die eigentlich zentral für Innovationspolitik ist, da Ergebnisse im Regelfall nur in mittel- und langfristigen Zeiträumen absehbar sind. Traditionelle Innovationspolitik, die weitgehend indifferent gegenüber Zieländerungen ist, musste auf Zieländerungen nicht reagieren. Eine transformative Innovationspolitik muss Änderungen der Zielsetzung reflektieren, aber gleichzeitig zuverlässige Unterstützung bei der Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle bereitzustellen. Umso wichtiger ist es, eine Strategie, die Direktionalität und Missionsorientierung reflektiert und einen Zeithorizont über eine Legislaturperiode hinaus hat, wie z. B. durch die EFI gefordert, zu implementieren.

Fazit

Die Innovationspolitik der Bundesregierung entwickelt sich konzeptionell weiter. Die EFI attestiert ihr in ihrem jüngsten Gutachten ein hohes Ambitionsniveau (EFI, 2021). Gleichzeitig kritisiert die EFI das Fehlen eines langfristigen Planes, der sich über die Legislaturperiode hinaus erstreckt. Eine stärker an gesellschaftlichen Zielen ausgerichtete Innovationspolitik kann nur funktionieren, wenn entsprechende Indikatorensysteme weiterentwickelt werden, die gleichermaßen die Wirkung auf Transformationsprozesse berücksichtigen und Instrumente zur Verfügung gestellt werden, die Experimentierräume ermöglichen, um Innovationsprozesse in sich ändernden Umgebungen zu unterstützen und beschleunigen. Die Innovationsagentur SPRIND mag dafür ein erster Versuch sein, aber Belege über die erfolgreiche Umsetzung und langfristig positive Beiträge zu innovationspolitischen Zielen stehen noch aus.

Letztendlich funktioniert die Weiterentwicklung von Innovationspolitik nur, wenn Spielräume für eine Kultur des Scheiterns bedacht werden. Auch wenn positive Beispiele in der Diskussion, wie z. B. im Bereich der Mondfahrt und der Entwicklung der Corona-Impfstoffe, überwiegen, darf nicht übersehen werden, dass eine konkretere und programmatisch fundierte Zielsetzung auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit des Scheiterns führen kann. Wenn Scheitern nicht akzeptiert wird, kann transformative Innovationspolitik nicht funktionieren.

Literatur

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EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2021), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2021, EFI , https://www.e-fi.de/fileadmin/Assets/Gutachten/2021/EFI_Gutachten_2021.pdf (22. April 2022).

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Pritzl, R. und F. Söllner (2021), Rationale Klimapolitik – ökonomische Anforderungen und politische Hindernisse, List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik, 46(4), 423-449.

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Title:Innovation policy in the new legislative period: a new strategic direction?

Abstract:The innovation policy of the new German government positions on the threshold between traditional and transformative innovation policy. In addition to company-oriented measures, current innovation policy in Germany is characterized above all by its orientation toward benefits for society as a whole. This represents an incremental development compared to the previous government. The focus is on reorienting knowledge transfer for societal transitions. Against this background, the innovation policy outlined in the coalition agreement contains elements of traditional and transformative innovation policy. Effects of the innovation policy arise in the areas of openness to technology, legitimacy of policy measures and participation.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3214-4