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Der Beitrag zeigt anhand einer typischen Verspätungssituation an einem intermodalen Verkehrsknoten die verkehrlichen und ökonomischen Effekte dieser Verspätung für verschiedene Stakeholder auf (Störfallszenario). Weiterhin wird ein Szenario zur Verbesserung der Verspätungssituation, in dem die einzelnen Stakeholder am Verkehrsknoten auch intermodal kooperieren (Kooperationsszenario), entworfen und in seinen Effekten mit dem Störfallszenario verglichen. Der Vergleich der verkehrlichen und ökonomischen Effekte beider Szenarien ermöglicht Aussagen über die relative Vorteilhaftigkeit eines kooperativen Verspätungs- und Störfallmanagements an intermodalen Verkehrsknoten.

Verspätungen durch verpasste Anschlüsse am Bahnhof, Flughafen oder einem anderen Verkehrsknoten sind nicht nur ärgerlich, sie verursachen auch individuelle und gesamtwirtschaftliche Kosten. Bei den Reisenden können hierdurch neben Stress und Ungewissheit z. B. Kosten durch verpasste Geschäftstermine entstehen. Aber auch bei den Verkehrsunternehmen und anderen an Verkehrsknoten tätigen Unternehmen sind Verspätungen häufig mit höheren Kosten, z. B. für zusätzlichen Personalbedarf auch in den Nachtstunden, für Umbuchungen oder für Kompensationszahlungen auf Basis von Passagierrechtsverordnungen oder – etwa wenn ganze Fahrten oder Flüge verspätungsbedingt abgesagt werden müssen – mit Einnahmeausfällen verbunden. So ist es im Luftverkehr nicht ungewöhnlich, wenn nach einer starken Verspätung der nächste Umlauf aufgrund von Nachtflugbeschränkungen oder überschrittener Crewdienstzeit nicht mehr durchführbar ist. Im Schienenverkehr kann eine vorzeitige Wende helfen, Verspätungen nicht auf Folgefahrten zu übertragen (Schlesinger, 2018).

Insbesondere bei Reisen mit einem Umstieg zwischen (verschiedenen) Verkehrsmitteln besteht ein latent hohes Risiko für Folgekosten aufgrund einer Verspätung beim Zubringer. Das Verknüpfen unterschiedlicher Verkehrsträger für eine bestimmte Reise bezeichnet man als intermodale Reisekette. Ein optimiertes Verspätungs- und Störfallmanagement bei solchen Reiseketten ist speziell an intermodalen Verkehrsknoten wie (Bus-)Bahnhöfen und Flughäfen von großer Bedeutung. Neben Reisezeitverbesserungen sind hierdurch Kosteneinsparungen bei vielen Stakeholdern entlang der Reisekette möglich.

Experteninterviews1 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit ausgewählten Verkehrsunternehmen und Betreibern intermodaler Verkehrsknoten haben gezeigt, dass Verspätungen und Störfälle gegenwärtig in der Praxis kaum verkehrsträgerübergreifend betrachtet, geschweige denn behoben werden. Auch ein koordiniertes Handeln im Verspätungsfall der verschiedenen Stakeholder an Verkehrsknoten fehlt zumeist. Vielmehr scheint jedes Verkehrsunternehmen bestrebt, Verkehrsstörungen und Verspätungen in seinem eigenen Bereich zu minimieren. Selbst intermodale Kooperationen wie Rail & Fly beinhalten in Deutschland keine Anschlussgarantie für den Passagier, und „durchbuchbare“ Angebote wie LH Express Train/Bus haben aus Passagiersicht hinsichtlich der hiermit verbundenen, für die gesamte Reisekette uneinheitlichen Passagierrechte im Detail ebenfalls Fallstricke.

Das DLR hat mehrere Studien zum verkehrsträgerübergreifenden Verkehrsmanagement durchgeführt. Insbesondere die interdisziplinären Projekte Optimode.net (Grunewald, 2016) und das Nachfolgeprojekt TRANSITION sind hier zu nennen. Die Idee eines solchen Verkehrsmanagements basiert auf der Beobachtung, dass Ursachen von Verspätungen oftmals im Handlungsbereich von Stakeholdern zu finden sind, die die Auswirkungen auf die Betroffenen höchstens indirekt erfahren. Verspätet sich z. B. ein Zubringerverkehrsmittel auf dem Weg zum Flughafen, so treten etwaige Folgeprobleme erst beim Erreichen des abgehenden Fluges auf. Der Betreiber des Zubringerverkehrsmittels kann den entstandenen Schaden nicht beheben und ist gegebenenfalls selbst Betroffener einer Folgeverspätung. Stattdessen käme eine Schadensminderung durch den Betreiber der Fluglinie infrage, indem er z. B. entscheidet, auf die verspäteten Passagiere zu warten. Ergänzend wäre es möglich, dass der Flughafenbetreiber für eine beschleunigte Abfertigung der von der Verspätung betroffenen Passagiere sorgt. Beide Maßnahmen wären jedoch mit weiteren Kosten verbunden, die derzeit nicht vom Verursacher getragen werden müssen. Nur durch eine Kooperation der beteiligten Akteure ist es im gegenwärtigen Rechtsrahmen möglich, eine möglichst für alle Stakeholder vorteilhafte Lösung zu finden.

Wie lassen sich Verspätungen und Störfälle an intermodalen Verkehrsknoten aus verkehrlicher und ökonomischer Sicht besser managen? Im Rahmen der erwähnten DLR-Projekte wurden Mikrosimulationen der einzelnen Prozesse und Abläufe an ausgewählten Verkehrsknoten und Verkehrsträgern durchgeführt. Weiterhin wurden mehrere separate Simulatoren etwa für bodengebundenen Verkehr, Personen und Objekte in Gebäuden und Flugzeugbewegungen miteinander gekoppelt und zu einer Gesamtsimulation zusammengeführt. Die Systemarchitektur ist z. B. in Grunewald (2016), Noyer et al. (2018) sowie Jung et al. (2018) beschrieben. Eine zentrale relationale Datenbank speichert die für den Austausch zwischen den Simulatoren und für die Gesamtsimulation relevanten Simulationszustände. Auch hinsichtlich der ökonomischen Effekte eines verbesserten Verspätungs- und Störungsmanagements wurden Untersuchungen vorgenommen. Methodisch wurden unter anderem Experteninterviews, eine Online-Befragung von Reisenden und empirisch gestützte, quantitative Abschätzungen vorgenommen. Hier zeigten sich insbesondere bemerkenswerte Unterschiede bei den durch Verspätungen verursachten monetären Schäden zwischen den Geschäftsreisenden und Privatreisenden.

Methodik der verkehrlichen Simulation von Passagiertrajektorien

Zur verkehrlichen Bewertung der Reise werden die einzelnen Abschnitte einer Reisekette mit Hilfe von “Meilensteinen“ eingeteilt. Dabei enthält jeder Abschnitt jeweils einen Meilenstein für den Beginn und die Beendigung des Prozesses. Die Meilensteine wiederum können eine unterschiedliche Wertigkeit in Abhängigkeit davon haben, ob sie auf geplanten statischen Daten (z. B. Fahrplänen) oder auf prognostizierten bis hin zu aktuell erfassten Werten basieren. Bei jeder Aktualisierung der Daten, die während der Simulation erfolgt, kann sich ihre Wertigkeit verändern. Dieses Wertekollektiv aus den Meilensteinen und ihrer Ausprägung bildet die Passagiertrajektorie. Diese Trajektorie zeigt vor, während und nach der Reise an, wann ein bestimmter Prozess beginnt oder beendet ist und auch, ob die Reisekette zu brechen droht und eventuell ein nachfolgender Verkehrsträger verpasst wird. Ebenfalls können die Auswirkungen von Managementmaßnahmen auf diese Trajektorie gezeigt werden.

Zur Generierung der Meilensteine der Passagiertrajektorie am Flughafen wird die in Noyer (2018) vorgestellte agentenbasierte Netzwerksimulation verwendet. Diese Simulation wird mit dem vom DLR entwickelten vehikelbasierten mikroskopischen Verkehrsflusssimulationsmodell SUMO (z. B. Flötteröd, 2019) gekoppelt. Als initialer Startpunkt der Trajektorien im Flughafen dient der Ankunftszeitpunkt der Passagiere am S-Bahnhof des Flughafens. Die Ankunftszeitpunkte aller Passagiere werden minütlich erfasst, damit werden Änderungsfaktoren der Passagiertrajektorie, die vor der Ankunft der Passagiere stattfanden, automatisch berücksichtigt.

Danach werden die Check-in- und Security-Prozesse simuliert und die Distanzen am Flughafen modellgestützt abgebildet, bis der Passagier das seinem Flug zugeordnete Gate erreicht. Über eine zeitliche Gate-Flug-Zuweisung wird dem Passagier mitgeteilt, wann das Boarding für seinen Flug stattfindet. Verspätet sich der Passagier und erreicht das Gate nicht mehr rechtzeitig, gilt seine Reisekette als unterbrochen und wird vorerst nicht mehr fortgesetzt. Jeder der simulierten Prozesse wird durch Meilensteine, die den Beginn und das Ende dieses Vorgangs definieren, protokolliert. Über alle Passagiere eines Fluges betrachtet stellen diese Meilensteine den sogenannten Trajektorien-Output am Flughafen dar, der zur Abschätzung der Effekte der verschiedenen betrachteten verkehrlichen Szenarien benötigt wird.

Methodik der ökonomischen Gesamtbewertung und der Ermittlung des Verspätungsschadens

Zur ökonomischen Bewertung der Reise und insbesondere der Verspätung wird eine „Gesamtbewertungsfunktion“ eingesetzt, mit deren Hilfe steuernde Eingriffsoptionen (Maßnahmen zum Management von Verspätungen) in eine Rangfolge gebracht werden können, um eine aus ökonomischer Sicht geeignete Option zur Umsetzung vorzuschlagen. Die Gesamtfunktion bewertet Verspätungsmanagementmaßnahmen unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte und ergänzt damit die unter verkehrlichen Gesichtspunkten durchgeführten Optimierungen. Unter Berücksichtigung dieser ökonomischen Aspekte ist es möglich, die Wohlfahrt – also den Gesamtnutzen – aller an den Reiseketten und Verkehrssystemen beteiligten Stakeholdern und der Gesellschaft insgesamt zu optimieren.

Neben Zusatzkosten, z. B. bezüglich des Verkehrsmittels oder des Personals enthält die Bewertungsfunktion eine Schadensfunktion des Reisenden. Der Zeitwert (Value of Time) von Reisenden ist dabei ein wichtiger Bestandteil dieser Bewertungsfunktion. Das Konzept des Value of Time geht davon aus, dass Personen im Allgemeinen nicht nur monetären Restriktionen (verfügbares Geldbudget), sondern auch zeitlichen Restriktionen (verfügbares Zeitbudget) unterworfen sind. Jede Person versucht, die persönliche Zeit so zu verteilen, dass der persönliche Nutzen maximiert werden kann. Dies gilt auch für Reisende. Das bedeutet, dass jeder Reisende vor Reiseplanung und -antritt bewusst oder unbewusst abwägt, wie viel Geld ihm zur Verfügung steht und wieviel Zeit er bereit ist, für die Reise aufzuwenden. Daraus ergibt sich eine individuelle Zahlungsbereitschaft für Reisezeiteinsparung (Subjective Value of Travel Time Savings; VTTS) und ein Trade-off (Abwägung) zwischen Zeit und Kosten, sodass z. B. höhere Kosten für einen Flug in Kauf genommen werden, um dadurch Reisezeit zu sparen.

In welcher Höhe ist eine individuelle VTTS anzusetzen? Hier zeigt unsere Auswertung der verfügbaren Literatur, dass die Studien mit dem größten Informationsgehalt zum Zeitwert die „Zeitwertstudie“ von Axhausen et al. (2014), sowie der „National air passenger survey“ von National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2015) sind. Im Detail liefert die „Zeitwertstudie“ geglättete VTTS-Werte für Freizeit- und Geschäftsreisende in Deutschland. Darin wird mit hypothetischen Reiseketten gearbeitet, in die Umsteigevorgänge eingebaut sind. Die Studien des ACRP und von Axhausen et al. (2014) unterscheiden Geschäfts- und Freizeitreisende. Empirische Daten, die eine weitere Unterscheidung möglich machen z. B. für verschiedene Personen(gruppen), liegen in der Literatur noch nicht vor. Aufgrund dessen wurde im Rahmen von TRANSITION eine Befragung zu Flugreisen und Verspätungserfahrungen am Flughafen durchgeführt.

Grundsätzlich kann auf der Basis unserer Literaturauswertung festgehalten werden, dass Verspätungsschäden neben materiellen Schäden immer auch den Nutzen der Reisenden beeinträchtigen. Die Schadenskomponente umfasst eine Bandbreite von Stress pünktlich anzukommen über das verspätete Eintreffen bis zum vollständigen Ausfall eines Termins. Die Gesamthöhe des Schadens ist also erst dann ermittelbar, wenn der Reisende das System „Reise“ – gegebenenfalls auch vorzeitig – verlassen hat. Es ist allerdings nicht möglich, für jeden Reisenden eine individuelle Bewertungsfunktion festzulegen. Die Gesamtbewertungsfunktion ist deshalb eine Durchschnittsfunktion für Durchschnittsreisende.

Effekte eines verkehrsträgerübergreifenden Verspätungsmanagements

Die Modellwelt der Projekte Optimode.net und TRANSITION enthält drei Ballungszentren (A-Stadt, B-Hausen und C-Burg). Die Ballungszentren haben jeweils einen Flughafen unterschiedlicher Größe und sind über ein Straßen- und Schienenverkehrsnetz miteinander verbunden. Der Flughafen in A-Stadt – genannt AIA für A-Stadt International Airport – ist ein internationales Drehkreuz. Jährlich nutzen diesen Flughafen etwa 40 Mio. bis 60 Mio. Passagiere, die sich auf ca. 400.000 Flugbewegungen verteilen, dabei sind ca. 40 % der Passagiere Transferpassagiere. Der Flughafen AIA und der Bahnhof in A-Stadt sind über eine direkte S-Bahn-Verbindung im 60-Minuten-Takt miteinander verbunden. A-Stadt verfügt über weitere innerstädtische S-Bahn-Linien, die unter anderem die Strecke Richtung C-Burg bedienen. Die Haltepunkte der innerstädtischen S-Bahn werden durch das ÖPNV-Busliniennetz angefahren, wobei einige Buslinien zum Flughafen oder in dessen Nähe führen. Über den Bahnhof in A-Stadt besteht eine fahrplanmäßige Umsteige-Nahverkehrsverbindung zum Flughafen in B-Hausen und eine Schienenpersonenfernverkehrsverbindung über den Hauptbahnhof C-Burg zum Flughafen in C-Burg. Dabei wird der Flughafen in C-Burg stündlich angefahren.

Im Rahmen dieses Beitrags untersuchen wir drei Szenarien: Referenzszenario (S0), Störfallszenario (S1) und Kooperationsszenario (S2). Methodisch werden für alle drei Szenarien Mikrosimulationen der einzelnen Prozesse und Abläufe an den vorgestellten Verkehrsknoten und Verkehrsträgern durchgeführt. In unserem Referenzszenario S0 reisen 301 Passagiere mit einer S-Bahn zum Flughafen. 88 dieser 301 Passagiere sind zuvor mit dem ICE 10009 von C-Burg nach A-Stadt gefahren, um dort die S-Bahn zum Flughafen zu bekommen. Alle 301 Fahrgäste der S-Bahn möchten planmäßig drei verschiedene Flüge erreichen. Jedoch verpassen selbst im Referenzszenario 79 Fluggäste ihren ursprünglich vorgesehenen Flug. Diese Zahl erscheint hoch, ist jedoch dem empirisch nachweisbaren Umstand geschuldet, dass einige Reisende in der Realität ihre zeitlichen Planungen zu optimistisch gestalten. Die Fluggäste haben in unserem Modell aber die Möglichkeit, mit jeweils späteren Abflügen dennoch ihr Ziel am selben Tag zu erreichen. Sie werden automatisch umgebucht, wobei die zusätzliche Reisezeit durch das Warten auf den späteren Flug passagiergenau ermittelt wird. Für jeden der drei betroffenen Flüge existieren zwei Folgeflüge mit unterschiedlichen zeitlichen Abständen, die genügend Kapazitäten frei haben, um diese Passagiere gegebenenfalls zu transportieren. Im Szenario S0 kumulieren sich die sich errechneten Verspätungen über alle betrachteten 301 Passagiere auf 4.180 Minuten, im Mittel sind das knapp 14 Minuten pro Passagier.

Im Störfallszenario S1 führt eine Störung im Betriebsablauf dazu, dass der ICE 10009 mitsamt seinen 88 Reisenden, die einen der drei Flüge erreichen möchten, eine halbe Stunde zu spät in A-Stadt ankommt. Hierdurch ist der Anschluss an die S-Bahn zum Flughafen nicht mehr möglich. Für 49 weitere Reisende bedeutet das, dass auch sie ihren Flug verpassen werden. Insgesamt 128 Passagiere aus diesem Zug stranden am Flughafen. Die nächste S-Bahn zu nehmen, hilft ihnen nicht weiter, da diese in unserer Modellwelt im 60-Minuten-Takt verkehrt und damit die drei Flüge nicht mehr erreicht werden können.

Im Kooperationsszenario S2 gibt es ein verkehrsträgerübergreifendes Verspätungsmanagement mit dem Ziel, Verspätungen zu minimieren. Wir nehmen an, dass die durch die Verspätung des ICE 10009 verpasste S-Bahn auf die Ankunft der umsteigenden Fahrgäste wartet. Dann könnte hierdurch zumindest einem Teil der Fluggäste geholfen werden, doch noch ihren Anschluss zu erreichen. In unserem kooperativen Szenario S2 wird genau diese Maßnahme simulativ umgesetzt. Die S-Bahn zum Flughafen wartet in diesem Fall 15 Minuten mit der Abfahrt in A-Stadt und erreicht ihr Ziel, den Flughafenbahnhof ebenso 15 Minuten verspätet. Durch diesen Managementeingriff erreichen die Umsteigepassagiere des verspäteten ICE die auf sie wartende S-Bahn zum Flughafen. Insgesamt verpassen zwar immer noch 80 Fahrgäste ihren Flug, im Vergleich zum Störfallszenario S1, bei dem nicht eingegriffen wird, sind dies jedoch 48 Passagiere weniger. Grundsätzlich ist aber zu berücksichtigen, dass ein solches Eingreifen in den Verkehrsablauf im Einzelfall auch nachteilig wirken kann. So könnte es in unserem Kooperationsszenario sein, dass andere Fahrgäste, die ebenso mit der S-Bahn zum Flughafen fahren, aber nicht zuvor im verspäteten ICE saßen, durch das Warten ihrerseits Anschlüsse verpassen. Um solchen Effekten entgegenzuwirken, werden in der Passagiersimulation des Flughafens AIA für zwei Stunden an der Sicherheitskontrolle drei zusätzliche Schalter geöffnet. Dies beschleunigt die Prozesse am Flughafen. Es ist die Aufgabe des Verkehrsmanagements, hier transparente Regeln aufzustellen, nach denen eine solche Maßnahme innerhalb bestimmter Grenzen zulässig und damit gegebenenfalls für Dritte planbar wird. Im Ergebnis weist das Kooperationsszenario S2 eine Gesamtverzögerung über alle Reisenden von 4.070 Minuten auf. Damit ist die Gesamtverzögerung im Kooperationsszenario sogar noch etwas niedriger als im Referenzszenario, in dem kein Störfall auftritt.

Ökonomische Effekte des verkehrsträgerübergreifenden Verspätungsmanagements im Anwendungsbeispiel

Aus verkehrlicher Sicht führt das Kooperationsszenario zu einer insgesamt geringeren Verspätung über alle betrachteten Reisenden. Dies sagt jedoch noch wenig über die ökonomischen Effekte solcher Managementmaßnahmen zur Reduzierung von Verspätungen am verkehrsträgerübergreifenden Verkehrsknoten aus, denn die einzelnen Managementmaßnahmen sind auch mit Kosten bei den beteiligten Verkehrsunternehmen verbunden. Im Anwendungsbeispiel ist etwa mit höheren Kosten beim Betreiber der S-Bahn und der Sicherheitskontrolle am Flughafen zu rechnen sowie mit Umsatzrückgängen im Non-Aviation-Bereich des Flughafens, weil dort aufgrund einer geringeren Verweildauer als im Verspätungsszenario geringere Umsätze getätigt werden. Hingegen ist bei den Reisenden aufgrund des Verspätungsmanagements mit einem im Vergleich zum Störfallszenario höheren Nutzen (bzw. geringen Schaden durch die Verspätung) zu rechnen, da im Kooperationsszenario insgesamt weniger Passagiere ihren Flug verpassen und die Gesamtverspätung über alle Reisende deutlich geringer ausfällt.

Um alle genannten ökonomischen Effekte abschätzen zu können, wurde im Rahmen des DLR-Projekts TRANSITION eine Gesamtbewertungsfunktion entwickelt. In dieser Funktion werden einerseits die ökonomischen Effekte, die durch Managementmaßnahmen bei den beteiligten Unternehmen am Verkehrsknoten ausgelöst werden, abgebildet. Hierzu gehören z. B. zusätzliche Kosten bei den Betreibern des Schienenpersonennah- und -fernverkehrs, Fluggesellschaften, Anbietern von Groundhandling (Bodenabfertigungsdienstleistungen) sowie dem Sicherheitspersonal am Flughafen. Es können aber infolge von Verspätungen auch zusätzliche Einnahmen am Verkehrsknoten entstehen, z. B. bei den Betreibern von Geschäften an einem Verkehrsknoten, da Reisende im Verspätungsfall dort länger Gelegenheit zum Einkaufen haben. Im Rahmen des Projekts Optimode.net wurden für alle wesentlichen Unternehmensarten, die sich typischerweise an einem Verkehrsknoten befinden, literaturgestützt zusätzliche Kosten bzw. zusätzliche Erlöse im Verspätungsfall normiert auf Euro pro Minute Verspätung geschätzt (z. B. Scheier et al., 2018). So betragen die durchschnittlichen „Non-aeronautical revenues“ an einem Hub Flughafen (wie AIA in A-Stadt) etwa 0,08 Euro pro Verspätungsminute und Passagier (Scheier et al., 2018). Diese Kennziffer wird auf die „Usable time“ am Verkehrsknoten angewendet, also auf die tatsächlich für solche Aktivitäten nutzbare Zeit, die die Reisenden zur freien Verfügung haben.

Eine ökonomische Bewertung des Schadens, der bei Reisenden im Verspätungsfall eintritt, fließt jedoch auch in die Gesamtbewertungsfunktion ein. Hierfür wurde die Schadensfunktion und der Value-of-Time bei Verspätungen näherungsweise geschätzt. Da die vorliegende Literatur an dieser Stelle nicht hinreichend weiterhalf, wurde vom DLR zu dieser Fragestellung eine Online-Befragung durchgeführt. Insgesamt wurden im Zeitraum Juli bis November 2020 759 Personen zu Flugreisen und ihren Verspätungserfahrungen am Flughafen befragt. Die wesentlichen Ergebnisse sind in Seidel und Knitschky (2021) dokumentiert. Insgesamt zeigte sich, dass ein monetärer Schaden für den Reisenden in der Regel erst ab einer Verspätungszeit am Zielort von ca. 30 Minuten eintritt. Der Median des Verspätungsschadens liegt für Reisende mit einer Verspätung von einer bis anderthalb Stunden bei etwa 120 Euro je Reisendem mit Verspätungsschaden. Dem steht im Median eine Zahlungsbereitschaft des verspäteten Reisenden für eine rechtzeitige Ankunft am Zielort in Höhe von circa 30 Euro gegenüber. Die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft eines verspäteten Reisenden für eine rechtzeitige Ankunft am Zielort bei einer Verspätung von einer bis anderthalb Stunden ist aufgrund der größeren Streuung höher und beträgt gut 107 Euro. Differenziert nach den Reisegründen beträgt der Median der Zahlungsbereitschaft eines verspäteten Reisenden für eine rechtzeitige Ankunft am Zielort bei einer Verspätung von einer bis anderthalb Stunden für Urlaubsreisende 20 Euro, für Freizeitreisende 30 Euro und für Geschäftsreisende 50 Euro (Durchschnitt 74,50 Euro Urlaub, 119 Euro Freizeit, 205 Euro Geschäft).

Allerdings haben nur weniger als 10 % der verspäteten Reisenden überhaupt einen monetären Schaden zu beklagen. Über 90 % der Befragten gaben an, keinen oder nur einen immateriellen Schaden (z. B. Stress) erlitten zu haben (Seidel und Knitschky, 2021). Der Median des Verspätungsschadens über alle verspäteten Reisenden ist deshalb mit 7,20 Euro viel geringer. Bei wesentlich mehr Reisenden liegt eine Zahlungsbereitschaft für die rechtzeitige Ankunft am Zielort bei einer Verspätung von einer bis anderthalb Stunden vor, nämlich 83 % der verspäteten Reisenden. Der Median über alle verspäteten Reisenden beträgt hier 25 Euro je verspätetem Reisenden.

Aufbauend auf den Ergebnissen der Simulationen gingen die Auswertungen der DLR-Befragung in die Bestimmung der Verspätungsschäden der Reisenden aus dem verspäteten ICE 10009 für die drei Szenarien ein. Hierzu wurde auch eine Monte-Carlo-Simulation eingesetzt. Im Ergebnis kommt es im untersuchten Anwendungsbeispiel im Störfallszenario S1 bei 128 der 301 Reisenden aufgrund des Verpassens des Fluges zu einer Verspätung, die bei acht Betroffenen auch zu einem monetären Verspätungsschaden von insgesamt 920 Euro führt. Durch die kooperative Problemlösung im Kooperationsszenario S2 erfahren nur noch 80 Personen eine Verspätung und bei fünf Personen tritt ein Gesamtschaden in Höhe von 240 Euro ein. Tabelle 1 stellt die zusätzlichen Kosten je Stakeholder über die hier betrachteten Szenarien dar. Dem S-Bahn-Betreiber entstehen im Kooperationsszenario 30 Euro an zusätzlichen Kosten aufgrund der um 15 Minuten verzögerten Abfahrt. Der Betreiber des Fernzuges hat aufgrund der Verspätung Kosten in Höhe von 256 Euro. Bei den Airlines und im Groundhandling gibt es im Anwendungsbeispiel keine Kosteneffekte. Für die Flughafensicherheit fallen im Kooperationsszenario aufgrund der drei zusätzlichen Schleusen 180 Euro zusätzlich an. Insgesamt konnte mit Hilfe der Bewertungsfunktion ermittelt werden, dass die negativen ökonomischen Effekte im Störfallszenario S1 über alle Stakeholder (Unternehmen am Verkehrsknoten und Reisende) betrachtet am höchsten ausfallen. Hingegen würde sich der Verspätungsschaden durch den Einsatz von Managementmaßnahmen am Verkehrsknoten im Kooperationsszenario S2 um gut 70 % gegenüber dem Störfallszenario reduzieren. Damit zeichnet sich das Kooperationsszenario nicht nur durch vorteilhafte verkehrliche Effekte, sondern auch durch insgesamt günstige ökonomische Wirkungen aus. Wichtig dabei ist, dass eine solche Kooperation verkehrsträgerübergreifend stattfindet, denn nur auf diese Weise kommen diese positiven Effekte zustande.

Tabelle 1
Absoluter Schaden je Stakeholdergruppe
Angaben in Euro
Stakeholder Störfallszenario S1 Kooperationsszenario S2
Reisende 920 240
Betreiber SPNV 0 30
Betreiber SPFV 256 256
Fluggesellschaften 0 0
Groundhandling 0 0
Flughafensicherheit 0 180
Non-Aviation-Bereich -563 -528
Summe Schaden (Euro) 613 178
Summe Verspätung (Min.) 8.710 4.070

Quelle: DLR. Schätzung für Sicherheitspersonal an Flughäfen auf der Basis von durchschnittlichen Personalkosten im Security-Bereich. Schätzung für Betreiber SPNV und SPFV auf Basis von Scheier et al. (2018).

Empfehlungen für das Störfallmanagement am Verkehrsknoten

Die vorgestellten Ergebnisse der DLR-Projekte Optimode.net und TRANSITION haben gezeigt, dass ein verkehrsträgerübergreifendes Verspätungsmanagement zu Vorteilen gegenüber der bisherigen, unkoordinierten Handhabung von Verspätungen am Verkehrsknoten führen kann. Diese Vorteile sind verkehrlicher und ökonomischer Art und gelten grundsätzlich für alle wesentlichen an einem intermodalen Verkehrsknoten tätigen Unternehmen und für die Reisenden.

Allerdings wird nicht jede einzelne Maßnahme zum Management von Verspätungen zu Vorteilen bei allen involvierten Stakeholdern führen. Vielmehr kann es sein, dass eine Maßnahme zu Vorteilen bei Stakeholder A führt, eine andere Maßnahme hingegen zu Vorteilen bei Stakeholder B, etc. In der Summe über alle Managemententscheidungen sollten jedoch Vorteile für alle involvierten Stakeholdergruppen erzielt werden. Wie dies gewährleistet werden kann, ist gegenwärtig noch offen und bedarf zukünftiger Forschung. Alternativ könnten auch Kompensationszahlungen an Stakeholdergruppen, die durch Managemententscheidungen Nachteile erleiden, vereinbart werden, oder ein (Pflicht)versicherungsmodell eingesetzt werden. Solche Kompensationszahlungen können sowohl an Unternehmen, die an Verkehrsknoten tätig sind, als auch Reisende gezahlt werden.

Wesentliche Voraussetzung für ein funktionierendes, verkehrsträgerübergreifendes Verspätungsmanagement ist der Aufbau einer zentralen Koordinationseinheit. Diese sollte minutenaktuell über sämtliche erforderliche Daten, nicht nur am Verkehrsknoten, sondern auch bei den Verkehrsunternehmen, die Passagiere zum und vom Verkehrsknoten befördern, verfügen. Ebenfalls werden Daten über die geplanten Reiseketten der Passagiere benötigt. Dies wirft natürlich Fragen des Datenschutzes auf, die wir für unsere Untersuchung ausblenden mussten. Aus Sicht des Reisenden könnte die Offenlegung der geplanten Reisekette aber vorteilhaft sein, wenn hierdurch das Risiko einer individuellen Verspätung minimiert wird.

Die zentrale Koordinationseinheit sollte darüber hinaus entweder über die Befugnis verfügen, im Störungsfall verkehrsträgerübergreifend einzugreifen oder aber den einzelnen Stakeholdern entsprechende Eingriffsvorschläge zu unterbreiten. Vor diesem Hintergrund sind transparente und von allen Stakeholdern akzeptierte Leitlinien und Grundsätze für die Erarbeitung von Eingriffs(vorschlägen) im Störungsfall von großer Bedeutung.

  • 1 Es handelte sich um Gespräche im Herbst 2019 mit Vertretern des operativen Managements zweier mittelgroßer deutscher Flughäfen, einer Netzwerkfluggesellschaft mit Drehkreuz in der DACH-Region und einer auf touristische und ethnische Flüge spezialisierten Fluggesellschaft.

Literatur

Axhausen, K. et al. (2014), Ermittlung von Bewertungsansätzen für Reisezeiten und Zuverlässigkeit auf der Basis eines Modells für modale Verlagerungen im nicht-gewerblichen und gewerblichen Personenverkehr für die Bundesverkehrswegeplanung.

Flötteröd, Y.-P. (2019), Towards mobility modelling – SUMO and its applications, The Fifth World Metropolitan Transport Development Forum, 26.-27. Oktober 2019, https://elib.dlr.de/130195/ (6. April 2022).

Grunewald, E. (2016), Optimode.net: Intermodal airport management with passenger trajectories, DLR-Projektbericht, https://elib.dlr.de/103763/ (6. April 2022).

Jung, M. und F. Rudolph, A. B. Claßen, A. Pick und U. Noyer (2018), Simulating a multi-airport region to foster individual door-to-door travel, in 2017 Winter Simulation Conference, WSC 2017, 2518-2529, Omnipress, Winter Simulation Conference, 3.-6. Dezember 2017, Las Vegas.

National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2015), Passenger Value of Time, Benefit-Cost Analysis and Airport Capital Investment Decisions, 1: Guidebook for Valuing User Time Savings in Airport Capital Investment Decision Analysis.

Noyer, U., F. Rudolph und M. Jung (2018), Simulating a multi-airport region on different abstraction levels by coupling several simulations, SUMO User Conference 2018, 14.-16. Mai 2018.

Scheier, B., F. Rudolph und J. Scheelhaase (2018), Intermodales Verkehrsmanagement am Flughafen – ökonomische Wirkungen auf die Eisenbahn, ETR – Eisenbahntechnische Rundschau, (11), 42-46.

Schlesinger, C. (2018) Deutsche Bahn spielt Fahrgäste gegeneinander aus, Wirtschaftswoche, 23. November, https://www.wiwo.de/unternehmen/dienstleister/um-puenktlicher-zu-werden-deutsche-bahn-spielt-fahrgaeste-gegeneinander-aus/23672036.html (6. April 2022).

Seidel, S. und G. Knitschky (2021), Befragung zur Präzisierung der Schadens- und Bewertungsfunktion von Flugreisenden, Technischer Bericht, DLR, https://elib.dlr.de/146165/ (6. April 2022).

Title:Coordinated Delay Management at Intermodal Transport Hubs

Abstract:Delays due to missed connections at an intermodal hub such as an airport or train station may cause individual and overall economic costs. Travelers experience individual stress and may incur costs due to missed business appointments or lost vacation or spare time, for example. Transportation companies may encounter higher costs due to a delay, e.g., for additional employees or overtime, including at night, as well as for rebooking, compensation payments on the basis of passenger rights regulations, or, for example, if entire journeys or flights have to be canceled due to delays. Currently, delays are hardly considered and managed in a coordinated way as expert interviews conducted by the authors revealed. Our modelling results indicate that a coordinated intermodal delay management at intermodal hubs that considers the whole travel chain on the way to the airport can lead to advantages over the current, uncoordinated management of delays.

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© Der/die Autor:in 2021

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3230-4