Die Inflation bekämpfen ist das eine, die Folgen der Inflation abzufedern das andere. Das Problem: Beide Ziele stehen sich nahezu diametral gegenüber. Um der Inflation entgegenzuwirken, muss die Nachfrage gedämpft werden. Die Folgen der Inflation abzufedern bedeutet hingegen, die Nachfrage sogar zu stärken; die durch die Inflation auftretenden Kaufkraftverluste, die mehr oder weniger endogen ihr selbst entgegenwirken, sollen ja gerade ausgeglichen werden. Die Finanzpolitik steht also vor einem Dilemma.
Dieses Dilemma verschwindet auch nicht dadurch, dass ein Großteil der Inflation auf den drastischen Anstieg der Energieimportpreise zurückzuführen ist. Inflation ist ein Hinweis dafür, dass die Nachfrage das Angebot übersteigt, wobei dies auch gilt, wenn die Angebotsseite ursächlich ist. Eine Reduktion der Nachfrage dämpft also auch dann die Inflation, wenn sie zu einem Großteil „importiert“ ist (Boysen-Hogrefe, 2022). Zudem ist anzumerken, dass auch die Deflatoren der heimischen Bruttowertschöpfung über der Zielmarke der EZB sind. Besonders heftig sind schon seit einiger Zeit die Preisanstiege beim Bau, wobei steigende Rohstoffpreise nur einen Teil des Ganzen erklären dürften. Der Großteil dürfte auf die hohe Baunachfrage in Deutschland zurückzuführen sein. Dafür spricht, dass die Baupreise in Deutschland deutlich schneller als im übrigen Euroraum steigen. Somit dürfte gerade in Deutschland die von heimischen Faktoren getriebene Inflation ebenfalls eine gewisse Rolle spielen.
Europäische Perspektive der Konsolidierung
Insgesamt dürfte eine finanzpolitische Konsolidierung den Preisauftrieb mindern und die Europäische Zentralbank (EZB) bei der Einhegung der Inflation unterstützen und diese Unterstützung dürfte hoch willkommen sein. Zwar wurde dem deutschen Finanzminister noch vor kurzem von internationalen Organisationen empfohlen, mehr Defizite zu machen, mit dem Hinweis, dass dies auch der Konjunktur anderer Mitgliedsländer und somit der Konvergenz im Euroraum helfen dürfte. Doch sind die hinter dieser Empfehlung stehenden Modellergebnisse nur dann vielversprechend gewesen, wenn die Geldpolitik nicht auf die zusätzliche Expansion reagiert (vgl. unter anderem In’t Veld, 2016). Diese Situation liegt wohl nun nicht mehr vor, die EZB hat sich von der Nullzinsgrenze gelöst und die Gesamtnachfrage im Euroraum hat somit wieder Einfluss auf das Zinsniveau. Für viele Mitgliedsländer dürfte dabei der EZB-Zins die wichtigere Größe sein als es Mehrausgaben des deutschen Staates sind. Dies gilt umso mehr, wenn die Zinsforderungen an hoch verschuldete Staaten überproportional mit den EZB-Zinsen zunehmen. Die Idee eines Stabilitätsankers ist wieder zurück. Wie also nun das Dilemma angehen, wenn es sich nicht vermeiden lässt?
Einkommensschwache Haushalte entlasten
Den Preissteigerungen für Nahrungsmittel, Strom und Wärme können gerade Menschen mit niedrigem Einkommen kaum noch durch Verhaltensanpassungen aus dem Wege gehen, dürften diese doch auch schon vor der aktuellen Inflationswelle preisbewusst eingekauft haben. Zugleich hat sich die Einkommenssituation bei den meisten mit der Inflation zunächst nicht verbessert. Die Leistungssätze in der Grundsicherung werden erst im kommenden Jahr an die Inflation des Vorjahres angepasst. Beziehende von Wohngeld werden nicht für steigende Heizkosten kompensiert, der vergleichsweise kräftige Rentenanstieg zum 1.7.2022 und noch mehr die Tariflöhne bleiben deutlich hinter der Preisentwicklung zurück. Im Einzelfall dürfte die erhebliche Anhebung des Mindestlohns zur rechten Zeit kommen, doch ist nicht ausgeschlossen, dass wie bereits bei der Mindestlohneinführung auch der Anstieg unterlaufen wird. Insgesamt gilt der Mindestlohn generell nicht als zielgenaues Instrument zur Armutsbekämpfung (Caliendo et al., 2019), sodass sich die Situation vieler Beziehender niedriger Einkommen mit dem Jahr 2022 verschlechtern dürfte. Dem wirkt der Staat bereits durch zwei Entlastungspakete entgegen, doch zielen sie eben nicht (dem Sozialstaatsprinzip folgend) ausschließlich auf die Beziehenden niedriger Einkommen, sondern wurden in Form der Energiepreispauschale recht breit auf alle Erwerbstätigen verteilt und durch die Absenkung der Energiesteuersätze in Abhängigkeit vom Verbrauch von Benzin und Diesel. Schließlich dürften auch viele Beziehende hoher Einkommen das 9-Euro-Ticket genutzt haben bzw. nutzen. Die zielgerichteten Transfers machen letztlich den kleineren Teil der Gesamtvolumens aus. Trotzdem gelingt es, mit den Entlastungspaketen einen merklichen Teil der durch Energie- und Nahrungsmittelpreise entstehenden Kaufkraftverluste für Beziehende niedriger Einkommen auszugleichen (Dullien et al., 2022). Die gleichen Mittel, die für die Entlastungspakete aufgewandt wurden, hätten bei zielgerichteter Verwendung somit die Kaufkraftverluste der einkommensschwachen Gruppen nicht nur in deutlichem Umfang, sondern großenteils ausgleichen können.
Entlastung für alle widerspricht Sozialstaatsprinzip
Hinzu kommt, dass der Versuch der Politik, weite Teile der Gesellschaft zu entlasten, letztlich die Entlastung der Einkommensschwachen sogar erschwert. Alle Konsumierenden sind in Konkurrenz um knappe Güter. Wenn nun alle mit finanziellen Mitteln ausgestattet werden sollen, änderte das letztlich nur etwas an der Knappheit bzw. der Konkurrenzsituation zwischen den Konsumierenden, wenn durch die höhere Nachfrage auch das Angebot angereizt würde. Dies kann z. B. in konjunkturellen Schwächephasen der Fall sein. Doch liegt die aktuelle Situation anders. Die Kaufkraftverluste entstehen nicht durch Unterbeschäftigung und Einkommenseinbußen, sondern durch Preisanstiege für diverse Gütergruppen. Energie und andere Rohstoffe sind relativ wertvoller geworden, viel davon muss importiert werden. Den gesamtwirtschaftlichen Kaufkraftverlust gegenüber dem Ausland können weder Geld- noch Finanzpolitik aufholen. Der Versuch, alle Konsumierenden vor den gestiegenen Preisen zu schützen, wird letztlich nur die Inflation weiter anheizen und damit die Hilfsmaßnahmen für die Einkommensschwachen wieder entwerten.
Das Sozialstaatsprinzip und das Leistungsfähigkeitsprinzip implizieren somit, dass vorübergehend die Umverteilungswirkung des Steuer- und Transfersystems erhöht werden sollte. Bei gleicher Umverteilungswirkung des Gesamtsystems müssten „Entlastungen“ für alle Bürger:innen per Kredit finanziert werden, was aus den genannten Gründen die Wirkung der „Entlastungen“ konterkariert – die Gesamtnachfrage wird erhöht, der Preisauftrieb verstärkt. Für die „Entlastungen“ eine höhere Kreditaufnahme einzugehen, ist im Sinne des Sozialstaatsprinzips somit ineffektiv und führt zu mehr Inflation. Einkommensschwache dürften also von den Folgen der Inflation nur effektiv entlastet werden, wenn es mehr Umverteilung gibt. Dabei sollte bewusst sein, dass der Verlust an Kaufkraft auch die Beziehenden höherer Einkommen deutlich trifft. Die stärkere Umverteilung führt bei höheren Einkommen zu einer Doppelbelastung.
Unterm Strich hätten durch ein zielgerichteteres Vorgehen bei den Entlastungspaketen Mittel gespart und Einkommensschwache trotzdem stärker unterstützt werden können. Hier sollte betont werden, dass ein effizientes Vorgehen zum Erreichen der gewünschten Umverteilungswirkung gerade mit Blick auf die Inflationswirkungen der Finanzpolitik anzuraten ist. Mit der stärkeren Umverteilungswirkung lässt sich somit die Inflation bekämpfen, ohne das Sozialstaatsprinzip außer Kraft zu setzen.
Die Kritik an den jüngsten Entlastungspaketen ist nicht nur eine akademische Übung, sondern sollte in der aktuellen Situation Berücksichtigung finden. Auch wenn im Juli viele Notierungen an Rohstoffmärkten in Erwartung einer weltwirtschaftlichen Abkühlung teils deutlich nachgelassen haben, ist für die kommenden Monate mit weiteren Belastungen auf der Konsumentenebene zu rechnen, da viele der Rohstoffpreise, insbesondere für Erdgas, noch gar nicht an die Endkundschaft weitergereicht wurden und die Unsicherheit über die Gasversorgung weiter besteht. Daher ist davon auszugehen, dass die Verbraucherpreise auch in den kommenden Monaten bis ins kommende Jahr hinein deutlich über den Vorjahreswerten liegen dürften. Da die Wirkungen vieler bisheriger Entlastungsmaßnahmen entfallen und der Anstieg der Regelsätze der sozialen Sicherung nur die Inflation des Vorjahres berücksichtigt, ist die Politik abermals gefragt. Hier gilt: Entlastung der einkommensschwachen Haushalte, ja; expansive Finanzpolitik, nein. Eine Richtschnur, die die Finanzpolitik dabei nutzen kann, liefert die Schuldenbremse.
Rückkehr zur Schuldenbremse hegt Inflation ein
Die Vorgabe, zumindest den Kernhaushalt des Jahres 2023 ohne neue Nettokreditermächtigungen aufzustellen, dürfte zu einer Reduktion des gesamtstaatlichen Defizits beitragen. Der Finanzierungssaldo des Bundes wird mit Einhalten der Schuldenbremse aber bei weitem nicht auf null fallen. Sondervermögen dürften Defizite machen und der Kernhaushalt kann auf große Rücklagen in Form von Kreditermächtigungen zurückgreifen. Zugleich spielt der Wegfall von coronabezogenen Ausgaben aus dem Jahr 2021 der Reduktion des Defizits in die Hände und bisher laufen die Steuereinnahmen ausgesprochen gut.
Trotzdem wird das Einhalten der Schuldenbremse auch mit den aktuellen Einnahmeplanzahlen und den jüngsten Zahlen zu den Steuereinnahmen kein Selbstläufer. Wegen des Schwenks in der Geldpolitik sind die Zinsforderungen an den Bund gestiegen und inflationsindexierte Anleihen werden im kommenden Jahr erhebliche Kuponzahlungen mit sich bringen (was aber auch bereits in den Planzahlen des Bundes enthalten ist). Zudem steht turnusmäßig die Progressionsberichterstattung an, die in den vergangenen Jahren zu einer Verschiebung der Tarifeckwerte gekoppelt an Prognosen zur Verbraucherpreisinflation geführt hat. Wegen der aktuell hohen Inflationsraten würde dieses Vorgehen eine Tarifverschiebung zum 1.1.2023 implizieren, die Mindereinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich bedeuten dürften. Zudem gibt es eine Vielzahl von zusätzlichen Ausgabewünschen in Bereichen wie Energiesicherheit, Klimaschutz, Bau, Gesundheit oder kommunale Finanzen. Und schließlich sollten zusätzliche Entlastungen einkommensschwacher Haushalte auf die Tagesordnung.
Anstieg der Steuerquote vorübergehend hinnehmen
Braucht es aber nicht ohnehin neue Steuern, um die effektive Entlastung einkommensschwacher Haushalte zu ermöglichen? Dagegen spricht der aktuelle Trend der Steuereinnahmen. Die Steuereinnahmen steigen stark und damit verbunden die Steuerquote. Die Mehreinnahmen bieten die Möglichkeit, Entlastungspakete zu finanzieren und der endogene Anstieg der Steuerquote sollte akzeptiert werden.
Dem mit steigenden Einkommen automatischen Anstieg der Steuerquoten wirkt allerdings turnusmäßig seit einigen Jahren die Verschiebung der Tarifeckwerte zum Ausgleich der „kalten Progression“ entgegen. Das bisherige Vorgehen, das am Verbraucherpreisindex orientiert ist, hätte allerdings dieses Mal vermutlich einen expansiven Impuls zur Folge: Im laufenden Jahr ist der Anstieg der Verbraucherpreise merklich höher als der Anstieg vieler Einkommen – die Reallöhne sinken. Das bedeutet, dass es vor dem Ausgleich der „kalten Progression“ nicht im gleichen Maß zu Mehreinnahmen des Staats bei der Einkommensteuer gekommen ist. Vielmehr würde der Ausgleich anhand der Verbraucherpreisinflation für sich genommen zu einer Reduktion der Steuerquote führen. Der Ausgleich der kalten Progression würde also einen expansiven Impuls herbeiführen und nicht, wie in den vergangenen Jahren, den Teilausgleich eines restriktiven Impulses durch die automatische Steuererhöhung. Einkommensschwache Haushalte würden zudem kaum profitieren. Am meisten bringt dies für Haushalte, die den gesamten progressiven Bereich des Steuertarifs abdecken.
Steuersystematisch ist der Abbau der kalten Progression eindeutig gerechtfertigt, schließlich steht hinter der Praxis der vergangenen Jahre das Grundprinzip, dass der Steuersatz von der realen Leistungsfähigkeit abhängen soll. Dieses Ziel kollidiert aber mit dem Anliegen, die Inflation einzuhegen und dem Sozialstaatsprinzip folgend in der aktuellen Inflationssituation eine höhere Umverteilung anzustreben.
Fazit und Ausblick
Die kommenden Entlastungspakete sollten zielgenau in Form von Transfers für Einkommensschwache ausgestaltet werden. In Zeiten der Inflation ist die Effizienz staatlicher Finanzpolitik von besonderer Bedeutung. Zusätzliche Ausgabenprojekte gilt es entsprechend kritisch zu prüfen. Angesichts von akuten Knappheiten kann es plausibel sein, Projekte zu verschieben. Jüngste Entwicklungen an den Rohstoffmärkten deuten darauf hin, dass einige Knappheiten nicht dauerhaft sein müssen. Die Möglichkeit, dass einige der Kalamitäten vorübergehend sind, spricht dafür, jetzt nicht auf neue Steuern zu setzen. Ein Anstieg der Steuerquote, der eine zeitweise progressivere Ausgestaltung des Steuer- und Transfersystems ermöglicht, ist bereits endogen angelegt. Hierzu sollte allerdings die kalte Progression nicht (wie in den vergangenen Jahren üblich) abgebaut werden, da dies im kommenden Jahr für sich genommen wohl einen expansiven Impuls darstellen würde.
Generell sollte sich die Politik bemühen, das Steuer- und Transfersystem fit für größere Preisschwankungen zu machen. Eine Vereinheitlichung der Instrumente und unterjährige Anpassungen von Regelsätzen und Eckwerten sind hier zu nennen. Und zudem sollte sie sich den unterbliebenen Abbau der kalten Progression „merken“. Wenn die Zeit der Realeinkommensverluste vorüber ist, wird der effektive Durchschnittssteuersatz in der Einkommensteuer wieder steigen. Dem sollte die Politik dann entschlossen entgegenwirken.
Literatur
Boysen-Hogrefe, J. (2022), Hoher Inflationsdruck durch Warenimporte, Wirtschaftsdienst 102(7), 487-488, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/7/beitrag/hoher-inflationsdruck-durch-warenimporte.html (27. Juli 2022).
Caliendo, M., C. Schröder und L. Wittbrodt (2019), The causal effects of the minimum wage introduction in Germany – An overview, German Economic Review, 20(3), 257-292.
Dullien, S., K. Rietzler und S. Tober (2022), Die Entlastungspakete der Bundesregierung – ein Update, IMK Policy Brief, Nr. 126.
In’t Veld, J. (2016), Public Investment Stimulus in Surplus Countries and their Euro Area Spillovers, European Economy – Economic Brief, 16.