Im Jahr 2021 wurden 293.000 Wohnungen fertiggestellt (Destatis, 2022), immerhin 130.000 Wohneinheiten mehr als zum Tiefpunkt 2010, aber deutlich weniger als sich die aktuelle sowie die letzte Bundesregierung vorgenommen hatten, um die Wohnraumknappheit und damit den starken Anstieg der Wohnungsmieten, insbesondere in deutschen Großstädten, zu begrenzen. Auch lag während der gesamten, immerhin zwölf Jahre anhaltenden Aufschwungperiode, die Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen oberhalb der Zahl der Fertigstellungen, sodass der Bauüberhang stetig vergrößert wurde und zuletzt auf über 800.000 Wohneinheiten angewachsen war (Schürt und Waltersbacher, 2022).
Letztlich sorgte eine Kaskade aus Konjunktur- und Strukturfaktoren dafür, dass aus einem günstigen Wohnungsmarktumfeld innerhalb eines Jahrzehnts eine Reihe unterschiedlicher Wohnungsmarktprobleme werden konnte. Vor 20 Jahren galten deutsche Wohnungsmärkte für viele Investoren noch als wenig attraktive Anlagen, der demografische Ausblick war schlecht, die öffentliche Hand führte ihre Wohnungsbauförderpolitik dem Diktum „Deutschland sei zu Ende gebaut“ folgend zurück. Der IWF (2004) zeigte, dass die deutschen Wohnungsmärkte sich dem internationalen Wohnungspreisauftrieb entzogen und die Deutsche Bundesbank (2010) bestätigte dies, sie sprach von einer „Sondersituation“, die der deutsche Wohnungsmarkt im Vergleich zu anderen internationalen Wohnungsmärkten damals einnahm.
Doch gerade diese Sondersituation half im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise, denn die Wohnungsmärkte sorgten anders als in Spanien, Irland oder den USA für keine zusätzlichen Belastungen. Und weil die deutsche Wirtschaft gestärkt aus der Finanz- und Wirtschaftskrise kam, belebte sich die Zuwanderung nach Deutschland. Steigende Einkommen bei sinkender Arbeitslosenquote und hohe Nettozuwanderung aus dem Ausland sorgten für einen starken Anstieg der Wohnungsnachfrage vor allem in den Ballungsräumen (Bundesbank, 2020), denn gerade Auswanderung erfolgt überwiegend in Kernstädte hinein. Auf diesen Nachfrageanstieg waren viele Städte nicht vorbereitet, zum Teil, weil Kompetenzen in den Baubehörden abgebaut wurden, zum Teil, weil der Aufschwung für transitorisch gehalten wurde und zum Teil, weil die notwendige Baulandausweitung im Konflikt zu anderen – vor allem ökologischen – Zielen stand. So wurde das knappe Bauland selbst zu einem der zentralen Preistreiber in den vergangenen Jahren. Zwischen 2010 und 2021 gab es in Deutschland mehr als 250 Kreise – also offensichtlich nicht nur Stadtkreise – in denen der mittlere Kaufpreis von Bauland um mindestens 50 % angestiegen war. In fast 150 Kreisen verdoppelten sich die Baulandpreise mindestens in diesem Zeitraum, in München und Frankfurt vervierfachten sich die Kaufpreise für Bauland und in Berlin verfünffachten sie sich sogar (empirica regio, 2023). In besonders gefragten innerstädtischen Lagen konnten die Ausschläge sogar noch stärker ausfallen.
Hinzu kam, dass die Angebotsseite selbst dann nicht elastisch reagieren konnte, wenn Bauland ausgewiesen wurde, weil die strukturelle Anpassung der Bauwirtschaft zwischen 1995 und 2005 die Reaktionsfähigkeit reduziert hat. Zum Anstieg der Grundstückspreise kamen zunehmend steigende Arbeits- und Materialkosten hinzu. Dies wurde durch die Coronapandemie und 2022 durch den Krieg in der Ukraine verstärkt. Da während der Lockdown-Phasen die Konsummöglichkeiten zusätzlich eingeschränkt wurden und dies die Sparquote gerade der einkommensstarken Haushalte steigen ließ, sind die Wohnungspreise im Zuge der Coronapandemie nicht nur weiter gestiegen, sie dürften sogar stärker gestiegen sein als dies in einem kontrafaktischen Szenario ohne Pandemie der Fall gewesen wäre (Eisfeld und Just, 2021).
Gerade in den Kernstädten stiegen die Wohnungsmieten und -preise in der Folge stärker als die verfügbaren Einkommen, sodass Haushalte auf der Suche nach erschwinglichem Wohnraum zunehmend aus den Kernstädten in die Umlandgemeinden abwanderten. Abbildung 1 illustriert dies. In den sogenannten A-Städten (Berlin, Hamburg, München, Frankfurt am Main, Köln und Düsseldorf) war der Wanderungssaldo mit dem Umland (hier gemessen als Nettowanderungssaldo je 1.000 Einwohner) seit jeher negativ. In den anderen westdeutschen Kreisstädten war die Umlandwanderung bis 2011 im Großen und Ganzen ausgeglichen, verstärkte sich aber in den Folgejahren zunehmend und lag 2021 in etwa auf dem Niveau, das für die A-Städte vor der Wohnungsmarktbelebung ausgewiesen wurde. Bemerkenswert ist zusätzlich, dass auch für die ostdeutschen Kreisstädte zunehmend gilt, dass es Verdrängung an die Stadtränder gibt. Die Einwohnerzahl in den Städten nahm gleichwohl zu, weil die Nettowanderungssalden aus weiter entfernten Kreisen sowie aus dem Ausland positiv waren und die Umlandwanderung überstiegen.
Abbildung 1
Wanderungssaldo von Städten mit deren Umlandkreisen
je 1.000 Einwohner
Differenz aus Zu- und Fortzügen über die Kreisstadtgrenze. Das Umland besteht aus den angrenzenden Kreisen (Landkreise/kreisfreie Städte).
Quelle: empirica regio (2023).
Diese Gemengelage war für Projektentwickler:innen und auch für private und institutionelle Wohnimmobilienkäufer deswegen darstellbar, weil die Belastungsfaktoren durch die niedrigen Zinsen lange Zeit überkompensiert wurden. Wohnimmobilien standen sowohl bei Investoren als auch bei Kreditinstituten im Zentrum des Interesses, weil sie stabile Mieteinnahmen versprachen und weil sowohl das Zinsänderungs- als auch folglich das Abwertungsrisiko als gering eingeschätzt wurden (Just und Wiersma, 2020). Doch die Zinsdynamik 2022 hat alle Marktakteure zu einer Anpassung ihrer Einschätzung gezwungen, denn die höheren Zinsen erfordern bei unveränderten Mieten und selbst unveränderten Mietänderungserwartungen niedrigere Wohnungspreise, insbesondere, weil viel dafürspricht, dass Kreditinstitute und Investoren eine mögliche Risikoprämie für Wohnungsfinanzierungen gegenüber einer risikolosen Anleihe eher erhöht als gesenkt haben. Die jüngsten Umfrageergebnisse aus dem Bank Lending Survey des Eurosystems (Deutsche Bundesbank, 2023) zeigen ähnliche Umfrageergebnisse wie jene von Just und Wiersma (2022), dass Banken höhere Kreditstandards und auch höhere Margen an- und durchsetzen. Die Anordnung eines sektoralen Systemrisikopuffers, der von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen zum 1. April 2022 für Wohnimmobilienkredite angeordnet wurde, soll die Risikoentwicklung der deutschen Banken eindämmen, wirkt aber durch die weitere Schwächung der relativen Attraktivität von Wohnungskrediten hemmend für den deutschen Wohnungsbau.
Projektentwickler:innen müssen die anhaltend teuren Grundstücke und die hohen Baukosten also mit weniger durch Banken bereitgestelltes Fremdkapital, daher wohl häufiger durch teures Mezzanine-Kapital, finanzieren und für beides auch deutlich höhere Zinsen ansetzen. Gleichzeitig können sie jedoch keine höheren Preise durchsetzen, weil sich zum einen die Erschwinglichkeit von Wohnimmobilien angesichts der steigenden Zinsen noch stärker reduziert hat als in den Jahren zuvor und weil die relative Attraktivität der Wohnimmobilienanlage gerade im Vergleich zu festverzinslichen Anlagen abgenommen hat.
Abbildung 2 illustriert für eine Musterwohnung von 80 m² Wohnfläche, dass die Annuität (Zinszahlung und Tilgung über 30 Jahre) bis 2019 im Durschnitt über alle deutschen Kreise niedriger war als eine Mietzahlung für entsprechenden Wohnraum. Kaufen hat sich lange Zeit dank der niedrigen Zinsen trotz der stark steigenden Preise gelohnt. Erst seit 2020 hat sich in einer stetig steigenden Zahl an (vor allem) Stadtkreisen die Differenz aus Annuität und Mietzahlung gekehrt. Für das letzte Quartal, für das Daten zur Verfügung stehen (Q3 2022), übersteigt solch eine hypothetische Annuität in neun von zehn Kreisen eine mögliche Mietzahlung.
Abbildung 2
Wohnimmobilien in Deutschland weniger erschwinglich
Die Annuitität wird für eine durchschnittliche Wohnung von 80 m² mit hedonischen Preisschätzverfahren für Angebotspreise und alle Baujahre ermittelt. Kaufnebenkosten 15 %; Fremdkapitalquote 80 % und Kreditlaufzeit 30 Jahre mit jeweils aktuellen Zinsen.
Quelle: empirica regio (2023).
Und weil in diesen Modellrechnungen keine Veränderungen der Eigenkapitalquoten und auch keine möglichen Immobilienwertverluste – allerdings auch keine erwarteten Mietsteigerungen in der Zukunft – berücksichtigt wurden, fällt die Entscheidung insbesondere für Kaufinteressenten mit wenig Eigenkapital in vielen Fällen zu Ungunsten des Wohnungserwerbs aus. Dies macht es auch unwahrscheinlich, dass der Bauüberhang 2023 abgebaut wird; Projektentwickler:innen werden bemüht sein, Projekte zu verzögern oder sogar ganz zu stornieren.
Hoher Bedarf, doch kurzfristig werden Bauinvestitionen spürbar sinken
Der Zinsanstieg bedeutet also schließlich eine letzte Stufe in der Problemkaskade des deutschen Wohnimmobilienmarktes dahingehend, dass die Bautätigkeit erheblich zurückgehen wird. Das Volumen neuer Hypothekarkredite sinkt bereits seit Wochen deutlich schneller als während der Finanz- und Wirtschaftskrise.
Und dennoch ist es falsch, das Bild eines „perfekten Sturms“ für den Wohnungsbau zu malen, so wie es seit Monaten von Verbänden in den Medien vermittelt wird, und zwar aus vier Gründen: Der wichtigste Grund ist erstens, dass es in den meisten Städten eben kein Flächennachfrageproblem gibt. Die Wohnungsleerstandsquoten sind weiterhin auf sehr niedrigen Niveaus. Es müsste eigentlich deutlich mehr gebaut werden, um diese Nachfrage zu bedienen. Diese Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass die deutschen Arbeitsmärkte weiterhin sehr stabil sind, und dies wird auch in den nächsten Monaten hohe Außenzuwanderung anziehen. Perspektivisch wird dies durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sogar eher verstärkt. Außenwanderung erfolgt zunächst in die Kernstädte hinein. Der Flächennachfragedruck wird bei rückläufiger Bauaktivität die Mieten nicht sinken lassen. Wahrscheinlich werden die Wohnungsmieten sogar weiter steigen. Zweitens gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass Energiepreise und Materialkosten nicht weiter so stark wie zuletzt steigen werden. Drittens wird es Projektentwickler:innen geben, die strategisch gehaltene Grundstücke veräußern müssen. Sprich, die Baulandpreise dürften in einer zunehmenden Zahl an Kreisen nicht mehr steigen, wahrscheinlich sogar sinken können. Gemeinsam mit der nachlassenden Investitionsbereitschaft wird diese Kostendynamik für Neubau-, noch stärker für Bestandsimmobilien die Wohnungspreise sinken lassen. Im Zusammenspiel mit den steigenden Mieten wird dieses Sinken der Wohnungspreise die Mietrenditen steigen lassen, sodass sich hier ein neues Gleichgewicht bei höheren Zinsen einstellen wird. Viertens gibt es neben dem quantitativen Neubaubedarf auch erheblichen qualitativen Neubaubedarf. Dies betrifft sowohl Lageparameter (wohl eher in den Umlandgemeinden der Großstädte, aber nicht im ländlichen Raum) als auch Energieeffizienzstandards und den Bedarf an barrierearmen Wohnungen. Dieser letzte qualitative Aspekt wird durch die Alterung der Gesellschaft bedingt, wirkt aber nicht kurzfristig stabilisierend. Der Aspekt des energetischen Umbaus des Wohnimmobilienbestands dürfte auch kurzfristig zu neuen Bauaufträgen führen, denn die meisten Banken werden hier neue Portfolioschwerpunkte setzen und durch die starken Energiepreisschwankungen werden mehr private und institutionelle Investor:innen jenseits von ökologischen Motiven eine Ertüchtigung des eigenen Bestands in Erwägung ziehen.
Kurzfristig – und dies wird wohl bis weit in das Jahr 2024 hineinreichen, weil Immobilienmärkte durch lange Wirkungs- und Reaktionszeiten geprägt sind – ist mit deutlich rückläufiger Wohnungsbauaktivität zu rechnen, doch mittelfristig sprechen weiterhin gute Gründe dafür, dass Deutschland nicht „zu Ende gebaut ist“. Daher ist es wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass in dieser Anpassungsphase die Elastizität des Bauangebots nicht zu stark gemindert wird. Das bedeutet, dass es für die mittelfristige Entwicklung ausschlaggebend ist, dass in dieser Phase nicht zu viele Bauunternehmen dauerhaft vom Markt verschwinden. Die heftigen Auf- und vor allem Abwärtsbewegungen der Bautätigkeit in den Jahren nach der Wiedervereinigung hatten letztlich die Saat für die geringe Elastizität nach der Finanz- und Wirtschaftskrise gesät. Daneben ist die Bereitstellung von Bauland weiterhin wichtig, aber angesichts der Tatsache, dass das Nadelöhr aktuell vor allem der Zugang zu günstigem Kapital ist, weniger entscheidend als noch vor zwei Jahren – doch mittelfristig ist es entscheidend. Akut dürfte für den Wohnungsbau alles entlastend wirken, das Baukosten reduzieren hilft.
Weil die Knappheit auf den Flächenmärkten bestehen bleibt, wird die Diskussion um eine Verschärfung im Mietrecht anhalten. Eine solche Diskussion wäre im Lichte der sowieso geschwächten Baukonjunktur nicht förderlich. Doch gerade daher ist es auch auf Seiten der Investor:innen und Projektentwickler:innen gefährlich, dieser Diskussion durch Ausnutzen von Mietsteigerungspotenzialen neue Nahrung zu geben, wissend, dass solche Zurückhaltung ein Erreichen wieder auskömmlicher Renditen im Wohnungsbau herauszögert.
Literatur
Destatis (2022), Zahl neuer Wohnungen im Jahr 2021 um 4,2 % gesunken, Pressemitteilung, 212, 23. Mai, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/05/PD22_212_31121.html (3. Januar 2023).
Deutsche Bundesbank (2010), Monatsbericht Juni 2010, https://www.bundesbank.de/resource/blob/692936/2489b3e4b5cbe164986fe103ea71e45f/mL/2010-06-investitionszyklus-data.pdf (3. Januar 2023).
Deutsche Bundesbank (2020), Monatsbericht Oktober 2020, https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-oktober-2020-848808 (2. Janaur 2023).
Deutsche Bundesbank (2023), Indikatorensystem zu Wohnungsmarkt, https://www.bundesbank.de/resource/blob/615268/c70b0c97ad6396b08e26c24d79e462ca/mL/09-veraenderungen-der-kreditstandards-data.pdf (3. Januar 2023).
Eisfeld, R. K. und T. Just (2021), Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die deutschen Wohnungsmärkte. Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, IREBS Beiträge zur Immobilienwirtschaft, 26.
empirica regio (2023), Empirica regio Marktstudio – marktative Leerstandsquote. Datenabruf https://studio.empirica-regio.de/studio-live (5. Januar 2023).
IWF – Internationaler Währungsfonds (2004), Three Current Policy Issues, World Economic Outlook, September 2004, Chapter II, 71-88, https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2016/12/31/The-Global-Demographic-Transition (3. Januar 2023).
Just, T. und S. Wiersma (2020), Finanzierungen von Gewerbeimmobilien: Schock, Anpassung und große Unsicherheit, Immobilien & Finanzierung, 71(12), 566-568.
Just, T. und S. Wiersma (2022), Das Ende eines langen Aufschwungs: Einblicke in die gewerbliche Immobilienfinanzierung in Deutschland, IREBS Standpunkt, 116, https://www.irebs-immobilienakademie.de/aktuelles-bei-irebs/irebs-standpunkt/irebs-standpunkt-nr-116/ (2. Januar 2023).
Schürt, A. und M. Waltersbacher (2022), Baufertigstellungen und Bauüberhänge, Fachbeitrag BBSR, 13. September, https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/fachbeitraege/wohnen-immobilien/bautaetigkeit/wohnungsbaufertigstellungen/wohnungsbaufertigstellungen.html (3. Januar 2023).