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Die Forschungsdateninfrastruktur in Deutschland ist vielschichtig und wird laufend verbessert. Um jedoch international wettbewerbsfähig zu sein, muss die deutsche Dateninfrastruktur weiterentwickelt werden. Es dient dem Gemeinwohl, wenn es Forschenden ermöglicht wird, auf Daten aus verschiedenen Quellen zuzugreifen und diese miteinander zu kombinieren.

Was charakterisiert unsere wissenschaftliche Dateninfrastruktur? Das „Datenökosystem“ hierzulande ist ausdifferenziert und etwas unübersichtlich: Es gibt inzwischen 42 verschiedene, beim Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) akkreditierte Forschungsdatenzentren (FDZ) und zahlreiche weitere datenhaltende Einheiten bieten ihre Dienste ohne Akkreditierung an. Seit 2020 gibt es den Verein Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI), der ab Januar 2023 27 sogenannte Konsortien über alle Disziplinen hinweg koordiniert. Zudem wird die Datennutzung in Deutschland von einem komplexen Regelungsgeflecht in Bund und Ländern und einem Dickicht an Gesetzesgrundlagen für den Datenschutz bestimmt. Da ist es interessant, einmal über die Grenzen zu schauen. In Österreich gibt es seit Juli 2022 das Austrian Micro Data Center als zentrale Plattform; darauf können in Zukunft alle Mikrodaten der öffentlichen Verwaltung und aus Registern bereitgestellt und verknüpft werden. Es laufen Ausschreibungen zur Förderung innovativer Forschungsvorhaben mit genau diesen Daten. Das wirkt insgesamt wie ein stringenter Aufbau einer Dateninfrastruktur. In der Schweiz ist man ähnlich aufgestellt.1

Was bedeutet eigentlich Dateninfrastruktur? Das Konzept ist breiter, als die genannten ersten Eindrücke suggerieren. Kürzlich definierten die drei US Academies (National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine, 2022) Dateninfrastruktur als ein Konglomerat, das aus sechs Elementen besteht: den Daten; der Technologie, um mit den Daten umzugehen; der dafür erforderlichen Expertise; den Regeln, die den Umgang mit Daten leiten; der Organisation, die die Dateninfrastruktur managt und schließlich den Gruppen, um deren Daten es geht.

Status quo

Wenn man den Status quo der hier betrachteten Dateninfrastruktur in Deutschland im Vergleich zu unseren Nachbarländern charakterisieren möchte, wird deutlich: Deutschland hinkt hinterher. Diese Feststellung lässt sich inhaltlich, strukturell und organisatorisch unterfüttern.

Inhaltliche Perspektive: Inhaltliche Mängel der deutschen Dateninfrastruktur zeigen sich, sobald es staatlichen Handlungsbedarf – etwa in einer Krise – gibt. In der Pandemie wussten wir weder präzise, wie viele Menschen infiziert, noch wie viele geimpft sind. Diese Datenmängel wurden inzwischen von vielen Kommissionen, vom Wissenschaftsrat und von der DFG benannt.

In der Gaspreiskrise hakt die effiziente Organisation öffentlicher Unterstützung gerade daran, dass der Staat die Bürger:innen nicht auf Basis von Informationen zu Einkommen und Gasnutzung zielgenau ansprechen kann. Grundsätzlich fehlen aktuelle Daten zur wirtschaftspolitischen Steuerung (z. B. zu Kurzarbeit und Insolvenzen) sowie insbesondere Informationen zu regionalen Preisen.

Defizite der Datenverfügbarkeit zeigen sich auch unabhängig von Krisen in zahlreichen Feldern. Während z. B. in Deutschland die Haushalte mühsam die Kennziffern zu ihrem Immobilienbesitz für den Staat zusammentragen, verfügt Österreich seit 2007 über digitale Grundbücher. Es gibt systematische Mängel der Dateninfrastruktur im Bildungswesen, wo unter anderem der von der Kultusministerkonferenz 2003 empfohlene Schülerkerndatensatz bis heute auf seine flächendeckende Umsetzung wartet. Informationen über Schulabbrecher:innen werden bislang nur in Hamburg und Bremen an die Jobcenter übermittelt, in den anderen Ländern ist das nicht erlaubt. Systematische Mängel gibt es ebenso in der Dateninfrastruktur für den Gesundheitsbereich. Die Grenzen der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Gesundheitsdienstes haben wir während der Coronapandemie erfahren. Das E-Rezept und die elektronische Patientenakte sind weitere prominente Beispiele für Mängel im Bereich von Digitalisierung und Datenbereitstellung in Deutschland. In Großbritannien bieten solche Instrumente seit 30 Jahren die Basis nicht nur für die Dienstleistungen und Verwaltung, sondern auch für die Forschung. Auch in Ländern, die den gleichen datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen wie Deutschland unterworfen sind, z. B. Dänemark, sind solche Instrumente schon lange etablierte Praxis und damit auch Grundlage und Ausgangspunkt von Forschung. Ein letztes Beispiel für inhaltliche Herausforderungen der Dateninfrastruktur ist der registerbasierte Zensus. In vielen europäischen Ländern ist er längst Standard. In Deutschland hingegen stellt er noch immer eine imposante Herausforderung dar.

Strukturelle Perspektive: Vor der letzten Bundestagswahl haben verschiedene Gruppen Vorschläge zur Verbesserung der Dateninfrastruktur aus der Perspektive der Wissenschaft zusammengetragen. Folgende Kernelemente wurden unter anderem vom RatSWD (2021) benannt:

  • Das Statistische Bundesamt und der statistische Verbund benötigen mehr Ressourcen für ihre Forschungsdatenzentren, eine gesetzliche Regelung des „remote access“ zu den Daten, einen Forschungsauftrag und ein Forschungsinstitut am Statistischen Bundesamt.
  • Die bestehenden (gesetzlichen) Hürden der Datenverknüpfung sollten abgebaut werden, gegebenenfalls über die Einrichtung einer Datentreuhänderstelle.
  • Datenschutzregelungen und deren Anwendung sollten über regionale und institutionelle Einheiten vereinheitlicht werden.
  • Der Zugang zu Register- und Verwaltungsdaten für wissenschaftliche Zwecke sollte ermöglicht und die Wissenschaft bei der Umsetzung eines registerbasierten Zensus eingebunden werden.
  • Das Forschungsprivileg ist zu stärken: die Vertraulichkeit von Forschungsdaten muss gesichert werden, Verschwiegenheitspflicht für Forschende, Zeugnisverweigerungsrecht für Forschende, Beschlagnahmeverbot von Forschungsunterlagen sollten gesetzlich verankert werden (RatSWD, 2022a).

Organisatorische Perspektive: Die organisatorischen Mängel der amtlichen deutschen Statistik-Dateninfrastruktur – ein wichtiger Baustein der Dateninfrastruktur – wurden erst kürzlich offiziell benannt. Das europäische Statistische System führt Peer Reviews zur Einhaltung seines Verhaltenskodexes durch. Der Bericht über das deutsche nationale statistische System wurde im Dezember 2021 bekannt gemacht (Markelevicius et al., 2021, 4). Dort heißt es: „Insgesamt bewegt sich das deutsche statistische System bei der Einhaltung des Verhaltenskodex für europäische Statistiken auf einem guten Niveau. Das Peer-Review-Team hat dennoch acht Empfehlungen zur Einhaltung des Kodex und fünfzehn Empfehlungen für Verbesserungen herausgearbeitet, (...).“ Diese Empfehlungen richten sich nicht gegen die Amtsführung des Statistischen Bundesamtes (Destatis), sondern kommentieren die Rolle der amtlichen Statistik in Deutschland. Aus wissenschaftlicher Sicht sind folgende Empfehlungen von besonderem Interesse:

  • Die Transparenz bei künftigen Ernennungen von Präsident:innen von Destatis ist zu verbessern (E5). Hier wäre auch eine wissenschaftliche Qualifikation hilfreich.
  • Der Arbeitsplan der amtlichen Statistik sollte veröffentlicht werde (E6). Zu diesem Zweck wurde inzwischen eine Kommission eingesetzt.2
  • Die amtliche Statistik sollte bei der Gestaltung und Weiterentwicklung von Verwaltungsdatensätzen eingebunden werden (E7). Hier könnte eine wissenschaftliche Beratung hilfreich sein.
  • Destatis sollte Zugang zu einem nationalen Bevölkerungsregister erhalten. Dazu gehört ein gesicherter Zugang zum Register als Auswahlgrundlage und Datenquelle für Bevölkerungsstatistiken. (E9)
  • Das Innenministerium sollte sicherstellen, dass alle Statistikbehörden die nötigen personellen und finanziellen Ressourcen erhalten. Außerdem sollten die für Forschungsvorhaben benötigten Ressourcen verfügbar sein. (E14)
  • Die Nutzung der Forschungsdatenzentren sollte erweitert und Fernzugriff auf Mikrodaten ermöglicht werden. Der bürokratische Aufwand beim Mikrodatenzugang sollte verringert werden. (E20)

Ein Beheben dieser organisatorischen Mängel käme nicht nur der Verwaltung zugute, sondern wäre auch für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft von großem Nutzen.

Anstehende Entwicklungen

Es gibt jedoch auch drei Dimensionen, die Hoffnung für die weitere Entwicklung machen:

Data Governance Act: Die EU ist im Bereich der Daten gesetzgeberisch sehr aktiv. Es gibt bereits den Digital Services Act, den Digital Market Act, den Data Governance Act und ein Data Act ist in Vorbereitung. Für die Weiterentwicklung der Forschungsdateninfrastruktur ist der vor wenigen Monaten verabschiedete DGA eine wichtige Chance. Er wurde am 30. Mai 2022 veröffentlicht und ist ab dem 24. September 2023 anzuwenden. Die EU-Kommission (2022) beschreibt Anlass und Inhalt des Gesetztes, wie folgt: „Der Data Governance Act (...) zielt darauf ab, das Vertrauen in den Datenaustausch zu stärken, die Mechanismen zur Erhöhung der Datenverfügbarkeit zu stärken und technische Hindernisse für die Weiterverwendung von Daten zu überwinden.“ Dazu benennt die Kommission vier Maßnahmenpakete: (1) Erleichterung der Weiterverwendung von Daten im Besitz öffentlicher Stellen, z. B. für die Forschung. (2) Regelung von Datenvermittlungsdiensten. (3) Maßnahmen, die es Bürger:innen und Unternehmen erleichtern, ihre Daten zum Wohle der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. (4) Erleichterung des sektor- und grenzübergreifenden Datenaustauschs. Um den Zugang zu und die Weiterverwendung von Daten des öffentlichen Sektors zu verbessern, müssen von jedem Mitgliedsland laut DGA bis September 2023 zwei Arten von Einrichtungen benannt werden:

(1) Zuständige Stellen: dabei handelt es sich um Einrichtungen, die für bestimmte Sektoren (z. B. Gesundheit, Bildung) verantwortlich sind und öffentliche Dateninhaber:innen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterstützen. Sie beraten und leisten technische Unterstützung, z. B. um über den Zugang zur Weiterverarbeitung von Daten zu entscheiden oder um eine sichere Verarbeitungsumgebung bereitzustellen.

(2) Zentrale Informationsstelle: diese ist in jedem Mitgliedsland einzurichten und soll eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen. Sie erstellt einen Gesamtkatalog und einheitlichen Zugangspunkt für alle Daten öffentlicher Stellen. Sie gewährleistet, dass alle Informationen zu sämtlichen bereitgestellten öffentlichen Daten erhältlich und leicht zugänglich sind. Sie kann Anfragen entgegennehmen und weiterleiten und wird zum „one stop shop“ für öffentliche Daten. Die nationalen Stellen werden in einem EU-Portal zusammengeführt.

Auch Deutschland muss diese Forderungen umsetzen. Das bietet eine Chance, die öffentliche Dateninfrastruktur zu strukturieren und neu aufzustellen. Derzeit sind die öffentlich finanzierten Daten auf zahllose verschiedene datenhaltende Stellen in den Gebietskörperschaften und weiteren öffentlichen Einrichtungen verteilt. Der DGA bietet Anlass und Chance, bestehende Strukturen zu überarbeiten, zu harmonisieren und nicht nur für die Forschung, sondern auch für Wirtschaft und Gesellschaft zugänglicher zu machen.

Digitalstrategie der Bundesregierung: Im Sommer 2022 veröffentlichte die Bundesregierung (2022) ein Dokument, das gewichtige Zusagen für die weitere Ausgestaltung der Forschungsdateninfrastruktur enthält. Dazu gehört, dass sich die Bundesregierung 2025 daran messen lassen will, ob:

  • Daten aus verschiedenen Datenräumen in Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Gesellschaft nach Nutzendeninteressen kombinierbar sind.
  • ein Dateninstitut eingerichtet ist, das die Datenverfügbarkeit und -standardisierung in Deutschland vorantreibt und Datentreuhändlermodelle sowie Lizenzen etabliert.
  • ein Forschungsdatengesetz den Zugang zu Forschungsdaten für öffentliche und private Forschung umfassend verbessert und vereinfacht hat und Forschungsklauseln eingeführt wurden.
  • sich die NFDI als „das Netzwerk“ in der deutschen Wissenschaftslandschaft etabliert hat und Forschungsdaten zur Nutzung für neue Geschäftsmodelle, Innovationen und einen modernen Staat besser zugänglich sind.
  • die Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft gestärkt ist und die Forschung dadurch besseren Zugang zu Daten aus der Wirtschaft hat.

Vorbereitung für ein Dateninstitut: Am Ende der letzten Legislaturperiode verabschiedete das Kabinett Merkel eine Datenstrategie (Bundesregierung, 2021), in deren Vorbereitung sich der RatSWD seinerzeit stark engagiert hat. Diese Datenstrategie enthielt einige Vorläuferideen für ein mögliches Dateninstitut. Dazu gehören unter anderem: (1) In einem Datenatlas sollen die Datenbestände der Bundesverwaltung analysiert und überprüft werden. (2) Ein gemeinsamer interner Datenpool der Bundesbehörden soll relevante Daten für Regierungshandeln standardisiert zusammenführen. (3) Eine Verwaltungsdaten-Informationsplattform schafft einen umfassenden öffentlichen Überblick über öffentliche Datenbestände. (4) Die Datentransparenzstelle des Statistischen Bundesamtes deckt Inkohärenzen in Datensätzen auf und zeigt Handlungsoptionen auf.

Die Datenstrategie war damals überwiegend ein unverbindlicher Plan, den die letzte Bundesregierung ein halbes Jahr vor der Wahl bekannt gemacht hat.3 Darüber hinaus war seine Wirkmacht unklar. Allerdings tauchten nach der Wahl im Koalitionsvertrag 2021 Konkretisierungen auf. Z. B. wurde verabredet: „Ein Dateninstitut soll Datenverfügbarkeit und -standardisierung vorantreiben, Datentreuhändermodelle und Lizenzen etablieren“ (SPD et al., 2021, 17).

Um dies umzusetzen, wurden im Herbst 2022 vom Bundesministerium des Inneren und Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Stakeholderbefragungen koordiniert. Dabei scheint die präzise Zielsetzung für das Dateninstitut auch in Relation zum EU Data Governance Act derzeit noch offen zu sein. Am 7.10.2022 wurde eine vierköpfige Gründungskommission eingesetzt, zu der nachträglich (noch) ein Vertreter der Wissenschaft hinzu gebeten wurde. Die Gründungskommission hat bereits am 9.12.2022 einen ersten Zwischenbericht präsentiert (BMI, 2022). Dieser erläutert, dass das Dateninstitut über die Arbeit an Pilotprojekten oder Use Cases aufgebaut werden soll, die die Bedarfe unterschiedlicher Interessengruppen berücksichtigen. Dieser agile Ansatz erscheint sinnvoll. Wenn jedoch tatsächlich zuvorderst solche Projekte angegangen werden, die im bestehenden gesetzlichen Rahmen umgesetzt werden können, steht zu befürchten, dass der Nutzen für die unabhängige Forschung überschaubar bleibt, denn diese wird meist durch harte gesetzliche Vorschriften ausgebremst.

Insgesamt warten auf das Dateninstitut wichtige Aufgaben. Die Kommission Zukunft Statistik (2022), der RatSWD (2022b) und der Rat für Informationsinfrastrukturen (RfII, 2022) haben sich hierzu in Positionspapieren geäußert. Folgende Aspekte sind aus Forschungssicht bei der Einrichtung und Organisation des Dateninstituts wichtig:

  • Datenzugang sollte der Wissenschaft insbesondere zu Verwaltungs- und Registerdaten ermöglicht werden. Aber auch für die Nutzung von Unternehmensdaten sind Modelle zu entwickeln.
  • Datenverknüpfung ist inhaltlich unverzichtbar und erfordert die Änderung rechtlicher Rahmenbedingungen. Die Umsetzung kann gegebenenfalls über ein Treuhändermodell erfolgen.
  • Belange der Wissenschaft sollten im Dateninstitut strukturell repräsentiert werden. Wissenschaftliche Expertise sollte schon bei der Konzeption des Dateninstituts – etwa über den RatSWD – eingebunden werden.
  • Es sollte ein gesellschaftlicher Diskurs über die Kosten verweigerten Datenzugangs und die Bedeutung evidenzbasierter Politik initiiert werden.
  • Das Dateninstitut sollte gegenüber Bundesministerien und staatlichen Regulierungsbehörden unabhängig sein, damit freies Schnittstellenmanagement über Infrastrukturgrenzen hinweg möglich ist.
  • Das Dateninstitut sollte zur Strukturierung der Datenlandschaft koordinierend beitragen und ausdifferenzierte Zugangsarchitekturen bündeln.
  • Dabei muss die europäische Dimension von Beginn an mitgedacht und die Entwicklungen nach dem Data Governance Act proaktiv begleitet werden.

Insgesamt bleibt zu hoffen, dass sich durch das Zusammenspiel von Data Governance Act, Digitalstrategie der Bundesregierung und einer problemorientierten Ausgestaltung des Dateninstituts der Datenzugang für die Forschung und damit die Funktionalität der deutschen Dateninfrastruktur verbessern.

Nächste Schritte

Für die Vertreter:innen der Wissenschaft stellen sich vier zentrale Aufgaben:

Eruieren: Damit die Interessen der Forschenden zielgenau vertreten werden können, ist es wichtig, deren Bedarfe zu kennen. Dazu führt z. B. der Verein für Socialpolitik, die Fachgesellschaft der Volkswirt:innen im deutschsprachigen Raum, 2023 eine Befragung seiner ca. 4.000 Mitglieder durch. Es gilt herauszufinden, in welchen Bereichen des Datenzugangs die Schwierigkeiten am gravierendsten sind. Gemeinsam mit den Stakeholder:innen aus Behörden und Verwaltung sollen daraus Empfehlungen abgeleitet werden, um zur Verbesserung der Infrastruktur für die Forschung und damit auch für die evidenzbasierte Politikgestaltung beizutragen.

Informieren: Die Situation der deutschen Dateninfrastruktur erschwert es auch jungen Forschenden, auf international wettbewerbsfähigem Niveau zu arbeiten. Es gilt, darauf hinzuweisen und über die Optionen im Ausland zu informieren. Viele Fragen kann man besser (oder nur) für Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland und demnächst Österreich als für Deutschland erforschen. Auf diese strukturellen Standortnachteile Deutschlands müssen Politik und Öffentlichkeit hingewiesen werden, denn nicht in allen Politikfeldern ist es sinnvoll oder hinreichend, sich auf Informationen aus dem Ausland zu verlassen.

Kommentieren: Die Stimme der Wissenschaft findet nicht automatisch in den anstehenden Prozessen Gehör. Daher ist es Aufgabe der Fachgesellschaften und der organisierten Wissenschaftsvertretung – etwa der Allianzorganisationen4 – Stellung zu beziehen. Die europäische Gesetzgebung und die Vorhaben der Bundesregierung lassen auf positive Weiterentwicklung hoffen. Aber es bleibt erforderlich, dass die Wissenschaft dieses konstruktiv und kritisch begleitet und sich weiterhin vernehmlich einbringt.

Korrigieren: Die Schwächen des Datenzugangs in Deutschland sind eng mit der Art der Handhabung unserer Datenschutzregelungen verknüpft. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, genauer das Recht auf Datenschutz, sollte nicht als „Supergrundrecht“ zulasten anderer Rechte und berechtigter Interessen missbraucht und als Vorwand genutzt werden, um Forschung und Transparenz zu verhindern. Es ist wichtig, Politik und Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass die Nichtverfügbarkeit und die Nichtnutzbarkeit von Daten und damit fehlende Evidenz als Grundlage für politische Entscheidungen erhebliche Kosten für alle verursacht.

Im Bereich des nicht-digitalisierten Gesundheitswesens ist das besonders offensichtlich, wenn dringend benötigte Patienteninformationen nicht vorliegen, weil digitaler Zugriff immer noch nicht möglich ist. Aber die Kosten extrem ausgelegter Datenschutzregelungen fallen auch an zahllosen anderen Stellen an. Das reicht von der Bildungsförderung von Kindern bis zur beruflichen Weiterbildung, über zielgenaue Sozialpolitik, die Feinjustierung des Rechtsstaates auf Basis kriminologischer Forschung bis zu Fragen der Energienutzung, -erzeugung und -übermittlung. Datenschutz muss eingehalten werden, das steht außer Frage. Aber andere EU-Länder zeigen, dass Datenschutz und Datenzugang für die Wissenschaft sich nicht widersprechen. Solange Deutschland in allen Forschenden zuerst Datenschnüffler:innen vermutet, die es mit aller Kraft zu bremsen gilt, solange tun wir uns im internationalen Wettbewerb unnötig schwer, hinken immer weiter hinterher und tragen dafür hohe Kosten.

Fazit

Es gibt genug zu tun, um den Rückstand Deutschlands auf seine Nachbarländer nicht noch größer werden zu lassen. Die US Academies benennen die Bedeutung moderner Dateninfrastruktur, wie folgt: „Amtliche Statistik und wissenschaftliche Forschung brauchen Zugang zu verknüpfbaren Daten, um die Qualität, Aktualität, Granularität und Nützlichkeit der Statistik zu verbessern, um rigorose sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung zu ermöglichen und evidenzbasierte Politikgestaltung und Programmevaluation zu unterstützen.“5

Um auf diesem Weg auch in Deutschland weiterzukommen, brauchen wir (1) die finanzielle Stärkung eines forschungsaffinen statistischen Verbundes und seiner Forschungsdatenzentren, (2) eine Lösung der Datenverknüpfungsprobleme einschließlich einer Anpassung des rechtlichen Rahmens, (3) Forschungszugang zu Register- und Verwaltungsdaten, wie es inzwischen international (und unter europäischem Datenschutzrecht) üblich ist, (4) eine „zentrale Informationsstelle“ im Sinne des DGA, die gemeinsam mit und auch mit Blick auf die Bedarfe von Forschung und Wissenschaft aufgebaut wird und (5) eine Dateninfrastruktur, die sich in Richtung auf Koordination und Harmonisierung bewegt.

Unabhängige empirische Forschung ist für das Wohl der Gesellschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft essenziell. Aber gute Forschung braucht gute Daten. Diese nicht verfügbar zu machen, richtet erheblichen Schaden an.

Literatur

BMI (2022), Gründungskommission stellt erste Ideen für das Dateninstitut auf dem Digital-Gipfel vor, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/12/dateninstitut.html (20. Dezember 2022).

Bundesregierung (2022), Digitalstrategie. Gemeinsam digitale Werte schöpfen, 31. August.

Bundesregierung (2021), Datenstrategie der Bundesregierung. Eine Innovationsstrategie für gesellschaftlichen Fortschritt und nachhaltiges Wachstum. Kabinettfassung vom 27. Januar.

EU-Kommission (2022), Data Governance Act explained, https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/policies/data-governance-act-explained (14. Dezember 2022).

Kommission Zukunft Statistik (2022), Positionspapier – Ein Dateninstitut für Deutschland, 7. Oktober.

Markelevicius, J., T. Burg, R. Laux und J.-P. Poncelet (2021), Peer-Review-Bericht: Über die Einhaltung des Verhaltenskodex für Europäische Statistiken sowie die weitere Verbesserung und Entwicklung des Nationalen Statistischen Systems Deutschland, https://www.destatis.de/DE/Ueber-uns/Peer-Review/abschlussbericht.pdf?__blob=publicationFile (14. Dezember 2022).

National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2022), Toward a 21st Century National Data Infrastructure: Mobilizing Information for the Common Good, The National Academies Press.

RatSWD (2021), Datenbasierte Forschung in Deutschland stärken. Empfehlungen des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) für die 20. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags, https://www.konsortswd.de/wp-content/uploads/211001_RatSWD_Positionspapier_20LP.pdf (14. Dezember 2022).

RatSWD (2022a), RatSWD Positionspapier: Eckpunkte für ein Forschungsdatengesetz, 14. Juni.

RatSWD (2022b), RatSWD Positionspapier: Wissenschaft in Deutschland braucht ein Dateninstitut, 24. Oktober.

RfII (2022), Datenpolitik, Open Science und Dateninfrastrukturen: Aktuelle Entwicklungen im europäischen Raum, Juli.

SPD, Bündnis 90/Die Grüne und FDP (2021), Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag.

Title:German Data Infrastructure from the Perspective of Empirical Economic Research

Abstract:The paper discusses the state of research data infrastructure in Germany and presents ongoing activities for its improvement. The text emphasises the need for continued advocacy and engagement for the advancement of the German data infrastructure to catch up with neighboring countries. It is for the common good when we enable researchers to access and blend data from multiple sources: it improves the quality, timeliness, granularity, and usefulness of statistics. It also facilitates more rigorous social and economic research and supports evidence-based policymaking and programme evaluation.

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