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Das System der Verkehrsverbünde und der Zuweisung von Fahrgeldeinnahmen in Deutschland steht wegen seiner Verwaltungskosten und komplexen Regelungen in der öffentlichen Kritik. Das neue bundesweite 49-Euro-Flatrate-Ticket, das am 1. Mai 2023 eingeführt werden soll, wird erhebliche Änderungen an diesem System erfordern. Daher werden Ideen für eine Reform des Systems diskutiert.

Verbünde prägen die Preis- und Vertriebslandschaft im öffentlichen Verkehr in Deutschland. Historisch bestand in vielen Regionen ein Nebeneinander der Eisenbahn, die vom Bund oder den Ländern sowie den regionalen und kommunalen Verkehrsunternehmen gesteuert wurde. Im Eisenbahnverkehr bestand schon seit der Reichsbahnzeit ein von der Staatsbahn organisierter Tarifverband Bundesbahn/Nichtbundeseigene Eisenbahnen (TBNE). In diesem System konnten die Bahnen auf Basis von sogenannten Anstoßtarifen durchgehende Fahrausweise ausgeben. Die Tarife beruhten im Prinzip auf der Addition der Fahrpreise; die Preissetzungsbefugnisse der einzelnen Bahnen blieben unangetastet. Eine Harmonisierung erfolgte nur hinsichtlich bestimmter Regeln zur Kinderaltersgrenze und dergleichen. Seit 2022 ist der TBNE durch den Deutschland-Tarif-Verbund abgelöst, der die Tarife für länderübergreifende Fahrten mit dem Regionalverkehr verwaltet.

Der erste Verbund zwischen Eisenbahn und kommunalem Nahverkehr entstand 1965 in Hamburg. Damit entstand ein Tarifverbund, der auch Marketingaufgaben und gemeinsame Netz- und Linienplanung übernahm. Ticketpreise wurden gemeinsam festgelegt, die Erlöse wurden nach festen Schlüsseln an die beteiligten Unternehmen verteilt. In den folgenden Jahrzehnten entstanden ähnliche Verbünde in fast allen Verdichtungsräumen, inzwischen wurden auch in vielen ländlichen Regionen Verbünde gegründet. Darüber hinaus haben einige Länder Landestarife eingeführt. So besteht heute in Deutschland ein Flickenteppich von rund 80 Verbünden und Tarifgemeinschaften, die sich in Größe, Organisation und Aufgabenumfang unterscheiden. Etwa ein Drittel der Verbünde wird von den Gebietskörperschaften getragen (Aufgabenträgerverbund), darunter die meisten großen Verbünde. Rund ein Drittel sind Unternehmensverbünde, das letzte Drittel sind Mischformen. Die Aufgaben der Verbünde variieren. Einige Verbünde sind nur für die Festlegung der Fahrpreise und die Verteilung der Erlöse zuständig (Tarifverbund), andere Verbünde übernehmen auch Marketingaufgaben oder sind zusätzlich für die Verkehrsplanung und Ausschreibung und die Vergabe von Verkehrsleistungen verantwortlich (Verkehrsverbund).

Vor der COVID-19-Pandemie 2019 erwirtschaftete der Öffentliche Personennahverkehr in Deutschland (Bus, Tram, U-Bahn und Schienenpersonennahverkehr (SPNV)) Fahrgelderlöse von ca. 12,6 Mrd. Euro. Ein großer Teil der Erlöse entfällt auf die Verbünde in den Ballungsräumen.1 Der Anteil des Deutschlandtarifverbunds liegt – ohne Fernverkehrsanteile – bei knapp 10 %, der Anteil der Landestarife dürfte etwas darunter liegen.

Einnahmenaufteilung in Deutschland

Die Notwendigkeit von Einnahmenaufteilung im ÖPNV entstand mit der Einführung von Tarifverbünden. Die Anstoßtarife sind als Vorläufer zu verstehen, die Aufteilung der Erlöse war jedoch unproblematisch, da im Grunde nur zwei verschiedene Fahrkarten auf einer verkauft wurden. Beide Verkehrsunternehmen behielten ihren Tarifanteil, lediglich über das Abgelten von Vertriebsaufwendungen musste Einvernehmen hergestellt werden. In den heutigen Verbünden und Tarifgemeinschaften werden die harmonisierten Erlöse gemeinsam vereinnahmt und auf die Akteure verteilt. Hierfür werden Einnahmenaufteilungsverträge (EAV) geschlossen. Im Allgemeinen organisieren die Verbünde die Abwicklung der Zahlungen und die Verteilung der Mittel.

Die erstmalige Schaffung von Verbünden führt stets zu Unsicherheiten. Oft entstehen „Durchtarifierungsverluste“ durch den Wegfall der zweiten Fahrkarte. Werden zudem Tarife abgesenkt, um neue Kunden zu gewinnen, entstehen „Harmonisierungsverluste“. Dem entgegen stehen zusätzliche Erlöse durch mehr Fahrgäste, da mit der Neugründung von Verbünden oft weitere Leistungen verbessert wurden. Etliche Verbünde starteten mit Mehreinnahmen, bei anderen überwogen die Harmonisierungsverluste, die dann von den beteiligten Gebietskörperschaften getragen werden mussten. Dabei ist vor dem Start die Auswirkung auf die Erlöse unsicher, deshalb gab es oft für die Übergangszeit Einnahmegarantien für die Verkehrsunternehmen (Alteinnahmensicherung).

Bei der Gründung der Verbünde ist die finanzielle Stabilität der beteiligten Verkehrsunternehmen ein zentrales Problem. Im Allgemeinen ist mindestens eines davon im Eigentum der entsprechenden Gebietskörperschaft, oft auch mehrere oder alle. In der Regel stellten die Gebietskörperschaften zusätzliche Mittel bereit, um die politisch erwünschte Schaffung von Verbünden zu ermöglichen. Für die Übergangsphase erhielten die Betreiber oft Einnahmegarantien. Über die Jahre experimentierten die Aufgabenträger mit unterschiedlichen Modellen zur Verteilung der Einnahmen und Zuschüsse auf die Verkehrsunternehmen. In einigen Fällen wurden den Betreibern jeweils ihre Kosten erstattet. Dabei entfiel allerdings der Anreiz zur effizienten Leistungserbringung. Auch Fortschreibungen der Einnahmen aufgrund des Leistungsangebotes, wie es z. B. der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr zunächst praktizierte, bewährten sich nicht, da hier ein Fehlanreiz bestand, Leistungen unabhängig von der Nachfrage auszuweiten. Vor etwa zehn Jahren konnten sich Akteure im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg über Jahre nicht über die Einnahmenaufteilung einigen, in der Folge behielt jeder Betreiber seine Einnahmen. Es kam zu einem absurden Wettbewerb um Ticketverkäufe. Als den ersten Betreibern die Insolvenz drohte, intervenierte die Politik.

Aufgrund der Erfahrungen haben sich inzwischen Verfahren der Einnahmenaufteilung durchgesetzt, bei denen die Erlöse nachfragebasiert aufgeteilt werden (Berschin und Fiedler, 2001, 255-259 und 299-303). Dabei lässt sich die Nachfrage entweder über die Zahl der „Einsteiger“ (Personen oder Fahrten) oder über die zurückgelegte Entfernung in Personenkilometern (Pkm) darstellen. Diese Daten lassen sich inzwischen über automatische Fahrgastzählsysteme erfassen. Um das Nutzungsverhalten zu verstehen, insbesondere hinsichtlich der Nutzung von Zeitkarten, führen die Verbünde und Verkehrsunternehmen zusätzlich Reisendenbefragungen durch. Aufgrund des hohen Aufwandes erfolgen diese Befragungen in der Regel nur in mehrjährigem Abstand.

Die Kostenstrukturen zwischen den Betreibern variieren erheblich. Das eine Extrem sind Buszubringerverkehre in dünn besiedelten Gegenden. Die gefahrenen Strecken sind kurz, die Auslastung der Fahrzeuge ist meist niedrig. Diese Verkehre sind aber zur Erschließung und als Zubringer für Hauptachsen, z. B. Schnellbahnen, unerlässlich. Eisenbahnen befördern Fahrgäste überwiegend über längere Distanzen mit Fahrzeugen, die im Allgemeinen höher ausgelastet sind. In der Regel werden bei den EAV beide Faktoren als Verteilungskriterien verwendet und kombiniert. Die Eisenbahngesellschaften präferieren üblicherweise eine Verteilung der Erlöse auf Basis der Pkm, während lokale Busunternehmen für eine Abrechnung nach Zahl der Einsteiger plädieren.

Tatsächlich werden diese Verhandlungen wohl vor allem mit Blick auf die Kostensituation der Verkehrsbetriebe geführt. Besonders kommunale Unternehmen können in vielen Fällen kaum ihre Kosten decken. Oft sind die politischen Entscheider in den Verbünden zugleich auch wirtschaftlich für einen der beteiligten Verkehrsbetriebe verantwortlich. Deshalb geht es in den Verhandlungen zur Einnahmenaufteilung weniger um ökonomische Logik als vielmehr darum, Verteilungsmechanismen zu finden, die es den Verkehrsunternehmen erlauben, ihre Kosten zu decken bzw. das Defizit zu begrenzen. Im Lauf der Zeit entstanden deshalb zahlreiche Varianten der beiden Kriterien, z. B. die Berechnung von Zonen statt Pkm. In Einzelfällen wurden noch abstraktere Kriterien eingeführt, z. B. in Karlsruhe „Falschumsteiger“ und „fiktive“ Fahrgäste.2 Die Verhandlung der EAV und das laufende Con­trolling sind deshalb sehr komplex, entsprechend benötigen die Verbünde hierfür viele Mitarbeiter, spezialisierte Berater und IT-Systeme, die erhebliche Kosten verursachen. Verkehrsminister Wissing hat die hohen Vertriebs- und Verwaltungskosten wiederholt kritisiert und suggeriert, das 49-Euro-Ticket würde zu einer Vereinfachung führen (NDR, 2023).

Insgesamt steht das Thema Einnahmenaufteilung unter Druck. Zwar stehen dank automatischer Zählgeräte die reinen Fahrgastzahlen immer schneller und präziser zur Verfügung, die Anpassungsdynamik hingegen hat sich nicht verbessert. Neben den ständig laufenden Verhandlungen über Fortschreibung der Aufteilungskriterien werden immer wieder Sondersituationen wie Baustellen, spezielle Sonderangebote oder auch zuletzt die COVID-19-Pandemie zum Anlass genommen, Anpassungen der Einnahmenaufteilung zu verzögern oder gar ganz auszusetzen. Vor allem im SPNV hat dies mit dazu beigetragen, dass die SPNV-Aufgabenträger kaum noch Nettoverträge ausschreiben. Bei Bruttoverträgen erbringen die EVU nur die Transportleistung, sie profitieren nicht von den Erlösen und verlieren damit den Fokus auf den Absatzmarkt.

Tarifsysteme

Die Tarifsysteme im ÖPNV werden von den Verbünden festgelegt, dabei nimmt auch die Politik massiv Einfluss. Grundsätzlich haben die Verbünde ein Interesse an hohen Erlösen, andererseits sollen die Bürger/Wähler:innen nicht übermäßig belastet werden, schließlich lassen sich günstige Preise auch mit dem Ziel der Verkehrsverlagerung begründen. Bei der konkreten Ausgestaltung der Preise gibt es zahlreiche Stellgrößen. Es bestehen unterschiedliche Gestaltungsoptionen für bestimmte Ticketformen (z. B. Tages-, Wochen- und Monatskarten), Zielgruppen (Schüler-, Sozial-, Studenten und Seniorentickets) und sonstige Merkmale (Übertragbarkeit, Abos, gleitender Termin). Besonders umstritten ist immer die Bildung von Zonen und Preisstufen. Ausgehend davon, dass die Kosten einer Beförderung weitgehend proportional zur Entfernung sind, besteht ein grundsätzlicher Zielkonflikt zwischen Einfachheit und Gerechtigkeit.

Medial und politisch werden die vielen unterschiedlichen Tarifsysteme immer wieder heftig kritisiert. Tatsächlich dürfte die Mehrheit der Fahrgäste kein Problem mit dem bestehenden Tarifsystem haben. Der überwiegende Teil von ihnen nutzt Zeitkarten mit einem klaren räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich. Bei Einzelfahrkarten ist die Komplexität höher, allerdings hilft die Technologie heute bei der Auswahl des richtigen Tickets. Trotzdem ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Komplexität des Fahrkartenkaufs potenzielle Nutzer abschreckt und eine Vereinfachung sinnvoll wäre.

Abweichend von den meisten anderen Verkehrsmärkten werden in Deutschland die Preise im Nahverkehr nur wenig differenziert. In der Luftfahrt, in Hotels und im Eisenbahnfernverkehr ist es üblich, die Preise je nach Nachfrage zu variieren und damit die Auslastung zu optimieren. Im ÖPNV in Deutschland sind die Preise nach Entfernung gestaffelt. In einigen Regionen gibt es verbilligte Zeitkarten, die erst nach der morgendlichen Nachfragespitze gelten. Darüber hinaus gibt es ermäßigte Tickets, vor allem Zeitkarten, für bestimmte Gruppen (Schüler:innen, Studierende, Rentner:innen und einkommensschwache Personen). Im ÖPNV ist die Differenzierung heute weniger ausgeprägt als in vergleichbaren Branchen. Allerdings tragen die wenigen bestehenden Preisdifferenzierungen nach Entfernung und nach Zeit zur Glättung der Nachfrage bei und erhöhen so die Leistungsfähigkeit des Systems, dieser Effekt wird mit dem 49-Euro-Ticket verschwinden.

Auswirkungen des 49-Euro-Tickets

Bund und Länder haben entschieden, das 49-Euro-Ticket zum 1.5.2023 einzuführen. Dabei sind viele Details noch offen. Folgende Konsequenzen ergeben sich für Markt und Administration.

Markt

Mit dem 49-Euro-Ticket ist die Erwartung verbunden, zusätzliche Nutzer für den ÖPNV zu gewinnen.3 Es besteht diesbezüglich Skepsis: Neukunden, die das 9-Euro-Ticket im Sommer gekauft haben, haben dies überwiegend für zusätzliche Leistungen genutzt, die Verlagerungswirkung war gering. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat das Angebot nicht genutzt.4 Befürworter des 9-Euro-Tickets argumentieren, drei Monate seien nicht lang genug gewesen, um langjährig eingeübte Mobilitätsgewohnheiten zu verändern. Mit dem 49-Euro-Ticket wird diese Hypothese getestet.

In den meisten größeren Städten kostet eine Monatskarte für das Stadtgebiet etwas mehr als 49 Euro, in einigen kleineren Städten, vor allem im Osten, liegt der Preis heute unter 49 Euro. Schüler- und Sozialtickets sowie Semestertickets liegen in vielen Regionen darunter. Monatskarten für längere Strecken sind heute deutlich teurer. Für die meisten Stadtbewohner:innen bringt das neue Ticket deshalb nur geringe Einsparungen. Für Nutzende von Semester- und Sozialtickets, die heute weniger als 49 Euro kosten, ist das Angebot nur dann interessant, wenn sie auch außerhalb ihres Wohnortes den ÖPNV nutzen. Ein besonderes Segment sind Kollektivtickets, vor allem Semester- und Jobtickets, bei denen eine ganze Gruppe, unabhängig von Einzelentscheidungen, eine Zeitkarte erhält.5 Deren Preis liegt heute in der Regel unter 49 Euro. Diese Kollektivsysteme werden aber in der heutigen Form nicht weiterbestehen können. Vielfahrer werden auf das neue Ticket umsteigen wollen. Dadurch werden viele Betroffene lieber das neue Ticket nutzen wollen und aus dem Kollektivsystem ausscheiden. Im Ergebnis wird der ÖPNV viele zahlende, aber nicht nutzende Kund:innen verlieren.

Eine deutliche Entlastung bringt das 49-Euro-Ticket für Reisende, die regelmäßig längere Strecken zurücklegen. Für sie werden die Tickets massiv günstiger. Das vermutlich größte Segment dabei sind Pendler, die im Umland der Metropolen wohnen, oft auch als „Speckgürtel“ bezeichnet. Ein großer Teil der zusätzlich erforderlichen Subventionen wird dieser Gruppe zugutekommen, also keineswegs die einkommensschwachen Personen erreichen. Zum anderen schafft das 49-Euro-Ticket einen Anreiz zum Fernpendeln. Eigentlich besteht politischer Konsens, die Zersiedelung und damit das Fernpendeln eher zurückzudrängen, auch in diesem Punkt schafft das neue Angebot einen Anreiz in die falsche Richtung (Fichert und Sterzenbach, 2023).

Der zusätzliche Mittelbedarf für das 49-Euro-Ticket wurde vorerst auf 4,7 Mrd. Euro taxiert. Es ist bemerkenswert, wie geräuschlos die Politik diese Mittel bereitgestellt hat, während der Ausbau der ÖPNV-Verkehrsinfrastruktur seit Jahren fast zum Erliegen gekommen ist. Die Mittel für den Neu- und Ausbau des Schienennetzes stagnieren seit Jahren bei unter 2 Mrd. Euro jährlich – vor 20 Jahren investierte der Bund noch doppelt so viel in Neu- und Ausbau.

Einnahmenaufteilung mit dem 49-Euro-Ticket – kurzfristig

Derzeit ist noch offen, wie die Einnahmenaufteilung für das 49-Euro-Ticket funktionieren soll. Verkehrsminister Wissing erwartet, dass mit dem neuen Ticket auch die bestehenden Strukturen verschlankt werden. Allerdings ist nicht erkennbar, dass das neue Ticket tatsächlich eine Verschlankung der Strukturen bewirken könnte. Vielmehr ist zu vermuten, dass der administrative Aufwand deutlich steigen wird:

Mit dem 49-Euro-Ticket verschwinden die heutigen Tarifverbünde nicht. Zwar wird der überwiegende Teil der Fahrgelderlöse auf das neue Ticket entfallen, aber ein Teil der Erlöse, insbesondere Einzelfahrten, werden in dem heutigen System verbleiben. Für diese Erlöse und die Subventionen, mit denen die Einnahmeverluste ausgeglichen werden, ist die Verteilung zu organisieren und ein neuer Verteilungsschlüssel zu finden. Dies wird um so schwieriger, weil zahlreiche Länder und Verbünde beabsichtigen, auf Basis des 49-Euro-Tickets zusätzlich regionale Angebote zu schaffen. Organisatorisch zeichnet sich ab, dass die Mittel über die bestehenden Tarifverbünde ausgereicht und verteilt werden sollen. Das eigentliche Verteilungsproblem ist damit noch nicht gelöst. Viele der Diskussionen über die Verteilungsschlüssel, die bislang in den einzelnen Verbünden geführt wurden, werden jetzt zusätzlich bundesweit zu führen sein. Einige Bundesländer haben angeregt, die bisherigen Verteilungsschlüssel zu verwerfen und künftig den Wohnort der Fahrgäste als Verteilungsschlüssel zu nutzen. Dieser Vorschlag ist kritisch zu sehen, er wird administrative Probleme verursachen und zudem zu einer massiven Umverteilung zwischen Ländern und Regionen führen.

Kommunale Verkehrsbetriebe streben in der Regel keine Gewinne an. Meist werden sie so gesteuert, dass mit unterschiedlichen Ausgleichszahlungen die Kosten gerade gedeckt werden. Im SPNV hingegen erwarten die Betreiber Gewinne, allerdings sind die Margen seit Jahren rückläufig, aktuell ist kaum ein Betreiber profitabel (Berschin und Böttger, 2019). Die aktuelle Inflation verschärft die Situation für alle Verkehrsunternehmen massiv. Mit der Einführung des 49-Euro-Tickets wird die Einnahmenaufteilung für die Erlöse und staatlichen Zuschüsse komplett neu geregelt. Dabei ist es technisch nicht denkbar, alle Beteiligten so zu stellen wie zuvor – es wird zwingend Gewinner und Verlierer geben. Der Handlungsspielraum für die „Verlierer“ ist gering: Wegen des 49-Euro-Tickets besteht kaum Spielraum für Fahrpreiserhöhungen. Wenn nicht die Kommunen aushelfen oder Kosten gesenkt werden können, bleibt nur die Option der Leistungskürzung. Deshalb wird direkt nach Einführung des 49-Euro-Tickets die politische Aufmerksamkeit sich darauf richten müssen, die Schieflage von Verkehrsbetrieben zu verhindern.

Neben den kurzfristig zu lösenden Problemen ist grundsätzlich die Frage zu stellen, nach welchen Prinzipien die Einnahmenaufteilung gestaltet werden könnte. Das Hauptproblem der Mittelverteilung wird darin bestehen, dass im Ergebnis keine ökonomischen Kriterien genutzt werden können, weil am Ende immer ein Verteilungsschlüssel gefunden werden muss, der es den einzelnen Verkehrsbetrieben ermöglicht, ihre Kosten zu decken bzw. das Defizit zu begrenzen.

Dauerhafte Finanzierung

Längerfristiger Vorschlag zur Einnahmenaufteilung

Die Grundannahme besteht darin, dass im Rahmen der Einführung des 49-Euro-Tickets die Struktur der Verkehrsverbünde und Tarifgemeinschaften nicht grundsätzlich reformiert wird. Trotzdem sollte die Einnahmenaufteilung so gestaltet werden, dass die Komplexität des Systems nicht weiter steigt und dass anstehende Strukturreformen nicht zusätzlich erschwert werden.

  • Es wird dafür plädiert, künftig ausschließlich die Pkm zur Grundlage der Einnahmenaufteilung zu machen. Dieser Wert kann heute automatisiert erfasst werden, steht also präzise und zeitnah zur Verfügung.
  • Wie zuvor dargelegt, unterscheiden sich die Kosten der Leistungserbringung zwischen Bussen und Bahnen deutlich. Aus diesem Grund sollte der Pkm-Wert für unterschiedliche Verkehrsarten, beispielsweise S-Bahn, Stadtbus und Regionalbus, differenziert werden. Kurzfristig und ohne weitere Reformen wird dieses System dazu führen, dass einige Verkehrsbetriebe ihre Kosten nicht decken können. Hier wird übergangsweise eine Komplementärfinanzierung erforderlich, wobei hierfür auch die bei den einzelnen Verbünden verbleibenden Tarifeinnahmen herangezogen werden können.
  • Wichtig erscheint es auf jeden Fall, bei der Schaffung künftiger EAV Fehlanreize zu vermeiden: So sollte klar sein, dass weitere Preissenkungen (z. B. reduzierte Zeitkarten für Studierende oder einkommensschwache Personen) von der jeweils verantwortlichen Stadt oder dem Land zu tragen sind und nicht zu erhöhten Zuweisungen auf einem übergreifenden Topf führen dürfen.

Auf Basis des vorgeschlagenen neuen Prinzips der Einnahmenaufteilung könnten sich weitere Reformen entwickeln. Die nach diesem Prinzip zugewiesenen Erlöse werden bei unterschiedlichen Verbünden und Verkehrsbetrieben einen unterschiedlichen Teil der Kosten decken. Diese Abweichung lässt sich zu einem erheblichen Teil über unterschiedliche Effizienz und über die Angebotsqualität (z. B. Bedienungsdichte relativ zu Fläche und Bevölkerung) erklären. Die Einnahmenaufteilung auf Basis standardisierter Werte je Pkm würde deshalb in Richtung einer deutschlandweiten Harmonisierung von Leistung und Kosten wirken.

Juristische Aspekte der Zuschusszahlung

Ein großer und weiter wachsender Anteil der Beauftragungen im ÖPNV erfolgt als Bruttovertrag, bei denen der Aufgabenträger das Erlösrisiko trägt, während der Betreiber nur für die Leistungserbringung verantwortlich ist. Der Trend zu den Bruttoverträgen hängt mit der anhaltenden Margenschwäche zusammen (Berschin und Böttger, 2019) und hat sich zuletzt durch den Nachfrageeinbruch der COVID-19-Pandemie und den Preisexplosionen noch mehr verschärft. Aber auch der große Teil der Direktvergaben an kommunale eigene Unternehmen ist faktisch ein Bruttovertrag, da der Eigentümer im Zweifel für alle Verluste seines Unternehmens aufkommt.

Die Finanzierung von Verkehrsunternehmen aus öffentlichen Mitteln bedarf einer rechtlichen Grundlage. Dabei stellen die zusätzlichen Zuschüsse für das 49-Euro-Ticket eine neue Herausforderung dar. Heute erfolgt die Finanzierung auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen:

  1. Nahezu flächendeckend und rechtlich unproblematisch sind „Surrogate“, mit denen Einnahmeausfälle für bestimmte Zielgruppen kompensiert werden. Darunter fallen traditionell die Zuschüsse für reduzierte Schülerfahrkarten und die Beförderung von Schwerbehinderten. Dieses Instrument wurde aber auch zum Ausgleich von Durchtarifierungs- und Harmonisierungsverlusten und zuletzt im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zum Ausgleich genutzt. Surrogate zählen nicht als Subvention.
  2. Zuschüsse für Verkehrsdienstleistungen können als Ergebnis von Ausschreibungen gelistet werden. Durch die wettbewerbliche Vergabe ist – zumindest theoretisch – sichergestellt, dass der Zuschuss marktüblich ist und keine unerlaubte Subvention darstellt. Diese Zahlungen dürfen deshalb auch Gewinnanteile enthalten.
  3. Im kommunalen Bereich sind Direktvergaben an kommunale Verkehrsbetriebe üblich. Die dabei geleisteten Ausgleichszahlungen müssen „angemessen“ sein, sie dürfen die Kosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns nicht übersteigen. Zudem müssen Anreize für Kundenorientierung und wirtschaftliche Führung bestehen (VO (EG) 1370/2007, Anhang 7).
  4. In einigen Regionen gibt es noch „eigenwirtschaftliche“ Konzessionen. Bei diesen werden mit Ausnahme der Surrogate keine öffentlichen Zuschüsse gezahlt. Dabei dürfen Surrogate nur soweit gezahlt werden, wie sie mit tatsächlichen Einnahmeminderungen korrelieren. Je mehr mit in der Vergangenheit erzielten Erträgen oder gar mit vermeintlich durchsetzbaren fiktiven Erträgen argumentiert wird, desto eher ergeben sich rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit (Berschin et al., 2010). Diese Probleme verschärfen sich durch die Einführung des 49-Euro-Tickets.

Derzeit ist noch unklar, auf welcher Rechtsgrundlage die Ausgleichszahlungen für das 49-Euro-Ticket geleistet werden sollen. Bei den Direktvergaben und auch den ausgeschriebenen Bruttoverträgen sollte dies kein Problem sein, da letztlich die Kosten erstattet werden. Die rechtssichere Ermittlung von Surrogaten wird mit dem neuen Ticket immer schwieriger, da es kaum noch belastbare Grunddaten gibt, auf deren Basis Surrogate ermittelt werden können. Die von den Bundesländern geforderte Freigabe durch die EU-Kommission deutet darauf hin, dass Deutschland dieses Problem durch eine Befreiung von den EU-Vorgaben lösen möchte.

Ein denkbarer Kompromiss aus rechtlichen Anforderungen und Praktikabilität könnte ein einheitlicher prozentualer Zuschlag zu den Einnahmen aus dem 49-Euro-Ticket sein, der zumindest einen im Durchschnitt belegbaren Einnahmenausfall widerspiegelt. Hiermit würde man zwar nicht auf exakt ermittelten Markteinnahmen aufsetzen, würde aber vermeiden, dass die Einnahmen komplett eingefroren wären und mit Eigenwirtschaftlichkeit und Marktorientierung nichts mehr zu tun hätten.

Marktordnung

Mit dem 49-Euro–Ticket verschiebt sich die Erlösstruktur der Verkehrsunternehmen. Künftig werden die Fahrgäste weniger als die Hälfte der Erträge finanzieren, ein größerer Teil der Erlöse wird über die Aufgabenträger oder andere staatliche Stellen bereitgestellt. Entsprechend werden die Betreiber den Fokus ihrer Marketingaktivitäten verschieben. Sie werden weniger Fachleute für Fahrgastmarketing beschäftigen und stattdessen mehr Ressourcen in das Lobbying und Einnahmenaufteilung investieren. Das führt zu der Frage, wie trotzdem sichergestellt werden kann, dass sich die Verkehrsunternehmen auf den Fahrgastmarkt konzentrieren.

Auf der Kostenseite kann über Ausschreibungen die effiziente Leistungserstellung sichergestellt werden. Um auch bei Direktvergaben eine effiziente Leistungserbringung zu erreichen, könnten finanzielle Anreize für Management und Mitarbeiter gesetzt werden. Um einen Anreiz in Richtung Fahrgastzahlen zu schaffen, sollte in den Verträgen die Steigerung der Fahrgastzahlen, gemessen in Pkm, berücksichtigt werden.

Künftige Organisation

Die Branche diskutiert bereits intensiv, über welche Verbundstrukturen das 49-Euro-Ticket und die Ausgleichszahlungen von Bund und Ländern abgewickelt werden sollen. Dabei zeichnet sich ab, dass die Einnahmen ganz überwiegend nicht über den Deutschlandtarifverbund, sondern über die bestehenden lokalen Verbundstrukturen abgewickelt werden können. Diese Lösung bietet den Vorteil, dass die Verbünde die Kostenstruktur und Probleme der regionalen Akteure gut einschätzen können. Dieses Argument bezieht sich auf die kurzfristige Problemlösung, das Grundproblem komplexer und kostenintensiver Strukturen bleibt bestehen.

Derzeit ist nicht erkennbar, wie eine Reform der Verbund- und Aufgabenträgerlandschaft aussehen könnte. Soweit bislang absehbar ist, wird das 49-Euro-Ticket kein Katalysator für Reformen. Das Zielbild ist einerseits relativ klar: Kernelemente der Marktorganisation sollten bundesweit standardisiert werden. Hierzu gehören Verkehrs- und Einnahmenaufteilungsverträge sowie Rahmenregeln für Tarifbedingungen wie Altersgrenzen. Andererseits sollten regionale Akteure eine gewisse Autonomie behalten. Die öffentlich intensiv geäußerte Kritik an den unverständlichen und inkompatiblen lokalen Fahrpreisen ist nicht von zentraler Bedeutung, weil es nur wenige Fahrgäste betrifft. Das Hauptproblem der Reform besteht darin, dass viele in der Branche tätige Akteure von Reformen persönlich massiv betroffen sein werden und diese deshalb nicht unterstützen.

Literatur

Berschin, F. und L. H. Fiedler (2001), Die Zukunft der Einnahmenaufteilung – effiziente wettbewerbskonforme Systeme, Verkehr und Technik, 54(6), 255-259 und 299-303.

Berschin, F. und C. Böttger (2019), Gestörte Marktordnung: SPNV zwischen Markt und Staat, Der Nahverkehr, 11/2019, 30-33.

Berschin, F., S. Grischkat, A. Karl und C. Schaaffkamo (2010), Allgemeine Vorschriften gemäß Art. 3 Abs. 2 der VO (EG) 1370/2007: Rechtsgrundlagen und Hinweise für die Praxis, Verkehr und Technik, 63(12), 466-470.

Bongaerts, R., A. Krämer und G. Wilder (2022), Das 9-Euro-Ticket: Erfahrungen, Wirkungsmechanismen und Nachfolgeangebot, Wirtschaftsdienst, 102(11), 873-880, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/11/beitrag/das-9-euro-ticket-erfahrungen-wirkungsmechanismen-und-nachfolgeangebot-7220.html (1. Februar 2023).

Fichert, F. und R. Sterzenbach (2023), Der Irrweg der ÖPNV-Flatrate, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Januar.

NDR (2023), 9-Euro-Ticket: Wissing fordert Länder-Finanzplan für Nachfolge, https://www.ndr.de/nachrichten/info/9-Euro-Ticket-Wissing-fordert-Laender-Finanzplan-fuer-Nachfolge,wissing116.html (1. Februar 2023).

  • 1 Als größter Verbund erzielte der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr Fahrgelderlöse (inklusive Surrogaten) von knapp 1,3 Mrd. Euro, die Verbünde im Bereich Hamburg, Berlin und München erwirtschaften jeweils Erlöse im oberen dreistelligen Millionenbereich.
  • 2 In Karlsruhe verkehren Stadtbahnen, die in unterschiedlichen Abschnitten von unterschiedlichen Betrieben verantwortet (VBK = städtisch, AVG = Landkreise bzw. Land) werden. Fahrgäste und Pkm müssen unterschiedlichen Betrieben zugeordnet werden, auch wenn sie physikalisch nicht umsteigen. Durch die Doppelzählung von Fahrgästen erhöht sich so jeweils der Einnahmenanspruch für beide Seiten.
  • 3 Der VDV rechnet damit, dass von den ca. 14 Mio. Zeitkarteninhabern 11,3 Mio. auf das neue 49-Euro-Ticket umsteigen werden. Zusätzlich erwartet er 5,6 Mio. Neukunden, https://www.vdv.de/presse.aspx?id=6ae8a7c8-0336-44e3-a2e6-f854bfc4a865&mode=detail (1. Februar 2023).
  • 4 Der verkehrliche Erfolg des 9-Euro-Tickets ist umstritten – der Verlagerungseffekt war eher gering, ein großer Teil der Fahrten war „induzierter Verkehr“. Abhängig von den verwendeten Daten ist umstritten, ob das 9-Euro-Ticket tatsächlich Emissionen reduziert oder steigert, https://www.vdv.de/bilanz-9-euro-ticket.aspx; Bongaerts et al. (2022, 673 ff.).
  • 5 An vielen Hochschulen in Deutschland müssen die Studierenden ein Semesterticket erwerben. Für dieses System ist ein Mehrheitsentscheid der Studierenden erforderlich. Einige Firmen stellen allen Beschäftigen subventionierte Jobtickets zur Verfügung.

Title:Impact of the 49 Euro Ticket on Transport Associations and Revenue Sharing

Abstract:This article describes the current system of public transport associations and ticket revenue allocation in Germany. The system has been subject to public criticism for its administrative cost and complex regulations. The new nationwide 49 euro flat rate ticket planned to start in May 2023 will require significant changes to this system. The article details the challenges and discusses ideas to reform the system.

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© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

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DOI: 10.2478/wd-2023-0051