Deutschland soll nach den Zielen der Bundesregierung bis zum Jahr 2045 klimaneutral sein. Um das Ziel zu erreichen, ist eine umfassende Energiewende mit einer nahezu vollständigen Versorgung aus erneuerbaren Energien notwendig, d. h. dem Ausstieg aus allen fossilen Energien Öl, Gas und Kohle. Die Wirtschaft muss emissionsfrei werden. Die Energieversorgung ohne Atom und Kohle, aber mit erneuerbaren Energien wird dezentraler werden, kleinteiliger, vernetzter und smarter (Göke et al., 2022). Das Energiesparen in allen Sektoren ist elementar. Der Gebäudesektor wird durch energetische Sanierungen selbst zum Energieerzeuger werden, Stichwort „Prosumer“. Die Industrie muss modernisiert und auf Klimaschutz ausgerichtet werden. Im Verkehrssektor werden ein verbesserter Schienen- und ÖPNV-Verkehr sowie der Umstieg hin zu mehr Elektromobilität den zunehmenden Anteil von Ökostrom effizient nutzen.
Dies bedeutet, dass die Energieeffizienz gesteigert und die sogenannte Sektorenkopplung vorangetrieben werden muss. Bei der Sektorenkopplung geht es darum, Strom aus erneuerbaren Energien direkt oder indirekt für bisher nicht elektrifizierte Anwendungen in der Industrie, der Wärmebereitstellung und dem Verkehr zu nutzen. Dabei soll für bestimmte Anwendungen auf erneuerbaren Energien (grüner) basierender Wasserstoff künftig eine wichtige Rolle spielen. Dieser könnte dort zum Einsatz kommen, wo erneuerbarer Strom nicht direkt genutzt werden kann, wie z. B. in Teilen der Industrie oder des Verkehrs.
Bereits bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um mindestens 65 % gegenüber 1990 sinken. Um dies zu erreichen, sollen die erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werden, der Anteil soll sich von heute knapp über 50 % auf 80 % an der Stromerzeugung erhöhen. Die selbst gesteckten Ausbauziele der erneuerbaren Energien werden bisher so gut wie nicht erfüllt, auch wenn sich jüngst das Ausbautempo vor allem der Solarenergie deutlich erhöht hat (DIW, 2023). Eine große Lücke ist nach wie vor beim Ausbau der Windenergie zu beobachten. Das Ausbautempo sowohl bei Windenergie an Land als auch auf See müsste verdreifacht werden, um die Ziele noch erreichen zu können. Zudem werden weder die Ausbauziele für Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Ladesäulen noch der Wasserstoffproduktion erreicht werden können. All das erschwert die Zielerreichung der Klimaschutzziele (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Vergleich Zielerreichung mit den Zielen für 2030
Quelle: DIW Ampelmonitor. Angaben in Gigawatt (GW) bzw. Anzahl.
Allerdings hat die Bundesregierung zahlreiche neue Gesetze auf den Weg gemacht, die die Situation verbessern können. Vor allem das „Windenergie an Land“-Gesetz, das im Februar 2023 in Kraft trat (Bundesregierung, 2023), kann für den Ausbau der Windenergie eine verbesserte juristische Klarheit über konkretere Artenschutzvorgaben und eine Ausweisung von geeigneten Flächen in den jeweiligen Bundesländern schaffen. Nach wie vor sind aber die Genehmigungsverfahren viel zu langsam. Auch fehlt es an Personalkapazitäten in den Ämtern und Behörden. Ebenso gibt es Engpässe bei der Infrastruktur, oftmals fehlen Hafenkapazitäten und Straßen, um die großen Bauteile der Windanlagen zu transportieren. Das macht eine Zielerreichung bei den Windenergiekapazitäten schwieriger (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland
in der Abgrenzung der Sektoren des Klimaschutzgesetzes (KSG)1
1 Die Aufteilung der Emissionen weicht von der UN-Berichterstattung ab, die Gesamtemissionen sind identisch. 2 entsprechend der Novelle des Bundes-KSG vom 12. Mai 2021.
Quelle: Umweltbundesamt (2024).
Im Gebäudesektor gibt es erheblichen Nachholbedarf, daher wurde das Gebäudeenergiegesetz auf den Weg gebracht. Seit Januar 2024 soll möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 % mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Elementar ist die Energieeffizienz. Unabhängig von der Energiequelle muss Energiesparen höchste Priorität haben. Was den Einbau von besonders effizienten Wärmepumpen angeht, steht Deutschland auf dem vorletzten Platz in Europa. Spitzenreiter Dänemark hat schon vor mehr als 40 Jahren mit der Wärmewende begonnen und heute den europaweit höchsten Anteil an Kraft-Wärmekopplungsanlagen. Der Anteil von Fernwärme liegt bei 60 %, die zu mehr als 50 % aus erneuerbaren Quellen gespeist wird. Seit 2013 ist der Einbau von Öl- und Gasheizungen verboten.
Der Projektionsbericht des Umweltbundesamtes sieht Chancen, die Emissionsminderungsziele bis 2030 noch zu erreichen. Vor allem durch eine Übererfüllung der Emissionsminderungsziele der Energiewirtschaft und der Industrie wird dazu beigetragen, dass bis 2030 eine Zielerreichung möglich werden kann (vgl. Abbildung 3). Das Umweltbundesamt prognostiziert wie viele andere Studien zuvor: Der Verkehrssektor wird die Emissionsminderungsziele nicht erfüllen können. Der größte Teil der Treibhausgasemissionen stammt im Verkehrssektor aus dem Straßenverkehr. Dieser trägt zudem wesentlich zur Feinstaubbelastung und zur Emission von Stickstoffoxiden (NOx) bei. Ein zentrales Element eines klimagerechten und nachhaltigen Verkehrssystems muss die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs sowie die Stärkung des Bahnverkehrs samt intelligenter und integrierter Mobilitätslösungen sein. Dabei können eine Verkehrsvermeidung und Verlagerung auf Schiene, ÖPNV, Rad- sowie Fußverkehr die Emission von Treibhausgasen und den Energieverbrauch verringern sowie weitere Probleme des Verkehrs, wie Flächenverbrauch, Lärm und Unfallrisiken, lösen. Die Elektromobilität auf der Schiene und Straße ist ein zentraler Baustein der nachhaltigen Verkehrswende. Aufgrund des sehr hohen Wirkungsgrads ist sie besonders geeignet, die Klima- und Umweltauswirkungen des Verkehrs grundlegend zu verringern. Der Ausbau der Ladeinfrastruktur ist dabei wichtig, genauso wie eine Reform des Steuer- und Abgabensystems.
Abbildung 3
Zielerreichung/-verfehlung der KSG-Sektoren und gesamt, 2021 bis 2030
Kumulierte sektorale Jahresemissionsgesamtmengen
Quelle: Umweltbundesamt (2024).
Zu allem Überfluss weicht die Bundesregierung das Klimagesetz dahingehend auf, dass die Sektorziele und damit die Verantwortung der einzelnen Bundesministerien entfallen. Jeder Sektor, wie Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Energie, sollte spezifische Einsparziele erreichen, damit Deutschland das Gesamtziel der Klimaneutralität erreichen kann. Da absehbar weder der Verkehrssektor noch der Gebäudesektor die Ziele erreichen, müssten vor allem der Energie- und der Industriesektor stärker Emissionen senken als geplant. Kurzfristig hat das der Energiesektor geschafft, da weniger Kohle und dafür mehr erneuerbare Energien verstromt wurden. Dies wird in den kommenden Jahren schwer zu halten sein, da der Ausbau der erneuerbaren Energien kaum Schritt halten kann, um einen Kohleausstieg bis 2030 zu erreichen. Kurzfristig sind die Emissionen in der Industrie eher aufgrund der kriselnden Wirtschaft gesunken.
Wasserstoff: Lösung aller Probleme?
Wasserstoff wird bislang kaum durch erneuerbare Energien, also „grün“, hergestellt, sondern fast ausschließlich aus Erdgas. Durch Dampfreformierung wird Erdgas (das hauptsächlich aus Methan besteht) in Wasserstoff und CO2 zerlegt. Dabei entsteht extrem viel CO2. Dieses CO2 soll künftig aufgefangen und unterirdisch gelagert werden (Carbon Capture and Storage, CCS) und wird deshalb als „sauber“ eingestuft. „Blauer Wasserstoff“ wird er dann genannt (SRU, 2021). Selbst wenn das CO2 abgeschieden werden sollte – was nach heutigem Wissen nicht im größeren Maßstab möglich sein wird, weil die Kapazitäten zur unterirdischen Einlagerung begrenzt sind – werden weiterhin Treibhausgasemissionen freigesetzt. Einerseits werden bei Förderung und Transport von Erdgas Methanemissionen frei – wobei Methan über 20 Jahre betrachtet ein 84-fach stärkeres Treibhausgas als CO2 ist. Andererseits kann das CO2 auch im industriellen Prozess nicht vollständig abgeschieden werden, sodass weiterhin ein Teil in die Atmosphäre entweicht. Zudem drohen bei der unterirdischen Einlagerung von CO2 Gesundheits- und Umweltrisiken, wenn z. B. das CO2 plötzlich austritt und Luftsauerstoff verdrängt. Die Infrastruktur für CO2-Transport und -Einlagerung müsste komplett neu errichtet werden. Blauer Wasserstoff ist keine kurzfristig verfügbare „Brücke“. Außerdem müsste die neue Infrastruktur über viele Jahre abgeschrieben werden, was den Umstieg auf erneuerbare Energien behindern könnte.
Nur grüner Wasserstoff kann daher emissionsfrei und nachhaltig sein. Beim Markthochlauf sollten wir uns auf diesen fokussieren (Kittel et al., 2023). Dann könnten die Kosten schnell sinken. Allerdings erfordert dessen Herstellung sehr große Mengen an erneuerbarer Energie – zusätzlich zum ohnehin erforderlichen Ausbau der Erneuerbaren. Wasserstoff wird daher auf absehbare Zeit knapp bleiben und in der Nutzung meist teurer als der direkte Einsatz von Strom sein.
Auch beim Ausbau der Infrastruktur müssen jetzt die richtigen Weichen gestellt werden. Jedoch sollen jetzt schon Erdgaspipelines im großen Maßstab in Wasserstoffpipelines verwandelt werden. Dabei ist unklar, wie aufwendig und teuer Umrüstungen sind und wann es sich lohnt, neue Pipelines für reinen Wasserstoff zu bauen. Es besteht hoher Forschungsbedarf. Auch wird bislang versäumt, das Stromnetz und die Wasserstoffinfrastruktur zusammen zu denken. Dabei ist das eine notwendige Voraussetzung, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Kurzfristig setzen einige Akteure Hoffnung darauf, Wasserstoff ins Erdgasnetz einzuspeisen – vor allem im Wärmesektor. Eine Beimischung ist jedoch reine Verschwendung des knappen und kostbaren Gutes Wasserstoff. Abgesehen davon, dass für eine flächendeckende Beimischung die benötigten Mengen Wasserstoff nicht zur Verfügung stehen oder anderswo gebraucht werden, ist der Klimaschutzeffekt klein: 20 Volumenprozent Beimischung bedeuteten nur 7 % weniger Erdgas, weil Wasserstoff eine geringere Dichte als Methan hat. Gleichzeitig entstünde die Illusion, dass auf dem Wärmemarkt endlich etwas in Sachen Klimaschutz passieren würde. Das wäre fatal. Im Wärmesektor – wie in allen Sektoren – wird ein ganzheitlicher Ansatz für Klimaschutz benötigt, der sich nicht nur auf einen Brennstoffwechsel beschränkt. Mehr und umfassendere energetische Sanierungen, ein deutlich beschleunigter Einsatz von Wärmepumpen und ein zügiger Ausbau der Wärmenetze sowie deren Dekarbonisierung werden benötigt.
Wenn wir Wasserstoff aus erneuerbarem Strom herstellen und Gebäude damit heizen, brauchen wir vier- bis sechsmal so viel Strom im Vergleich zu einer elektrischen Wärmepumpe. In der Gebäudewärme (und auch im Pkw-Verkehr) ist Wasserstoff im Vergleich zur direkten Elektrifizierung ineffizient. Die Flächen für Windenergie- und Solaranlagen sind sehr knapp. Neben ökologischen Folgen und Akzeptanzfragen ist es zudem um ein Vielfaches teurer. Grüner Wasserstoff ist für den Klimaschutz durchaus wichtig, sowohl als Energieträger als auch als Speicher. Aufgrund der technischen und ökonomischen Effizienz sollte er allerdings nur da zum Einsatz kommen, wo es keine direkte elektrische Alternative gibt (Kemfert, 2020).
Energiepreise nur für einzelne Industrien ein Problem
Für eine angebliche Gefahr einer Deindustrialisierung wegen steigender Energiekosten gibt es keine hinreichende Evidenz (Gornig und Kemfert, 2022). Im Gegenteil: In der Breite der Industrie spielen Energiekosten eine eher unbedeutende Rolle. Eine jüngst veröffentlichte Sonderauswertung der Kostenstrukturerhebung im verarbeitenden Gewerbe (Statistisches Bundesamt, 2023) weist im Durchschnitt der Industrie lediglich einen Kostenanteil des Energieverbrauchs am Bruttoproduktionswert von weniger als 2 % aus (vgl. Abbildung 4). Bei einer Vielzahl der Industriebranchen liegt der Energiekostenanteil sogar unter 1 %. Auf diese Branchen entfallen fast 60 % der Bruttowertschöpfung der Industrie. Bei 18 der 24 Industriebranchen entspräche eine 10 %ige Steigerung der Energiekosten einer Lohnsteigerung zwischen 0,5 % und 1,5 %. Lediglich bei vier Industriebranchen liegt der Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert über 3 %. In der Metallerzeugung und -bearbeitung sind es 4,5 %, bei der Herstellung von chemischen Erzeugnissen sind es 4,8 %, bei der Herstellung von Glas und Glaswaren, Keramik, Verarbeitung von Steinen und Erden 5,6 % und bei der Herstellung von Papier, Pappe und Waren daraus 5,9 %. Auf die vier genannten Branchen entfallen etwa 15 % der industriellen Wertschöpfung. Zum Vergleich: Allein der Maschinenbau kommt auf einen Wertschöpfungsanteil von fast 18 %. Die Energiepreise sind demnach eher ein Problem für einzelne Industrien und insbesondere einzelne Industrieunternehmen. Entsprechend sollte es industriepolitisch hier um die Prüfung einzelner Anpassungshilfen und nicht um generelle Kostenentlastungen gehen (Bernhardt et al., 2023).
Abbildung 4
Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert, 2021
Die Auswertungen beziehen sich auf 2021, als die Gaspreise höher und die Ölpreise etwas niedriger lagen als für den Jahresdurchschnitt 2024 erwartet (GD, 2024).
Quelle: eigene Darstellung nach Statistisches Bundesamt (2023).
Transformation durch richtige Industriepolitik
Auch wenn die Industrie derzeit die Emissionsreduktionsziele erreicht, bleibt es eine große Aufgabe, den CO2-Ausstoß weiter zu senken. Ein wesentliches Element sind dabei über die CO2-Abgabe weiter moderat steigende Preise, um die Motivation zur Energieeinsparung hochzuhalten. Die Reduktionsziele für die Industrie als Ganzes werden aber nur zu erreichen sein, wenn es zu gravierenden Steigerungen der Energieeffizienz kommt. Dazu sind durchgreifende Veränderungen der Produktionstechnologien erforderlich und der damit verbundene Umbau des Kapitalstocks. Dort spielen insbesondere neue Energiespeicherverfahren eine zentrale Rolle. Entsprechend liegt auch hier ein zentraler Einsatzbereich für grünen Wasserstoff. Ein solcher Technologiewechsel erfordert große Innovations- und Investitionsanstrengungen. Den Löwenanteil der Innovations- und Investitionsleistungen werden die Unternehmen erbringen. Die systemischen Risiken sind allerdings aufgrund der teils grundlegenden neuen Technologiepfade extrem hoch. In zentralen Innovationsfeldern, wie der Elektromobilität oder der Wasserstofftechnologie, hängt der Innovationserfolg des einzelnen Unternehmens entscheidend davon ab, dass auch andere Unternehmen erfolgreich in die neuen Wertschöpfungsketten investieren: ohne Ladeinfrastrukturen und Batterierecycling keine erfolgreichen Elektroautos; ohne effiziente Wasserstoffaufbereitung und sichere Transportwege keine klimaneutrale Stahlproduktion (Duso und Gornig, 2024).
Derartige systemische Risiken können selbst große Unternehmen nicht allein tragen. Es kommt zu Innovations- und Investitionsblockaden, sprich zu Marktversagen. Ohne industriepolitische Eingriffe werden diese Blockaden nicht gelöst. Es geht nicht um die Frage, ob Industriepolitik zur Lösung der großen globalen gesellschaftlichen Herausforderungen notwendig ist, sondern wie gut die industriepolitischen Strategien funktionieren (Belitz et al., 2021). Die USA setzen im Rahmen des Inflation Reduction Acts (IRA) auf Steueranreize, um die Unternehmen zu Innovationen und Investitionen in grüne Technologien zu bewegen. China forciert die entsprechenden Technologieschübe über den Einsatz ihres Einflusses auf die großen Staatskonglomerate. In Europa und Deutschland fehlen für beide Strategien die ordnungspolitischen und rechtlichen Voraussetzungen (Vöpel, 2023). Eine Alternative besteht hierzulande allerdings in der Förderung von Verbundprojekten. Ein in den vergangenen Jahren entwickeltes Instrument strategischer Industriepolitik auf europäischer Ebene sind die Important Projects of Common European Interest (IPCEI). In dem unter der Schirmherrschaft der Generaldirektion Wettbewerb der EU entwickelten Instrument werden jeweils Vorhaben in mehreren Mitgliedstaaten gefördert, die auf die industrielle Nutzung zielen. Neu ist, dass sich die Förderung bis unmittelbar vor die kommerzielle Nutzung im Rahmen einer Massenproduktion erstrecken kann und die europäischen Beihilferegeln für die Projekte gelockert wurden. Die Art der Förderung über rückzahlbare Vorschüsse, Kredite, Garantien oder nicht rückzahlbare Zuschüsse sowie die zugrunde liegenden Bedingungen (zuwendungsfähige Kosten/Ausgaben, Förderquote, Förderzeitraum usw.) werden für jedes IPCEI vom betroffenen Mitgliedstaat festgelegt (Belitz und Gornig, 2023).
In Deutschland beteiligen sich zusätzlich einzelne Bundesländer an der Finanzierung solcher Vorhaben. Dabei sind bis zu 100 % der beihilferechtlich anerkannten förderfähigen Kosten bis zur Höhe der Differenz zwischen den positiven und den negativen Cashflows während der Lebensdauer der Investition zuwendungsfähig. Die Beihilfeintensität der Vorhaben ist hoch: Aus einer Übersicht für sechs bereits von der EU genehmigte IPCEI (Mikroelektronik, Batteriezelle Summer, Batteriezelle Autumn, Mikroelektronik und Kommunikationstechnologien, Wasserstoff 1 und 2) geht hervor, dass an insgesamt 179 beteiligte Unternehmen Beihilfen in Höhe von gut 27 Mrd. Euro gezahlt werden und private Investitionen der Teilnehmer im Umfang von etwa 50 Mrd. Euro erwartet werden (EC, 2023).
Deutschlandtempo für echte Energiewende schafft wirtschaftliche Chancen
Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist angeschoben; endlich werden mehr Solar- und Windanlagen zugebaut. Doch leider werden nur die Ausbauziele für Solar-, nicht aber für Windenergie erreicht. Und in puncto Wasserstoff, Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen liegt man noch weit von den Zielmarken entfernt (Schill et al., 2022).
Ein neues „Deutschlandtempo“ wurde schon ausgerufen. Aber wieso ist der Tatendrang ausgerechnet bei fossilen Energien so ausgeprägt? Wir brauchen keine festen und überdimensionierten Flüssiggasterminals, die uns über Jahrzehnte an die nächsten fossilen Regime binden, unnötige Lock-in-Effekte bringen und die Gefahr von Stranded Assets schaffen. Im Gegenteil: Was wir neben dem schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien brauchen, ist der Fokus auf die Entwicklung neuer Ideen und Technologien, die die Energieeffizienz erhöhen und damit den Energiebedarf senken. Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist nicht nur in puncto Klimaschutz von enormer strategischer Bedeutung. In Kombination mit dadurch angestoßenen technologischen Neuerungen schafft er auch bei Einhaltung der Klimaschutzziele Spielräume für Wohlstandswachstum. Dies gilt global, wenn die wachsenden Länder des Südens ihr Wachstum auf klimaschonende Technologien aufbauen können. Aber auch für Deutschland ergeben sich mit dem Umbau der Produktionskapazitäten für den Maschinenbau und der Mobilitätswende auch für die Automobilindustrie neue Entwicklungsperspektiven.
Literatur
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Belitz, H., M. Gornig, C. Kemfert, R. Löckener und T. Sundmacher (2021), Prioritäten setzen, Ressourcen bündeln, Wandel beschleunigen, Friedrich Ebert Stiftung, WISO Diskurs, 2.
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Duso, T. und M. Gornig (2024), Industriepolitik raus aus den Hinterzimmern, DIW Wochenbericht, 9/2024, 140.
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GD – Gemeinschaftsdiagnose (2024), Deutsche Wirtschaft kränkelt – Reform der Schuldenbremse kein Allheilmittel, Frühjahresgutachten.
Gornig, M. und C. Kemfert (2022), Energiewende steht für die Chance auf Re-Industrialisierung, nicht für De-Industrialisierung, Wirtschaftsdienst, Zeitgespräch, 102(12), 933-935, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/12/beitrag/energiewende-steht-fuer-die-chance-auf-re-industrialisierung-nicht-fuer-de-industrialisierung.html (16. April 2024).
Göke, L, M. Kendziorski, C. Kemfert und C. von Hirschhausen (2022), Accounting for spatiality of renewables and storage in transmission planning, Energy Economics, 113(September), 106190.
Kemfert, C. (2020), Wasserstoff: grün und effizient, Wirtschaftsdienst, 100(12), https://www.wirtschaftsdienst.eu/pdf-download/jahr/2020/heft/12/beitrag/wasserstoff-gruen-und-effizient.html (16. April 2024).
Kittel, M., D. Kirchem, W.-P. Schill, C. Kemfert (2023), Nationale Wasserstoffstrategie konsequent und mit klarem Fokus umsetzen, DIW Wochenbericht, 41/2023, 561-571.
Schill, W.-P., A. Roth und A. Guéret (2022), Ampel-Monitor zeigt: Energiewende muss deutlich beschleunigt werden, DIW Wochenbericht, 27/2022, 371-379.
SRU – Sachverständigenrat für Umweltfragen (2021), Wasserstoff im Klimaschutz, Klasse statt Masse, https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/04_Stellungnahmen/2020_2024/2021_06_stellungnahme_wasserstoff_im_klimaschutz.pdf (16. April 2024).
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