Am 26. April 2024 wurde im Bundestag das neue Klimaschutzgesetz verabschiedet. Es sieht Veränderungen vor allem bei der Erfüllung der Zielsetzung zur Minderung von Treibhausgasemissionen vor. Anstatt wie im Vorgänger-Gesetz auf festgelegte Zielgrößen zur Vermeidung von klimarelevanten Treibhausgasen für einzelne Sektoren zu setzen, werden nunmehr sektorübergreifende Gesamtemissionswerte zugrunde gelegt. Es ist somit nicht mehr zwingend notwendig, dass etwa der Gebäude- oder der Verkehrssektor ihre Ziele erreichen. Entscheidend ist vielmehr der Grad der Gesamtzielerreichung der Minderung des Treibhausgasausstoßes über alle Sektoren hinweg. Die Überprüfung der Zielwerte soll zudem nicht mehr rückwirkend erfolgend, indem auf die Zieleinhaltung des Vorjahres geschaut wird, sondern im Rahmen einer Vorausschau: Die zuständigen Ministerien müssen beim Verfehlen gesetzlicher Vorgaben zum CO2-Ausstoß im Folgejahr nicht mehr Sofortprogramme auflegen, sondern es muss lediglich übergreifend nachgesteuert werden, wenn absehbar ist, dass innerhalb von zwei Jahren eine Zielverletzung bei den Gesamtemissionswerten zu erwarten und die Bundesrepublik nicht mehr auf Kurs ist. Bei all dem wird an den bisherigen klimapolitischen Zielen unverrückbar festgehalten: Bis 2030 sollen in Deutschland die Emissionen um 65 % (bezogen auf das Basisjahr 1990) absinken, bis 2040 um 88 %, und bis 2045 soll Klimaneutralität erreicht werden. Höhere Emissionswerte sind nach dem weiterentwickelten Klimaschutzgesetz nicht zulässig. Es herrscht auch weiterhin volle Transparenz zwischen den Sektoren über die erbrachten Minderungsleistungen und Erfüllungsgrade. Ein Expertenrat soll prüfen, ob der Pfad zu den anvisierten Zielgrößen eingehalten wird. Dazu sind notwendige Prognosen aufzustellen, und – wenn dies erforderlich ist – können durch den Expertenrat auch weitere Maßnahmen vorgeschlagen werden.
Wie groß war der Aufschrei im Vorfeld und auch nach der Verabschiedung des Gesetzesentwurfs! Das Abweichen von den Sektorzielen wurde als Einknicken der Bundesregierung gegenüber dem Verkehrs- und Gebäudesektor bezeichnet. Stimmen aus der CDU beklagten gar ein gänzliches Entkernen des Klimaschutzgesetzes, einen Rückschritt für den Klimaschutz durch einen durch die Ampelkoalition ausgestellten Freibrief. Und auch innerhalb der Regierungskoalition gab es abweichende Auffassungen, sodass vor der Abstimmung im Bundesrat einige Abgeordnete der Koalition den Plenarsaal verließen, um nicht gegen das Gesetz stimmen zu müssen. Dabei sieht das neue Klimaschutzgesetz letztlich nur eine Anpassung an die Realität vor. Es war bei der Verabschiedung des Vorgängergesetzes im Sommer 2021 doch geradezu naiv zu glauben, dass alle Sektoren ihre Emissionen bis hin zur Nullemission in den gesetzten Zeiträumen erreichen können. Dabei geht es nicht nur um die Sektoren Verkehr und Gebäude, auch im Bereich Landwirtschaft und Landnutzung wäre eine Nullemission mit einer vollständigen Aufgabe wirtschaftlicher Tätigkeit verbunden gewesen.
Und auch ökonomisch ergibt eine übergreifende Zielfestlegung natürlich Sinn. Zu groß sind die Unterschiede in den CO2-Grenzvermeidungskosten zwischen den verschiedenen Sektoren. Sie reichen von negativen Kosten (in Bereichen, in denen es sich also auch wirtschaftlich noch lohnt, Maßnahmen zur Reduzierung von Treib-hausgasen zu ergreifen) bis hin zu vielen Hunderten oder sogar Tausenden Euro pro vermiedener Tonne CO2. Wie konnte man vor diesem Hintergrund auf die Idee kommen, Reduktionen einzufordern, die von allen Sektoren gemäß ihrer Zielvorgaben zu erfüllen sind? Es ist ein Grundgedanke der Umweltökonomik, dass volkswirtschaftliche Effizienz nur erreicht werden kann, wenn die Vermeidung flexibel erfolgt, also in den Sektoren und an den Orten mit den geringsten Grenzvermeidungskosten. So gesehen stellt das neue Klimaschutzgesetz nicht nur eine Annäherung an die Bedingungen in der Realität dar, es ist auch ökonomisch vernünftig.
Wie aber, so werden manche durchaus fragen, kann man dann jene Sektoren, die nicht ausreichend Beiträge zur Emissionsminderung leisten, politisch in die Pflicht nehmen? Wird nicht durch das neue Klimaschutzgesetz der politische Druck auf diese Sektoren möglicherweise geringer? Eine solche Entwicklung wäre allerdings fatal, denn ein Nachlassen der Bemühungen um Treibhausgasminderungen wäre das falsche Signal und mehr als kontraproduktiv. Eine „große Transformation“ in der Wirtschafts- und Lebensweise, die wir dringend brauchen, um die überaus ehrgeizigen klimapolitischen Ziele zu erreichen, würde dann noch schwieriger. Es ist also weiterhin notwendig, den klimapolitischen Druck für alle aufrechtzuerhalten. Möglichkeiten dafür gibt es viele. An dieser Stelle sei besonders auf den EU-Emissionsrechtehandel verwiesen. Vor rund 20 Jahren war der Handel unter großer Kritik eingeführt worden, weil am Anfang die Preise in den Keller gingen. Dies lag an der großzügigen Erstverteilung der Emissionsrechte per kostenloser Zuteilung, die einerseits politisches Zugeständnis war, um alle EU-Staaten mitzunehmen, und andererseits notwendig, um rechtlich geschützte Genehmigungen der Emittenten nicht zu verletzen. Doch als die Menge der Zertifikate im Zeitablauf reduziert, die kostenlose Vergabe durch einen immer größeren Anteil an versteigerten Zertifikaten ersetzt und der Kreis der einbezogenen Sektoren erweitert wurden, erfüllte der Handel seine Aufgaben immer besser: Der Zertifikatpreis stieg und Emissionen wurden vor allem dort vermieden, wo dies kostengünstig möglich war. Wäre es nicht politisch sinnvoll, diese Pfade zu weiteren Reduktionen der Treibhausgasemissionen weiterzuverfolgen – selbst wenn es von der Umsetzung her nicht einfach ist – und dieses Instrument auf weitere Sektoren auszuweiten und adäquat auszugestalten? Denn eins ist klar, die selektive Anreizfunktion für die Vermeidung von Treibhausgasen, die letztlich die Effizienz bewirkt, kann am besten durch ökonomische Instrumente erreicht werden. Mengeninstrumente (wie handelbare Emissionsrechte) oder Preisinstrumente (wie CO2-Abgaben) sind hier die eindeutig überlegenen Maßnahmen.
Und viele Steuerungsansätze in der Klimapolitik würden erheblich leichter. Man denke etwa an den Schutz organischer Böden, die trockengelegt umfangreiche CO2-Emissionen verursachen. Mit viel Aufwand wird derzeit im Rahmen des Allokationsplans Nationaler Klimaschutz versucht, die Vorräte an Kohlenstoff im Boden zu erhalten bzw. durch die Wiedervernässung ehemaliger Moore weitere Kohlenstoffsenken zu erschließen. Doch die Wiedervernässung trockengelegter und häufig landwirtschaftlich genutzter Moorböden steht vor zahlreichen Hürden und Hindernissen rechtlicher, ökonomischer und politischer Art. Wie viel einfacher wäre auch hier der Weg über die Einbeziehung in den Emissionshandel! Die betroffenen Landeigentümer:innen und Nutzer:innen könnten über eine kostenlose Vergabe der Emissionsrechte zum Mitmachen gewonnen werden. Durch klare politische Signale und eine Veränderung der Vergaberegeln könnten notwendige Einsparungen an Treibhausgasen erreicht werden. Es wären vermutlich weniger bürokratische Ansätze erforderlich, wenn dieser Weg eingeschlagen würde. Und vor allem würden wir deutlich weniger Steuergeld einsetzen, wenn Wiedervernässung durch private Emissionsrechtekäufe finanziert würde. Die Umsetzung eines solchen Systems ist sicherlich nicht einfach, wenn mehrere Eigentümer:innen und Nutzer:innen an einem Moorstandort ansässig sind. Aber überlegenswert wäre dies allemal.