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Am 17. Juli 2024 hat das Bundeskabinett den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes verabschiedet, das die Nieren-Überkreuzspende und weitere Varianten der Lebendspende ermöglichen soll. Bei der Überkreuzspende handelt es sich um ein Verfahren, bei dem zwei spendewillige Personen, die für den jeweiligen Partner nicht als Spender geeignet sind, ihre Nieren „über Kreuz“ spenden: Spender A spendet seine Niere dem Empfänger B, Spender B spendet an Empfänger A, sodass beide Empfänger eine passende (kompatible) Niere erhalten.

Der Gesetzentwurf stellt einen großen Fortschritt für die Leben­dorganspende dar. Besonders positiv hervorzuheben sind z. B. die verpflichtende Übermittlung der für die Zuordnung von Spender-Patienten-Paaren erforderlichen Daten an eine zentrale Vermittlungsstelle sowie die Möglichkeit der nicht-gerichteten Nierenspende, die wiederum Spender­ketten initiieren und damit viele weitere Transplantationen ermöglichen kann (Ashlagi et al., 2024; Ockenfels et al., im Druck). Die anstehenden Beratungen in Bundesrat und Bundestag können nun genutzt werden, um Verbesserungen vorzunehmen. Eine besonders wichtige Verbesserung wäre es, allen Spender-Empfänger-Paaren die Teilnahme an der Überkreuzspende zu ermöglichen. Bisher ist die Teilnahme von Paaren kompatibler Spender und Empfänger nicht vorgesehen, da hier eine Organspende auch ohne Überkreuztausch immunologisch möglich wäre. Es bestehe daher, so die Begründung im Gesetzentwurf, „keine Notwendigkeit, auch für diese Paare die Überkreuzlebendnierenspende zu ermöglichen“.

Diese Argumentation übersieht jedoch, dass die freiwillige Teilnahme kompatibler Paare die Situation aller Beteiligten und aller Patientengruppen verbessern kann. Der Patient des kompatiblen Paares kann durch den Nierentausch oft eine besser passende Niere erhalten. Tatsächlich garantieren die Zuordnungsalgorithmen in anderen Ländern kompatiblen Spender-Patienten-Paaren, dass durch die Teilnahme am Überkreuztausch die Qualität der Niere für den Patienten nur verbessert werden kann (Bingaman et al., 2012). Informierte kompatible Paare könnten daher den Wunsch haben, an dem Programm teilzunehmen.

Durch die Teilnahme eines kompatiblen Paares am Überkreuztausch wird auch anderen Patienten geholfen. Denn durch den Überkreuztausch kann eine zusätzliche Spende für ein inkompatibles Paar generiert werden, sodass im Ergebnis einem weiteren Paar geholfen werden kann. Der Wunsch, einem inkompatiblen Paar zu helfen, könnte daher ein zusätzliches Motiv für die Teilnahme am Überkreuztausch sein. Der Gesetzentwurf erkennt Altruismus als Motiv bei nicht-gerichteten Spenden an, sodass ein solches (zusätzliches) Motiv auch kompatiblen Paaren zugestanden werden sollte.

Gleichzeitig verkürzt ein erfolgreicher Nierentausch zwischen einem kompatiblen und einem inkompatiblen Paar die Warteliste der Patienten, die keinen eigenen Spender haben und daher nicht am Nierentauschprogramm teilnehmen können. Sönmez et al. (2020) schätzen anhand US-amerikanischer Daten, dass durch die Einbeziehung kompatibler Paare die Zahl der Transplantationen um bis zu 160 % gesteigert werden könnte, Ockenfels et al. (im Druck) liefern konkrete Beispiele.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Einteilung in kompatibel und inkompatibel in der Praxis oft nicht eindeutig ist und Ärzte gelegentlich geneigt sein könnten, ihren Patienten eine nicht nur akzeptable Niere des kompatiblen Spenders, sondern eine besser passende Niere im Rahmen eines Überkreuztauschs zu empfehlen. Ein Verbot des Überkreuztauschs bei kompatiblen Paaren könnte in solchen Fällen eine rechtliche Grauzone schaffen, die zu Ungleichbehandlungen und ethischen Dilemmata führen könnte.

Aus diesen Gründen empfehle ich, den Gesetzentwurf anzupassen und kompatiblen Paaren die Teilnahme am Überkreuzspendeprogramm zu ermöglichen.

Axel Ockenfels dankt Ágnes Cseh, David Manlove, Christine Kurschat, Tayfun Sönmez, Utku Ünver und vielen anderen für wertvolle Hinweise sowie für die Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Rahmen der Exzellenzstrategie (EXC 2126/1 390838866).

Literatur

Ashlagi, I. et al. (2024). Designing a Kidney Exchange Program in Germany: Simulations and Recommendations.

Bingaman, A. W. et al. (2012). Single-Center Kidney Paired Donation: The Methodist San Antonio Experience. American Journal of Transplantation, 12(8), 2125–2132.

Ockenfels, A., Sönmez, T. & Ünver, U. (im Druck). Nierentausch in Deutschland: Analysen und Empfehlungen. Medizinrecht.

Sönmez, T., Ünver, U. & Yenmez, M.B. (2020). Incentivized Kidney Exchange. American Economic Review, 110(7), 2198–2224.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0132