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Dieser Beitrag ist Teil von Reformen im Gesundheitswesen: Chancen und Herausforderungen

Neun von zehn Menschen in Deutschland sehen eine Notwendigkeit für grundlegende Veränderungen im Gesundheitswesen. Zugleich äußert mit 55 % mehr als jeder Zweite den Eindruck, dass sich die gesundheitliche Versorgung in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert hat. Dass sich die Gesundheitsversorgung ohne Reformmaßnahmen zukünftig weiter verschlechtert, befürchten 77 % der Bürger:innen (Bertelsmann Stiftung, 2023). Zahlen, die aus einer aktuellen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Bertelsmann Stiftung stammen und damit nicht nur den aktuellen Zustand des Gesundheitswesens beschreiben, sondern auch die Programmatik der kommenden Jahre vorgeben. „Wir stehen vor einer Generalüberholung unseres Gesundheitssystems“ (BMG, 2024a), so beschreibt der amtierende Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach die aktuelle Situation im Gesundheitswesen.

Im Jahr 2022 hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FinStG) auf die für das Jahr 2023 erwartete Rekordfinanzlücke in Höhe von 17 Mrd. Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) reagiert (BMG, 2024a). Um dieses akute Defizit auszugleichen, griff der Gesetzgeber auf ein komplexes Bündel von einnahmen- und ausgabenorientierten Maßnahmen zurück. Hierzu gehörten übergeordnete einnahmenseitige Eingriffe wie die Anhebung des Zusatzbeitrags, der Abbau vorhandener Finanzreserven, die Erhöhung des Bundeszuschusses sowie ein Darlehen des Bundes an die GKV. Auf der Ausgabenseite umfassten die Maßnahmen eine Reform des AMNOG-Verfahrens1 für neue Arzneimittel, die Erhöhung des allgemeinen Arzneimittelherstellerabschlags und des Apothekenabschlags, die Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel sowie Anpassungen beim Pflegebudget, bei der Neupatientenregelung der Vertragsärzte und bei den Zahnarzthonoraren.

Zur Sicherstellung einer hochwertigen Gesundheitsversorgung in Deutschland besteht darüber hinaus der Bedarf, die GKV-Finanzen durch direkte kurzfristige wie auch langfristige strukturelle Maßnahmen zu stabilisieren. Dieser Notwendigkeit wurde im GKV-FinStG mit dem in § 220 Absatz 4 SGB V formulierten Auftrag an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Rechnung getragen, bis Ende Mai „Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (Deutscher Bundestag, 2022) zu erarbeiten. Nach regierungsinternen Beratungen wurden die Empfehlungen im Januar 2024 in Form eines achtseitigen Textdokuments veröffentlicht (BMG, 2024b). Die Empfehlungen fokussieren in erster Linie ausgabenseitige Reformpakete, welche die Versorgungsstrukturen verbessern und effizienter gestalten sollen. Dabei wird auch angemerkt, dass damit verbundene Auswirkungen auf die Finanzlage der GKV vor allem mittel- bis langfristig zu erwarten sind. Kurzfristig ist ein Großteil der genannten Maßnahmen (Modernisierung und Restrukturierung der Krankenhauslandschaft, Restrukturierung der Notfallversorgung, Förderung der Digitalisierung und Datennutzung, Errichtung von Gesundheitskiosken, Förderung der Prävention im Kontext von Herz-Kreislauf-Erkrankungen) allerdings zunächst mit Investitionen auf Seiten der GKV und in der Folge mit Mehrausgaben verbunden. Konkrete Einsparziele oder erwartete Effizienzpotenziale werden nicht benannt. Einnahmeseitig spricht sich das BMG vor allem für die bereits im Koalitionsvertrag beschriebene Auslagerung der versicherungsfremden Leistungen aus. Allerdings weist das Papier hinsichtlich der Umsetzungsperspektive bereits einschränkend auf die angespannte haushaltspolitische Lage des Bundes hin. So heißt es zur stärkeren Beteiligung des Bundes an der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen: „Die Maßnahmen des Koalitionsvertrags zur dauerhaften Anhebung von Bundesmitteln sollten umgesetzt werden, sobald es im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung die haushaltspolitischen Rahmenbedingungen zulassen“ (BMG, 2024b).

Nachdem die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit bedingt durch eine gute Arbeitsmarksituation Überschüsse erzielt haben und die Leistungsausgaben durch zahlreiche gesetzliche Maßnahmen, wie z. B. die Ausgliederung stationärer Pflegekosten aus dem System der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) oder die Einführung einer Neupatientenregelung im ambulanten Bereich, erhöht wurden, hat sich die Lage mittlerweile geändert: Der GKV-Schätzerkreis geht von zunehmenden Defiziten der Krankenkassen aus (Bundesamt für Soziale Sicherung, 2023). Angesichts weitreichender Zukunftsherausforderungen wird für das Gesundheitssystem – sofern nicht politisch gegengesteuert wird – bis zum Jahr 2040 eine Finanzierungslücke von knapp 50 Mrd. Euro als realistisch eingeschätzt (Ochmann & Albrecht, 2019). Aktuelle Prognosen des Bundesrechnungshofes (2022) gehen bis zum Jahr 2060 von einer kontinuierlichen Steigerung des durchschnittlichen GKV-Beitragssatzes um mehr als fünf Prozentpunkte auf 21,8 % aus (2024: 16,3 %). Dabei sind die Beitragszahler:innen in Deutschland bereits heute im internationalen Vergleich hohen Belastungen ausgesetzt (tagesschau.de, 2023). Vor diesem Hintergrund ist es von hoher Relevanz, neben den vorgetragenen strukturellen Reformempfehlungen, auch Maßnahmen zu diskutieren, die direkter an den Finanzierungsmechanismen der GKV ansetzen, bei denen ein Effekt schneller eintreten könnte und zudem besser abschätzbar wäre. Entsprechende Maßnahmen erscheinen nicht allein für die Kompensation kurzfristiger Finanzierungsdefizite unabdingbar, sondern würden auch die notwendigen Grundlagen schaffen, um die anstehenden Strukturreformen zu realisieren und die Gesundheitsversorgung in Deutschland zukunftssicher aufzustellen.

Reform-Chancen: mehr Transparenz im Möglichkeitsraum

An Reformvorschlägen mangelt es im politischen und wissenschaftlichen Diskurs nicht. Eine im Jahr 2023 durchgeführte Inventur des Möglichkeits­raumes der Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen hat aus 176 Quellen insgesamt 93 Einzelvorschläge identifiziert (Gensorowsky et al., 2023). Davon waren 34 einnahmenseitige Vorschläge – von der Einführung einer Bürgerversicherung bis hin zur Dynamisierung des Bundeszuschusses – und 59 ausgabenseitige Vorschläge – von Eingrenzung des Grundleistungskatalogs bis hin zur Einführung von sektorenüber­greifenden Globalbudgets (Gensorowsky et al., 2023).

Abbildung 1
Systematik zur Klassifikation der Reformvorschläge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung
Systematik zur Klassifikation der Reformvorschläge zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung

Quelle: Gensorowsky et al. (2024).

Wie Abbildung 1 zeigt, reichen Reformvorschläge auf Einnahmenseite von grundlegenden Systemreformen (z. B. Einführung einer Bürgerversicherung) bis hin zu spezifischen Einzelmaßnahmen (z. B. Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze). Ausgabenseitige Reformvorschläge zielen insbesondere auf eine effizientere Leistungserbringung (z. B. Implementierung von Gatekeeping-Konzepten), Leistungseinschränkungen oder eine stärkere Preisregulierung ab (vgl. Abbildung 1). In der Gesamtschau der Inventurergebnisse wurde deutlich, dass Vorschläge existieren, die offenkundig über die Grenzen der politischen Lager hinweg konsensfähig sind und im gesamten Beobachtungszeitraum immer wieder thematisiert, bislang jedoch nicht realisiert wurden. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen zur Auslagerung bzw. Umfinanzierung versicherungsfremder Leistungen, welche sich bereits seit Anfang der 2000er Jahre in inventarisierten Quellen wiederfinden und denen zum Teil erhebliches finanzielles Stabilisierungspotenzial für die GKV zugeschrieben wird. Auch in den Koalitionsverträgen der aktuellen sowie der vorangegangenen Bundesregierung wurden Maßnahmen (insbesondere die Steuerfinanzierung kostendeckender Beiträge für ALG-II-/Bürgergeld-Empfänger) thematisiert, die der Neuregelung der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen zuzuordnen sind. Grundsätzlich beschränken sich die Möglichkeiten zur Finanzstabilisierung jedoch nicht auf die Erzielung von Einsparungen. Das machen nicht zuletzt die zahlreichen einnahmenseitigen Ad-hoc-Maßnahmen der letzten Jahre oder die im Koalitionsvertrag vereinbarte – und bislang nicht umgesetzte – Dynamisierung des Bundeszuschusses deutlich. Wenngleich diese in den letzten Jahren etwas in den Hintergrund getreten sind, kursieren neben solchen eher singulären Maßnahmen auch Vorschläge, welche auf eine Stabilisierung der GKV durch eine grundlegende Reformierung des Versicherungssystems etwa durch Einführung einer Bürgerversicherung abzielen.

In jüngerer Vergangenheit wurden Finanzierungsdefizite der GKV ausschließlich durch jeweils kurzfristig wirksame Maßnahmen adressiert. Im Rahmen des im Oktober 2022 verabschiedeten GKV-FinStG wurden neben der Erhöhung des Bundeszuschusses um 2 Mrd. Euro auch die Reserven der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds um 6,4 Mrd. Euro abgeschmolzen, der durchschnittliche Zusatzbeitrag um 0,3 Prozentpunkte auf 1,6 % angehoben (entspricht ca. 4,8 Mrd. bis 5,0 Mrd. Euro)2, ein kurzfristiges Bundesdarlehen (Rückzahlung bis 2026) in Höhe von 1 Mrd. Euro eingeräumt sowie leistungsbezogene Einsparungen bei Arzneimitteln, ärztlichen und Krankenhausleistungen in Höhe von 2,5 Mrd. bis 3 Mrd. Euro beschlossen. Ob das GKV-FinStG mit diesen Maßnahmen seinem Namen langfristig gerecht wird, bleibt abzuwarten. So beinhaltet das Gesetz keine umfassenden strukturellen Reformen und trägt somit kaum zur Steigerung von Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung bei. Das für 2023 gewährte Darlehen des Bundes bedeutet eine temporäre Verschuldung der GKV und kommt damit neben einer Verschiebung der Finanzlücke in die Zukunft auch einem „Tabubruch“ gleich. Einige der bisherigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzlage der GKV, darunter das Abschmelzen der Rücklagen der Krankenkassen, dürften zumindest zeitnah nicht wiederholbar sein.

Reform-Herausforderung: Quantifizierung der Finanzeffekte von Reformvorschlägen

Neben der Zahl verschiedener im politischen Diskurs gehandelter Reformoptionen für die GKV-Finanzierung ist jedoch auch evident, dass der Großteil dieser Reformvorschläge in ihren Quellen, also Parteiprogrammen, Diskussionspapieren oder anderen Aufsätzen allenfalls kursorisch beschrieben und pauschal gefordert wird. Detailliertere Abschätzungen und Diskussionen der finanziellen und anderweitigen Effekte bildeten die Ausnahme (Gensorowsky et al., 2024). Diese sind jedoch notwendig, um evidenzbasierte und rationale Entscheidungen treffen zu können.

Eine Reformoption, welche aufgrund ihrer Aufnahme in den Koalitionsvertrag der derzeitigen Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP, in der laufenden Legislaturperiode wiederholt diskutiert wurde, ist die Auslagerung versicherungsfremder Leistungen aus der Beitragsfinanzierung der GKV. Hintergrund ist, dass über die GKV auch Leistungen erbracht werden, die als „versicherungsfremd“ betrachtet werden, da sie nicht dem originären Zweck einer Krankenversicherung (Absicherung des Krankheitsrisikos) zugeordnet werden können, sondern eher familienpolitisch motiviert oder von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse sind, wie beispielsweise die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern oder Leistungen zur Empfängnisverhütung­ (BMG, 2023). Berechnungen zeigen jedoch, dass durch eine Auslagerung versicherungsfremder Leistungen in einer engen Leistungsdefinition 8,1 Mrd. Euro jährlich eingespart werden könnten. In einer weiten Definition wären sogar bis zu 76,5 Mrd. Euro jährlicher Einsparungen innerhalb der GKV möglich. Dies entspricht Entlastungen für die Beitragszahler zwischen 0,48 bis 4,55 Beitragssatzpunkten (Gensorowsky et al., 2024, S. 47). Albrecht & Ochmann (2021) kommen zu vergleichbaren Größenordnungen. Politisch wurde und wird die Auslagerung versicherungsfremder Leistungen aus der Finanzierungsverantwortung der GKV bereits von vielen Seiten vorgetragen. Mit Blick auf die aktuell angespannte Haushaltslage des Bundes erscheinen umfassende Schritte in diese Richtung derzeit jedoch eher unrealistisch (BMG, 2024b). Gerade deshalb sind jedoch belastbare und transparente Berechnungen zum erwarteten Entlastungseffekt von Reformmaßnahmen für eine Objektivierung der Debatte zur Weiterentwicklung der GKV unerlässlich.

Reform-Chancen: mehr Evaluation wagen

Teil des Gesetzgebungsprozesses ist eine zumindest orientierende Folgenabschätzung. Diese dient jedoch eher zur Information des parlamentarischen Prozesses denn als Zielwert für eine spätere Bewertung des Umsetzungserfolges. Mit dem GKV-FinStG verbunden war jedoch auch der Wille des Gesetzgebers, bestimmte ausgabendämpfende Reformelemente einer zeitnahen Evaluation zu unterziehen. Diese Evaluation sollte Reformelemente im Markt für patentgeschützte Arzneimittel und das damit verbundene Verfahren zur frühen Nutzenbewertung und Preisbildung (kurz AMNOG-Verfahren, zurückgehend auf das konstituierende Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz aus dem Jahr 2011) bewerten. Diese Maßnahmen umfassten die von Seiten der GKV schon länger geforderte Rückwirkung des Erstattungsbetrages auf den siebten Monat nach Markteintritt. Für Arzneimittel zur Behandlung seltener Leiden wurde zudem die Umsatzschwelle (sog. Orphan-Umsatzschwelle), deren Überschreiten zur Einreichung eines Nutzenbewertungsdossiers verpflichtet, von bisher 50 Mio. Euro auf 30 Mio. Euro pro Jahr gesenkt. Für vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) definierte Wirkstoffkombinationen gilt zukünftig ein pauschaler Kombinationsabschlag in Höhe von 20 %. Eine Ausnahme stellen Kombinationen dar, für die durch einen oder mehrere betroffene pharmazeutische Unternehmer ein AMNOG-Dossier eingereicht wurde und der G-BA mindestens einen beträchtlichen Zusatznutzen erwartet. Eine weitestgehende Abkehr von der bisherigen AMNOG-Logik war mit der Einführung sogenannter „Leitplanken“ für die zu verhandelnden Erstattungsbeträge verbunden, nach welchen zukünftig neue Preisobergrenzen in Abhängigkeit der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) und des Ergebnisses der Nutzenbewertung gelten. Der Gesetzgeber bezifferte im damaligen Gesetzesentwurf Einsparziele, welche je nach Maßnahmen von ca. 100 Mio. Euro jährlich bis zu 300 Mio. Euro jährlich reichten. Modellierungen und Analysen von Versorgungsdaten der DAK-Gesundheit lassen indes die avisierten Einsparpotenziale durch entsprechende ausgabenseitige Maßnahmen nicht erwarten (vgl. Tabelle 1 und ausführlicher Greiner et al. (2023, 2024)).

Tabelle 1
Bewertung der Reformelemente für patentgeschützte Arzneimittel des GKV-FinStG
Reform-
element
Umsetzung offen? Kollateral-­effekte? Erwartete Ein-
sparungen
Realisierbare Einsparungen
      (in Mio. Euro p. a.)
Rückwirkung Erstattungsbetrag Nein Unwahrscheinlich 150 80
Orphan-Umsatzschwelle Nein Möglich 100 50
Pauschaler Kombinationsabschlag Ja, trotz Umsetzungsvorschlag durch das BMG aus 05/2024 Möglich 185 95
Leitplanken für Erstattungsbeträge In Detail-fragen Möglich 250-300 Vermutlich höher

Quelle: Greiner et al. (2023, 2024).

Mit Verabschiedung dieser Reformen waren jedoch auch unerwünschte Kollateraleffekte nicht auszuschließen. Insbesondere vonseiten der pharmazeutischen Industrie wurde beklagt, dass durch sich verändernde Rahmenbedingungen die Attraktivität des nationalen Marktes für bestimmte patentgeschützte Arzneimittel sinken und diese damit nicht mehr für die Versorgung zur Verfügung stehen könnten – oder gar nicht erst in den Markt kämen (vfa, 2022). Auch nach einer ersten Evaluation durch das BMG in 2023 ist jedoch bislang nicht bekannt, ob sich aus den Neuregelungen des GKV-FinStG negative Effekte für die Patientenversorgung ergeben haben. Der sehr kurze Evaluationshorizont von knapp einem Jahr war dazu schlicht zu kurz. Das BMG hat deshalb im Jahr 2024 erneut eine Evaluation dieser Reformmaßnahmen beauftragt, deren Ergebnisse zum Jahreswechsel 2024/2025 an das BMG zu übergeben sind. Es bleibt abzuwarten, ob in diesem nur unwesentlich längeren Beobachtungszeitraum bedeutendere Regulierungseffekte nachweisbar sind. Ein bedeutend längerer Evaluationszeitraum könnte durch die Kurzlebigkeit politischer Diskussionsprozesse und der Fokussierung auf Legislaturperioden verhindert werden. Positiv hervorzuheben ist jedoch der zuletzt wiederholt beobachtbare Wille des Gesetzgebers, insbesondere kontroverse Einzelmaßnahmen hinsichtlich finanzieller und versorgungsbezogener Effekte einer Evaluation zu unterziehen. So ist eine solche auch für die im parlamentarischen Prozess zuletzt deutlich abgeschwächte Möglichkeit zur Vereinbarung vertraulicher Erstattungsbeträge neuer Arzneimittel (Deutscher Bundestag, 2024) ebenso vorgesehen, wie für die mit dem Gesundes-Herz-Gesetz geplante Neueinführung bestimmter allgemeiner Gesundheitsuntersuchungen.

Ausblick

Mit der Krankenhausreform, der Apothekenreform sowie der Reform der hausärztlichen Honorierung befinden sich aktuell weitere zumindest kurzfristig ausgabenintensive Reformkonzepte in der Finalisierungsphase. Kurzfristig gehen diese Reformvorschläge alle mit höheren GKV-Ausgaben einher, wie beispielsweise die Diskussion um den Transformationsfonds Krankenhaus oder die Entbudgetierung der Hausärzte zeigt. Auch aus diesem Grund erscheint eine Auseinandersetzung mit einer nachhaltigen Weiterentwicklung der Finanzierungsgrundlage der GKV nicht nur opportun, sondern dringend geboten. Insbesondere um neue Spielräume für Investitionen in relevante Zukunftsthemen zu eröffnen, die auch das Potenzial haben, langfristig positive Beiträge für ein leistungsfähiges und bezahlbares Gesundheitssystem zu leisten.

Reformoptionen zur Finanzierung der GKV sind gleichzeitig nicht unabhängig vom Versorgungskontext zu betrachten. Hinsichtlich einer auch nachhaltigen „Generalüberholung unseres Gesundheitssystems” (BMG, 2024a) sind auch über reine Finanzierungsfragen hinausgehende Entwicklungsthemen des Gesundheitswesens in die Diskussion einzubeziehen, da diese ebenfalls mittel- bis langfristig eine finanzstabilisierende Wirkung auf die GKV haben können. Zu diesen zählen:

        • Stärkung der Prävention (wobei die Potenziale zu Kosteneinsparungen in der Regel überschätzt werden),
        • Beschleunigung der Digitalisierung von Prozessen und Leistungen,
        • Umsetzung von Strukturreformen (wie etwa in der Krankenhausversorgung sowie die Beseitigung von Ineffizienzen (Augurzky et al., 2004) bzw. das Heben von Effizienzreserven),
        • Förderung wirksamer neuer Versorgungsformen und
        • Ausbau wettbewerbsfördernder Elemente.
        • 1 Das „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“ (ANMOG) beschreibt das Verfahren der Preisregulierung innovativer Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen in Deutschland, das bereits seit dem 1.1.2011 gilt.
        • 2 Nach Verwaltungsratssitzungen der Krankenkassen Ende 2022 steigen die Beiträge jedoch durchschnittlich „nur“ um 0,2 Prozentpunkte.

Literatur

Albrecht, M. & Ochmann, R. (2021). Abschätzung des Finanzbedarfs in der GKV bis 2025 unter besonderer Berücksichtigung einer stärkeren Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen.

Augurzky, B., Berhanu, S., Göhlmann, S., Krolop, S., Liehr-Griem, A., Schmidt, C. M., Tauchmann, H. & Terkatz, S. (2004). Strukturreformen im deutschen Gesundheitswesen. RWI-Materialien, Bd. 8. Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung e. V.

Bertelsmann Stiftung. (2023, Juni). Factsheet: Bevölkerungsbefragung: Grundlegende Reformen im Gesundheitswesen notwendig.

Bundesamt für Soziale Sicherung. (2023). Schätztableau des GKV-Schätzerkreises. Schätztableau 2023-2024.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2023). Versicherungsfremde Leistungen.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2024a). Lauterbach: Rückenwind für unsere Reformen.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit. (2024b). Empfehlungen des Bundesministeriums für Gesundheit für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 220 Absatz 4 SGB V. Stand: 31. Mai 2023.

Bundesrechnungshof. (2022). Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages und Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages Demografische Entwicklung: Finanzrisiken des Bundes aus seiner Beteiligung an der Finanzierung der Sozialversicherungen (23. Aufl.). Bundesrechnungshof. Publikationsserver ibib.

Deutscher Bundestag. (2022). Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Bundesgesetzblatt Jahrgang 2022 Teil I Nr. 42.

Deutscher Bundestag. (2024, 12. Juni). Expertenkritik an vertraulichen Erstattungsbeträgen.

Gensorowsky, D., Witte, J., Naumann, L. & Zeitler, A. (2023). Inventur der Reformvorschläge zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine systematische Übersicht. Eine Studie im Auftrag des LAWG Deutschland e. V und des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e. V.

Gensorowsky, D., Greiner, W., Witte, J., Wille, E. & Birke, U. (2024) Impact-Bewertung ausgewählter Reformvorschläge zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. RPG, 30(3), 43–50.

Greiner, W., Witte, J., Gensorowsky, D. & Diekmannshemke, J. (2023). AMNOG-Report 2023. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und seine Auswirkungen. Medhochzwei Verlag.

Greiner, W., Witte, J., Gensorowsky, D. & Diekmannshemke, J. (2024). AMNOG-Report 2024. Blinde Flecken im AMNOG-Markt. Einblicke in die Ausgabendynamik bei Arzneimitteln. Medhochzwei Verlag.

Ochmann, R. R. & Albrecht, M. (2019). Zukünftige Entwicklung der GKV-Finanzierung (1. Aufl.). Bertelsmann Stiftung.

tagesschau.de. (2023, 25. April). Hohe Steuer- und Abgabenlast in Deutschland. OECD-Vergleich.

vfa – Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (2022). Das GKV-Finanzierungsgesetz als Versorgungsrisiko.

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© Der/die Autor:in 2024

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0158

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