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Die Wachablösung bei den Demokraten hat den Verlauf des US-Präsidentschaftswahlkampfs kräftig durcheinandergewirbelt. Nachdem Donald Trump noch Mitte Juli wie der sichere Sieger im Duell mit Amtsinhaber Joe Biden aussah, liegt die neue Kandidatin der Demokraten – Kamala Harris – nun in landesweiten Umfragen deutlich vorne. Auch in vielen wahlentscheidenden Staaten, so genannten Swing States, wie Michigan, Pennsylvania oder Wisconsin, hat Harris mittlerweile die Nase vorne oder zumindest das Momentum auf ihrer Seite. Es besteht also die reelle Chance, dass Anfang November nicht Trump erneut zum Präsidenten gewählt wird, sondern Harris zur ersten Präsidentin. Auf ihr ruhen nicht nur die Hoffnungen der Demokraten in den USA, sondern auch die vieler Europäer. Doch was können wir wirklich von ihr erwarten?

Zentrales Thema von Harris ist die Stärkung der unteren und mittleren Einkommensempfänger. Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Atlanta sagte sie Ende Juli: „Building up the middle class will be a defining goal of my presidency. Because when the middle class is strong, America is strong.“ Erreichen möchte sie das unter anderem durch Steuersenkungen für Geringverdiener, die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum und niedrigere Gesundheitskosten. In ihren Plänen prangert sie explizit die Rolle großer Pharmaunternehmen und institutioneller Immobilieninvestoren an. Zudem möchte Harris den Produzenten und Händlern von Lebensmitteln genau auf die Finger schauen, um zu verhindern, dass diese die Preise ihrer Produkte übermäßig erhöhen. Letzter Punkt ist aus volkswirtschaftlicher Sicht eher schwierig zu verdauen. Es handelt sich hier vermutlich um den Versuch, die Diskussion über die hohen Inflationsraten, die Präsident Bidens Umfragewerte erheblich belastet hatten, in eine andere Richtung zu lenken. Umgesetzt werden diese Preiskontrollen (hoffentlich) nicht.

Geringere Abgaben für weniger gut Verdienende, kombiniert mit der Aussicht auf niedrigere Gesundheits- und Wohnkosten zulasten einiger weniger „Großverdiener“, sind ganz klare Gewinnerthemen bei der demokratischen Wählerbasis – und inhaltlich fühlen sich sicherlich auch viele unabhängige Wähler und sogar zahlreiche Republikaner angesprochen. Allerdings kosten diese Versprechen Geld.

Gegenfinanziert werden sollen die Pläne unter anderem durch eine Erhöhung der Unternehmensteuer von derzeit 21 % auf 28 %. Die unter Präsident Trump beschlossene Senkung des Steuersatzes von seinerzeit 35 % würde damit um die Hälfte zurückgedreht werden. Als Reaktion auf den Vorschlag, der bereits von Präsident Biden aufgeworfen wurde, gab es zuletzt zahlreiche besorgte und kritische Stimmen, wonach diese Steuererhöhung dem Standort USA erheblichen Schaden zufügen könnte. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die USA auch mit höheren Unternehmensteuern ein sehr attraktiver Standort für Unternehmen bleiben. Wichtigere Faktoren als die Höhe der Unternehmenssteuern sind die günstige und sichere Energieversorgung, die Größe des Absatzmarkts und die extrem hohe Innovationsfähigkeit des Landes, insbesondere in den Bereichen digitale Ökonomie und künstliche Intelligenz. Auch hat die damalige Steuersenkung durch Präsident Trump weniger zu einem Investitionsboom geführt, sondern vor allem die Aktionäre begünstigt. Hier könnte es nun eine entsprechende, überschaubare, Belastung geben.

Für Europa wäre eine Erhöhung der Unternehmensteuer in den USA eher eine gute Nachricht. Wäre sie doch (nach dem Vorstoß von Präsident Biden und Finanzministerin Yellen für eine globale Mindestbesteuerung) ein weiteres deutliches Signal dafür, dass die größte Volkswirtschaft der Welt gewillt ist, die seit Jahrzehnten andauernde Abwärtsspirale bei der Besteuerung von Nicht-Arbeitseinkommen zu stoppen.

Der wohl positivste Aspekt eines Wahlsiegs von Harris für Europa und Deutschland wäre, dass wir uns auch weiterhin auf die Einhaltung von Verträgen und Abkommen mit den USA verlassen könnten. In der aktuellen geopolitischen Situation geht es freilich zu allererst um die führende Rolle der USA in der NATO und der pro-ukrainischen Koalition. Zwar hatte der US-Kongress Ende 2023 in einer seltenen überparteilichen Kooperation bereits dafür gesorgt, dass kein Präsident ohne Zustimmung des Kongresses aus der NATO austreten kann. Allerdings würde das bei einem Präsidenten Trump wohl nicht viel bedeuten. Dann würden die USA möglicherweise weiter in der NATO verbleiben, aber sich nicht an Einsätzen beteiligen oder Beschlüsse ignorieren. Diese Gefahr gäbe es bei einer Präsidentin Harris nicht. Der „große Bruder“ USA würde unter ihrem Oberbefehl weiterhin maßgeblich zur Sicherheit in Europa beitragen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist der Klimaschutz. Auch unter einer Präsidentin Harris würden die USA ihre unter Biden eingeschlagene und wichtige Rolle als globales Zugpferd für den Ausbau erneuerbarer Energien beibehalten. Ein erneuter Rückzug vom Pariser Klimaschutzabkommen wäre nicht zu befürchten. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die USA die Energiewende deutlich pragmatischer und wirtschaftsfreundlicher gestalten als etwa Deutschland. Denn ungeachtet des Ausbaus der erneuerbaren Energien hat die Ölförderung unter Präsident Biden ein Allzeithoch erreicht, um die im Zuge des Ukrainekriegs in die Höhe geschnellten Energiepreise wieder einzufangen.

Zu guter Letzt würde unter einer Präsidentin Harris auch der Außenhandel zwischen Europa und den USA planbar und von unvorhergesehenen protektionistischen Maßnahmen verschont bleiben. Im Gegensatz dazu hatte Donald Trump noch vor gut einem Jahr die Idee eines 10 %-igen Zolls gegen sämtliche Handelspartner der USA in Umlauf gebracht. Damit wollte er zum einen die Wettbewerbsfähigkeit von US-Unternehmen stützen und zum anderen zusätzliche Staatseinnahmen generieren. Noch gravierender als der Zoll selber, den europäische und deutsche Unternehmen noch überstanden hätten, ist die fehlende Planbarkeit und Unberechenbarkeit, die von Präsident Trump stets ausgegangen ist und wohl auch wieder ausgehen würde. Ein solches Regierungsgebahren ist von einer Präsidentin Harris nicht zu befürchten.

Nichtsdestotrotz muss Europa sich darüber im Klaren sein, dass auch Harris den Europäern nichts schenken wird. Der Weckruf sollte spätestens der von Biden unterzeichnete Inflation Reduction Act gewesen sein, welcher eindeutige Elemente zum Abschirmen der heimischen Wirtschaft beinhaltet und entsprechende Proteste in Europa hervorgerufen hat. Harris hat die Maßnahmen stets unterstützt. Der außenpolitische Fokus sämtlicher US-Regierungen wird indes auf China und dem pazifischen Raum liegen. Diesbezüglich haben sich die Maßnahmen von Trump und Biden inhaltlich kaum unterschieden – lediglich die diplomatische Kommunikation hätte unterschiedlicher nicht sein können.

Zusätzlich zu den genannten direkten Auswirkungen auf transatlantische Kooperationen und Abkommen könnte die Wahl von Harris das politische Aus von Trump als weitere wichtige Folge nach sich ziehen. Zugegeben, es ist nicht einfach sich vorzustellen, wie Trump sich still aus dem öffentlichen Leben zurückzieht. Aber nach dann zwei verlorenen Wahlen (und auch gegen Hillary Clinton erhielt er fast 3 Mio. Stimmen weniger) könnten sich in der Republikanische Partei möglicherweise wieder die Stimmen mehren, die den „Stil“ von Trump hinterfragen. Dabei ginge es weniger um eine inhaltliche Neuausrichtung, denn hier hat Trump mit niedrigeren Steuern, Waffenrecht, Abtreibungsgesetzen etc. viele der traditionellen republikanischen Positionen beibehalten. Stattdessen geht es um ethische Fragen, den Umgang mit Menschen und schlichtweg darum, ob die „Grand Old Party“ ihre de facto Übernahme durch eine einzelne Person in letzter Sekunde doch noch erfolgreich abwehren kann. Das wäre zweifellos ein wichtiger Sieg für die Demokratie – egal welche Partei man unterstützt und in welchem Land man lebt.

Aus europäischer Sicht sollte man sich einen Wahlsieg von Harris daher sehnlichst wünschen. Nicht unbedingt, weil man ihre wirtschaftspolitischen Positionen uneingeschränkt teilt und auch nicht unbedingt, weil sie eine Frau ist, sondern vor allem deswegen, weil wir Europäer uns in außenpolitischen Fragen auf sie und ein sorgfältig ausgewähltes, fachlich hochqualifiziertes Kabinett verlassen könnten. Erratische Alleingänge müssten wir unter ihr nicht befürchten.

Ein Risiko, das aus ihrem Wahlsieg für Europa resultieren könnte, ist, dass wir uns wieder zurücklehnen. Mit einem Präsidenten Trump ist klar, dass Europa jederzeit allein gelassen werden könnte. Entsprechend müsste die heimische Volkswirtschaft schneller reformiert und Kooperation in verschiedenen Bereichen (Verteidigung, Energie, Finanzsektor, Industrien etc.) intensiviert werden. Dieser externe Druck würde unter Präsidentin Harris merklich geringer aus- oder sogar gänzlich wegfallen. Und als Beobachter der europäischen und deutschen Politik weiß man leider, dass es häufig einen gewissen Druck braucht, um Maßnahmen voranzutreiben.

Stillstand können wir uns insbesondere in Deutschland nicht erlauben, denn in den vergangenen Jahren sind wir wirtschaftlich spürbar zurückgefallen. Die gute Nachricht ist, dass wir die meisten wirtschaftspolitischen (und gesellschaftlichen) Probleme selber lösen können. Die schlechte Nachricht ist, dass wir sie selber lösen müssen. Ein Wahlsieg von Kamala Harris würde uns zumindest außenpolitisch ein wenig den Rücken freihalten.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0153