Wahlarbeitszeiten erlauben Beschäftigten, ihre Arbeitszeit innerhalb der tariflich oder gesetzlich festgelegten Bandbreiten individuell zu wählen. Dieses Prinzip ergänzt die bislang traditionelle Unterscheidung zwischen Voll- und Teilzeit und stärkt die Zeitsouveränität der Beschäftigten. Zwar bieten neue Gesetze wie die Brückenteilzeit mehr Flexibilität, ihre Nutzung bleibt begrenzt. Tarifverträge ermöglichen zusätzliche Optionen – etwa zwischen Lohnerhöhung oder Freizeit zu wählen. Wahlarbeitszeiten stellen kollektive Arbeitszeitverkürzungen infrage, da sie individuelle Anpassungen erlauben, erzeugen jedoch auch neue Herausforderungen für Betriebe und Gewerkschaften.
Variationen der Regelarbeitszeit waren traditionell überwiegend nur einheitlich für alle Beschäftigten eines Bereiches auf der Grundlage betrieblicher oder tariflicher Vereinbarungen möglich. Beschäftigte konnten bei der Dauer der Arbeitszeit letztlich nur zwischen Voll- und Teilzeit wählen, sofern Betriebe überhaupt entsprechende Angebote machten. Dieses Modell überwiegend fixierter Arbeitszeiten erodiert. Neuerdings garantieren Gesetze, Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen Beschäftigten individuelle Wahlmöglichkeiten, die Dauer der Arbeitszeit innerhalb spezifizierter Bandbreiten festzulegen. In unterschiedlichen Varianten sichern sie ihnen Ansprüche zu, die Dauer der Arbeitszeit nach individuellen Zeit-Geld-Präferenzen und Lebensbedingungen zu variieren, kürzer oder länger zu arbeiten und weniger oder mehr Geld zu verdienen. Optionalität wird auch bei der Dauer der Arbeitszeit zum neuen Regelungsprinzip.
Optionalität als Regelungsprinzip ist nicht neu. Die Mitte der 1960er Jahre aufgekommenen und mittlerweile in zahlreichen Varianten verbreiteten Arbeitszeitkonten hatten dieses Prinzip bei der Verteilung der Arbeitszeit eingeführt (Seifert, 2023). Sie bieten Beschäftigten, aber ebenso Betrieben, die Wahl, die tägliche Arbeitszeit mal früher oder später zu beginnen und zu beenden, sie kurzfristig zu verkürzen oder zu verlängern oder auch gänzlich für einen oder mehrere Tage auszusetzen. Viele Beschäftigte können außerdem entscheiden, ob sie sich Überstunden durch mehr Geld oder späteren Freizeitausgleich vergüten lassen. Um diese Formen der Optionalität soll es nachfolgend aber nicht gehen, sondern allein um die aus Sicht der Beschäftigten sachgrundlosen1 Optionen, zwischen Einkommens- oder Arbeitszeitänderungen wählen zu können.
Die Ausbreitung von Wahlarbeitszeiten wirft eine grundsätzliche Frage auf: Wenn immer mehr Beschäftigte die Dauer der Arbeitszeit wählen können, warum sollten sie sich dann noch für kollektive tarifliche Arbeitszeitverkürzungen einsetzen? Sind Wahlarbeitszeiten eine perspektivische Alternative?
Der Grundgedanke optionaler Zeitgestaltung
Der Grundgedanke, die Dauer der Arbeitszeit je nach individuellen Zeitanforderungen und -wünschen der Beschäftigten wählen zu können, ist nicht neu, fand allerdings erst spät Eingang in die arbeitszeitpolitische Praxis. Bereits Mitte der 1970er Jahre war das Konzept der Zeitsouveränität als Alternative zu den gewerkschaftlichen Forderungen nach kollektiven Arbeitszeitverkürzungen in die Diskussion gekommen (Teriet, 1976). Es basiert auf der neoklassischen Arbeitsmarktangebotstheorie (Cahuc et al., 2014). Sie geht davon aus, dass Beschäftigte die Zahl der Arbeitsstunden auf der Basis des Lohnsatzes und ihrer Präferenzen für das Verhältnis von Erwerbsarbeits- und Nicht-Erwerbsarbeitszeit wählen können. Diese Wahlmöglichkeit und damit die Aussicht auf Zeitsouveränität war in der betrieblichen Wirklichkeit aufgrund der von den Arbeitsmarkt- bzw. Betriebsparteien spezifizierten Angebote an Arbeitszeiten jedoch kaum gegeben. Optionen bestanden allenfalls und zudem begrenzt bei der Wahl zwischen Voll- oder Teilzeit oder letztlich dem gänzlichen Verzicht auf Arbeit (Boeri & van Ours, 2008).
Der auf die individuelle Entscheidungsfreiheit und -kompetenz der Beschäftigten setzende neoklassische Ansatz stieß auf den generellen Einwand, dass er asymmetrische Machtstrukturen am Arbeitsmarkt ausblende, die den Beschäftigten nicht erlauben, ihre Arbeitszeitwünsche gegen konfligierende Zeitanforderungen der Betriebe durchzusetzen (Bäcker & Seifert, 1982). Die Überlegungen berücksichtigen nicht, dass es sich beim Arbeitsmarkt um ein gesellschaftliches Machtverhältnis handelt (Offe & Hinrichs, 1984, S. 64). Das lässt kaum Raum für allein durch die Beschäftigten bestimmbare Arbeitszeiten, für Zeitsouveränität. Sieht man einmal von wenigen auf dem Arbeitsmarkt sehr knappen Arbeitskräften mit hochspezifischen und besonders gefragten Qualifikationen ab, die deshalb gegenüber dem Arbeitgeber über ein bestimmtes Maß an primärer Verhandlungsmacht verfügen (Dörre, 2008), dann fehlt es den meisten Beschäftigten an erfolgversprechender Durchsetzungsstärke für eine an individuellen Wünschen orientierte Arbeitszeit. Das gilt besonders dann, wenn individuelle Zeitwünsche mit Zeitanforderungen der Betriebe oder anderer Beschäftigter konfligieren.
Den Einwand asymmetrischer Machtstrukturen und fehlender Primärmacht auf Seiten der meisten Beschäftigten entschärft das „Konzept der garantierten Optionalität“ (Hinrichs & Wiesenthal, 1984). Es stärkt den Ansatz selbstbestimmter Arbeitszeiten um eine machtpolitische Dimension. Die Grundidee ist, den Beschäftigten gesetzlich oder tarifvertraglich abgesicherte Optionen zu bieten, um entsprechend ihrer persönlichen Lebenslagen und jeweiligen Bedürfnisse von der Regelarbeitszeit abweichen zu können. Erst der Rückgriff auf staatliche Eingriffe in das Arbeitsverhältnis oder auf tarifliche Sekundärmacht kann fehlende Primärmacht kompensieren und individuelle Optionen absichern.
Diese konzeptionelle Erweiterung arbeitete der Deutsche Juristinnenbund (2015) zu einem ausbalancierten Vorschlag für eine gesetzlich abgesicherte Wahlarbeitszeit aus. Er liefert das Grundkonzept für die verschiedenen gesetzlichen und tariflichen Regelungen über Wahlarbeitszeiten. Er will den Wünschen der Beschäftigten „nach einer individuellen Wahlarbeitszeit im Rahmen einer selbstbestimmten Erwerbsbiographie entsprechen, ohne die berechtigten betrieblichen, arbeitgeberseitigen Interessen sowie die Arbeitszeitsituation und Belastung aller anderen Arbeitnehmer:innen zu vernachlässigen“ (Deutscher Juristinnenbund, 2015, S. 4). Betriebe und Beschäftigte sollen ihre jeweiligen Arbeitszeitinteressen auf einer gesetzlich abgesicherten Basis durch „regulierte Selbstregulierung“ ausbalancieren.
Wahlmöglichkeiten bei der Dauer der Arbeitszeit
Gesetze
Einen Anfang mit verbrieften Ansprüchen auf optionale Arbeitszeiten machte der Gesetzgeber mit dem 2001 in Kraft getretenen Teilzeit- und Befristungsgesetz. Es räumt Beschäftigten einen Rechtsanspruch ein, von Voll- zu Teilzeit zu wechseln, nicht aber den Weg zurückzugehen oder die Stundenzahl wieder zu erhöhen. Insofern handelt es sich um eine Einbahnstraße mit lediglich eingeschränkter Optionalität.
Dieses Regelungsdefizit hat das 2019 in Kraft getretene Brückenteilzeitgesetz (teilweise) behoben. Mit arbeits-, gleichstellungs- und familienpolitischen Argumenten begründete der Gesetzgeber den Rechtsanspruch, befristet von Voll- zu Teilzeitarbeit wechseln und zur ursprünglich vereinbarten Arbeitszeit zurückkehren zu können (Deutscher Bundestag, 2018). Der Anspruch ist sachgrundlos;2 er gilt nicht in Betrieben mit weniger als 45 Beschäftigten und mit Einschränkung in Betrieben mit zwischen 46 und 200 Beschäftigten (Überforderungsklausel) (BMAS, 2019). Die Brückenteilzeit ist nicht beliebig wählbar, sondern sieht eine Mindestdauer von einem und eine Höchstdauer von fünf Jahren vor. Arbeitgebern ist ein Vetorecht zugesichert, sie können Anträge aus betrieblichen Gründen ablehnen.
Die Einführung des Gesetzes war umstritten. Die Arbeitgeberverbände lehnten die Regelungen ab, weil sie nach ihrer Auffassung den zweiseitigen Arbeitsvertrag durch den Anspruch auf befristete Teilzeit hin zu einem einseitig allein vom Arbeitnehmer frei gestaltbaren Vertragsverhältnis verschieben (Gesamtmetall, 2018). Außerdem befürchteten sie steigende Arbeitskosten, da verkürzte Arbeitszeiten bei gegebener Produktion und Produktivität nur durch erhöhten zusätzlichen Arbeitseinsatz (Überstunden, Leiharbeit, Neueinstellungen) zu kompensieren seien. Zudem sei mit einem erhöhten organisatorischen Aufwand zu rechnen.
Die Gewerkschaften unterstützten grundsätzlich den Anspruch der Beschäftigten auf kürzere Arbeitszeiten mit dem Recht auf Rückkehr zur Vollzeit. Sie sahen hierin einen wichtigen Schritt, die Arbeitszeiten an die jeweiligen Wünsche und Lebensbedingungen der Beschäftigten anpassen zu können. Sie sprachen sich jedoch gegen das Ablehnungsrecht der Arbeitgeber bei Vorliegen betrieblicher Gründe aus (DGB, 2018) und kritisierten den Schwellenwert von 45 Beschäftigten sowie die Zumutbarkeitsschwelle bei Unternehmen mit 46 bis 200 Beschäftigten (DGB, 2018).
Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge
Für weitere individuelle Zeitoptionen sorgten nach und nach verschiedene betriebliche und tarifliche Regelungen. Sie ergänzen die gesetzlichen Regelungen, da sie auch Betriebe mit weniger als 45 Beschäftigten erfassen, sofern diese tarifgebunden sind. Sie können aber nicht alle Regelungslücken schließen, da erstens Tarifverträge nur für etwa die Hälfte aller Beschäftigten gelten und zweitens in nur einigen Tarifbereichen optionale Arbeitszeiten verankern.
Bei den betrieblichen und tariflichen Modellen der Optionszeiten lassen sich zwei Varianten unterscheiden (Seifert, 2019). Zum einen handelt es sich um individuelle Möglichkeiten, bei den tariflichen Branchenabschlüssen zwischen mehr Geld oder mehr freier Zeit wählen zu können und zum anderen um die Option, die tarifliche Regelarbeitszeit – ähnlich wie beim Brückenteilzeitgesetz – für einen bestimmten Zeitraum zu verringern. Im ersten Fall bleibt das nominale Einkommen stabil, die Beschäftigten verzichten zugunsten verkürzter Arbeitszeit auf einen ansonsten möglichen Einkommenszuwachs, gewinnen Zeit- statt Geldwohlstand; im zweiten Fall sinkt das Einkommen proportional zur gewählten Arbeitszeit mit möglicherweise einschneidenden Auswirkungen auf das Konsumverhalten.
Zu den Pionieren der Wahlarbeitszeit gehört das tarifvertraglich nicht gebundene Maschinenbau-Unternehmen Trumpf (Trumpf, 2025). Seit 2011 bietet eine Betriebsvereinbarung, die die weitere Diskussion über Wahlarbeitszeiten angestoßen hat, Beschäftigten einen Anspruch, selbst zu bestimmen, wie lange sie arbeiten wollen. Für ein oder zwei Jahre können sie eine wöchentliche Arbeitszeit zwischen 15 und 40 Stunden wählen. Sie müssen sich mit ihrer Führungskraft abstimmen und ihre Wahlarbeitszeit festlegen. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit können sie zur vertraglich vereinbarten Basisarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden zurückkehren oder neu über eine Verkürzung entscheiden. Eine Klausel schränkt ein, dass bei der Bewilligung der Anträge betriebliche Belange zu beachten sind.
Diesem Modell folgten zahlreiche Tarifverträge mit verbrieften Zeit-Geld-Optionen für Beschäftigte. Betriebe haben keinen direkten Zugriff auf deren Wahlentscheidung. Für Beschäftigte bedeutsam ist, dass die tarifliche Regelarbeitszeit als zentrale Bezugsgröße (für Einkommen, Belastungen, Sozialversicherung usw.) erhalten bleibt. Zu den beiden Varianten gehören vor allem folgende Vereinbarungen.
- Lohnerhöhung oder mehr freie Zeit
- Den Anfang machte die 2016 getroffene und 2018 wiederholte Vereinbarung für den Bahnsektor (Lohnerhöhung jeweils um 2,6 % oder sechs Tage mehr Urlaub oder eine Stunde kürzere Arbeitszeit pro Woche).
- Ähnliche Regelungen folgten für Lokführer im Schichtdienst (Wahl zwischen der 39-Stundenwoche bei Lohnerhöhung um 2,7 % oder 38 Stunden bei konstantem Entgelt oder zusätzlichem Erholungsurlaub von sechs Tagen (GDL, 2025)).
- Bei der Deutschen Post AG wurde ein Tarifvertrag geschlossen, der Entgelterhöhung in zwei Stufen um 3 bzw. 2,1 % oder eine Entlastungszeit von 60 bzw. 42 Stunden pro Jahr vorsieht.
- Ein Tarifvertrag für die metallverarbeitende Industrie (2018) sichert Beschäftigten, die Kinder erziehen, Angehörige pflegen oder in Schicht arbeiten, das „Tarifliche Zusatzgeld“ (T-ZUG) oder optional bis zu acht zusätzliche freie Tage im Jahr (IG Metall, 2025).
- Ein „individueller Zukunftsbetrag“ (IGBCE, 2019) für die chemische Industrie (2019) ermöglicht eine Wahl zwischen 23 % eines tariflichen Monatsentgelts oder fünf freien Tagen.
- Eine innovative Variante bietet ein Manteltarifvertrag in der Metallindustrie in Norddeutschland (2024), per Betriebsvereinbarung festzulegen, Zuschläge für Nachtarbeit entweder in Geld oder entsprechender Freizeit zu vergüten.
- Zu den Optionen, die tarifliche Regelarbeitszeit für einen bestimmten Zeitraum individuell bis auf spezifizierte Grenzwerte verkürzen zu können, gehören
- der Tarifvertrag von 2018 für den Bereich der chemischen Industrie Ost („Potsdamer Modell“) mit einer individuellen Wahlarbeitszeit zwischen 40 und 32 Wochenstunden für einen befristeten Zeitraum,
- der Tarifabschluss 2018 in der Metallindustrie mit einem Rechtsanspruch der Beschäftigten auf „verkürzte Vollzeit“ zwischen 35 und 28 Stunden für sechs bis 24 Monate. Danach kehrt die Arbeitszeit automatisch auf Vollzeit zurück oder Beschäftigte stellen einen Folgeantrag. Nur in begründeten Fällen kann der Arbeitgeber den Antrag ablehnen, etwa wenn bereits 18 % der Belegschaft in verkürzter Voll- und Teilzeit arbeiten.
Die Gruppe der erstgenannten Modelle bietet wesentlich weniger Spielraum für eine Variation der Arbeitszeit als die Alternativmodelle. Die Arbeitszeit kann lediglich kleinschrittig um einige Tage oder etwa 4 bis 5 % der Jahresarbeitszeit verkürzt werden gegenüber um bis zu 20 % im zweiten Fall. Noch größere Zeitvariationen erlaubt das Brückenteilzeitgesetz, das auf eine Untergrenze verzichtet.
Es gibt aber auch tarifliche Vereinbarungen, die individuelle Arbeitszeit zu verlängern. Ab Beginn 2026 können Beschäftigte im öffentlichen Dienst des Bundes oder der Kommunen, sofern der Arbeitgeber zustimmt, die wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden auf 42 Stunden erhöhen (Öffentlicher Dienst Info, 2025). Es gilt das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit; weder Mitarbeiter noch Arbeitgeber können allein die Arbeitszeiterhöhung durchsetzen. Arbeitsstunden, die über die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigten hinausgehen (Erhöhungsstunden), werden mit einem nach der Höhe der Eingruppierung gestaffelten Zuschlag zwischen 10 % und 25 % vergütet.
Inanspruchnahme
Noch fehlt eine Gesamtübersicht über die Inanspruchnahme der Optionszeiten. Wie erste Untersuchungen zeigen, nutzen Beschäftigte die Wahlmöglichkeiten des Brückenteilzeitgesetzes bislang eher zögerlich. Ohnehin sind nur knapp zwei Drittel überhaupt anspruchsberechtigt, da der Gesetzgeber Betriebe mit weniger als 45 Beschäftigten ausgeklammert hat. Mitte 2022 befanden sich nach einer repräsentativen Betriebsbefragung 0,5 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in 1,9 % aller Betriebe in Brückenteilzeit (Hohendanner & Wanger, 2023). Eine andere, zwischen September 2023 und Februar 2024 durchgeführte, allerdings nicht repräsentative Erhebung zeigt, dass in 13,6 % der Betriebe mit 50 und mehr Beschäftigten die Brückenteilzeit genutzt wird (Kümmerling & Rinke, 2025). Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme steigt mit dem Anteil weiblicher Beschäftigter; Frauen entscheiden sich trotz bereits hoher Teilzeitquote häufiger für eine befristete Verringerung der Arbeitszeit als Männer. Außerdem wird die Brückenteilzeit eher in größeren, zudem tarifgebundenen Betrieben mit einem Betriebsrat genutzt (Hohendanner & Wanger, 2023). Unbekannt ist, inwieweit die Beschäftigten über die ihnen per Gesetz zustehenden Wahlmöglichkeiten überhaupt informiert sind.
Bei den tariflichen Vereinbarungen favorisiert die Mehrheit der Beschäftigten nach bisherigen Erfahrungen die Zeitoption. Nach einer nicht repräsentativen Befragung in Betrieben mit Wahlarbeitszeiten optierten gut 59 % der Anspruchsberechtigten für kürzere Arbeitszeiten, 34 % für die Geldoption und 6 % für eine Kombination aus beiden Faktoren (Ruf et al., 2024). Bei der Deutschen Post AG wählten 2023 87 % mehr Freizeit (Entlastungszeit) (ver.di, 2025). Im Bereich der Metallindustrie hat nach Erkenntnissen der IG Metall eine deutlich höhere Zahl der Beschäftigten für kürzere Arbeitszeiten als für mehr Geld optiert.3 Ähnlich fällt die Entscheidung bei den Beschäftigten der Deutschen Bahn aus: 39 % sind für mehr freie Tage, 31 % sprechen sich für mehr Geld aus und 28 % sind für eine Kombination beider Faktoren (EVG, 2020). Bei den Lokführern spricht sich dagegen eine deutliche Mehrheit für mehr Geld aus (GDL, 2025).
Vor- und Nachteile
Da Wahlarbeitszeiten empirisch bislang nur rudimentär ausgeleuchtet sind, bleibt nur abzuwägen, welche Vor- und Nachteile sie für Betriebe und Beschäftigte bieten. Beschäftigten verspricht das Prinzip der Freiwilligkeit, dass Wahlarbeitszeiten gute Chancen bieten, ihre Zeitwünsche zu realisieren oder ihnen zumindest nahezukommen. Vorteilhaft ist vor allem, dass sie offen für Änderungen gegenüber im Lebensverlauf sich wandelnden Zeit-Geld-Präferenzen und veränderten Familien- und Lebensbedingungen sind. Auch können sie, wie die Entlastungszeiten bei der Deutschen Post AG, dem Gesundheitsschutz dienen. Damit können sie zugleich dem Arbeitgeber nutzen, indem sie gesundheitliche Risiken mindern, Krankheitszeiten und -kosten senken sowie einen längeren Verbleib im Erwerbsleben ermöglichen.
Abzuwarten bleibt, wie wechselnde wirtschaftliche Lagen die Nutzung der Zeitoptionen durch die Beschäftigten beeinflussen. Denkbar ist, dass in wirtschaftlich unsicheren Phasen Beschäftigte eher zurückhaltend gegenüber kürzeren Arbeitszeiten mit Einkommensverzicht reagieren. Bei einem möglichen Arbeitsplatzverlust müssten sie ansonsten mit einem geringeren Arbeitslosengeld rechnen. Unklar ist ferner, ob und wie sich die Inanspruchnahme von Zeitoptionen auf die berufliche Karriere auswirkt. Der Wechsel zu kürzeren Arbeitszeiten könnte als Signal mangelnden betrieblichen Engagements interpretiert werden.
Noch fehlen gesicherte Erkenntnisse, wie Betriebe bei sich ändernder Nachfrage nach Arbeit auf die Zeitwünsche der Beschäftigten reagieren. Zeitkonflikte sind denkbar, wenn die Wünsche der Beschäftigten nicht mit den Arbeitsbedarfen der Betriebe übereinstimmen. Das kann bei wechselnden Auftrags- und Konjunkturlagen der Fall sein, wenn z. B. die Betriebe wegen gestiegener Nachfrage zusätzlichen Bedarf an Arbeit haben, Beschäftigte aber für kürzere Arbeitszeiten votieren. Individuell verkürzte Arbeitszeiten können den Mangel an Arbeitskräften verschärfen, die Arbeitskosten erhöhen, wenn die Betriebe kompensierend mit zuschlagspflichtigen Überstunden oder Neueinstellungen (Rekrutierungskosten) reagieren müssen. Optionale Arbeitszeiten können zudem einen erhöhten Aufwand bei der Personaleinsatzplanung bedeuten, da die Dauer der Arbeitszeiten individualisierter, fragmentierter und unübersichtlicher wird. Das kann die Koordination von Schichtplänen erschweren, dürfte aber mit Hilfe elektronischer Schichtplangestaltung lösbar sein. Generell fehlen bislang Erkenntnisse, wie mögliche Zeitkonflikte gelöst werden. Werden sich Betriebe mit Verweis auf das Vetorecht der betrieblichen Belange durchsetzen können?
Betriebe können aber auch profitieren, wenn Beschäftigte zufriedener mit ihren Arbeitszeiten sind, Fehlzeiten abnehmen und die Arbeitsproduktivität zulegt. Flexible Arbeitszeiten gelten außerdem als besonders geschätzter Arbeitnehmer-Anreiz, wenn es für Betriebe darum geht, ihre Wettbewerbsposition am Markt bei der Suche nach Fachkräften zu verbessern (Randstad, 2025).
Fazit und Perspektiven
Das Tor zu optionalen Arbeitszeiten hat sich geöffnet. Angesichts verbreiteter Wünsche der Beschäftigten, Arbeitszeit und Einkommen an sich wechselnde Lebenslagen und -bedingungen anpassen zu können (BAuA, 2018; Ruf et al., 2024), sind Gewerkschaften und Staat gefordert, den Kurs zu weiteren Wahlarbeitszeiten fortzusetzen und bestehende Regelungslücken zu schließen. Allerdings können Tarifverträge wegen ihrer begrenzten Deckungsrate die unzureichende Reichweite des Brückenteilzeitgesetzes nur partiell kompensieren, adressiert wäre der Gesetzgeber.
Aber selbst, wenn man die Anspruchsgrundlagen auf alle Beschäftigte ausdehnen würde, wäre lediglich limitierte Optionalität erreicht. Denn noch fehlen Wahlmöglichkeiten für jene Beschäftigte, die ihre kurzen Arbeitszeiten gerne aufstocken, von Minijobs zu längerer Teilzeitarbeit oder von dieser zu Vollzeit wechseln möchten, wie es das vom Deutschen Juristinnenbund (2015) vorgeschlagene Wahlarbeitszeitgesetz fordert.
Optionen machen die Garantiefunktion der Normal- oder Regelarbeitszeit nicht obsolet, im Gegenteil. Die vereinbarten Optionsmodelle geben die Arbeitszeit nicht völlig frei, sie spezifizieren einen Rahmen für Optionalität. Tarifverträge bzw. Betriebsvereinbarungen markieren Ober- und Untergrenzen für ein Wahlintervall. Es bietet einerseits Schutz vor dauerhaft überlangen, die Gesundheit gefährdenden und die Teilhabe am sozialen Leben einschränkenden Arbeitszeiten; zugleich definiert es eine Grenze für zuschlagspflichtige und mitbestimmte Überstunden. Andererseits garantiert es auch eine Mindestarbeitszeit und Ansprüche auf ein hierauf bezogenes Mindesteinkommen, das ebenfalls nicht unterschritten werden darf.
Sollten Gesetzgeber und Gewerkschaften den Weg optionaler Zeitgestaltung fortsetzen, stellt sich die generelle Frage, ob er letztlich eine Alternative zu den traditionell verfolgten kollektiven Arbeitszeitverkürzungen darstellt. Jedenfalls sind derzeit, abgesehen von der noch ausstehenden Angleichung der ost- an die westdeutschen Arbeitszeiten, keine weiteren Impulse zu tariflichen Arbeitszeitverkürzungen zu erkennen.4 Denkt man die Politik optionaler Arbeitszeiten konsequent weiter, dann erscheint es plausibel, dieser Frage zuzustimmen. Denn wenn Beschäftigte, wie es ökonomische Lehrbücher nahelegen (Cahuc et al., 2014), je nach ihren Zeit-Geld-Präferenzen und sonstigen Lebensbedingungen die Dauer ihrer Arbeitszeiten wählen und diese bei Bedarf auch wieder ändern können, warum sollten sie dann erstens für allgemeine Verkürzungen der Arbeitszeiten votieren, da diese als einheitliche Werte für einen ganzen Tarifbereich vermutlich längst nicht die individuellen Zeitvorstellungen aller Beschäftigten treffen dürften? Und warum sollten sie zweitens auf die Möglichkeit verzichten, ihre Arbeitszeiten im Verlauf des Arbeitslebens bedarfsgerecht variieren, verkürzen und auch wieder verlängern zu können? Denn Reversibilität ist ein unbestreitbarer Vorzug der meisten Wahlarbeitszeiten. Hinzu kommt, dass tarifliche Arbeitszeitverkürzungen gegenüber Wahlarbeitszeiten deutlich kleinschrittiger ausfallen5, weniger spürbar Zeitdiskrepanzen verringern, weniger den Zeitwohlstand mehren und deshalb die Zeitwünsche der Beschäftigten weniger genau erfüllen können.
Was aus individueller Sicht vorteilhaft erscheint, kann aus globaler beschäftigungspolitischer Perspektive nachteilig sein. In dem Maße, wie sich Wahlarbeitszeiten ausbreiten und kollektive Arbeitszeitverkürzungen ersetzen, schwinden die Möglichkeiten, kollektivvertraglich auf die Knappheitsverhältnisse am Arbeitsmarkt einzuwirken oder andere gesamtgesellschaftliche Ziele wie Belastungsminderungen durchzusetzen. Unter derartigen Vorzeichen dürfte es für Gewerkschaften schwieriger werden, ähnlich wie in den 1980er Jahren zur Verringerung der Arbeitslosigkeit für kollektive Arbeitszeitverkürzungen erfolgreich zu mobilisieren und konfliktorische Tarifverhandlungen zu bestehen. Forderungen nach generellen Arbeitszeitverkürzungen dürften entweder ins Leere laufen, weil Beschäftigte ihre Wunscharbeitszeiten längst realisieren können, oder diese wegen einer stärkeren Geldpräferenz ablehnen.
- 1 Ansprüche, die Dauer der Arbeitszeit zu variieren, bieten auch die Gesetze über Bildungsurlaub, Bundeserziehungsgeld, Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit. Sie sind jedoch kontextgebunden und setzen bestimmte Sachgründe, wie Pflege- oder Betreuungsverpflichtungen, voraus. Ausgeklammert bleiben ferner spezifische tarifliche Regelungen, die älteren Beschäftigten mit Schichtarbeit Möglichkeiten zu verkürzten Arbeitszeiten (mit teilweisem Lohnausgleich) eröffnen.
- 2 Demgegenüber setzt der im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes verankerte Anspruch auf Teilzeitarbeit die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen voraus.
- 3 Der Anteil lässt sich wegen fehlender Angaben über die Zahl der jeweils Anspruchsberechtigten nicht quantifizieren.
- 4 Seit einiger Zeit ist zwar eine Diskussion über eine Viertagewoche aufgekommen, die Gewerkschaften haben sie aber nicht zum Ziel ihrer aktuellen Tarifpolitik gemacht. So hat die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, die Einführung der Viertagewoche als nicht kurzfristiges Ziel bezeichnet (Frankfurter Allgemeine, 2025).
- 5 Die Verkürzungen der tariflichen Arbeitszeit seit Mitte der 1980er Jahre lagen jeweils bei höchstens 1,5 Stunden pro Woche oder 3,75 %.
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