Die im März 2025 beschlossenen Änderungen bei der Schuldenbremse eröffnen erhebliche zusätzliche Kreditfinanzierungsspielräume. Allerdings muss die deutsche Finanzpolitik nicht nur die Regelgrenzen des Grundgesetzes beachten. Auch die europäischen Vorgaben im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes beschränken die Möglichkeiten für eine Schuldenfinanzierung. Daher droht mit der Lockerung der Schuldenbremse, dass Deutschland, wie schon zu Beginn der Währungsunion, stärker in den Konflikt mit den EU-Vorgaben gerät. Vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzplanung diskutiert der Beitrag im Einzelnen, welche zusätzlichen Kreditspielräume nun bestehen, was die Konsequenzen für die Entwicklung der Schuldenquote sind, und ob und inwiefern ein Konflikt mit den EU-Vorgaben droht. Abschließend werden Möglichkeiten diskutiert, die Einhaltung der Vorgaben dennoch im Rahmen der Haushaltsüberwachung abzusichern.
Die Schaffung der gemeinsamen Währung in Europa wurde verbunden mit der Vereinbarung, dass die Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten engen Grenzen für die öffentliche Verschuldung unterliegen würden. Hierzu wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) geschlossen. Er soll verhindern, dass die Mitgliedsländer sich übermäßig in der gemeinsamen Währung verschulden und auf diese Weise die Unabhängigkeit der Geldpolitik und die Stabilität des Euro gefährden.
Deutschland startete in die Währungsunion mit einer Schuldenregel, die vorsah, dass die Kreditaufnahme des Bundes die Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten darf – soweit eine gesamtwirtschaftliche Normallage gilt. Diese Regelung zur Begrenzung der Verschuldung erwies sich als unwirksam. Kaum war die Währungsunion beschlossen, verletzte Deutschland zunächst das Defizitkriterium des SWP, also die Vorgabe, dass das gesamtstaatliche Defizit einen Wert von 3 % der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) nicht überschreitet. In der Folge stiegt dann auch die Schuldenquote über den Grenzwert von 60 % des BIP.
Die Rückführung der Verschuldung gelang erst mit der Einrichtung der Schuldenbremse. Sie war von CDU/CSU und SPD im März 2009 mit dem Ziel in den Bundestag eingebracht worden, „[…] im Einklang mit den Vorgaben des reformierten europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes die institutionellen Voraussetzungen für die Sicherung einer langfristigen Tragfähigkeit der Haushalte von Bund und Ländern zu verbessern‘‘ (Bundestag, 2009, S. 1). Sie orientierte sich dabei eng an der Vorgabe des im Jahr 2005 reformierten SWP, der ein strukturelles Defizit von höchstens 0,5 % des BIP vorsah. Die Schuldenbremse deklinierte diese Regel für die Rechtsträger weiter durch und leitete daraus ab, dass der enge Verschuldungsspielraum ausschließlich vom Bund genutzt werden durfte, wobei die Grenze mit 0,35 % des BIP angesetzt war. Obwohl Defizite in Extrahaushalten der Länder und bei Kommunen und Sozialversicherungen außen vor blieben, war die Einhaltung der europäischen Vorgaben weitgehend abgesichert. In der Folge sank die Schuldenquote und konnte am Vorabend der Coronapandemie erstmals wieder unter die europäische Regelgrenze von 60 % geführt werden.
Die nun beschlossenen Änderungen des Grundgesetzes durchlöchern die Bremswirkung der Schuldenregeln des Grundgesetzes an drei Stellen:
- Die Kreditfinanzierung für Verteidigungsausgaben von über 1 % der Wirtschaftsleistung wird von der Schuldenbremse ausgenommen.
- Es wird ein Sondervermögen für Infrastruktur mit eigener Kreditermächtigung eingerichtet, dessen Defizite nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.
- Die Länder bekommen einen Verschuldungsspielraum von 0,35 % des BIP eingeräumt.
Dass der Bundestag die in der Schuldenbremse angelegte Beschränkung der Finanzpolitik lockert, ist aus Sicht der politischen Ökonomie nachvollziehbar. Schließlich werden die finanziellen Spielräume für die Politik dadurch kurzfristig erweitert. Die zusätzlichen finanziellen Lasten erscheinen demgegenüber zunächst überschaubar, obschon dies nach David Ricardos berühmten Lehrsatz letztlich eine Illusion ist. Auch die für eine Grundgesetzänderung erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kammern zu sichern, ist offenbar keine Hürde, solange die beteiligten politischen Parteien im Bund oder in den Ländern aktuell Regierungsverantwortung übernehmen oder eine solche erwarten, und von den zusätzlichen Spielräumen daher profitieren. Allerdings muss die deutsche Finanzpolitik nicht nur die Regelgrenzen des Grundgesetzes und weiterer nationaler Gesetze beachten. Auch die europäischen Vorgaben beschränken die Möglichkeit der Schuldenfinanzierung. Daher droht mit der Lockerung der Schuldenbremse, dass Deutschland, wie schon zu Beginn der Währungsunion, stärker in den Konflikt mit den EU-Vorgaben gerät. Dies hätte potenziell weitreichende Folgen für die Geldwertstabilität.
Finanzierungsspielräume der aktuellen Finanzplanung
Im Zuge von Corona- und Energiekrise wurde die Verschuldung unter Bezug auf die Notlagen erheblich ausgeweitet. Bis zum Jahr 2024 war die Schuldenquote wieder rückläufig. Trotz der faktischen Beendigung der Notlagen1 sieht sich die deutsche Finanzpolitik indes für den Zeitraum der letzten Finanzplanung des Bundes, also für die Jahre von 2025 bis 2028, nicht in der Lage, die europäischen Vorgaben wieder einzuhalten. Linie 1 in Abbildung 1 zeigt die derzeit angelegte Entwicklung der Schuldenquote. Ausgehend von einem Wert von 62,5 % im Jahr 2024 ist ein leichter Anstieg auf einen Wert von rund 63 % zu erwarten.2
Abbildung 1
Schuldenquote: rechnerische Projektion gemäß Finanzplanung
Schuldenquote in % des BIP

Quelle: eigene Berechnungen.
Die Entwicklung der Schuldenquote auf Basis der fortgeschriebenen Haushaltsprojektion entspricht nicht den Vorgaben, die der mittelfristige finanzpolitisch-strukturelle Plan (FSP) erfüllen muss. Er ist das zentrale Element der europäischen Haushaltsüberwachung im Rahmen des im Jahr 2024 erneut reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Art. 7 verlangt, dass die projizierte öffentliche Schuldenquote bei einem Ausgangswert zwischen 60 % und 90 % um einen durchschnittlichen jährlichen Mindestsatz von 0,5 Prozentpunkten des BIP sinkt.3
Die gezeigte Entwicklung der Schuldenquote reflektiert die erwarteten Defizite in den Teilhaushalten. So sind in der Finanzplanung etwa bei den Kommunen und den Sozialversicherungen Defizite von jeweils rund 0,25 % des BIP verzeichnet. Hinzu treten Defizite aufgrund der Kreditaufnahme des Sondervermögen Bundeswehr. Schließlich sind in der Finanzplanung Defizite beim Bundeshaushalt angelegt, die die Obergrenzen der Schuldenbremse übersteigen.
Vor dem Hintergrund der Verfehlung der Vorgaben hat Deutschland die Frist zum Einreichen des FSP bei der Europäischen Kommission Mitte Oktober 2024 verstreichen lassen und lediglich die zweijährige Haushaltsplanung eingereicht. Auch der hier enthaltene kürzere finanzpolitische Ausblick auf die Jahre 2024 und 2025 genügt indes nicht den europäischen Anforderungen (EC, 2024).
Um die Vorgaben bis zum Jahr 2028 einzuhalten, wären entweder eine Konsolidierung um jährlich rund 25 Mrd. Euro oder Maßnahmen zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums erforderlich. Fokussiert man nur auf die Wirtschaftsleistung im Nenner der Schuldenquote, müsste die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate um jährlich 1 Prozentpunkt höher ausfallen.
Finanzierung des zusätzlichen Verteidigungsbedarfs
Der Bundestag stellt in seinen Beschlüssen zur Änderung des Grundgesetzes eine gravierende Verschlechterung der äußeren Sicherheit fest und fordert vor diesem Hintergrund erhebliche Mehrausgaben für die Verteidigung. Angesichts der bereits bestehenden Finanzierungslücken in der Finanzplanung und des Unvermögens, die EU-Regeln einzuhalten, steht indes die Frage im Raum, wie ein deutlicher Aufwuchs der Verteidigungsausgaben regelkonform finanziert werden kann.
Durch die Änderung des Grundgesetzes werden Kredite zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben, soweit diese 1 % des BIP übersteigen, nicht auf die Regelgrenze der Schuldenbremse des Bundes angerechnet. Zwar führt diese Regelung insofern zu zusätzlichen Finanzierungsspielräumen, als die geplanten Ausgaben für Verteidigung derzeit bereits 1 % des BIP übersteigen.4 Allerdings ist zu beachten, dass die Verteidigungsausgaben in der Finanzplanung nicht ausfinanziert sind. Dies gilt insbesondere für das Jahr 2028, in dem die Mittel des Sondervermögen Bundeswehr voraussichtlich aufgebraucht sein werden und die Verteidigungsausgaben im Bundeshaushalt nach der Finanzplanung ausgeweitet werden sollen, um das 2 % Nato-Ziel einzuhalten.
Wenn zugleich die haushaltspolitischen Handlungsbedarfe in der Finanzplanung aufgelöst werden, würde die Ausnahme des Teils der bereits geplanten Verteidigungsausgaben, der 1 % des BIP übersteigt, nicht zu einer weiteren Ausweitung der Defizite führen (Abbildung 1, Linie 2). Zwar könnte man fordern, dass die Finanzpolitik die bestehenden Handlungsbedarfe auflöst, unabhängig davon, ob eine Verschlechterung der nationalen Sicherheitslage eingetreten ist. Dies würde es indes erforderlich machen, durch geänderte Prioritäten und entsprechende Umschichtungen im Haushalt zeitnah Finanzmittel für die Verteidigung zu schaffen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Finanzplanung noch weitere Lücken aufweist, etwa überhöhte globale Minderausgaben (GMA).5 Angesichts der Zielsetzung der grundgesetzlichen Änderung, die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit kurzfristig zu steigern, erscheint der gewählte Ansatz von 1 % der Verteidigungsausgaben daher nachvollziehbar.
Jetzt können zusätzliche Mittel für die Verteidigung mobilisiert werden, ohne hierfür im Haushalt zu priorisieren oder Abgaben zu erhöhen. Es resultiert eine hohe Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, weil die Nutzung der Ausnahme künftig mit einfacher parlamentarischer Mehrheit erfolgen kann. Dass die Regelung quantitativ und zeitlich unbegrenzt ist, kann sicherheitspolitisch als starkes Signal der Handlungsfähigkeit gewertet werden – unabhängig davon, ob und in welchem Umfang die Spielräume genutzt werden.
Die ökonomische Theorie liefert eine normative Rechtfertigung dafür, zur Finanzierung eines erheblichen akuten Mehrbedarfs auf die Kreditaufnahme zurückzugreifen, um die Finanzierungslast dann über einen längeren Zeitraum zu verteilen. Allerdings darf die Verschuldung nicht unbegrenzt wachsen und muss zumindest im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dann auch wieder zurückgeführt werden, um die Finanzierungsspielräume für künftige Risiken wieder zu erweitern. Die öffentliche Verschuldung ermöglicht es zwar, Finanzierungslasten auf der Zeitachse zu verschieben. Sie ist aber kein originäres Finanzierungsinstrument. Ein kontinuierlicher Aufwuchs der Verschuldung bindet über steigende Zinsausgaben immer mehr Steuereinnahmen und kann ab einem gewissen Punkt die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und dann auch wieder die verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit beeinträchtigen. Diese ökonomischen Grenzen sind bei der Nutzung der neuen Kreditermächtigung zu beachten.
Werden die Verteidigungsausgaben um 1 % des BIP erhöht, ist eine Überforderung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen mittelfristig nicht zu befürchten. Abbildung 2 zeigt für dieses Szenario die Entwicklung der Schuldenquote ausgehend von einer rechnerischen Projektion bis zum Jahr 2030 (Linie 2). Unterstellt ist, dass der in der Finanzplanung angelegte Handlungsbedarf aufgelöst und die Verteidigungsausgaben um 1 % des BIP erhöht werden, was erforderlich wäre, um eine Nato-Quote von über 3 % zu erfüllen, wie sie von dem Nato-Generalsekretär als Zielgröße in den Raum gestellt wurde. Die Schuldenquote würde demgemäß im Jahr 2030 bei 67,2 % liegen. Im Vergleich zum Referenzszenario (Linie 1) ergäbe sich ein Anstieg der Schuldenquote um 8,2 %.
Abbildung 2
Schuldenquote: Anstieg der Verteidigungsausgaben um 1 % des BIP
Schuldenquote in % des BIP

Quelle: eigene Berechnungen.
Allerdings sind auch die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu beachten. Dies ist besonders wichtig, weil die finanzpolitische Stabilität in Deutschland und Europa eine notwendige Voraussetzung dafür ist, die vom Bundestag festgestellten sicherheitspolitischen Herausforderungen zu bewältigen. In der Gesetzesbegründung für die Änderung des Grundgesetzes wurde festgestellt, dass die Ausübung der Ermächtigung im Rahmen der europäischen Fiskalregeln zu erfolgen hat. Für die Bewertung ist daher zu unterscheiden zwischen den rechnerischen Spielräumen, die durch die vorgeschlagene Änderung eröffnet werden, und den tatsächlichen Spielräumen für die Finanzpolitik im Rahmen der EU-Vorgaben.
Die europäischen Fiskalregeln fordern angesichts der Höhe der aktuellen Schuldenquote zwar grundsätzlich einen Rückgang der Verschuldung (siehe oben). Unter besonderen Umständen kann ein Mitgliedstaat allerdings von dieser Vorgabe abweichen. Die EU-Kommission hat bereits signalisiert, dass sie eine Verfehlung der EU-Vorgaben für die Verschuldung aufgrund eines Aufwuchses der Verteidigungsausgaben unter Verweis auf Art. 26 des reformierten SWP akzeptieren wird und angekündigt, darauf zu achten, dass die Anwendung der „nationalen Ausweichklauseln“ europaweit auf eine kontrollierte, zeitlich begrenzte und koordinierte Weise erfolgt. Tatsächlich ist die Ausnahmeregel temporär angelegt. Ihre Nutzung ist zudem an die Bedingung geknüpft, dass die Tragfähigkeit der Verschuldung nicht gefährdet werden darf. Bei einer anhaltenden Bedrohungslage wird daher finanzpolitisch mittelfristig gegenzusteuern sein.
Sondervermögen für Infrastruktur
Die Ausnahme der Kreditfinanzierung der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse wurde verbunden mit der Einrichtung eines Sondervermögens mit eigener Kreditermächtigung für Investitionen. Die hiermit verbundene Ausnahme der Kreditfinanzierung für Investitionen entspricht von der Zielsetzung her verschiedenen Reformvorschlägen zur Schuldenbremse. So hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen, die Verschuldungsspielräume unter den Regelungen der Schuldenbremse für „zukunftsgerichtete Ausgaben“ zu erweitern (SVR, 2024, Zf. 202). Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWK hat sich für erweiterte Kreditspielräume für schuldenfinanzierte Nettoinvestitionen ausgesprochen (Wissenschaftliche Beirat, 2023) und die Bundesbank hat in ihrem jüngst vorgelegten Reformvorschlag angeregt, die Kreditspielräume für Sachinvestitionen zu erweitern (Bundesbank, 2025). Alternativ sieht die Bundesbank die Möglichkeit, hierfür ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung einzurichten.
An diesen Vorschlägen zur Änderung der Schuldenbremse gibt es aus ökonomischer Sicht vieles zu kritisieren. Die Regelungen der Schuldenbremse sollen die Verschuldung begrenzen. Überfrachtet man sie mit der Zielsetzung, dass sie auch noch die staatliche Investitionstätigkeit anregen sollen, geht die Bindungswirkung der Schuldenbremse verloren. Nettoinvestitionen sind als Konzept für die finanzpolitische Praxis völlig ungeeignet, da der Staat Abschreibungen auf seine Infrastruktur in aller Regel nicht erfasst. Zudem lösen Investitionen nicht strukturelle Probleme beim Management der Infrastruktur, die dazu führen, dass der Unterhalt und die Instandhaltung der staatlichen Infrastruktur vernachlässigt werden, was dann umfangreiche Ersatzinvestitionen erst erforderlich macht.
Im aktuellen Kontext ist zudem zu beachten, dass die deutsche Finanzpolitik die EU-Vorgaben derzeit nicht einhält. Die Bundesbank empfiehlt denn auch bei einer Schuldenquote über 60 % einen deutlich strikteren finanzpolitischen Kurs, bei dem eng begrenzte Kreditspielräume ausschließlich für die Investitionsfinanzierung genutzt werden dürfen, während Bund und Länder ansonsten beide strukturell ausgeglichene Haushalte vorlegen müssen.
Mit dem vorgeschlagenen Volumen von 500 Mrd. Euro würde das auf zwölf Jahre angelegte Sondervermögen eine jährliche Mittelbewilligung von Investitionen im Umfang von rund 42 Mrd. Euro ermöglichen. Sieht man davon ab, dass sich die Kreditaufnahme gegenüber den Bewilligungen aller Voraussicht nach verzögern wird, sind das rund 0,8 % der im Jahreswirtschaftsbericht vom Januar erwarteten Wirtschaftsleistung bzw. deren Fortschreibung im Zeitraum von 2025 bis 2036. Die Bundesbank hat ein etwas größeres Volumen von jährlich 0,9 % der Wirtschaftsleistung für mit den europäischen Vorgaben vereinbar eingeschätzt, wenn die Schuldenquote den Referenzwert von 60 % nicht übersteigt. Da die Schuldenquote derzeit aber über 60 % liegt, würde eine unbeschränkte Nutzung der Kreditspielräume des Sondervermögen Infrastruktur mit den EU-Schuldenregeln im Konflikt stehen, solange Bund- und Länder ihre Haushalte nicht ausgleichen.
Geht man der Einfachheit halber von einem jährlichen Anstieg der Defizite um 42 Mrd. Euro aus und legt die Entwicklung der Finanzplanung und der Wirtschaftsleistung der Jahresprognose vom Frühjahr zu Grunde, errechnet sich als Folge des neuen Sondervermögens ein Anstieg der Schuldenquote um rund 3,5 % bis zum Jahr 2028 (Abbildung 1, Linie 3). Dabei ist unterstellt, dass die wirtschaftliche Entwicklung gegenüber dem Jahreswirtschaftsbericht unverändert bleibt. Sollten die Infrastrukturinvestitionen die Wirtschaftsleistung deutlich erhöhen, würde die Schuldenquote weniger stark ansteigen.
Um einen weiteren Anstieg der Schuldenquote in den nächsten vier Jahren bei zusätzlicher Kreditaufnahme von insgesamt 168 Mrd. Euro abzuwehren, müsste die Wirtschaftsleistung in den nächsten vier Jahren aber überschlagsmäßig jährlich um rund 1,3 Prozentpunkte stärker steigen als in der Basisprojektion.6 Dies erscheint unrealistisch. Um zugleich die Entwicklung des Schuldenstandes gemäß der EU-Vorgaben von 62,5 % auf 60,5 % abzusenken, wäre sogar ein zusätzliches Wachstum von rund 2,4 Prozentpunkten jährlich erforderlich.
Vor diesem Hintergrund muss auch hier unterschieden werden zwischen den rechnerischen Spielräumen, die durch die vorgeschlagene Änderung der Finanzordnung eröffnet werden, und den Spielräumen, die im Rahmen der EU-Vorgaben bestehen. Je nach Art und Umfang der Inanspruchnahme müsste dann an anderer Stelle konsolidiert werden. Im Rahmen einer echten Wachstumsinitiative müsste man zudem auf solche Projekte fokussieren, die positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum und die langfristige Tragfähigkeit ausüben.
Lockerung der Schuldenbremse der Länder
Ungeachtet der sich abzeichnenden Schwierigkeiten, das Sondervermögen Infrastruktur im Rahmen der EU-Vorgaben zu nutzen und den erforderlichen Schuldenabbau auf den Weg zu bringen, wurde bei der Änderung des Grundgesetzes beschlossen, die Obergrenze für die Nettokreditaufnahme (NKA) der Länder von 0 % auf 0,35 % der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Wenn die Länder von dieser Regelung Gebrauch machen, steigt die konjunkturell bereinigte Kreditaufnahme von Bund- und Ländern auf 0,7 % des BIP. Folgt man den Einschätzungen der Bundesbank über die Spielräume bei den EU-Vorgaben, wäre dies bei einer jährlichen Kreditaufnahme von 0,8 % des BIP im Rahmen des Sondervermögen Infrastruktur selbst dann nicht mit den EU-Vorgaben vereinbar, wenn die Schuldenquote unterhalb von 60 % läge. Im derzeitigen Umfeld bestehen keinerlei Spielräume, da die Schuldenquote zurückgeführt werden muss – sieht man von zusätzlichen Schulden für die Verteidigung ab, die im Rahmen der Ausnahmeregelung regelkonform sein dürften.
Die Heraufsetzung der Obergrenze der NKA im Rahmen der Schuldenbremse der Länder würde für sich genommen einen Anstieg der Schuldenquote um rund 1,3 Prozentpunkte bis 2028 herbeiführen. Wenn die Finanzpolitik alle im Gesetzentwurf neu angelegten zusätzlichen Spielräume nutzen würde, und jährlich Defizite von 42 Mrd. im Sondervermögen Infrastruktur entstünden, ergäbe sich ein deutlicher Aufwuchs der Schuldenquote, selbst wenn die Verteidigungsausgaben gegenüber der Finanzplanung nicht geändert werden. Der Schuldenstand würde in diesem Szenario bis zum Jahr 2028 auf einen Wert von rund 68 % steigen (Abbildung 1, Linie 4).
Haushaltsüberwachung und Stabilitätsrat
Die beschlossenen Änderungen setzen den bereits mit der Einrichtung des Sondervermögen Bundeswehr eingeschlagenen Weg fort, durch Änderung des Grundgesetzes zusätzliche Kreditspielräume zu eröffnen. Schon vor den beschlossenen Änderungen war Deutschland daher nicht mehr in der Lage aufzuzeigen, wie es die Vorgaben des SWP erfüllen kann, obwohl die Bundesregierung und die meisten Bundesländer planten, die Regelgrenze der Schuldenbremse einzuhalten.
Auf absehbare Zeit werden nun künftig die EU-Vorgaben enger sein, als die Schuldenregeln des Grundgesetzes. Die deutsche Finanzpolitik muss daher einen anderen Weg finden, die Nutzung der Kreditspielräume so zu begrenzen, dass die Vorgaben des SWP eingehalten werden. Dabei zeigen die aktuellen Schwierigkeiten bei der Einhaltung der EU-Vorgaben und deren Überwachung, dass die bestehenden finanzpolitischen Institutionen schon bisher den europäischen Anforderungen nicht entsprechen.
Bund und Länder sind ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur nationalen Haushaltsüberwachung im Stabilitätsrat in der Vergangenheit verschiedentlich nicht nachgekommen. Der Stabilitätsrat sah sich zuletzt nicht in der Lage, Empfehlungen auszusprechen, die die Einhaltung der europäischen Vorgaben gewährleistet hätten. Das ist aus der Perspektive der politischen Ökonomie nicht überraschend. Denn der Stabilitätsrat besteht aus den Finanzministerinnen und Finanzminister des Bundes und der Länder und dem Bundeswirtschaftsminister. Sie müssen sich hier gleichsam selbst überwachen, verantworten aber zugleich die Finanzpolitik, die den Konflikt mit den europäischen Vorgaben erst verursacht. Eine unabhängige Fiskalinstitution, die diese Lücke bei der Haushaltsüberwachung füllen könnte, gibt es in Deutschland anders als in anderen europäischen Ländern nicht. Der unabhängige Beirat des Stabilitätsrats übernimmt lediglich eine beratende Rolle. Dieses institutionelle Design war für die Jahre bis 2019 unproblematisch, weil die Schuldenbremse die Einhaltung der europäischen Vorgaben verlässlich absicherte.
Bei der weiteren Umsetzung der grundgesetzlichen Änderungen ist daher das institutionelle Design der Haushaltsüberwachung zu überarbeiten. Der Stabilitätsrat hat bereits angekündigt, die Regelungen zur länderspezifischen nationalen Fiskalregel im Sinne der EU-Haushaltsrahmenrichtlinie zu ändern. Derzeit gilt noch die Vorschrift des Haushaltsgrundsätzegesetzes (HGrG), wonach die gesamtstaatliche Verschuldung nach Bereinigung um konjunkturelle Effekte 0,5 % der Wirtschaftsleistung nicht übersteigen darf. Die anstehende Neuregelung des HGrG muss nun genutzt werden, die Haushaltsüberwachung neu zu strukturieren und in einen Prozess einzubinden, der sicherstellt, dass die erweiterten haushaltsrechtlichen Spielräume für die Kreditaufnahme so eingesetzt werden, dass die europäischen Vorgaben stets eingehalten werden. Künftig wäre neben der allgemeinen Überwachung der Einhaltung der europäischen und nationalen Fiskalregeln auch zu prüfen, ob die in einem Sondervermögen für Infrastruktur angelegten Projekte hinreichende positive Effekte auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und fiskalische Tragfähigkeit haben, und mit den europäischen Vorgaben vereinbar sind.
- 1 Sachsen-Anhalt hat im Dezember 2024 die Corona-Notlage erklärt. Das Saarland plant jährlich eine Notlage festzustellen, um den im Jahr 2022 beschlossenen Transformationsfonds weiterzuführen.
- 2 Die Tilgung der in den Jahren 2020 bis 2023 aufgenommen Notlagenkredite ist in der Finanzplanung des Bundes zurückgestellt.
- 3 Die EU-Vorgaben zielen indes nicht nur auf einen Rückgang der Schuldenquote. Art. 8 des SWP verlangt zusätzlich, dass sich das strukturelle Defizit an die Resilienzmarge von höchstens 1,5 % des BIP annähert. Der strukturelle Saldo liegt im Jahr 2024 voraussichtlich knapp über 2 %. Auf Basis der Finanzplanung ist ein Rückgang auf rund 1,4 % angelegt, was der Vorgabe knapp entspricht. Im Folgenden wird der Einfachheit halber nur auf die EU-Vorgaben zur Schuldenquote abgestellt.
- 4 In den Jahren 2025 bis 2027 liegen die geplanten Ausgaben zwischen 1,2 % und 1,3 % des BIP. Im Jahr 2028 sind Ausgaben von 1,7 % des BIP veranschlagt.
- 5 Die Finanzplanung enthält z. B. Bodensatz-GMAs von 12 Mrd. Euro im Jahr 2025 und 17 Mrd. Euro im Jahr 2026 und einen deutlichen Rückgang bei den Ausgaben für das Bürgergeld.
- 6 Der Einfachheit halber wird wie oben von positiven Effekten einer höheren Wirtschaftsleistung auf die Defizite abstrahiert.
Literatur
Deutscher Bundestag. (2009, 24. März). Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU und SPD. Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d). Drucksache 16/12410.
Deutsche Bundesbank. (2025). Solide Staatsfinanzen, gestärkte Investitionen: ein Vorschlag zur Reform der Schuldenbremse. Monatsbericht März.
EC – European Commission. (2024, 26. November). Commission Opinion on the Draft Budgetary Plan of Germany. SWD(2024) 950 final, S. 8–13.
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren. Jahresgutachten 2024/25.
Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2023). Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik. Gutachten.