Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) ist das bedeutendste regionalpolitische Instrument in Deutschland. In der vergangenen Legislaturperiode wurde die GRW umfassend modernisiert. Die Regionalfördergebietskarte, die den räumlichen Aktionsraum der GRW festlegt, wurde allerdings bisher nicht angepasst. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Neuabgrenzung der Regionalfördergebiete für den Zeitraum ab 2028 untersucht dieser Beitrag mögliche Ansatzpunkte, wie die proaktive Ausrichtung der GRW weiter gestärkt werden kann.
Staatliche Maßnahmen zur Unterstützung spezifischer Regionen – sogenannte place-based policies – stellen sowohl aus sozial- als auch aus wirtschaftspolitischer Perspektive relevante Instrumente dar, um faire Chancen zwischen Regionen und eine räumlich ausgewogene Entwicklung zu fördern. Aus sozialpolitischer Sicht sind regionalpolitische Maßnahmen erforderlich, um regionale Unterschiede in den Lebensverhältnissen zu verringern. Sie tragen damit einem grundlegenden Prinzip der Sozialen Marktwirtschaft Rechnung: dem Anspruch, allen Menschen – unabhängig von ihrem Wohnort – vergleichbare Lebensbedingungen und Teilhabechancen zu ermöglichen.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht tragen place-based policies dazu bei, strukturelle Marktungleichgewichte abzumildern – etwa durch den Ausgleich von Standortnachteilen im Infrastrukturbereich oder durch den Abbau von Mobilitätshemmnissen für Arbeitskräfte und Kapital. Gelingt eine wirksame und effiziente Regionalförderung, so stärkt sie nicht nur die betroffenen Regionen, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit.
GRW als Schlüsselinstrument der deutschen Regionalpolitik
In Deutschland hat die regionale Wirtschafts- und Strukturpolitik als wirtschaftliche Dimension der Regionalpolitik eine sehr lange Tradition, wobei die primäre Zuständigkeit für Regionalentwicklung gemäß Subsidiaritätsprinzip von Beginn an bei den Bundesländern lag.1 Seit 1969 ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) das bedeutendste regionalpolitische Instrument in Deutschland. Sie verfolgt das Ziel, die wirtschaftlichen Entwicklungspotenziale strukturschwacher Regionen zu fördern und deren Anpassungsfähigkeit an den wirtschaftlichen Strukturwandel zu stärken. Auf diese Weise leistet die GRW einen Beitrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.
Verglichen mit anderen regionalpolitischen Förderprogrammen in Deutschland nimmt die GRW eine Sonderstellung ein: Sie beruht auf einer im Grundgesetz verankerten, seit über fünfzig Jahren bestehenden Kooperation zwischen Bund und Ländern und verfolgt eine umfassende Strategie zur mittel- und langfristigen Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit benachteiligter Regionen. Dieser strukturpolitische Ansatz setzt Investitionsanreize, fördert die interregionale Zusammenarbeit und trägt zugleich dazu bei, einen Subventionswettbewerb zwischen Ländern und Regionen zu vermeiden. Während die GRW in Westdeutschland in ihrer Anfangsphase primär auf die Bewältigung des tiefgreifenden Strukturwandels infolge des Rückgangs der Montanindustrie ausgerichtet war und später vor allem zur Förderung der Anpassung altindustrialisierter und ländlicher Regionen an den Strukturwandel eingesetzt wurde, übernahm sie nach der Wiedervereinigung Deutschlands zudem eine zentrale Funktion im wirtschaftlichen Aufholprozess der ostdeutschen Länder: Seit 1991 wurden ca. 65 Mrd. Euro GRW-Mittel zur Förderung von über 100.000 Vorhaben in Ostdeutschland eingesetzt, um damit Investitionen vor allem in den Bereichen der gewerblichen Wirtschaft und der kommunalen wirtschaftsnahen Infrastruktur im Umfang von mehr als 260 Mrd. Euro anzustoßen. Etliche Studien haben die vergleichsweise hohe Wirksamkeit und Kosteneffizienz der GRW unterstrichen (z. B. Brachert et al., 2019, 2024; Siegloch et al., 2025). Wegen ihrer Vielseitigkeit, Bedeutung und nachgewiesenen Wirksamkeit für die Regionalentwicklung ist die GRW zudem das Ankerinstrument des im Jahr 2020 eingeführten „Gesamtdeutschen Fördersystems für strukturschwache Regionen“ (GFS), das zahlreiche investive wie nicht-investive regionalpolitische Programme bündelt.2
Strategische Neuausrichtung erforderlich
In den vergangenen Jahren war die Weltwirtschaft wiederholt massiven äußeren Schocks ausgesetzt – etwa durch geopolitische Spannungen oder pandemiebedingte Verwerfungen. Diese Entwicklungen belasteten nicht nur internationale Wertschöpfungsketten, sondern beeinträchtigten auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Resilienz vieler Regionen, weshalb Bund und Länder die GRW in der 20. Legislaturperiode umfassend reformiert haben. Ziel war es, die Fördersystematik unter Berücksichtigung langfristiger Trends wie des demografischen Wandels sowie der grünen und digitalen Transformation, die erhebliche strukturelle Anpassungen erforderlich machen und zugleich neue Entwicklungspotenziale für Regionen eröffnen, zu verändern.
Die Reform der GRW markierte eine strategische Neuausrichtung des Instruments. Das neue, differenzierte Zielsystem erweitert die bislang stark arbeitsmarktorientierte Ausrichtung unter anderem um Aspekte struktureller Standortentwicklung und Resilienz. Die Reform umfasst zudem eine stärkere Fokussierung auf regionale Wachstumskräfte sowie gezielte Anreize für klimafreundliche und forschungsintensive Investitionen. Zudem wurden mit dem neuen Fördertatbestand „regionale Daseinsvorsorge“ weitere Akzente für eine Stärkung der Standortattraktivität gesetzt.
Im Gegensatz zur Interventionslogik, den Zielsetzungen und den Fördermöglichkeiten wurde die im Jahr 2021 von der Europäischen Kommission genehmigte Regionalfördergebietskarte der GRW, die den räumlichen Aktionsraum des Programms vorgibt, allerdings bisher nicht angepasst. Damit wird das bis zum Ende des Jahres 2027 gültige GRW-Regionalfördergebiet (Abbildung 1) weiterhin mit einem Modell abgegrenzt, das den Grad der regionalen Strukturschwäche für Arbeitsmarktregionen auf der Grundlage des BIP je Erwerbstätigen (Gewichtung: 37,5 %), der durchschnittlichen Unterbeschäftigungsquote (37,5 %), der prognostizierten Entwicklung der Zahl der Erwerbsfähigen 2017 – 2040 (17,5 %) und der Infrastrukturausstattung (7,5 %) berechnet.
Abbildung 1
GRW-Regionalfördergebiete im Zeitraum 2022 bis 2027

Quelle: Datenbasis: Referenz des BMWK vom 11.01.2022. Geometrische Grundlage: Gemeinden (generalisiert), 31.12.2020. © GeoBasis-DE/BKG. Bearbeitung: G. Lackmann. © BBSR Bonn.
Die Tatsache, dass die den Indikatoren zugrunde liegenden Daten zum Ende der Förderperiode zum Teil bereits zehn Jahre zurückliegen, bietet immer wieder Anlass zu Kritik. Zuletzt haben Südekum und Posch (2025, S. 8) darauf verwiesen, dass dieser Ansatz einem „reaktiven Reparaturbetrieb“ gleiche, da eine Förderung von Regionen bildlich gesprochen erst möglich sei, wenn „das Kind in den Brunnen gefallen ist“. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Neuabgrenzung der Regionalfördergebiete ab dem Jahr 2028 stellt sich die Frage, wie ein geeignetes Regionalindikatorenmodell gestaltet sein muss, um die infolge der GRW-Reform bereits angelegte proaktive Ausrichtung weiter zu stärken. Der erste Gleichwertigkeitsbericht der Bundesregierung bietet hierfür eine wichtige Grundlage.3
Unbestritten ist, dass der demografische Wandel, Veränderungen in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, Dekarbonisierung, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) den Strukturwandel beschleunigen. Künftig dürften vermehrt auch Regionen betroffen sein, die bisher strukturbeständig waren und bislang nicht zu den GRW-Fördergebietsregionen zählten (SVR, 2025). Vor diesem Hintergrund erscheint die Entwicklung eines neuen Regionalindikatorenmodells erforderlich, das eine neue „Geography of place-based policies“ ermöglicht, indem es auch bisher weniger beachteten Regionen Entwicklungsperspektiven eröffnet.
Als zentraler Einflussfaktor für regionale Entwicklungspotenziale gilt dabei die Branchenstruktur. Im Folgenden wird exemplarisch dargelegt, wie diese – basierend auf einem Ansatz der Europäischen Kommission (Heikkonen et al., 2025) sowie dem aktuellen Frühjahrsgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR, 2025) – im Zusammenhang mit einem zukünftigen Regionalindikatorenmodell zur Neuabgrenzung der Fördergebiete berücksichtigt werden könnte.
Analytischer Rahmen der Fördergebietsabgrenzung
Branchen4 sind vom Strukturwandel, der langfristiger Natur ist, sowie von kurzfristigen Krisen, wie z. B. der COVID-19-Pandemie, in unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Um beide Entwicklungen abzubilden, wird im ersten Schritt die kurzfristige der langfristigen Entwicklung der Branchen in Deutschland gegenübergestellt. Hierfür und auch für nachfolgende Analysen werden Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zum Stichtag 30. Juni der Jahre 2008, 2020 und 2024 verwendet.
Da die einzelnen Branchen in den Kreisen Deutschlands unterschiedlich stark vertreten sind, wirken sich Strukturwandel und Krisen regional unterschiedlich aus. Insbesondere wenn eine Region stark auf einzelne Branchen spezialisiert ist, kann sie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Arbeitsmarktlage durch Transformation und Krisen erheblich beeinträchtigt werden. Daher wird im zweiten Schritt mithilfe des Krugman-Spezialisierungsindex5 dargestellt, welche Kreise in Deutschland stark auf bestimmte Branchen spezialisiert sind bzw. ob die regionale Wirtschaftsstruktur eher diversifiziert und somit potenziell widerstandsfähiger gegenüber branchenspezifischen Krisen ist. Der Krugman-Spezialisierungsindex berechnet sich wie folgt:
Dabei bezeichnet bri die Beschäftigung in Branche i in Kreis r, Bi die deutschlandweite Beschäftigung in Branche i, br die Gesamtbeschäftigung in Kreis r und B die Gesamtbeschäftigung deutschlandweit (Kosfeld, 2015).
In einem dritten Schritt wird – in Anlehnung an den Ansatz der Europäischen Kommission (Heikkonen et al., 2025) – die Bedeutung und Entwicklung einer einzelnen Branche auf Kreisebene betrachtet. Dazu werden für das Jahr 2024 die Anteile ri sowie die Veränderung von bri zwischen 2020 und 2024 analysiert. Anschließend werden die Regionen anhand des jeweiligen Medians in geringe bzw. hohe Bedeutung der Branche und vergleichsweise gute bzw. schlechte Entwicklung dieser eingeteilt. Dadurch ergeben sich vier Cluster. Im vierten Schritt wird – ebenfalls in Anlehnung an den Ansatz der Europäischen Kommission (Heikkonen et al., 2025) – ein Indikator zur regionalen Bewältigungsfähigkeit entwickelt, der die regionale Anpassungsfähigkeit gegenüber Krisen innerhalb einer Branche abbildet. Dieser berechnet sich wie folgt:
Dabei bezeichnet alqr die durchschnittliche Arbeitslosenquote im Jahr 2024 sowie vakr die im Jahresdurchschnitt 2024 bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen jeweils im Kreis r. Der Indikator spiegelt damit also zusätzlich zur Bedeutung einer Branche in der jeweiligen Region auch das nicht realisierte Arbeitskräfteangebot und die nicht realisierte Arbeitskräftenachfrage wider und berücksichtigt somit auch die Anspannung auf den regionalen Arbeitsmärkten. Zur Veranschaulichung der Schritte drei und vier wird die Automobilindustrie als Beispielbranche herangezogen.6 Einerseits weisen mehrere Regionen Deutschlands eine hohe Spezialisierung auf diese Branche auf. Andererseits war sie kurzfristig von pandemiebedingten Störungen der Lieferketten betroffen und ist in erheblichem Maße von verschiedenen Aspekten des Strukturwandels betroffen.
Treibende Kräfte des Strukturwandels am Arbeitsmarkt deutlich erkennbar
Trotz eines nahezu durchgängigen Anstiegs der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland seit 2006 – mit Ausnahme der Zeit der Wirtschafts- und Finanzkrise – profitierten nicht alle Branchen gleichermaßen von dieser Entwicklung. Auch strukturelle Veränderungen und die Krisenanfälligkeit, etwa infolge der Wirtschafts- und Finanzkrise oder der COVID-19-Pandemie, wirken sich auf Branchen unterschiedlich aus. Zur Darstellung der kurz- und längerfristigen Beschäftigungsentwicklung nach Branchen in Deutschland vergleicht Abbildung 2 die relative Veränderung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zwischen 2008 und 2024 mit jener zwischen 2020 und 2024. Die Quadranten des Diagramms ergeben sich aus den kurz- und langfristigen Veränderungen im Durchschnitt aller Branchen (senk- und waagerecht durchgezogene Linien) und ermöglichen so eine systematische Einordnung der Dynamik einzelner Branchen.
Abbildung 2
Beschäftigungsentwicklung nach Branchen

Die Größe der Blasen spiegelt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der jeweiligen Wirtschaftsabteilung zum Stichtag 30. Juni 2024 wider. Aus Gründen einer übersichtlichen Darstellung werden hier nur die Wirtschaftsabteilungen berücksichtigt, in denen zu diesem Stichtag jeweils mindestens 2 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten am 30. Juni 2024 tätig waren. Die senk- und waagerecht durchgezogenen Linien stehen für die kurz- bzw. langfristigen Veränderungen im Durchschnitt aller Branchen. Die senk- und waagerecht gestrichelten Linien sind die jeweiligen Nulllinien.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnung und Darstellung.
Grundsätzlich besteht ein positiver Zusammenhang der kurz- und langfristigen Entwicklung in den Branchen. Zudem zeigt sich ein recht deutlicher Trend hin zur Tertiärisierung der Wirtschaft. Gleichzeitig bauten aber auch in jüngerer Vergangenheit Branchen – wie die Herstellung von Metallerzeugnissen sowie die Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen – sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ab. Entgegen dieser Entwicklung profitieren die Dienstleistungen der Informationstechnologie, die Verwaltung und Führung von Unternehmen und Betrieben sowie Unternehmensberatungen deutlich. Auch Bereiche, die im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel gefragt sind, verzeichnen ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum. Mittlerweile stellt das Gesundheitswesen die Branche mit den meisten Beschäftigten dar, während der Einzelhandel, der 2008 noch der Bereich mit den meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten war, deutlich abgebaut hat.
Hohe Spezialisierungsindizes in Automobilregionen
Strukturwandel und Krisen können einzelne Branchen und damit auch Regionen, in denen diese Branchen ein hohes Beschäftigungsgewicht haben, stark betreffen. Denkbar wäre im negativen Sinn eine erhebliche Beeinträchtigung der Wirtschaftskraft und Arbeitsmarktlage, während im positiven Sinn solche Regionen besonders profitieren können. Eine regional diversifizierte Wirtschaftsstruktur dagegen ist unter anderem von der geoökonomischen Lage weniger abhängig, und daher bei Krisen grundsätzlich besser aufgestellt. Der Krugman-Spezialisierungsindex klassifiziert Regionen nach dem Ausmaß ihrer Spezialisierung ihrer Wirtschaftsstruktur. Betrachtet man die Verteilung der Kreise anhand der Quartile, ergibt sich die Klassifizierung, wie in Abbildung 3 dargestellt.
Abbildung 3
Spezialisierung der Wirtschaftsstruktur

Die Karte zeigt den Krugman-Spezialisierungsindex auf Ebene der 400 Kreise Deutschlands. Je höher der Wert des Index, desto stärker ist ein Kreis auf eine oder sehr wenige Branchen spezialisiert. Niedrige Werte stehen für eine eher diversifizierte Wirtschaftsstruktur mit einer gleichmäßigeren Verteilung der Beschäftigung auf alle Branchen. Die Eingruppierung in die vier Gruppen der Karte erfolgt anhand der Quartile, sodass alle Gruppen mit jeweils 100 Kreisen besetzt sind.
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnung und Darstellung.
Während Sachsen, der Südwesten Baden-Württembergs, große Teile Nordrhein-Westfalens und Hessen eher eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufweisen, sind viele Kreise in Bayern und Thüringen sowie Kreise an den Küsten von Nord- und Ostsee eher stärker auf eine oder wenige Branchen spezialisiert. Insbesondere Automobilregionen weisen eine starke Spezialisierung auf: Wolfsburg, Dingolfing-Landau, Emden und Ingolstadt haben neben Erlangen als Nicht-Automobilstandort die höchsten Krugman-Spezialisierungsindizes aller 400 Kreise. Eine stark diversifizierte Wirtschaftsstruktur weisen die Stadt Bielefeld, Hildesheim, der Rhein-Sieg-Kreis, die Region Hannover und Paderborn auf.
Heterogene Entwicklung und Krisenbewältigungsfähigkeit von Automobilstandorten
Vier der fünf Regionen mit den höchsten Spezialisierungsindizes sind Automobilstandorte. Diese Beobachtung sowie die oben genannten Punkte machen die Automobilindustrie zu einem geeigneten Beispiel, um die Übertragbarkeit des von der Europäischen Kommission eingebrachten Indikators zur Bewältigungsfähigkeit (Heikkonen et al., 2025) – ursprünglich für die NUTS-2-Regionen (Regierungsbezirke in Deutschland) (Statistisches Bundesamt, 2025) in Europa entwickelt – auf Kreisebene (NUTS-3) in Deutschland zu prüfen.
Durch eine Gegenüberstellung der Bedeutung der Automobilindustrie für eine Region mit der kurzfristigen Entwicklung dieser Branche in den Regionen erfolgt zunächst eine Klassifizierung in wiederum vier Gruppen. Anhand des Medians werden die Kreise jeweils in hohe bzw. geringe Bedeutung der Automobilindustrie sowie „gute“ und „schlechte“ Beschäftigungsentwicklung gruppiert.
Das Ergebnis zeigt die linke Karte in Abbildung 4. In allen Flächenbundesländern Deutschlands finden sich Kreise, in denen die Automobilindustrie einen überdurchschnittlichen Beschäftigungsanteil bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Entwicklung von 2020 zu 2024 aufweist, ebenso wie Kreise mit gegenteiliger Konstellation. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg besitzt die Automobilindustrie erwartungsgemäß eine geringe Bedeutung. Die vier Automobilregionen mit den höchsten Spezialisierungsindizes haben sich unterschiedlich entwickelt – so war die kurzfristige Beschäftigungsentwicklung in Wolfsburg und Dingolfing-Landau überdurchschnittlich, in Emden und Ingolstadt hingegen unterdurchschnittlich. Berücksichtigt man neben dem Anteil der Beschäftigten in der Automobilindustrie auch die Arbeitsmarktlage in den Regionen (siehe rechte Karte Abbildung) lässt sich der Indikator der Bewältigungsfähigkeit bei einer Krise der Automobilindustrie berechnen. Demnach weisen 21 Kreise, in denen die Automobilindustrie eine hohe Bedeutung bei gleichzeitig negativer Entwicklung hat, eine geringe Krisen- bzw. Transformationsbewältigungsfähigkeit auf. Von den vier hoch spezialisierten Automobilregionen gehört Emden zu dieser Gruppe, während Ingolstadt eine überdurchschnittliche Bewältigungsfähigkeit aufweist. Wolfsburg hätte im Falle einer Branchenkrise nur geringe Anpassungsressourcen, während Dingolfing-Landau durch eine besonders hohe Bewältigungsfähigkeit hervorsticht.
Abbildung 4
Bedeutung, Entwicklung und Krisenbewältigungsfähigkeit der Automobilindustrie nach Regionen

Die linke Karte stellt gleichermaßen die Bedeutung (Anteil an der Gesamtbeschäftigung) und Entwicklung (Veränderung der Beschäftigung zwischen 2020 und 2024) der Automobilindustrie in den 400 Kreisen Deutschlands dar. Die Eingruppierung in eine der vier Kategorien werden jeweils am Median von Bedeutung und Entwicklung festgemacht. Die rechte Karte zeigt für alle 400 Kreise Deutschlands den Indikator für die Bewältigungsfähigkeit, der die regionale Anpassungsfähigkeit gegenüber Krisen innerhalb einer Branche (hier Automobilindustrie) angibt, nach Heikkonen et al. (2025). Je weniger negativ dieser Wert ist, desto höher ist die Bewältigungsfähigkeit.
Quelle: Statistik der Bundesagentur, eigene Berechnung und Darstellung.
Die rechte Karte in Abbildung 4 weist starke Ähnlichkeiten mit der regionalen Verteilung der Arbeitslosenquote in Deutschland auf. Dies überrascht nicht, denn bei der Bildung des Indikators der Bewältigungsfähigkeit hat diese ein Gewicht von 50 %. Wenn der strukturpolitische Fokus auf der Verringerung regionaler Arbeitslosigkeit liegen soll, wäre diese Gewichtung vertretbar. Möchte man jedoch mögliche Beschäftigungschancen im Falle von Arbeitslosigkeit besser aufzeigen und berücksichtigt dabei, dass es sich nur um die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten offenen Stellen einer Region handelt, sollte die Gewichtung der Arbeitslosenquote bei der Berechnung der Bewältigungsfähigkeit reduziert werden.
Fazit und Ausblick
Alle vorliegenden Analysen weisen darauf hin, dass der Strukturwandel in Deutschland das ohnehin bereits verlangsamte Produktivitätswachstum auch künftig weiter dämpfen dürfte. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Auswirkungen des Strukturwandels regional weiterhin unterschiedlich manifestieren werden (SVR, 2025). Vor diesem Hintergrund kommen placed-based policies – und hier insbesondere der GRW als zentralem regionalpolitischen Instrument Deutschlands – die Aufgabe zu, den Strukturwandel durch geeignete Rahmenbedingungen und gezielte Anreize wachstumsfördernd zu begleiten. Die evidenzbasierte und proaktive Ausrichtung der Regionalpolitik der Bundesregierung wurde in der letzten Legislaturperiode bereits durch zahlreiche Maßnahmen gestärkt – unter anderem durch die Reform der GRW und die Weiterentwicklung des GFS. Dieser Ansatz sollte nun konsequent auch auf die anstehende Neuabgrenzung des Regionalfördergebiets übertragen werden. Ziel muss es dabei sein, einerseits die bewährten Vorteile der Regelgebundenheit der GRW, insbesondere hinsichtlich fairen Wettbewerbs, Transparenz, Planungssicherheit, etc., zu bewahren und andererseits der regionalen Heterogenität von Herausforderungen und Potenzialen beim Neuzuschnitt der Förderkulisse gerecht zu werden. Da die Fördergebietskarte der GRW eine weit über das Förderprogramm hinausgehende Relevanz besitzt7, sollten Bund und Länder sehr sorgfältig diskutieren, welche (sozioökonomischen) Indikatoren in die Abgrenzung einfließen sollten.8 Die in diesem Beitrag dargestellten Analysen für das Beispiel der Automobilindustrie legen nahe, dass Branchenstrukturen – insbesondere aufgrund ihrer großen Relevanz für regionale Entwicklungspotenziale – eine bedeutendere Rolle als bislang spielen sollten. Ob und inwiefern sie in das Regionalindikatorenmodell zur Fördergebietsabgrenzung für den Zeitraum ab dem Jahr 2028 eingehen, werden Bund und Länder entscheiden.
- 1 Für eine Beschreibung der verschiedenen Phasen der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik in Deutschland seit den 1950er Jahren siehe Alm (2013, S. 21-46).
- 2 Die GFS-Programme fördern entweder explizit nur strukturschwache Regionen oder tragen durch bessere Förderkonditionen oder einen überproportionalen Mitteleinsatz für strukturschwache Regionen zu deren Stärkung bei, vgl. Bundesregierung (2025).
- 3 Der Bericht analysiert den Stand und die Entwicklung regionaler Disparitäten auf Ebene der 400 Kreise und kreisfreien Städte anhand einer Vielzahl sozioökonomischer Indikatoren, siehe Bundesregierung (2024).
- 4 Unter Branche verstehen wir hier die Wirtschaftsabteilungen, also die Zweisteller der Wirtschaftszweigklassifikation 2008 (Statistisches Bundesamt, 2008).
- 5 Das Krugman-Spezialisierungsmaß ist ein Index zur Messung räumlicher Spezialisierung. Daneben gibt es weitere Maßzahlen wie den Hirschman-Herfindahl Spezialisierungsindex oder den GINI Spezialisierungsindex (Kosfeld, 2015). Wenngleich sich je nach Berechnung kleinere Unterschiede im Umfang der Spezialisierung zwischen den Regionen zeigen, so werden bei allen Indizes Regionen mit einem hohen Grad an Spezialisierung auf eine oder wenige Branchen deutlich.
- 6 Die Autor:innen sprechen sich mit dem vorliegenden Artikel weder für noch gegen eine GRW-Förderung für Automobilstandorte aus. Diese Branche dient hier, wie unter anderen in Heikkonen et al. (2025), lediglich als Beispiel zur Veranschaulichung des Vorgehens.
- 7 So stellt die GRW-Fördergebietskarte auch für zahlreiche weitere Förderprogramme eine zentrale Bezugsgröße dar.
- 8 Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat dazu im ersten Quartal 2025 bereits ein vorbereitendes Forschungsvorhaben vergeben.
- Der Aufsatz gibt die persönliche Meinung von Dr. Bastian Alm wieder und nicht notwendigerweise die des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.
Literatur
Alm, B. (2013). Erfolgskontrolle der regionalen Wirtschaftsförderung – Möglichkeiten und Grenzen der ökonometrischen Wirkungsforschung. Duncker&Humblot.
Brachert, M., Dettmann, E. & Titze, M. (2019). The regional effects of a place-based policy: Causal evidence from Germany. Regional Science and Urban Economics, 79, 103483.
Brachert, M., Dettmann, E., Schneider, L. & Titze, M. (2024). Evaluation der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW) durch einzelbetriebliche Erfolgskontrolle: Evaluationsbericht. IWH Studie, 3/2024. Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle.
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2024). Koordinierungsrahmen der „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW).
Bundesregierung. (2024). Gleichwertigkeitsbericht 2024: Für starke und lebenswerte Regionen in Deutschland. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Bundesregierung. (2025). Bericht der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des „Gesamtdeutschen Fördersystems für strukturschwache Regionen“. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
Heikkonen, H., Listl, N. & Reuter, A. (2025). Mapping the impact of industrial decline on European regions. Single Market Economics Brief, Nr. 16. European Commission, Directorate-General for Internal Market, Industry, Entrepreneurship and SMEs.
L‘Hoest, R. & Mauch, S. (2019). Regelgebundene Regionalpolitik unverzichtbar: Weiterentwicklung der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Wirtschaftsdienst, 99(13), 71–79
Shutters, S., Seibert, H., Alm, B. & Waters, K. (2022). Industry interconnectedness and regional economic growth in Germany. Urban Science, 6(1), 1.
Siegloch, S., Wehrhöfer, N. & Etzel, T. (2025). Spillover, efficiency, and equity effects of regional firm subsidies. American Economic Journal: Economic Policy, 17(1), 144–180.
Statistisches Bundesamt. (2008). Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008) mit Erläuterungen.
Statistisches Bundesamt. (2025). Europa – NUTS-Klassifikation. Abgerufen am 10. Juni 2025.
Südekum, J. & Posch, D. (2025). Die GRW neu denken: Proaktive Industriepolitik für Deutschlands Regionen. Bertelsmann Stiftung
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2025). Frühjahrsgutachten 2025.