Ein neuer, polit-ökonomisch fundierter Ansatz der Stadt- und Regionalentwicklung rückt die NIMBY-Interessen (Not In My Backyard) städtischer „Insider“ in den Mittelpunkt. Wir zeigen, dass ein quantitatives Modell neue Erkenntnisse über die deutschen Städte und Regionen liefert. Da dieser Ansatz Wohlfahrtsdifferentiale zwischen den Städten und Regionen impliziert, ergeben sich neue Perspektiven und Hebel für die Regionalpolitik. Diese kontrastieren mit einigen zentralen Einsichten des gegenwärtig in der Regionalanalyse und Politikberatung dominierenden Paradigmas des räumlichen Gleichgewichts bei freier Mobilität der Arbeitskräfte.
Knapper Wohnraum und explodierende Mieten in attraktiven Städten, große und wachsende regionale Ungleichheiten in den Einkommen, der Beschäftigung, der Infrastruktur und Daseinsvorsorge, fehlende Jobs und Leerstand in abgehängten Städten und Regionen (BMWK, 2024; SVR, 2024): Die Politik steht unter Handlungsdruck. Was ist zu tun? Ohne Verständnis der Bestimmungsfaktoren und Mechanismen der Entwicklung von Städten lässt sich kein Rat geben. Regionalpolitische Analysen und die Politikberatung orientieren sich gegenwärtig am Paradigma des räumlichen Gleichgewichts: Haushalte sind mobil und wählen aus einer gegebenen Anzahl an Städten jene, die ihren Präferenzen am besten entsprechen.1
Ein neuer, polit-ökonomisch fundierter „Stadtsystemansatz“ verfolgt eine radikal andere Perspektive: hier werden NIMBY-Interessen (Not In My Backyard) der städtischen „Insider“ in den Mittelpunkt gerückt.2 Wir zeigen auf, welche Einsichten sich für die deutschen Städte und Regionen ergeben (Gehr & Pflüger, 2025). Wir diskutieren dann die Perspektiven dieses Ansatzes für die Regionalpolitik.
Der polit-ökonomische Ansatz der Regionalentwicklung
Der neue Ansatz basiert auf drei Komponenten: fundamentalen Standortfaktoren, Größeneffekten und NIMBY-Politiken. Abbildung 1 veranschaulicht die Zusammenhänge und die Ergebnisse von Gehr und Pflüger (2025). Horizontal ist die Aufteilung der Bevölkerung N auf urbane Räume Ni und ländliche Gebiete Nr abgetragen, vertikal die Pro-Kopf-Wohlfahrt der Städter vi und der Landbewohner vr.
Abbildung 1
Urbane Räume und ländliche Gebiete im polit-ökonomischen Modell

Quelle: Gehr und Pflüger (2025).
Fundamentale Standortfaktoren. Standorte unterscheiden sich in ihren klimatischen Bedingungen, der Nähe zu Wasserwegen, Seen und Bergen, den Böden und ihrer Beschaffenheit, der Zentralität und Erreichbarkeit, etc. Diese prägen die Produktionsbedingungen (fundamentale Produktivität) und die Lebensqualität (Konsumannehmlichkeiten).
Größeneffekte. Die Größe von Städten geht mit Vor- und Nachteilen einher. Steigt die Zahl lokaler Arbeitskräfte ergeben sich Agglomerationseffekte – Lerneffekte, eine feinere Arbeitsteilung, ein besserer Fit der Jobs –, damit steigen Produktivität und Einkommen. Es wachsen aber auch die Kosten: Mieten steigen, Pendelwege werden länger, Verkehrswege verstopfen zunehmend. Das Zusammenspiel von Vor- und Nachteilen impliziert einen glockenförmigen Verlauf der Pro-Kopf-Wohlfahrt. Abbildung 1 veranschaulicht den „fundamental trade-off“. Wächst die Bewohnerzahl, so überwiegen zunächst die Vorteile, die Wohlfahrt steigt. Da die Kosten aber immer mehr zunehmen, wird ein Scheitelpunkt erreicht. Durch weitere Zuzügler sinkt die Wohlfahrt.
NIMBY. Haushalte wägen Vor- und Nachteile von Orten ab und wählen jenen, der die höchste Wohlfahrt liefert. Ist man bereits ansässig, kommt ein weiterer Gesichtspunkt ins Spiel, die Frage, wie sich neue Nachbarn auswirken: bringen sie insgesamt Vorteile, so sind Neuankömmlinge willkommen; drohen Beeinträchtigungen, werden Hebel in Bewegung gesetzt, um den Zuzug zu verhindern. Städtische „Insider“ mobilisieren ihre lokalen politischen Vertreter und diese implementieren NIMBY-Politiken: Regulierungen im Wohnungsmarkt, durch die das Wohnungsangebot verknappt und der Zuzug blockiert werden.3 Diese werden so ausgestaltet, dass sich aus der Perspektive der „Insider“ die Vor- und Nachteile von Zuzüglern die Waage halten: die „local governments“ setzen die lokal optimalen Stadtgrößen, N1 in Stadt 1 und N2 in Stadt 2. Die Abbildung unterstellt, dass Stadt 1 bessere Standortfaktoren hat, daher liegt ihr Nutzenscheitel höher als der von Stadt 2, v1 > v2.
So wird mit jedem Ort verfahren: Es entsteht die fallend verlaufende schwarze Kurve, die die lokal optimalen Stadtgrößen verbindet. Die Stadt mit der geringsten Wohlfahrt realisiert im Gleichgewicht gerade das Niveau des ländlichen Raumes. Hierbei ist unterstellt, dass im ländlichen Raum keine Größeneffekte auftreten: Die Wohlfahrt spiegelt sich somit im ländlichen Reallohn, dem Grenzprodukt der Arbeit, dargestellt durch die blaue Kurve. Der Schnittpunkt der Kurven bestimmt dann die Wohlfahrt im ländlichen Raum vr und die Aufteilung der Bevölkerung auf Städte und ländliche Gebiete.
„Outsider“ werden durch die lokalen Regulierungen mit Zuwanderungskosten konfrontiert. Diese sind für die Städte 1 und 2 durch die Pfeile p1 und p2 dargestellt: je höher die lokal optimale Wohlfahrt, umso schärfer müssen Regulierungen ausfallen, um Zuzug aus der Stadt mit der geringsten Wohlfahrt zu unterbinden. Im Gleichgewicht des Stadtsystems erreichen „Insider“ verschiedener Städte wegen der heterogenen Standortfaktoren unterschiedliche Wohlfahrtsniveaus. Die NIMBY-Zuwanderungskosten bedingen, dass kein Haushalt in eine andere Stadt wandern will, das „Gleichgewicht“ wird durch die Regulierungen erzwungen.
Deutschlands Städte und Regionen aus der Perspektive des neuen Ansatzes
Wie lässt sich dieser Ansatz in der Praxis implementieren? Wie kann seine Stichhaltigkeit überprüft werden? Gehr und Pflüger (2025) verwenden reichhaltige Datensätze, um Größe und Struktur des deutschen Regionalsystems für das Basisjahr 2017 abzubilden und die Ergebnisse extern zu validieren.
Quantifizierung. Einer Klassifikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) folgend werden 264 urbane Räume als Städte definiert, die einen Bevölkerungsanteil von 89 % ausmachen. Die empirische Schätzung der Größeneffekte verwendet umfangreiche Mikrodaten.
- Regionale Arbeitsmarktdaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (SIAB-R) erlauben es, die Auswirkungen der Stadtgröße auf die Löhne zu ermitteln. Eine Regressionsanalyse liefert für diese Agglomerationseffekte eine Populationselastizität von 0,05: Verdoppelt sich die Stadtbevölkerung, so steigen die Löhne um 5 %.
- Mit Angebotsmieten von ImmoScout24 (RWI-GEO-RED (RWI, 2019)) lässt sich die Populationselastizität der Kosten durch Mieten und Pendelwege schätzen: der Koeffizient beträgt 0,07.
- Daten für die Zeitkosten durch Verkehrsstaus kommen von einer Verkehrsbefragung des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI, 2019). Der Schätzkoeffizient für diese Populationselastizität liegt ebenfalls bei 0,07.
Der Elastizitätsparameter der urbanen Kosten (0,14) übersteigt damit jenen der urbanen Vorteile (0,05), sodass die Daten die unterstellten glockenförmigen Verläufe der Wohlfahrt unterstützen.
Die fundamentalen Standortfaktoren – lokale Produktivitäten und Konsumannehmlichkeiten – lassen sich mithilfe der geschätzten Elastizitäten und mit Bevölkerungs- und Lohndaten aus dem Modell ableiten. Hierbei werden zwei Faktoren herausgerechnet: geografische Baubeschränkungen und Transferzahlungen zwischen Städten (Henkel et al., 2021).
Das deutsche Stadtsystem. Diese Parameter werden dann mit den faktischen Stadtgrößen zusammengebracht. Abbildung 1 zeigt das Ergebnis für das deutsche Stadtsystem. Bewohner Erlangens erreichen die höchste Wohlfahrt, gefolgt von jenen in München, Böblingen und Frankfurt. Von den Top-7-Ballungsräumen, die in Deutschland besondere Aufmerksamkeit erfahren (Abbildung 1 blau), folgen Stuttgart an Position 7, Düsseldorf an 13, Köln an 24, Hamburg an 28, und Berlin an Stelle 123. Dazwischen befinden sich kleinere Städte, z. B. Ingolstadt und Wolfsburg, die wie Erlangen und Böblingen Standorte wichtiger Unternehmen sind (Abbildung 1 lila). Grün gekennzeichnet sind Städte, die aufgrund ihrer Lebensqualität in der Platzierung nach vorne rücken.
Externe Validierung. Die Konfrontation mit unabhängiger empirischer Evidenz besteht das quantitative Modell von Gehr und Pflüger (2025) überzeugend.
- Die vom Modell implizierten Konsumannehmlichkeiten korrelieren stark mit unabhängig beobachtbaren Indikatoren der Lebensqualität: Natur, Tourismus, kulturelle Institutionen, Kriminalität, Umweltverschmutzung, Bildungsqualität und Gesundheitsversorgung.
- Kontrastiert man das Wohlfahrtsranking mit dem Realeinkommensranking von Weinand und von Auer (2020), welches Konsumdaten Statistischer Landesämter für die lokalen Lebenshaltungskosten nutzt – gänzlich andere Daten also –, so liegt der Korrelationskoeffizient über 0,9. Die Platzierungen der Städte sind ähnlich, Abweichungen plausibel: So rückt Berlin durch hohe Konsumannehmlichkeiten von Position 149 (Weinand & von Auer, 2020) auf Platz 123 (Gehr & Pflüger, 2025).
- Das polit-ökonomische Modell impliziert, dass die Hauspreise nach Baukosten am Stadtrand den NIMBY-Regulierungskosten entsprechen. Braun und Lee (2021) liefern Schätzwerte für die Bodenkosten, ein Proxy für den Keil zwischen Hauspreisen und Baukosten: Abbildung 2a zeigt, dass diese sehr stark mit den NIMBY-Regulierungen korrelieren.
- Hauspreise an den Rändern der Städte müssen gemäß Modell aufgrund der NIMBY-Regulierungen umso höher sein, je attraktiver die Stadt ist. In Abbildung 2b sind die modellimplizierten Wohlfahrtsniveaus gegen die Mietpreise an den Stadträndern abgetragen. Die Korrelation ist überragend.
- Die Mietpreisgradienten verlaufen, wie vom Modell impliziert, von Stadtkern zu Stadtrand fallend. Das Niveau der Mieten sollte wegen der Regulierungen in attraktiveren Städten aber höher sein. Das zeigt sich in den Daten: Die Kurve für München liegt über jener für Berlin.
Abbildung 2
NIMBY-Regulierungen (Not In My Backyard) und Mietpreise in der Stadtperipherie

Quelle: Gehr und Pflüger (2025).
Implikationen für die Regionalpolitik
Die regionalpolitischen Implikationen des neuen Paradigmas sind – anders als jene der Theorien räumlichen Gleichgewichts – bislang weder systematisch aufgearbeitet worden noch in die Politikberatung eingeflossen. Wir liefern nachfolgend eine erste Bestandsaufnahme von Ansatzpunkten.
Wohlfahrtsdifferentiale. Eine zentrale Implikation des polit-ökonomischen Ansatzes ist die Existenz von Wohlfahrtsdifferentialen: urbane Räume lassen sich hierarchisch ordnen in Städte mit hoher Wohlfahrt bis zu jenen mit Niveaus ähnlich dem ländlichen Raum (Abbildung 1). Das eröffnet Perspektiven für Politiken, die die Wohlfahrt zwischen den Regionen angleichen.
Dieser Befund kontrastiert mit der Skepsis, die aus dem Konzept räumlichen Gleichgewichts folgt: Warum sollten einzelne Regionen gefördert werden, wenn sich durch freie Wanderung vermittels „kompensierender Differentiale“ (z. B. örtliche Lebensqualität als Kompensation für hohe Mieten und geringe Löhne) die (erwartete) Wohlfahrt über die Standorte hinweg ausgleicht?4
Existierende Städte sind zu klein. Aus Effizienzperspektive sind die Städte im polit-ökonomischen Modell zu klein (Albouy et al., 2019; Gehr & Pflüger, 2025). Lokale Politiker begrenzen die Stadtbevölkerung, sodass sich für die „Insider“ die lokalen Vor- und Nachteile an der Grenze gerade ausgleichen. In der Effizienzanalyse wird hingegen die Gesamtbevölkerung betrachtet, die sich auf die heterogenen Standorte verteilen muss. Die Gesamtwohlfahrt wird maximal, wenn sich die Vor- und Nachteile von Zuzüglern an der Grenze für alle Orte ausgleichen. Die Heterogenität der Standortfaktoren bedingt, dass Städte aus Effizienzperspektive daher größer sein müssen, als von den lokalen Politikern bestimmt.
Gehr und Pflüger (2025) untersuchen die Folgen einer Ausdehnung der Top-7 in Deutschland. Unterstellt wird, dass diese durch eine (kontrafaktische) Verringerung der lokalen Regulierungen jeweils um 10 %, also um insgesamt 1 Mio. Menschen wachsen. Dies führt zu einer Verringerung der Personen in ländlichen Gebieten, eine Stadt rutscht aus der Klassifikation urbaner Räume heraus. „Insider“ der Top-7 verzeichnen einen leichten Rückgang der Wohlfahrt, da ihre Städte nun über die lokal optimalen Größen hinauswachsen. Bewohner im ländlichen Raum, Zuzügler in allen Städten und die neuen Bürger der Top-7 profitieren jedoch deutlich. Insgesamt steigt die Wohlfahrt pro Kopf um 1,11 %. Die Analyse untermauert damit die erheblichen gesellschaftlichen Kosten lokaler Regulierungen.
Der Befund, dass existierende Städte zu klein sind, steht im Kontrast zu neuen Arbeiten, die sich am Konzept des räumlichen Gleichgewichts orientieren, aber Transfers zwischen Regionen zulassen (Fajgelbaum & Gaubert, 2020, 2025; Henkel et al., 2021; Seidel, 2024): Sind solche Transfers möglich, dann sollten sie von größeren Regionen (die dann schrumpfen) an kleinere Regionen (die dann expandieren) geleistet werden. Wie erklärt sich diese Diskrepanz? Effizienz erfordert weiterhin den Ausgleich der Grenznutzen über die Standorte. Die Ausgangssituationen sind jedoch unterschiedlich: im polit-ökonomischen Ansatz sind Städte aufgrund der „Insider“ zu klein, in Theorien räumlichen Gleichgewichts sind sie aufgrund der freien Wanderung zu groß.
Allokations- und Verteilungsverbesserungen. Theorien räumlichen Gleichgewichts implizieren eine Spannung zwischen Verteilung und Effizienz: Auch in neuen Varianten, in denen Wanderungshemmnisse berücksichtigt werden, und damit die Wohlfahrt immobiler „inframarginaler“ Personen, führt die Förderung einzelner Standorte zu unerwünschten Nebeneffekten, weil Immobilienbesitzer profitieren und Mitnahmeeffekte auftreten (Kline & Moretti, 2014).
Anders präsentiert sich die Lage beim polit-ökonomischen Ansatz. Hier können Effizienz und Verteilung Hand in Hand gehen, wie die kontrafaktische Ausdehnung der Top-7 exemplarisch zeigt: Die Gesamtwohlfahrt steigt und gleichzeitig werden regionale Wohlfahrtsdifferentiale abgebaut.
Polit-ökonomische Barrieren als Anknüpfungspunkt. Der polit-ökonomische Ansatz greift einen alten Gedanken der Regionalforschung auf: „The greatest promise for a national place-based policy lies in impeding the tendency of highly productive areas to restrict their own growth through restrictions on land use“ (Glaeser & Gottlieb, 2008, S. 155). Erst durch Duranton und Puga (2023) ist eine konsistente endogene Modellierung der lokalen Regulierungen gelungen.
Mit dem Aufbrechen von NIMBY-Barrieren gelingen also Allokations- und Verteilungsverbesserungen. Ein Leitfaden für die regionalpolitische Praxis liegt damit aber noch nicht vor. Für die USA und die Schweiz gibt es mit dem Wharton-Index (Gyourko et al., 2008; Gyourko et al., 2021) und dem CLURI-Index (Büchler & von Ehrlich, 2023) immerhin umfangreiche Bestandsaufnahmen, die die vielfältigen Regulierungen, die in der Praxis zum Einsatz kommen, erfassen. Für Deutschland braucht es dringend eine solche Studie. Wichtig ist hierbei zwischen puren Eigeninteressen und legitimen Anliegen zu unterscheiden. Ein Beispiel sind Grünflächen: Sie sind für städtischen Klimaschutz essentiell, können in exzessiver Form aber massive Barrieren der Stadtentwicklung werden (Koster, 2023).
Größe ist nicht alles. Die Reihung der Top-7 spricht Bände: nur vier von ihnen sind unter den Top-20 der nach Wohlfahrtsniveaus gelisteten urbanen Räume, zwei weitere folgen unter den Top-30, Berlin liegt etwa in der Mitte (Gehr & Pflüger, 2025). Nicht wenige kleinere urbane Räume erzielen aufgrund fundamental guter Standortfaktoren Top-Positionen.
Bei diesen Befunden ist ein methodischer Aspekt wichtig. Der polit-ökonomische Ansatz erklärt das Stadtsystem aus makroökonomischer Perspektive mit einem Minimum an Bestimmungsfaktoren. Ausgeblendet werden: sektorale Entwicklungen, die geografische Position der Orte, Qualifikationsstufen der Arbeitskräfte, idiosynkratische Ortsbindungen und damit persönliche Wanderungshemmnisse, eine Trennung von Wohn- und Arbeitsorten zwischen Städten. Diese Faktoren schlagen sich somit in den fundamentalen Standortfaktoren und den NIMBY-Regulierungen nieder.
Hier sind einige Beispiele. Die hohen fundamentalen lokalen Produktivitäten und Löhne in Städten wie Erlangen, Böblingen, Ingolstadt und Ludwigshaften spiegeln offensichtlich (auch) die Stärke der dort ansässigen Industrien bzw. Unternehmen. Andere Orte profitieren durch Pendlerverflechtungen mit benachbarten Agglomerationsräumen. Die starke Positionierung des Main-Taunus-Kreises, des Hochtaunuskreises und der Stadt Offenbach hängen nicht zuletzt mit dem Großraum Frankfurt am Main zusammen. Freising profitiert vom Großraum München und Böblingen vom Großraum Stuttgart. Da das Modell keine persönlichen Wanderungshemmnisse erfasst sind die quantitativen Werte der implizierten Konsumannehmlichkeiten und NIMBY-Regulierungskosten als Obergrenze zu deuten: Es liegt nahe, die Ergebnisse für einige Räume im deutschen Osten in diesem Lichte zu sehen.
Ansatzpunkte für die Regionalpolitik. Ein zentraler Hebel der Regionalpolitik ist, wie aufgezeigt, das Aufbrechen lokaler Regulierungen. Auch wenn solche Regulierungen bestehen, gibt es Ansatzpunkte, für eine Steigerung der lokalen Wohlfahrt und für einen Abbau von Wohlfahrtsdifferentialen, etwa durch Infrastrukturprojekte, die die lokale Produktivität stärken, oder durch Maßnahmen, die die Lebensqualität vor Ort erhöhen. Eine genauere Analyse, die auch Finanzierungsaspekte einbezieht, steht aber bislang aus, daher bleiben solche Überlegungen bislang spekulativ.
Fazit und Ausblick
Regionalpolitische Analyse und Politikberatung sind gegenwärtig vom Konzept des räumlichen Gleichgewichts dominiert, welches freie Mobilität unterstellt. Der polit-ökonomische Stadtsystemansatz geht hingegen davon aus, dass die lokale Politik im Interesse der „Insider“ den Zuzug durch lokale Regulierungen blockiert. Damit werden jeweils polare und extreme Positionen bezogen: schon die anekdotische Evidenz zeigt, dass beide Mechanismen in der Praxis am Werk sind.
Allerdings wächst erstens die Evidenz, dass lokalen Entscheidern die dominante Rolle zufällt (Desmet & Henderson, 2015; Glaeser, 2013). Zweitens, lokale Regulierungen werden (inzwischen) auch in Studien räumlichen Gleichgewichts adressiert – jedoch ohne ihre Genese zu erklären (Hsieh & Moretti, 2019). Für den polit-ökonomischen Ansatz spricht schließlich die starke Unterstützung, die das kalibrierte Modell für Deutschland erfährt (Gehr & Pflüger, 2025).
Für die Regionalpolitik ergeben sich aus dem polit-ökonomischen Ansatz nicht nur gänzlich neue Erkenntnisse, es werden auch einige vorherrschende Einsichten in Frage gestellt. Die Notwendigkeit weiterer Forschung, nicht zuletzt in Richtung einer Konsolidierung, liegt auf der Hand.
- 1 Allen und Arkolakis (2025) und Fajgelbaum und Gaubert (2025) liefern aktuelle Überblicke. Ahlfeldt et al. (2024), Seidel (2024) und der Sachverständigenrat (SVR, 2024) unterstreichen die Bedeutung für Deutschland.
- 2 Ausgangspunkt sind die Arbeiten von Henderson (1974) und Albouy et al. (2019). Duranton und Puga (2023) führen den polit-ökonomischen Mechanismus ein. Gehr und Pflüger (2025) erweitern den Ansatz für den deutschen Kontext.
- 3 In der Praxis sind NIMBY-Politiken vielfältig: Bauflächenbegrenzungen, Zonierung, Regulierungen der Nachverdichtung und Gebäudehöhen, langwierige und bürokratische Prozesse für Baugenehmigungen, exzessive Grünflächen (vgl. Duranton & Puga, 2023; Glaeser et al., 2005).
- 4 Siehe Glaeser und Gottlieb (2008). Aus der Perspektive der optimalen Einkommensbesteuerung gibt es inzwischen neue Verteilungsargumente für Regionalpolitik (Gaubert et al., 2024).
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