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Erhebliche regionale Disparitäten werden in Deutschland von einer Abwanderung aus strukturschwachen Regionen begleitet. Theoretische Modelle liefern keine eindeutigen Aussagen über die Effekte der Wanderung. Empirische Befunde zeigen dagegen, dass die Mobilität zu einem Abbau der Unterschiede beitragen kann. Selektive Wanderungen können Disparitäten allerdings auch vertiefen. Die Persistenz der regionalen Unterschiede in Deutschland und mögliche negative Effekte einer Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus strukturschwachen Regionen sprechen für eine effektive regionalpolitische Unterstützung dieser Regionen. Zudem sollte eine Koordinierung der regionalpolitischen Förderung mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erfolgen.

In Deutschland bestehen deutliche und recht persistente regionale Unterschiede in der Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarktbedingungen. Dabei prägen vor allem Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Regionen nach wie vor das Muster der regionalen Disparitäten. So erreicht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf Ostdeutschlands auch gegenwärtig nicht mehr als 73 % des westdeutschen Durchschnitts – ohne Berlin sind es sogar nur 68 %. Die Arbeitslosigkeit ist in den ostdeutschen Regionen zwar in den vergangenen Jahren ganz erheblich gesunken. Dennoch übersteigt die ostdeutsche Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 2017 den westdeutschen Wert immer noch um den Faktor 1,4.

Betrachtet man die Disparitäten auf einer tieferen räumlichen Gliederungsebene, für die Kreise und kreisfreien Städte, fallen die Unterschiede noch sehr viel deutlicher aus. So übersteigt das BIP pro Kopf der kreisfreien Stadt Wolfsburg mit mehr als 178 000 Euro (in jeweiligen Preisen) im Jahr 2016 das Pro-Kopf-Einkommen der ärmsten Region, der Südwestpfalz (annähernd 16 000 Euro), etwa um den Faktor 11. Auch die Spannweite der regionalen Arbeitslosenquoten ist beträchtlich. Während in der bayerischen Region Eichstätt mit einer jahresdurchschnittlichen Quote von 1,5 % im Jahr 2017 Vollbeschäftigung herrschte, betrug der Anteil der Arbeitslosen an den Erwerbspersonen in Gelsenkirchen rund 14 %.1 Zudem erweisen sich diese Disparitäten als sehr persistent – die regionalen Arbeitslosenquoten sind auch über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren (1993 bis 2015) sehr stark positiv korreliert (Korrelationskoeffizient 0,76). An der Rangfolge der Regionen ändert sich also auch über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichsweise wenig.

Neben den ausgeprägten regionalen Disparitäten zeigen sich bedeutende Wanderungsströme innerhalb Deutschlands. Und auch die Binnenwanderung ist seit langem wesentlich durch ein Ost-West-Muster gekennzeichnet. So summiert sich der Wanderungsverlust ostdeutscher Regionen seit Anfang der 1990er Jahre auf rund 1,8 Mio. Menschen.2 Verschiedene Untersuchungen betonen in diesem Zusammenhang die Bedeutung der unterschiedlichen Arbeitsmarktbedingungen in Ost- und Westdeutschland für das Muster der Wanderungsströme.3 Damit stellt sich die Frage, inwieweit sich wiederum die Wanderungsbewegungen auf die Entwicklung der Disparitäten auswirken und welche Implikationen sich daraus für die Regionalpolitik in Deutschland ableiten lassen.

Regionale Disparitäten und Wanderungsbewegungen aus theoretischer Sicht

Der Zusammenhang zwischen interregionalen Wanderungen und Unterschieden in den regionalen Arbeitsmarktbedingungen wird in verschiedenen theoretischen Ansätzen thematisiert. Relevant sind zum einen Modelle, die sich mit den Determinanten von Wanderungsbewegungen auseinandersetzen. Zum anderen lassen sich aus regionalökonomischen Modellen Aussagen darüber ableiten, wie sich die Arbeitskräftemobilität auf die regionalen Disparitäten auswirkt. Es handelt sich also um einen interdependenten Zusammenhang.

In der Migrationstheorie wird eine Vielzahl von Faktoren diskutiert, denen ein Einfluss auf das Migrationsverhalten zugeschrieben wird. Die grundsätzliche Idee ist dabei, dass der Wanderungsentscheidung eine Nutzenmaximierung zugrunde liegt. Unterschiedliche Faktoren beeinflussen die Attraktivität von Standorten für Individuen und damit das Nutzenniveau, das dieser Region als Wohnort beigemessen wird. Wenn es um die Mobilität von Arbeitskräften geht, wird insbesondere den Arbeitsmarktbedingungen, also vor allem dem regionalen Lohnniveau und der Arbeitslosigkeit eine zentrale Rolle zugeordnet.4 Hieraus lässt sich die Erwartung ableiten, dass Arbeitskräfte ihren Wohn- und Arbeitsort aus Gebieten mit niedrigem Lohnniveau und hoher Arbeitslosigkeit in Regionen mit einer höheren durchschnittlichen Entlohnung und relativ niedriger Arbeitslosigkeit verlegen.

Allerdings werden Personen nur dann eine Wanderung in Betracht ziehen, wenn der damit verbundene Ertrag die mit einem Umzug verbundenen Mobilitätskosten (z. B. Umzugskosten, soziale Kosten) übersteigt.5 Hohe Mobilitätskosten wirken somit dämpfend auf das Wanderungsvolumen. Auch bei nicht unerheblichen Disparitäten wird es daher nur schwache Wanderungsbewegungen zwischen Regionen geben, wenn die Wanderungskosten relativ hoch sind. In diesem Fall sind auch keine bedeutenden Effekte auf die Disparitäten zu erwarten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass weitere Wanderungsmotive existieren und neben den Arbeitsmarktbedingungen auch andere Faktoren die Attraktivität einer Region für mobile Arbeitskräfte beeinflussen. Zu nennen sind hier etwa das öffentliche Infrastrukturangebot oder auch klimatische Bedingungen.6 Wenn der Einfluss solcher Determinanten dominiert, sind Regionen mit relativ ungünstigen Arbeitsmarktbedingungen nicht zwangsläufig durch eine Nettoabwanderung gekennzeichnet.

In traditionellen neoklassischen Modellen wird die Mobilität von Arbeitskräften durch regionale Unterschiede im Lohnniveau und der Arbeitslosigkeit beeinflusst und trägt dazu bei, diese Disparitäten abzubauen. Interregionale Wanderungen sind hier ein wichtiger Anpassungsmechanismus, wenn regionale Ungleichgewichte vorliegen. In diesen Modellen dominiert der Effekt der Arbeitskräftemobilität auf das regionale Arbeitsangebot. Signifikante Wirkungen auf die regionale Arbeitsnachfrage bestehen nicht oder sind deutlich schwächer als die Angebotseffekte. In Regionen mit günstigen Arbeitsmarktbedingungen, die eine Nettozuwanderung verzeichnen sollten, steigt durch die Immigration von Arbeitskräften das Arbeitsangebot. Diese Veränderung wiederum senkt ceteris paribus das regionale Lohnniveau und/oder führt – bei wenig flexiblen Löhnen – zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Gegensatz dazu verbessern sich in den durch Abwanderung gekennzeichneten strukturschwachen Regionen die Arbeitsmarktbedingungen durch den Rückgang des regionalen Erwerbspersonenpotenzials.7 Wenn aber trotz signifikanter regionaler Disparitäten kein ausreichender Wanderungsanreiz besteht, z. B. aufgrund hoher Mobilitätskosten, führen Wanderungsbewegungen auch in einem neoklassischen Modellrahmen nicht zwangsläufig zu einem vollständigen Abbau der Disparitäten.8

Aber auch wenn viele Arbeitskräfte aus strukturschwachen Regionen in Gebiete mit günstigen Arbeitsmarktbedingungen abwandern, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die regionalen Unterschiede geringer werden. Wenn die interregionalen Wanderungsbewegungen neben dem Effekt auf das Arbeitsangebot zugleich mit einer signifikant veränderten Arbeitsnachfrage in den Ursprungs- und Zielregionen verbunden sind, kann die Mobilität von Arbeitskräften Disparitäten auch vertiefen. Bedeutende Effekte auf die regionale Arbeitsnachfrage können auf Agglomerationseffekten oder einer selektiven Wanderung von Arbeitskräften basieren. Erhöhen sich durch Zuwanderung Agglomerationsvorteile in den Zielregionen und steigt auf diesem Wege die Produktivität, die Arbeitsnachfrage und das Lohnniveau in den prosperierenden Regionen, werden die Wanderungsanreize zugunsten der wirtschaftlich starken Gebiete durch die Wanderungsströme noch verstärkt. In den durch eine Abwanderung gekennzeichneten Regionen stellen sich dagegen aufgrund des Verlusts von Agglomerationsvorteilen negative Effekte auf die Produktions- und Arbeitsmarktbedingungen ein. Durch die Mobilität der Arbeitskräfte entwickeln sich Zu- und Abwanderungsregionen also zunehmend auseinander.9 Ein Prozess kumulativer Verursachung mit zunehmenden regionalen Disparitäten kann sich auch bei selektiven Wanderungen einstellen. Eine höhere Mobilitätsneigung hochqualifizierter Personen kann dazu führen, dass sich durch die Zuwanderung die Humankapitalausstattung in den Zielregionen deutlich verbessert und zu Produktivitäts- und Lohnsteigerungen führt, während sich infolge des Humankapitalverlusts in den strukturschwachen Regionen die Arbeitsmarktbedingungen verschlechtern.10

Die theoretische Literatur über den Zusammenhang zwischen regionalen Disparitäten und der Wanderungsbilanz von Regionen liefert somit keine eindeutigen Aussagen darüber, ob es durch die interregionalen Wanderungen von Arbeitskräften zu einer Angleichung der regionalen Arbeitsmarktbedingungen kommt.

Interregionale Wanderungen in Deutschland

Ein Blick auf die Wanderungsbewegungen zwischen Ost- und Westdeutschland legt nahe, dass die Arbeitskräfte sich bei der Wahl ihres Wohn- und Arbeitsortes tatsächlich an Unterschieden in den regionalen Arbeitsmarktbedingungen orientieren.11 Abbildung 1 zeigt, dass die ostdeutschen Bundesländer seit Anfang der 1990er Jahre fast durchgehend eine Nettoabwanderung verzeichnen. Allerdings schwanken die Wanderungsverluste im Zeitablauf und über Altersgruppen hinweg nicht unerheblich. Eine überproportionale Abwanderung aus ostdeutschen Regionen ist vor allem für jüngere Altersgruppen und insbesondere für Frauen zwischen 18 und 25 Jahren festzustellen.

Abbildung 1
Wanderungssaldo der Ost-West-Wanderung für Ostdeutschland (ohne Berlin)
Saldo je 1000 Einwohner nach Altersgruppen
Wanderungssaldo der Ost-West-Wanderung für Ostdeutschland (ohne Berlin)

Quelle: Statistisches Bundesamt, Wanderungsstatistik; eigene Berechnung.

Im Gegensatz dazu sind für die über 50-Jährigen über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg keine nennenswerten Wanderungsverluste Ostdeutschlands zu beobachten. Bemerkenswert ist der deutliche Rückgang der Nettoabwanderung in den vergangenen 15 Jahren. Für einige Altersgruppen ergibt sich am aktuellen Rand teilweise sogar ein positiver Wanderungssaldo der ostdeutschen Regionen. Insgesamt weisen die Ergebnisse zur Ost-West-Wanderung darauf hin, dass Jüngere eine deutlich höhere Wanderungsneigung haben als ältere Menschen. Eine Selektivität der Wanderungen besteht darüber hinaus in Bezug auf die Qualifikation der Arbeitskräfte: die Wanderungswahrscheinlichkeit steigt mit dem Qualifikationsniveau.12 Allerdings ist ein nicht unerheblicher Teil der (Erwerbs-)Bevölkerung trotz der erheblichen regionalen Disparitäten in Deutschland immobil.

Effekte der Wanderungsbewegungen auf die regionalen Disparitäten

Die Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen Ost- und Westdeutschland erweisen sich trotz der anhaltenden Nettoabwanderung aus den ostdeutschen Bundesländern als recht persistent. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Binnenwanderung überhaupt zur moderaten Angleichung des BIP je Einwohner beigetragen hat. Dies lässt sich veranschaulichen, wenn die Entwicklung der entsprechenden Ost-West-Relation unter der Annahme einer konstanten Bevölkerung berechnet wird, Wanderungen zwischen den Regionen also ausgeschlossen werden. Die damit abgebildete Veränderung der Disparitäten ist ausschließlich auf regionale Unterschiede im BIP-Wachstum zurückzuführen.13 In Abbildung 2 wird die tatsächliche Entwicklung der Relation jener bei einer konstanten Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland gegenübergestellt.

Abbildung 2
Entwicklung des ostdeutschen BIP pro Kopf (ohne Berlin) in Relation zum westdeutschen Niveau
Entwicklung des ostdeutschen BIP pro Kopf (ohne Berlin) in Relation zum westdeutschen Niveau

Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder; eigene Berechnungen.

Der zunächst weitgehend übereinstimmende Verlauf der beiden Kurven zeigt, dass der Aufholprozess Ostdeutschlands in der ersten Hälfte der 1990er Jahre vor allem durch das überdurchschnittliche Wachstum des BIP in den ostdeutschen Regionen getragen wurde. Ab Mitte der 1990er Jahre beginnen die Kurven sich voneinander zu entfernen. Der Abstand der Kurven spiegelt den Einfluss der differenzierten Bevölkerungsentwicklung in den Landesteilen wider. Seit 1996 hätte sich der Rückstand Ostdeutschlands gegenüber den westdeutschen Bundesländern nicht mehr nennenswert reduziert, wenn die Bevölkerung in Ostdeutschland durch die Abwanderung nicht signifikant geschrumpft wäre. Das seit Mitte der 1990er Jahre vergleichsweise schwache Wachstum des BIP in den ostdeutschen Regionen wurde durch den anhaltenden Rückgang der Bevölkerung kompensiert. Ohne die differenzierte demografische Entwicklung wären die Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen Ost- und Westdeutschland bei den gegebenen Wachstumsunterschieden wesentlich ausgeprägter als sie es tatsächlich sind.

Ein statistisch signifikanter Effekt der interregionalen Arbeitskräftewanderungen auf die regionalen Disparitäten lässt sich auch feststellen, wenn man dieser Frage kleinräumiger, auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte, und auf der Grundlage einer Regressionsanalyse nachgeht. Die Befunde entsprechender Untersuchungen legen nahe, dass durch die Wanderungsbewegungen in Deutschland Unterschiede in den regionalen Arbeitslosenquoten reduziert werden. Allerdings unterscheiden sich die Effekte je nach Qualifikationsniveau der Arbeitskräfte. Die Mobilität von ungelernten Arbeitskräften und von Beschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung unterstützt den Ergebnissen zufolge den Abbau von Disparitäten. Die Wanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften, also Beschäftigten mit einem Hochschulabschluss, wirkt demgegenüber einer Konvergenz der regionalen Arbeitsmarktbedingungen entgegen. Durch selektive Wanderungen kann es demzufolge zu einer Vertiefung der regionalen Disparitäten kommen.14 Zudem ist festzustellen, dass sich die Migrationsströme in Deutschland nur langsam an sich verändernde Unterschiede in der regionalen Arbeitslosigkeit anpassen. Regionale Schocks in der Arbeitslosenquote werden durch Migration zwar abgebaut, dieser Prozess schreitet jedoch nur sehr langsam voran und eine signifikante Reduzierung der Disparitäten über diesen Ausgleichsmechanismus erfordert daher einen längeren Zeitraum.15

Implikationen für die Regionalpolitik in Deutschland

Die Befunde zur Entwicklung der regionalen Disparitäten und den Effekten von Arbeitskräftewanderungen auf die Unterschiede in der regionalen Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarktbedingungen unterstreichen die Bedeutung der regionalpolitischen Förderung strukturschwacher Regionen. Trotz nicht unerheblicher Wanderungsströme zwischen den Regionen in Deutschland bestehen nach wie vor erhebliche Disparitäten. Durch die Wanderung von Arbeitskräften kommt es nur zu einem sehr langsamen Abbau von Entwicklungsunterschieden und darüber hinaus können selektive Wanderungsbewegungen regionale Disparitäten vertiefen. Zudem ist ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung immobil, d. h. viele Menschen verlassen Regionen auch dann nicht, wenn sie einen erheblichen und persistenten Entwicklungsrückstand gegenüber anderen Gebieten aufweisen. Die Strategie einer passiven Sanierung strukturschwacher Gebiete durch Migration (people to jobs) erscheint vor diesem Hintergrund wenig erfolgversprechend.

Ein weiteres Argument für eine aktive Sanierung strukturschwacher Gebiete (jobs to people) lässt sich aus dem aktuellen Erfolg populistischer Bewegungen ableiten, der unter anderem auf das Fehlen von Entwicklungsperspektiven in abgehängten Regionen zurückgeführt wird. Der Brexit und die Wahl Donald Trumps wird in einigen Studien als „Rache der abgehängten Regionen“ interpretiert, die am Ende nicht nur die strukturschwachen Regionen selbst treffen wird, sondern auch die Wachstumsaussichten der wirtschaftlich starken (Agglomerations-)Räume beeinträchtigt.16

Die Strategie einer aktiven Sanierung spiegelt sich deutlich im Ziel der deutschen Regionalpolitik wider. Es geht darum, hochwertige Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen zu schaffen und zu sichern – ausgehend von den dort vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten.17 Dieser Ansatz kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn die Förderung auf dem Einsatz effektiver Instrumente basiert. Verschiedene Studien kommen zwar zu dem Ergebnis, dass die regionalpolitische Förderung durchaus bedeutende Effekte in strukturschwachen Regionen hat.18 Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ umfasst allerdings eine Vielzahl unterschiedlicher Fördermaßnahmen (unter anderem Zuschüsse zu Investitionen der gewerblichen Wirtschaft, Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur, Regionalmanagement) über deren Wirkung im Einzelnen bislang zu wenig gesicherte Erkenntnisse vorliegen.

Im Hinblick auf die zukünftige Ausgestaltung der Regionalpolitik ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die Rahmenbedingungen der Förderung infolge des demografischen Wandels in Deutschland erheblich verändern werden. In den meisten strukturschwachen Regionen wird es in den kommenden Jahren, auch infolge der anhaltenden Abwanderung von Arbeitskräften, zu einem erheblichen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials kommen. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit im Fördergebiet bei einer mangelnden Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte vor Ort zusätzliche hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können und ob der Schaffung zusätzlicher Wertschöpfung in Zukunft mehr Gewicht eingeräumt werden muss.

Um eine effektive regionalpolitische Förderung bei einem sinkenden Erwerbspersonenpotenzial zu gewährleisten, sollte zudem eine bessere Koordinierung aller relevanten Politikbereiche angestrebt werden. Hier ist insbesondere an eine stärkere Verzahnung regionalpolitischer Instrumente mit Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktmarktpolitik zu denken. Die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze durch strukturpolitische Maßnahmen setzt die Verfügbarkeit adäquat qualifizierter Fachkräfte voraus. Eine flankierende Förderung der beruflichen Weiterbildung und die Unterstützung von Rekrutierungsprozessen dürften für eine erfolgreiche Regionalpolitik in strukturschwachen Regionen zunehmend an Bedeutung gewinnen.

  • 1 Zwar wird die räumliche Struktur der Disparitäten in Deutschland deutlich durch die Ost-West-Unterschiede geprägt. Die Spannweiten des regionalen Pro-Kopf-Einkommens und der Arbeitslosenquote werden allerdings jeweils durch zwei westdeutsche Regionen determiniert. Allein durch die großräumigen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland wird das räumliche Muster der Disparitäten also nur unzureichend beschrieben. Unterschiede in der Wirtschaftskraft und den Arbeitsmarktbedingungen bestehen insbesondere auch zwischen verschiedenen Regionstypen. So zeichnen sich z. B. Agglomerationsräume durch ein deutlich höheres Produktivitäts- und Einkommensniveau aus als verstädterte und ländliche Regionen. Vgl. auch A. Niebuhr: Die Entwicklung regionaler Disparitäten in Deutschland – Persistente Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, in: H. H. Eberstein, H. Karl, G. Untiedt (Hrsg.): Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung, Köln 2017, S. 1-38.
  • 2 Vgl. M. Slupina, T. Damm, R. Klingholz: Im Osten auf Wanderschaft. Wie Umzüge die demografische Landkarte zwischen Rügen und Erzgebirge verändern, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin 2016.
  • 3 Vgl. z. B. B. Alecke, T. Mitze, G. Untiedt: Internal migration, regional labour market dynamics and implications for German East-West disparities: results from a Panel VAR, in: Jahrbuch für Regionalwissenschaft, 30. Jg. (2010), H. 2, S. 159-189.
  • 4 Vgl. Ö. B. Bodvarsson, H. van den Berg: The economics of immigration – Theory and policy, New York 2009.
  • 5 Vgl. L. L. Sjaastad: The costs and returns of human migration, in: Journal of Political Economy, 70. Jg. (1962), H. 5, S. 80-93.
  • 6 Vgl. z. B. J. Rappaport: Moving to nice weather, in: Regional Science and Urban Economics, 37. Jg. (2007), H. 3, S. 375-398.
  • 7 Vgl. A. Niebuhr, N. Granato, A. Haas, S. Hamann: Does labour mobility reduce disparities between regional labour markets in Germany?, in: Regional Studies, 46. Jg. (2012), H. 7, S. 841-858.
  • 8 Zudem können regionale Lohnunterschiede auch Unterschiede in der Lebensqualität widerspiegeln, die z. B. auf das Angebot öffentlicher Güter oder andere Annehmlichkeiten des Standortes zurückzuführen sind. Arbeitskräfte wandern dann trotz eines vergleichsweise niedrigen Lohnniveaus nicht ab, wenn dies durch eine hohe Lebensqualität in der Region kompensiert wird. Vgl. P. McCann: Urban and regional economics, Oxford 2002.
  • 9 Vgl. z. B. J. Südekum: Increasing returns and spatial unemployment disparities, in: Papers in Regional Science, 84. Jg. (2005), H. 2, S. 159-181.
  • 10 Vgl. M. Burda, C. Wyplosz: Human capital, investment and migration in an integrated Europe, in: European Economic Review, 36. Jg. (1992), H. 2-3, S. 677-684.
  • 11 Darauf weisen auch die Befunde verschiedener Analysen der Wanderungsbewegungen zwischen Ost- und Westdeutschland hin. Vgl. B. Alecke, T. Mitze, G. Untiedt, a. a. O.; J. Hunt: Staunching Emigration from East Germany: Age and the Determinants of Migration, in: Journal of the European Economic Association, 4. Jg. (2006), H. 5, S. 1014-1037.
  • 12 Vgl. N. Granato, A. Haas, S. Hamann, A. Niebuhr: The impact of skill-specific migration on regional unemployment disparities in Germany, in: Journal of Regional Science, 55. Jg. (2015), H. 4, S. 513-539.
  • 13 Vgl. R. Lehmann, J. Ragnitz: Ist die Angleichung zwischen Ost und West ein statistisches Artefakt?, in: ifo Dresden berichtet, Nr. 5/2012, S. 3-4.
  • 14 Vgl. N. Granato, A. Haas, S. Hamann, A. Niebuhr, a. a. O.
  • 15 Vgl. T. Büttner: Agglomeration, Growth and Adjustment – A Theoretical and Empirical Study of Regional Labor Markets in Germany, Heidelberg, New York 1999.
  • 16 A. Rodríguez-Pose: The revenge of the places that don‘t matter (and what to do about it), in: Cambridge Journal of Regions, Economy and Society, 11. Jg. (2018), S. 189-209.
  • 17 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, Berlin, 4.8.2016.
  • 18 Vgl. etwa M. von Ehrlich, T. Seidel: The Persistent Effects of Place-Based Policy: Evidence from the West-German Zonenrandgebiet, in: American Economic Journal: Economic Policy, 10. Jg. (2018), H. 4, S. 344-374; oder S. O. Becker, P. H. Egger, M. von Ehrlich: Going NUTS: The effect of EU Structural Funds on regional performance, in: Journal of Public Economics, 94. Jg. (2010), H. 910, S. 578-590.

Title:Regional Disparities and Labour Migration – Implications for Regional Policy in Germany

Abstract:The author observes significant regional disparities in labour market conditions in Germany accompanied by heavy outward migration from lagging regions. While theoretical models provide no clear­cut implications for the effects of migration on regional disparities, empirical analysis indicates that migration tends to reduce disparities. Selective migration might, however, counteract the reduction of regional differences in labour market conditions. The persistence of regional disparities and the possibility of cumulative processes caused by outward migration of highly skilled workers from lagging regions make a case for an effective regional policy and coordination with labour market policy.

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DOI: 10.1007/s10273-019-2429-5