Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) verpflichtet große Unternehmen, menschenrechtliche Risiken in ihren Lieferketten zu analysieren und präventive Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Der Beitrag zeigt anhand einer 2023 durchgeführten Befragung von Betriebsräten, welche Unternehmen durch das Gesetz betroffen sind und welche Maßnahmen sie umgesetzt haben. Als Vergleichsgruppe dienen Unternehmen, die nicht unter das Gesetz fallen, um zu zeigen, wie sehr das Gesetz Änderungen in den Lieferketten bewirkte. Zudem wird beleuchtet, wie intensiv sich Management, Betriebsrat und Beschäftigte mit dem Thema befassten und welchen Kenntnisstand Betriebsräte haben.
Das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, LkSG) trat zum 1. Januar 2023 in Kraft. Ursprünglich galt es für Unternehmen mit mindestens 3.000 inländischen Beschäftigten, seit dem 1. Januar 2024 auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten in Deutschland. Jüngst wurde allerdings in der politischen Debatte im Rahmen der „Wachstumsinitiative“ und unter Bezugnahme auf die Europäische Lieferkettenrichtlinie eine Reform des Gesetzes diskutiert, die den Kreis der betroffenen Unternehmen wieder verkleinern könnte (BMWK, 2024; BMJ, 2024; van Rinsum, 2024).
Das LkSG verpflichtet das Management großer Unternehmen zur Analyse und Kontrolle von menschenrechtlichen Risiken in ihren Lieferketten und zur Entwicklung präventiver Maßnahmen. Im Zusammenhang mit dem LkSG wurde auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) angepasst. Damit ist in Unternehmen, die einen Wirtschaftsausschuss1 haben, das Thema „unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ für Betriebsräte relevant. Auch außerhalb des Wirtschaftsausschusses können sich Betriebsräte (und Beschäftigte) mit dem Thema befassen: aus politischem Interesse oder weil die geänderte Rechtslage (oder die Antizipation neuer Gesetze) betriebliche Anpassungen bedingen und Produktionsabläufe beeinflussen kann.
Dieser Beitrag stellt Ergebnisse aus einer im Jahr 2023 durchgeführten repräsentativen Erhebung unter Betriebsräten vor, die vor allem zu zwei Themenkomplexen Auskunft geben:
Erstens zum Thema, welche Unternehmen vom LkSG betroffen sind und welche Unternehmen – eventuell sogar ohne in den Geltungsbereich des LkSG zu fallen – Maßnahmen zur Überprüfung und Gestaltung ihrer Lieferketten umgesetzt haben. Darüber hinaus wird untersucht, welche der im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen umgesetzt worden sind und ob das Gesetz zu einer Umstrukturierung von Lieferketten geführt hat.
Zweitens wurde erhoben, welche Gruppen im Betrieb (Management, Wirtschaftsausschuss, Betriebsrat, Beschäftigte) sich mit dem Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ auseinandergesetzt haben. Das betrifft einerseits die zur Umsetzung verpflichteten Akteure, anderseits auch diejenigen, die formal nicht betroffen sind (etwa das Management in Unternehmen, die nicht dem LkSG unterliegen, oder die Beschäftigten). Außerdem wird die Frage aufgeworfen, ob sich Betriebsräte ausreichend informiert fühlen.
Die Betriebsräte geben damit über ihre eigene Situation Auskunft und erteilen zugleich Auskunft über die Umsetzung des LkSG in ihren Unternehmen. Auf dieser Grundlage trägt dieser Beitrag zur Rechtstatsachenforschung zum LkSG bei. Dabei ist zur Einordnung allerdings darauf hinzuweisen, dass das Thema Lieferketten mutmaßlich hinter anderen Themen der alltäglichen Betriebsratsarbeit zurücksteht, insbesondere denjenigen, bei denen Betriebsräte klare Mitbestimmungsrechte haben (§ 87 BetrVG). Zugleich erlaubt dieser Zugang eine Einschätzung, inwiefern Betriebsräte auch jenseits ihres gesetzlichen Auftrags (wirtschafts-)politische Akteure sind. Mit dem Fokus auf die Umsetzung des Lieferkettengesetzes aus Sicht der Betriebsräte ergänzt die Analyse rechtswissenschaftliche bzw. praxisorientierte Einordnungen und Handlungshilfen für Interessenvertretungen (Grabosch, 2021; Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE, 2021; Zimmer, 2023), vor allem aber erste Untersuchungen zur Praxis der Umsetzung des LkSG , wie z. B. in Beile und Vitolis (2024).
Datengrundlage
Grundlage der Analyse ist die WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023 (sechste Befragungswelle dieses Panels; Brehmer, 2024). Befragt wurden Betriebsräte (seit 2021 auch Personalräte des öffentlichen Dienstes) aus Betrieben (und Dienststellen) mit mindestens 20 Beschäftigten. Die Befragung umfasst alle Branchen Deutschlands. Die Stichprobenziehung erfolgte als eine geschichtete Zufallsziehung aus der Betriebsdatei der Bundesagentur für Arbeit. Alle hier gemachten Angaben sind gewichtet (außer Fallzahlen), um dem Ziehungsverfahren Rechnung zu tragen.
Der Befragungszeitraum war vom 15. März 2023 bis 15. September 2023; zuvor wurde ein Pretest durchgeführt. Die Interviews mit den Betriebs- und Personalräten wurden telefonisch (Computer Assisted Telephone Interview) vom Umfragezentrum Bonn (uzbonn) durchgeführt und behandeln verschiedene Themen, unter denen das LkSG einen der Themenschwerpunkte bildet. Längere Antwortlisten mit mehr als fünf Items waren randomisiert. Es fanden insgesamt 2.712 Betriebsrats- und 1.001 Personalratsinterviews statt, die Fragen zum LkSG wurden jedoch nur den Betriebsräten gestellt. Jedes Interview steht für ein Gremium und einen Betrieb, d. h. es wurde nur ein Mitglied aus einem Betriebsratsgremium interviewt, in der Regel die oder der Betriebsratsvorsitzende.
Betroffenheit des Unternehmens vom LkSG
Die Betroffenheit des Unternehmens vom LkSG ergibt sich einerseits aus der Unternehmensgröße und andererseits aus der Einbindung des Unternehmens in Lieferketten. Andere Gründe (Umsatz, Importabhängigkeit) spielen im LkSG keine Rolle. Lieferketten können auch im Inland vorliegen und müssen dann ebenfalls geprüft werden.
Die Betriebsräte wurden zunächst gebeten, Auskunft darüber zu geben, ob das Unternehmen, zu dem ihr Betrieb gehört, vom Gesetz betroffen ist.2 Insgesamt gaben 35,8 % der Befragten an, dies sei der Fall, 54,9 % verneinten und weitere 9,3 % gaben an, dass das Unternehmen keine Zulieferer habe. Für die weitere Analyse werden die letzten beiden Kategorien als „nein“ zusammengefasst. Wenig überraschend steigt der Anteil der betroffenen Unternehmen nach Auskunft der Betriebsräte mit der Unternehmensgröße (hier unterteilt nach den Schwellenwerten des LkSG): Geben Betriebsräte in Unternehmen mit unter 1.000 Beschäftigten trotz Unterschreiten der Schwelle zu 17,5 % an, dass ihr Unternehmen betroffen ist, sind es in der mittleren Kategorie (1.000 bis 2.999 Beschäftigte) 57,4 % und unter den Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten 68,1 % (Abbildung 1).
Abbildung 1
Betroffenheit des Unternehmens vom LkSG nach Unternehmensgrößen (Zahl der Beschäftigten)
N = 2.586
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Weitere Unterschiede in der Betroffenheit hängen wesentlich mit der Unternehmensgröße zusammen, etwa der höhere Anteil der betroffenen Unternehmen unter solchen mit einer Unternehmenszentrale im Ausland, mit einem Aufsichtsrat und Arbeitnehmervertretenden im Aufsichtsrat.
Deutliche Unterschiede zeigen sich in der Branchenanalyse. In Abbildung 2 wurden zwei Branchen aufgrund zu geringer Fallzahlen ausgeschlossen („Land- und Forstwirtschaft, Fischerei“ sowie „öffentliche Verwaltung“). Branchen mit unter 200 Fällen sind hell eingefärbt.3 Bei den Unterschieden zwischen Branchen spielen sicher auch die durchschnittlichen Unternehmensgrößen eine Rolle, die zwischen den Branchen variieren. Dennoch ist es auffällig, dass Handel/Verkehr/Lagerei/Gastgewerbe gefolgt von Baugewerbe und unternehmensnahen Dienstleistungen eine deutlich höhere Betroffenheit aufweisen als das Produzierende Gewerbe. Zur Interpretation ist es aber notwendig, auch die Verteilung der Unternehmen auf die Branchen zu berücksichtigen (Abbildung 3) – hier wird deutlich, dass Dienstleistungsunternehmen einen größeren Anteil der betroffenen Unternehmen als Unternehmen des Produzierenden Gewerbes ausmachen.
Abbildung 2
Betroffenheit des Unternehmens durch das LkSG nach Branchen
N = 2.511
Zwei Branchen („Land-und Forstwirtschaft, Fischerei“ sowie „öffentliche Verwaltung“) aufgrund zu geringer Fallzahlen ausgeschlossen. Branchen mit unter 200 Fällen sind hell eingefärbt.
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Ergänzend kann zur Interpretation die Auswertung nach gewerkschaftlichen Organisationsbereichen hinzugezogen werden. Deutlich wird dabei, dass vor allem im Organisationsbereich der NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, 58,7 %) relativ mehr vom LkSG betroffene Unternehmen vertreten sind als etwa in den Organisationsbereichen der IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, 45,8 %) und der IG BAU (Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, 44,5 %). Auch hier ist die Größe der jeweiligen Organisationsbereiche zu berücksichtigen. Während rund 47 % der betroffenen Unternehmen zum Organisationsbereich von ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) gehören, gehören nur rund 7 % zum Organisationsbereich der NGG. In den Bereich der Industriegewerkschaften fallen rund 25 % (IG Metall) bzw. 11 % (IG BCE), Unternehmen im Bereich der IG BAU machen 6 % aus.
Abbildung 3
Verteilung der betroffenen Unternehmen auf Branchen
in %, N = 2.511
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Die Analyse zeigt soweit teils erwartbare Unterschiede zwischen den Unternehmen. Auffällig ist allerdings, dass nach Angaben der Betriebsräte rund ein Drittel der Unternehmen mit über 3.000 Beschäftigten und mehr als zwei Fünftel der Unternehmen mit 1.000 bis 2.999 Beschäftigten nicht durch das LkSG betroffen sind. Analysiert nach Branchen scheinen einzelne Dienstleistungssektoren und gerade Unternehmen im Bereich der NGG relativ eher betroffen zu sein als Unternehmen in anderen Branchen/Organisationsbereichen. Die meisten Unternehmen versammeln sich aber im Bereich von ver.di, gefolgt von den beiden großen Industriegewerkschaften.
Änderungen in der Lieferkette
Die Betriebsräte wurden gefragt, ob in ihren Unternehmen in den letzten zwei Jahren Maßnahmen zur Überprüfung oder Veränderung der Lieferketten ergriffen wurden, um Menschen- und Arbeitnehmerrechte oder Umweltstandards einzuhalten.4 Diese Frage wurde sowohl Betriebsräten aus Unternehmen gestellt, die laut ihrer Angabe vom LkSG betroffen sind, als auch jenen, in denen sich Betriebsrat, Management oder Wirtschaftsausschuss mit dem Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ auseinandergesetzt haben, ohne in den Geltungsbereich des Gesetzes zu fallen. Wurde angegeben, dass es zu Änderungen in der Lieferkette gekommen sei, wurde nachgefragt, welche Änderungen vorgenommen wurden. Bei Angabe von mindestens einer konkreten Änderung (einschließlich „sonstiges“) wurde nochmals nach dem Zusammenhang mit dem LkSG gefragt – also ob die Änderung in Reaktion auf die Einführung des LkSG erfolgte oder unabhängig davon.5
Rund 43 % der Betriebsräte gaben an, dass es in ihrem Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren zu Änderungen der Lieferketten gekommen sei, um Menschen- und Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards gerecht zu werden. Dieser Wert liegt in vom LkSG betroffenen Unternehmen mit rund 46 % nur wenig höher. 35 % der nicht von LkSG erfassten Unternehmen haben dennoch ihre Lieferketten verändert (Abbildung 4). Hier gibt es jedoch auch einen hohen Anteil an „weiß nicht“-Angaben.
Abbildung 4
Änderungen der Lieferketten in den vergangenen zwei Jahren
N = 1.233
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Umgesetzte Änderungen in der Lieferkette werden vor allem aus großen Unternehmen berichtet und solchen mit Unternehmenszentrale im Ausland. Bei einer als schlecht eingeschätzten wirtschaftlichen Lage werden deutlich seltener Änderungen gemeldet (Abbildung 5).
Abbildung 5
Änderungen der Lieferketten in den vergangenen zwei Jahren, nach wirtschaftlicher Lage
N = 1.218
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Auch differenziert nach Branchen und Organisationsbereichen macht die Befragung wieder Unterschiede deutlich, die zwar nicht eins zu eins denen nach Betroffenheit der Unternehmen entsprechen, aber dennoch den Hinweis darauf geben, dass Unternehmen in Dienstleistungssektoren relativ eher Lieferketten geändert haben.
Ergab die Befragung, dass in den Unternehmen in den vergangen zwei Jahren Änderungen in der Lieferkette vorgenommen wurden, wurden die Betriebsräte nach der Art der Änderungen gefragt. Die erfassten Maßnahmen richteten sich an den Vorgaben des LkSG aus (Abbildung 6). Es wurden häufiger Maßnahmen genannt, die auf eine Analyse und auf Überwachung und Kontrolle abzielen als auf eine Änderung der Lieferkette. Die Mehrzahl der reagierenden Unternehmen hat sich also einen systematischen Überblick über ihre Lieferketten verschafft, was im Sinne des LkSG ist. Auch eine Zertifizierung von Zulieferern ist dem Bereich Überwachung und Kontrolle zuzurechnen. Tiefgreifende Änderungen, wie der Verzicht auf Zulieferung oder die Umstellung auf Eigenproduktion, sind deutlich seltener. Dennoch, knapp mehr als ein Fünftel der Betriebsräte gab an, es sei zu einem Verzicht auf Zulieferung bzw. eine Umstellung auf Eigenproduktion gekommen, und 45 % sagten aus, dass andere Zulieferer ausgewählt worden seien. In der Gesamtschau beschäftigen sich die Unternehmen jedoch eher mit der Prüfung und Kontrolle der Lieferketten, während strukturelle Eingriffe in die Lieferketten eine geringere Rolle spielen.
Abbildung 6
Änderungen in Bezug auf Lieferketten in den vergangenen zwei Jahren
in %, N = 509
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Waren diese Änderungen eine Reaktion auf das LkSG? Erstaunlicherweise geben rund 40 % an, dass das nicht der Fall gewesen sei (Abbildung 7). Rund 35 % bejahen, ein Viertel (26 %) antwortet mit „teils/teils“. Hier gibt es klare Unterschiede nach Unternehmensgröße. Damit hat ein erheblicher Anteil der Unternehmen, in denen ein Betriebsrat vorhanden ist, in den letzten zwei Jahren Änderungen in der Lieferkette vorgenommen – und zwar aus Rücksicht auf Arbeitsbedingungen und Menschenrechte. Diese Änderungen umfassen häufige Maßnahmen der Analyse und Überwachung, zu einem geringeren, aber nicht zu vernachlässigenden Anteil aber auch größere Eingriffe. Diese Änderungen waren aber nicht unbedingt eine Reaktion auf das LkSG.
Abbildung 7
Waren Änderungen in der Lieferkette eine Reaktion auf das LkSG?
N = 471
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Beschäftigung verschiedener Gruppen mit dem Thema Lieferketten
Das LkSG adressiert Unternehmen und damit in erster Linie das Management. Auch im Wirtschaftsausschuss soll das Thema behandelt werden.6 Allerdings können sich auch unabhängig vom gesetzlichen Auftrag der Betriebsrat und Beschäftigte mit dem Thema befassen – aus politischem Interesse, aus Interesse an der Produktionsweise des Betriebs und schließlich auch, um Anforderungen des Managements umzusetzen. In der Befragung wurde nach der Beschäftigung verschiedener Gruppen mit dem Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ gefragt, also nicht (nur) explizit nach dem LkSG.7 Die erfassten Gruppen waren: Betriebsrat, Management, Belegschaft und – wo vorhanden – Wirtschaftsausschuss.
Es zeigt sich, dass das Management in allen Unternehmen am ehesten mit der Thematik befasst ist, gefolgt von Wirtschaftsausschuss, Betriebsrat und Belegschaft. Vor allem sind alle Gruppen in den betroffenen Unternehmen deutlich eher mit der Thematik befasst als in Unternehmen, die nicht vom LkSG betroffen sind. Ebenso zeigt sich, dass formal nicht betroffene Gruppen innerhalb des Unternehmens an dem Thema durchaus interessiert sind (immerhin knapp 10 % der Betriebsräte geben an, dass die Belegschaft sich in nicht betroffenen Unternehmen mit dem Thema auseinandersetzt!). Die Befragung zeigt aber auch umgekehrt, dass sich das Management und – wo vorhanden – der Wirtschaftsausschuss nach Aussage der Betriebsräte in vom LkSG betroffenen Unternehmen nicht immer des Themas annehmen (Abbildung 8).
Abbildung 8
Beschäftigung mit dem Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ im Betrieb
N = 2.673
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023, eigene Berechnung.
Deutlich wird, dass in betroffenen und in der Tendenz auch in nicht betroffenen Unternehmen die Beschäftigung mit dem Thema für alle Gruppen mit der Unternehmensgröße zusammenhängt. Ein Unternehmensstandort im Ausland – sicher auch ein Indiz für die Größe des Unternehmens – sorgt ebenfalls in nahezu allen Konstellationen dafür, dass sich die Gruppen eher mit dem Thema auseinandersetzen. Die Analyse nach Branche und gewerkschaftlichem Organisationsbereich zeigt unter anderem, dass es auch in den nicht betroffenen Unternehmen Unterschiede zwischen den Branchen gibt.
Information des Betriebsrats
Die Betriebsräte wurden gefragt, ob sie über das Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ ausreichend informiert seien.8 Insgesamt verneinen rund zwei Drittel der Befragten diese Frage. Wenn das Unternehmen vom LkSG betroffen ist, liegt der Anteil der informierten Betriebsräte höher, bleibt aber unter 40 %.
Die Informiertheit steigt mit der Unternehmensgröße an. Hier ist ein Zusammenhang mit der Betroffenheit des Unternehmens vom LkSG anzunehmen, aber auch mit der Größe und den Ressourcen des Betriebsratsgremiums, das in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße personell und in Hinblick auf die Unterstützung besser ausgestattet ist. Entsprechend zeigen sich positive Zusammenhänge der Informiertheit der Gremien mit der Freistellung von Betriebsratsmitgliedern, Mitarbeitenden des Betriebsrats und materieller Ausstattung.
Der Grad der Informiertheit schwankt außerdem nach Branche und Organisationsbereich. Darin zeigen sich einerseits Branchenunterscheide in der Betroffenheit, eventuell aber auch Unterschiede in der Betreuung/Schulung durch die jeweils zuständige Gewerkschaft. Auch die wirtschaftliche Lage des Unternehmens hat Rückwirkungen auf die Informiertheit des Betriebsrats mit dem Thema. Hier ist zu vermuten, dass die Prioritätensetzung des Betriebsrats in wirtschaftlich schwierigen Lagen eine tiefere Beschäftigung mit dem Thema verhindert.
Fazit
Das LkSG betrifft seit Anfang 2023 unmittelbar Unternehmen mit 3.000 und mehr Beschäftigten, seit Anfang 2024 auch Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten. Mittelbar sind auch Zulieferer dieser Unternehmen betroffen. Derzeit ist das Gesetz wieder in der politischen Diskussion, das Thema bleibt aktuell.
Mit den Daten der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2023 kann gezeigt werden, dass das Gesetz und auch die Debatte um Arbeitnehmer- und Menschenrechte in Lieferketten Wirkung zeigen. In einer relativen Mehrheit der Unternehmen gab es in den vergangenen zwei Jahren Änderungen in der Lieferkette um Menschen- und Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards gerecht zu werden. Allerdings zeigen die Ergebnisse auch, dass Änderungen vielfach nicht direkt auf das LkSG zurückgeführt werden können. Es gibt jedoch auch Lücken in der der Umsetzung: Eine Reihe von Unternehmen in der relevanten Größenklasse wird von den Betriebsräten als „nicht betroffen“ eingestuft, was zumindest auf Informationsdefizite, vermutlich aber auch auf Umsetzungsdefizite hinweist. Mögliche Gründe für Umsetzungsdefizite könnten fehlende Ressourcen von Unternehmen sein, wie es sich im Einfluss der wirtschaftlichen Lage auf Änderungen in der Lieferkette andeutet.
Die von den Betriebsräten genannten Änderungen in der Lieferkette spiegeln mehrheitlich die Grundhaltung des LkSG wider, also den Fokus auf Analyse und Überwachung der Lieferketten. Eine Minderheit der Befragten nennt auch stärkere Eingriffe, wie die Umstellung auf Eigenproduktion oder ein Verzicht auf Zulieferer. Das Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ hat alle abgefragten Gruppen im Betrieb beschäftigt, in vom LkSG betroffenen Unternehmen mehr als in nicht betroffenen. Während das Management die Hauptverantwortung trägt, zeigen die Ergebnisse, dass auch Betriebsräte und Beschäftigte – insbesondere in vom LkSG betroffenen Unternehmen – sich mit dem Thema auseinandersetzen. Dennoch fühlen sich die Betriebsräte oft unzureichend informiert. Hier besteht deutlicher Handlungsbedarf.
Die Aussagen der Betriebsräte legen nahe, dass das Thema insgesamt in Gesellschaft und Wirtschaft angekommen ist. Soll das Thema aber nicht nur durch das Management bearbeitet werden, sondern auch durch den betrieblichen Demos und seine Vertreter:innen, scheinen weitere Informations- und Bildungsinitiativen notwendig. Angesichts neuer – und aus Sicht der Autoren gerechtfertigter Anforderungen – an Unternehmen sollte auch immer die Frage nach angemessenen Ressourcen der Mitbestimmungsgremien mitgedacht werden.
- 1 Der Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG ist in „[..] allen Unternehmen mit in der Regel mehr als einhundert ständig beschäftigten Arbeitnehmern […] zu bilden. Der Wirtschaftsausschuss hat die Aufgabe, wirtschaftliche Angelegenheiten mit dem Unternehmer zu beraten und den Betriebsrat zu unterrichten.“
- 2 Wortlaut der Frage: „Am 01.01.2023 trat das sogenannte ‚Gesetz über die unternehmerische Sorgfaltspflicht in Lieferketten‘ in Kraft. Es gilt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten, ab dem Jahr 2024 dann auch für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten in Deutschland. Betroffene Unternehmen müssen nachhalten, dass ihre Zulieferer Menschenrechte und Arbeitnehmerrechte beachten und zudem bestimmte Umweltstandards einhalten: Ist oder wird Ihr Unternehmen von dieser Neuregelung betroffen?“
- 3 „Baugewerbe“ 72 Fälle, „Information und Kommunikation“ 80 Fälle, „Finanz- und Versicherungsdienstleister“ 120 Fälle, „Kunst, Unterhaltung und Erholung, sonstige Dienstleister“ 155 Fälle.
- 4 Wortlaut der Frage: „Wurden in Ihrem Unternehmen in den letzten zwei Jahren Lieferketten geprüft oder verändert, um Menschen- und Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards gerecht zu werden?“
- 5 Wortlaut der Frage: „Erfolgte(n) diese Maßnahme(n) in Reaktion auf die Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz?“
- 6 „Der Unternehmer hat den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig und umfassend über die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten […] Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten im Sinne dieser Vorschrift gehören insbesondere […] Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz […].“ (BetrVG § 106 II und III)
- 7 Wortlaut der Frage: „Waren ‚Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern‘ (dennoch) schon Thema bei den folgenden Gruppen in Ihrem Betrieb?“
- 8 Wortlaut der Frage: „Ist Ihr Betriebsrat über das Thema ‚Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern‘ ausreichend informiert?“
Literatur
Beile, J. & Vitolis, K. (2024, Februar). Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Einfluss und Auswirkungen von Mitbestimmung auf Due Diligence in der Lieferkette. Working Paper Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Nr. 320.
BMJ – Bundesministerium der Justiz. (2024). Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen.
BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2024, 5. Juli). Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland.
Brehmer, W. (2024). Methodik der WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung. WSI-Mitteilungen ,77(6), 458-466.
Grabosch, R. (2021, November). Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Deutschland setzt Maßstäbe beim Menschenrechtsschutz. Friedrich-Ebert-Stiftung.
Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE. (2021). Die Umsetzung der menschenrechtlichen Sorgfalt. Handlungshilfe für Arbeitnehmervertretungen.
van Rinsum, L. (2024, 23. Oktober). Ein Schritt vor, einer zurück. taz.de.
Zimmer, R. (2023). Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Handlungsoptionen für Mitbestimmungsakteure und Gewerkschaften.