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Über ein Vierteljahrhundert verhandelten die EU und die vier Gründungsmitglieder der regionalen Integrationsgemeinschaft Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) über ein Freihandels­abkommen. Immer wieder haben in dieser Zeit die Verhandlungen dann gestockt, wenn das politisch aufgeheizte Thema „cars against cows“ aufkam. Damit ist gemeint, es würden EU-Autobauer (verkürzt Deutschland) auf Kosten der EU-Bauern (verkürzt Frankreich) von dem Abkommen profitieren. Weil dann für die EU-Industriegüterexporteure die relativ hohen gemeinsamen Importzölle der (nicht ganz perfekten) Zollunion Mercosur fallen würden und im Gegenzug für die international sehr wettbewerbs­fähigen Agrarerzeugnisse aus Mercosur die ebenfalls relativ hohen (im Vergleich zu Industriegütern) EU-Einfuhrbarrieren abgebaut würden.

Anlässlich des Mercosur-Gipfels am 5. und 6. Dezember 2024 in Uruguay hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Abkommen mit den vier Präsidenten der Gründungsmitglieder unterschrieben. Bis zuletzt beherrschte das alte „cars against cows“ Thema die Diskussion. Frankreich und Polen bildeten die Abwehrfront gegen die Befürworter Deutschland und Spanien. Die Kommission setzte sich über den offen erklärten Widerstand Frankreichs hinweg und unterschrieb. EU-Rat und EU-Parlament müssen noch zustimmen. Die Uneinigkeit innerhalb der EU mischt sich mit einem grundsätzlich kritischen „Grundrauschen“ von Nichtregierungsinstitutionen, die ihre Vorstellungen in Bezug auf Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte durch das Abkommen verletzt sehen. Diese kritische Sicht übersieht, dass bei einem Scheitern die Regeln der Welthandelsorganisation WTO weitergegolten hätten, denen zufolge Produkte aus Mercosur in die EU exportiert werden können, wenn sie nachweisbar keinen Schaden auf der Konsumentenseite verursachen („like product“ Regel). Einseitige Gegenmaßnahmen der EU hätten Klagen bei der WTO hervorgerufen und das handelspolitische Klima zwischen beiden Seiten vergiftet.

Aus Makrosicht zeigen alle Schätzungen von Handels- und Wohlfahrtseffekten des Abkommens ein nicht überraschendes Bild: Beide Seiten würden dank der Liberalisierung Wohlfahrtsgewinne erzielen. Die Mercosur-Staaten würden gemessen an ihrem BIP mehr als die EU gewinnen, einfach, weil Mercosur für die EU-Staaten von geringerer Bedeutung als Export- und Beschaffungsmarkt ist als die EU für Mercosur. Innerhalb von Mercosur würden die beiden kleineren Mitglieder Paraguay und Uruguay mehr gewinnen als Brasilien und Argentinien, weil sie als Länder mit kleinen Binnenmärkten mehr auf den Außenhandel angewiesen sind. Innerhalb der EU würden Spanien und Deutschland wegen ihrer stärkeren Handelsbeziehungen zu Mercosur mehr gewinnen als Frankreich und Belgien. Am meisten gewinnen würden die Niederlande, aus den gleichen Gründen wie die beiden kleineren Mercosur-Mitglieder. Wichtiger noch sind in der gegenwärtigen Diskussion Argumente, welche die geopolitisch bedingte Fragmentierung von Märkten berücksichtigen und dabei die Rolle der USA und Chinas in den Blick nehmen.

Erstens wird die Regierung Trump versuchen, wie in der EU bereits geschehen, die Mercosur-Länder auseinanderzudividieren und sie in ihrer Haltung gegenüber der EU zu spalten. Die unterschiedlichen Positionen der beiden Präsidenten von Argentinien (pro-Trump) und Brasilien (contra-Trump) helfen ihr dabei ebenso wie die sehr unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Paradigmen beider Präsidenten (Brasilien: sozialdemokratisch, Argentinien: libertär marktwirtschaftlich).

Zweitens wird China auf amerikanische Zölle von 60 % (oder höher) wahrscheinlich mit Vergeltungszöllen auf amerikanische Waren reagieren, die auch Mercosur-Länder anbieten z. B. Sojabohnen. Ein erleichterter Zugang zum nachfragestarken chinesischen Markt ohne amerikanische Konkurrenz könnte (ohne ein Abkommen) Handelsströme weg vom europäischen und hin zum chinesischen Markt führen.

Drittens darf die Langzeitwirkung der chinesischen „Belt and Road Initiative“ auf dem südamerikanischen Subkontinent, verdeutlicht durch den Bau eines Containerhafens in Peru, nicht unterschätzt werden. Die Hinterlandanbindung durch eine Eisenbahnlinie und Straßen in Richtung Brasilien bedeutet für China einen Zugangsvorteil gegenüber EU-Anbietern. Das Abkommen mit der EU kann es erschweren, dass die Länder, wie bereits durch Uruguay angedeutet, mit China bilaterale Freihandelsabkommen schließen und es damit China erlauben, den logistischen Zugangsvorteil auch institutionell abzusichern.

Die EU-Mitglieder täten daher gut daran, ihre internen Dissonanzen angesichts der externen Herausforderungen zu überwinden und das Abkommen auch auf der EU-Ratsebene zu genehmigen.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0208