Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Die neu zu wählende Bundesregierung steht vor einer schwierigen Aufgabe. Es gilt, Versäumnisse anzugehen, die sich in den vergangenen Jahrzehnten in Politik und Unternehmen aufgestaut haben. Der Sachverständigenrat (SVR) hat in seinen jüngsten Gutachten und Policy Briefs zentrale Handlungsfelder unter die Lupe genommen und konkrete Maßnahmen skizziert, um die deutsche Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Ziel muss es sein, die Modernisierung, Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft voranzutreiben und dabei die Beschränkungen zu berücksichtigen, die sich durch den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben.

Die deutsche Volkswirtschaft stagniert weiterhin und bleibt im internationalen Vergleich zurück. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat in den vergangenen fünf Jahren real insgesamt um lediglich 0,1 % zugenommen, während die Vereinigten Staaten um gut 12 % und der Euroraum im Durchschnitt um über 4 % gewachsen sind. Die anhaltende Schwächephase legt nahe, dass die deutsche Volkswirtschaft neben konjunkturellen zunehmend auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird. Besonders auffällig ist, die deutsche Exportwirtschaft profitiert nicht mehr so stark vom globalen Wachstum wie früher. Die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber wichtigen Handelspartnern ist weiter gesunken, und es zeichnet sich keine Verbesserung ab. Die vom designierten US-Präsidenten Donald Trump angekündigten Zölle dürften die deutsche Exportwirtschaft weiter schwächen und die globale Konjunktur bremsen. Gleichzeitig hat der Konsum weniger Fahrt aufgenommen als erwartet. Obwohl sich die Realeinkommen erholt haben, bleibt die Sparquote nach wie vor hoch.

Zu den Versäumnissen der letzten Jahrzehnte zählen die unzureichenden Investitionen in die Infrastruktur, in Bildung und Verteidigung. Die Verkehrs-infrastruktur bröckelt und bremst die Wirtschaft aus, die Ergebnisse in internationalen Bildungsvergleichen sind durchschnittlich, die Bundeswehr ist nur in Teilen einsatztauglich. Solche zukunftsorientierten öffentlichen Ausgaben, die heute Kosten verursachen, aber erst in der Zukunft Erträge bringen, werden im politischen Prozess häufig zugunsten von Konsumausgaben vernachlässigt, die vor allem der aktuellen Wählerschaft zugutekommen. Um diesen „Anti-Investment Bias“ zu überwinden, sollte man solche zukunftsorientierten Investitionen mit einer stärkeren Verbindlichkeit festschreiben. Eine solche Selbstbindung der Politik folgt der gleichen Logik wie die Schuldenbremse, mit der man dem „Deficit Bias“ von Politiker:innen begegnen wollte, also der Neigung, heutige Ausgaben über langfristige Schulden zu Lasten der jüngeren Generation zu finanzieren.

In Bereichen wie Verteidigung und Bildung bieten sich Mindestausgabenquoten an. In der Verteidigung könnte man sich am 2 %-Ziel der NATO orientieren, in der Bildung eine regional differenzierte Ausgabenquote je Schüler:in festlegen. Für die Infrastruktur bietet sich ein Infrastrukturfonds mit dauerhaft eigenen Einnahmen aus der Lkw-Maut an. Perspektivisch könnte dies durch eine Pkw-Maut ergänzt werden, um die rückläufigen Einnahmen aus der Mineralölsteuer auszugleichen. Für die Finanzierung der aufgestauten Nachholbedarfe in der Infrastruktur könnte der Fonds zusätzlich mit zeitlich begrenzten Kreditermächtigungen ausgestattet werden. Eine stabilitätsorientierte Reform der Schuldenbremse, wie sie der SVR in seinem Policy Brief im Frühjahr vorgeschlagen hat, könnte den Kreditfinanzierungsspielraum allgemein etwas erhöhen. Dieser Spielraum sollte für zukunftsorientierte Ausgaben verwendet werden.

Im deutschen Finanzsystem kommen digitale Innovationen bisher nur schleppend voran und gehen vor allem von neuen Akteuren wie den FinTech- und BigTech-Unternehmen aus. Um Wachstumspotenziale durch effizientere Prozesse und neue Produkte sowie Dienstleistungen zu heben, könnten regulatorische Experimentier-räume geschaffen und der Austausch von Finanzdaten zwischen BigTechs, FinTechs und Banken vereinfacht werden. Die Einführung des geplanten digitalen Euros verspricht eine kostengünstige Alternative zu privatwirtschaftlichen, meist nicht-europäischen Zahlungsdienstleistern zu werden und dürfte zum Aufbau einer pan-europäischen Zahlungsinfrastruktur beitragen.

Die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors sind in den letzten dreißig Jahren nicht zurückgegangen, wobei ein erheblicher Anteil auf den wichtigen Wirtschaftsfaktor Güterverkehr entfällt. Eine Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene ist aufgrund von Kapazitätsengpässen nur begrenzt möglich. Für eine schnelle und effiziente Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs sollte sich die Politik deshalb zunächst auf den bedarfsgerechten Ausbau der Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Lkw fokussieren.

Die Transformation der Wirtschaft muss vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bewältigt werden, in dessen Folge das Arbeitskräftepotenzial sinkt. Dies stellt das umlagefinanzierte Rentensystem in naher Zukunft vor erhebliche Finanzierungsprobleme. Der SVR hat gezeigt, dass ein ganzes Bündel an kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen notwendig ist, um das System stabiler zu machen und die Auswirkungen abzufedern. Das Renteneintrittsalter sollte entsprechend der gestiegenen Lebenserwartung angehoben werden. Auch dürfen die Renten nicht mehr so stark steigen wie bisher, wenn die Beitragsbelastung der Beschäftigten verkraftbar bleiben soll. Eine Möglichkeit wäre, die Rentenanstiege nicht mehr an die Lohnentwicklung, sondern an die Inflation zu koppeln. Dabei bliebe die reale Kaufkraft der Rente erhalten. Um die Gefahr von Altersarmut bei unteren Einkommensgruppen zu reduzieren, wären umverteilende Elemente von höheren zu niedrigeren Renten denkbar. Der SVR hat sich zudem für eine neue Form ergänzender privater Altersvorsorge mit Kapitaldeckung ausgesprochen. Zentrales Element könnte ein öffentlich verwalteter aktienbasierter Fonds mit breiter Diversifizierung, Opt-out Möglichkeit und Förderzulage für niedrige Einkommen sein. Schließlich sind die Möglichkeiten, vorzeitig abschlagsfrei in Rente zu gehen, nicht zielgenau genug. Und wenn Abschläge fällig werden, sind sie zu niedrig. Versicherungsmathematisch müssten die Abschläge bei vorzeitigem Renteneintritt ungefähr doppelt so hoch sein wie aktuell.

Der SVR hat auch Reformoptionen zum Bürgergeld vorgeschlagen, die gleichzeitig die Armutsgefährdung senken, die Erwerbsanreize stärken und die öffentlichen Haushalte nicht belasten würden. Im Rahmen der Grundsicherung sollten die verschiedenen Transferleistungen integriert und die Transferentzugsrate gesenkt werden. Eine Reform des Ehegattensplittings kann auf längere Sicht zusätzliche Erwerbsanreize für verheiratete Zweitverdiener:innen bieten.

Die effiziente Allokation knapper Arbeitskräfte wird immer stärker durch die Wohnraumknappheit in Ballungsräumen gehemmt, da sie den Zuzug in besonders produktive Regionen mit hoher Arbeitsnachfrage hemmt. Die Wohnungsknappheit ist damit nicht nur ein soziales, sondern auch ein gesamtwirtschaftliches Problem. Um das Wohnungsangebot auszuweiten, sollten Baulandpotenziale mobilisiert, Bauanreize erhöht und die Baukosten durch harmonisierte Bauvorschriften gesenkt werden. Eine Regulierung von Mitpreisen sollte nur temporär erfolgen und durch wirksame Maßnahmen zur Ausweitung des Wohnungsangebots begleitet werden.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0206

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.