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Dieser Beitrag ist Teil von Die ökonomischen Bedingungen einer neuen Sicherheitsarchitektur für Deutschland und Europa

Europa kann seine Ostflanke nicht selbstständig verteidigen. Diese Feststellung ist nicht neu und angesichts der jahrzehntelangen Abhängigkeit vom US-amerikanischen Bündnispartner wenig überraschend. Die militärische Unselbstständigkeit schien lange Zeit unproblematisch, da sich die Europäer in militärischen Auslandseinsätzen seit 1990 stets auf die militärische, logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung der USA verlassen konnten. Auch nach der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 hatte sich die grundlegende Situation nicht geändert. Zwar bestand aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage nun Konsens darüber, dass mehr eigene Investitionen in die konventionelle Abschreckung in Europa nötig seien. Nichtsdestotrotz war man sich sicher, dass die USA weiterhin in künftigen Konflikten im Rahmen der NATO die Führung übernehmen würden und im Ernstfall die europäische Sicherheit auch mit nuklearen Waffen garantieren würden.

Erst mit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus und seinen Bemühungen, möglichst schnell den Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu beenden, werden die Kosten dieser Abhängigkeit und des naiven Verhältnisses zur eigenen Sicherheit deutlich. Die direkten Verhandlungen zwischen den USA und Russland, unter Ausschluss der Europäer und auf Kosten der Ukraine, sowie die zwischenzeitliche Einstellung militärischer und nachrichtendienstlicher Unterstützung der Ukraine durch die USA haben zu einer nachhaltigen Verunsicherung geführt. Vermehrt sind Einschätzungen zu hören, dass Europa sich nicht weiter auf die USA verlassen könne, um seine eigene Sicherheit gegenüber einem imperial auftretenden Russland zu gewährleisten.

Europa sieht sich macht- und orientierungslos. Nach 1945 und 1990 steht wieder die zentrale Frage im Raum, wie die zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur aussehen soll und ob es überhaupt eine gemeinsame europäische Verteidigung geben wird.

Funktioniert europäische Sicherheit ohne die USA?

Angesichts der seit Jahren angekündigten und nun in Worten und Taten sichtbaren Neuorientierung der USA weg von Europa müssen sich die europäischen Länder für ein Szenario wappnen, in dem sie ihre Verteidigung ohne die USA planen müssen. Das amerikanische Bekenntnis zur NATO hat Risse bekommen, und es wäre unklug, diese zu ignorieren. Die USA werden die NATO vermutlich nicht plötzlich verlassen oder sämtliche Truppen aus Europa abziehen, aber sie werden die europäischen Interessen gegenüber Russland ihren eigenen strategischen Zielen unterordnen, wenn dies notwendig ist.

Mangels Alternativen sollten die europäischen Staaten ihrerseits die NATO nicht vorschnell aufgeben. Die NATO bietet auch ohne die USA einen erheblichen Mehrwert. Bestehende Organisationen und Strukturen sind leichter zu erhalten als neue zu schaffen, was umso mehr für die NATO mit ihrer bestehenden Infrastruktur, Kommandostruktur, sowie ihrer 75-jährigen Erfahrung gilt. Die Europäische Union (EU) hat zweifelsohne die Ambition, ein entstehendes Vakuum zu füllen, bleibt aber von den divergierenden Interessen ihrer Mitgliedstaaten abhängig und schließt Akteure wie Großbritannien und Norwegen aus. Sie kann und wird die NATO daher mittelfristig nicht ersetzen und ein Aufbau militärischer Parallelstrukturen wäre wenig zielführend.

Solange das transatlantische Bündnis formell und auf der Arbeitsebene fortbesteht, sollte Europa deswegen die Wiederaufrüstung im Rahmen der NATO weiterverfolgen. Gleichzeitig muss man sich aber darauf vorbereiten, mehr Verantwortung innerhalb der militärischen Führung übernehmen zu müssen und daran arbeiten, Fähigkeitslücken, bei denen man bisher auf die USA angewiesen war, so schnell wie möglich zu schließen. Die Stärkung der europäischen Säule in der NATO sollte somit auf den Erwerb neuer Fähigkeiten, den Ausbau bestehender Kapazitäten und auf eine gewisse Redundanz abzielen. Für den Fall eines amerikanischen Rückzugs aus der NATO oder einer plötzlichen Verlagerung militärischer Mittel in den pazifischen Raum müssen die europäischen Armeen dann in der Lage sein, ohne amerikanische Hilfe militärisch handlungsfähig zur sein, damit sie Europa und europäische Sicherheitsinteressen verteidigen können. Dies ist bisher nicht der Fall.

Eine Liste der Abhängigkeiten

Die Abhängigkeit der europäischen Sicherheitspolitik von den USA ist sowohl operationeller als auch industrieller Natur, wobei beide Aspekte miteinander verbunden sind. Die Verteidigung Europas ist seit 1949 auf der Grundlage des Bündnisses mit den USA geplant worden, welches die Fähigkeit zur Abschreckung durch den amerikanischen Nuklearschutzschirm sowie das gemeinsame konventionelle Militärpotenzial sichern sollte. Die Verkleinerung der europäischen Armeen nach 1990 hat die Abhängigkeit vom amerikanischen Rückgrat der NATO noch verstärkt, wie die Kriegseinsätze in Jugoslawien, Libyen oder Mali gezeigt haben, die ohne Beteiligung der USA nicht hätten durchgeführt werden können.1

Die europäischen Fähigkeitslücken auf der operationellen Ebene sind bekannt (Wall & Christianson, 2023; Ruitenberg, 2025; Tanghe, 2025). So mangelt es an der Fähigkeit zum strategischen Lufttransport, einer integrierten Flug- und Raketenabwehr und weitreichenden Präzisionsraketen. Bei der Aufklärung, luftgestützt oder satellitenbasiert, und bei nachrichtendienstlichen Informationen ist man bisher stark auf die USA angewiesen, was sich in dem Moment zeigte, als diese die nachrichtendienstliche Kooperation mit der Ukraine pausierten. Im Cyber- und elektromagnetischen Raum setzt man auf die USA, genauso wie beim Informationsaustausch innerhalb der Armeen.

Für das amerikanische GPS-System, den NATO-Datenlink Link 16 oder die Nutzung von Elon Musks Starlink-System durch die Ukraine könnte es zwar europäische Alternativen geben, die wie das Satellitensystem Galileo entweder schon in Betrieb sind oder wie das System IRIS 2, in einigen Jahren verfügbar sein werden (Europäische Kommission, 2025a). Kurzfristig sind diese kritischen Funktionen allerdings nicht in demselben Umfang ersetzbar.

Aus industrieller Perspektive besteht die europäische Abhängigkeit von den USA dahingehend, dass es eine Anzahl von Waffensystemen gibt, bei denen die europäische Rüstungsindustrie keine oder nur wenig erprobte Alternativen zu amerikanischen Systemen vorweisen kann, insbesondere in der Luftdomäne. Zu nennen ist hier das amerikanische Kampfflugzeug F-35 des Herstellers Lockheed Martin, dem kein europäisches Kampfflugzeug der fünften Generation gegenübersteht. Das Vertrauen in amerikanische Systeme, Motive der Interoperabilität, der Erhalt nuklearer Teilhabe oder politische Beweggründe haben dazu geführt, dass viele Länder bei Luftkampf und Luftverteidigung lange auf die USA gesetzt haben und noch vor kurzem F-35 und Patriot-Flugabwehrsysteme erworben haben.2

Abgesehen davon, dass die amerikanische Rüstungsindustrie zurzeit selbst Engpässe erlebt und der Nachfrage nur mit Verzögerung nachkommen kann (Burilkov et al., 2024), wirft die Politik der neuen US-Regierung die Frage nach der Zuverlässigkeit amerikanischer Waffensysteme auf. Unklar bleibt, ob Systeme, welche auf kontinuierliche Software-Updates durch die Hersteller angewiesen sind, im Ernstfall auch ohne Zustimmung der USA eingesetzt werden könnten. Dies stellt angesichts der enormen Erwerbs- und Unterhaltskosten ein Problem für sich dar. Staaten, die bei der Bestellung neuer Kampfflugzeuge noch zögerlich waren, könnten deswegen womöglich von einem Kauf in den USA absehen, selbst wenn europäische Alternativen technologisch veraltet sind.

Die Renaissance der europäischen Rüstungsindustrie

Aus den geschilderten sicherheitspolitischen Motiven, aber auch aus industriepolitischem Gründen sollten in Zukunft Rüstungsgüter, wenn möglich, auf dem europäischen Markt beschafft werden. Die europäische Rüstungsindustrie erlebt seit 2022 einen durch den Krieg bedingten Aufschwung, braucht aber für den Aufbau neuer Produktionskapazitäten und die Entwicklung neuer Produkte längere Planungshorizonte und die Perspektive auf größere Auftragsvolumina.

Die europäische Rüstungsbranche ist global betrachtet hochkompetitiv, leidet aber unter einigen strukturellen Schwächen, welche zuletzt 2024 im Bericht des ehemaligen italienischen Premierministers Mario Draghi zusammengefasst wurden (Draghi, 2024). Der europäische Rüstungsmarkt bleibt fragmentiert, da er aufgrund der sicherheits- und souveränitätspolitischen Dimension explizit von diversen Regeln des EU-Binnenmarkts ausgenommen ist. Die Marktkonzentration ist deutlich geringer als in den USA, wo in den 1990er eine beschleunigte Konsolidierung stattgefunden hat, da die meisten Länder versuchen, aus Autonomie- und wirtschaftspolitischen Überlegungen ein möglichst breites Portfolio nationaler Produktionsfähigkeiten zu erhalten. Aufgrund der geringen Bestellmengen, die in den letzten Jahrzehnten von den Regierungen an ihre nationalen Rüstungsunternehmen vergeben wurden, haben diese in der Regel nur geringe Produktionskapazitäten aufgebaut. Lange Produktionszeiten und hohe Stückkosten waren die Folge, die durch nationale Anpassungswünsche oder den Bedarf von Neuentwicklungen noch weiter gesteigert werden. Die Unternehmen, die zum Überleben auf den Export angewiesen sind, haben auch aufgrund geringer Margen im Vergleich zur amerikanischen Konkurrenz deutlich weniger Geld in Forschung und Entwicklung investiert, worunter die Innovationsfähigkeit leidet.

Die Notwendigkeit, diese strukturellen Schwachstellen des europäischen Rüstungsmarkts zu überwinden, hat insbesondere bei der Europäischen Kommission den Ehrgeiz geweckt, der EU beim Wiederaufbau der europäischen Rüstungsfähigkeiten eine größere Rolle zu ermöglichen. Um gemeinsame Beschaffungen in größeren Mengen zu ermöglichen, muss eine Einigkeit hinsichtlich der benötigten Fähigkeiten bestehen. Wenngleich das Fähigkeitsprofil und die Rüstungsprogramme Sache der Nationalstaaten bleiben, die diese bisher lediglich im Rahmen der NATO koordinierten, versucht die EU hier neue Impulse zu setzen. Das Europäische Weißbuch zur Verteidigung vom März 2025 formuliert daher sieben Fähigkeitslücken, in denen die europäischen Armeen aufholen müssen und berücksichtigt dabei insbesondere die Erfahrungen aus dem russisch-ukrainischen Krieg (Europäische Kommission, 2025b). Der Ehrgeiz der EU baut auf dem Bedeutungszuwachs auf, den die Organisation auf dem Gebiet der Verteidigung bereits in den letzten Jahren verzeichnen konnte.

So wurde das 2021 geschaffene Instrument der Europäischen Friedensfazilität dafür genutzt, die Waffenlieferungen der EU-Staaten an die Ukraine finanziell zu kompensieren. Im Jahr 2023 folgten die Verordnung zur Förderung der Munitionsproduktion (ASAP) und das Programm zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (EDIRPA), welche den Aufbau von Produktionskapazitäten in der Munitionsfertigung beschleunigen sollten und Gelder zur Förderung gemeinsamer Beschaffungsprojekte bereitstellten. Diese temporären Instrumente sollen entsprechend der 2024 vorgestellten Europäischen Rüstungsindustriestrategie durch ein dauerhaftes rechtliches Rahmenwerk ersetzt werden, das unter anderem klare Zielmarken für den Anteil gemeinsam beschaffter Rüstungsgüter an den Verteidigungsausgaben definiert und mit dem sogenannten Structure for European Armament Programme (SEAP) einen neuen Rechtsrahmen vorschlägt, mit dem grenzüberschreitenden Rüstungsprogrammen eine einheitliche Rechtsform gegeben werden soll (Scazzieri, 2025). Durch die erhofften Skaleneffekte soll die europäische Aufrüstung dadurch deutlich günstiger ausfallen als bisher.

Die gemeinsame Entwicklung und Beschaffung von Rüstungsgütern ist in Europa nicht neu, hatte bisher jedoch außerhalb des Rahmens der EU stattgefunden. So ging beispielsweise der Eurofighter aus einem gemeinsamen Vorhabens Deutschland, Italiens, Großbritanniens und Spaniens hervor. Die Zweckorganisation für gemeinsame Rüstungskooperation OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en matière d‘Armement), an der zusätzlich noch Belgien und Frankreich beteiligt sind, hat als Beschaffungsinstanz diverse Rüstungsprojekte wie den Radpanzer Boxer oder das Transportflugzeug Airbus A400M begleitet. Beim europäischen Airbus-Konzern selbst bleiben der deutsche, französische und spanische Staat die größten einzelnen Anteilseigner.

Die Auflistung realisierter Vorhaben sollte aber nicht über die Schwierigkeiten gemeinsamer multinationaler Rüstungsprojekte hinwegtäuschen, die vielen anderen Plänen ein Ende bereitet haben. Der Streit um Exportpolitik, Patente und Technologietransfers, der noch bis vor kurzem die Vertragsverhandlungen rund um das Luftkampfsystem Future Combat Air System (FCAS) und das Panzerprojekt Main Ground Combat System (MGCS) begleitet hatte, zeigt wie kompliziert die grenzüberschreitende Rüstungskooperation trotz politischen Willens weiterhin bleibt (Möhring, 2023). Ein neuer EU-Rahmen könnte zumindest dabei helfen, bei Uneinigkeit schneller Lösungen zu finden, wenn in einigen Jahren erneut die Frage nach dem Export neuer, gemeinsam entwickelter Waffensysteme aufkommt.

Um autonom über Export und Nutzung solcher Systeme zu verfügen, müssen zukünftig auch Abhängigkeiten in den Lieferketten stärker vermieden werden. Selbst augenscheinlich europäische Systeme können Risiken bergen, wenn darin Komponenten amerikanischer Herkunft verbaut sind, z. B. Mikrochips. Abgesehen von Abhängigkeiten bei der Produktion bedingt dieser Umstand, dass die Gesamtsysteme der amerikanischen International Traffic of Arms Regulation (ITAR) unterworfen sind, wodurch die USA Mitspracherecht bei Export und Transfer der Systeme erhalten. Weitergehend wird man für die europäische Rüstungsproduktion noch mehr als in anderen Industriebereichen eine genaue Bestandsaufnahme der internationalen Lieferketten vornehmen müssen, die auch besonders die Abhängigkeiten von Rohstoffen in der Waffenherstellung untersucht. Chinas Rolle als bedeutender Lieferant von Seltenen Erden und Nitrocellulose birgt hier erhebliche Risiken (Alim & Nilsson, 2024; Seliger, 2024).

Die Frage nach der Finanzierung

Wenngleich noch nicht feststeht, in welche Systeme prioritär investiert werden soll und zu welchem Grad dies europäisch koordiniert wird, ist klar, dass hierfür deutlich mehr Geld benötigt wird, als in den nationalen Haushalten bisher der Verteidigung zugewiesen wurde. Weniger klar ist, wie diese Aufrüstung zu finanzieren ist, die in den nächsten Jahren mehrere hunderte Milliarden Euro kosten wird.

Die drei grundsätzlichen Optionen zur Rüstungsfinanzierung − Schuldenaufnahme, Steuererhöhung und Haushaltsumschichtung − wurden vor kurzem von Marzian und Trebesch (2025) aus einer historischen Perspektive analysiert. Die Autoren zeigen auf, dass die Mehrheit der Kriege und Aufrüstungsphasen seit 1870 durch Verschuldung bezahlt wurden, meistens durch neue Steuern oder Steuererhöhungen komplementiert, während Ausgaben in anderen Bereichen selten gekürzt wurden.

Die Entwicklung in Europa seit 2022 scheint sich in diesen Trend einzuordnen, begann doch die deutsche Zeitenwende drei Tage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine mit der Ankündigung eines Sondervermögens von 100 Mrd. Euro. Da dieses Geld bereits größtenteils verplant ist, haben Bundestag und Bundesrat im März 2025 eine Grundgesetzänderung beschlossen, wonach Verteidigungsausgaben jenseits von 1 % des BIP zukünftig von der Schuldenbremse ausgenommen sind. Wenngleich Einsparungen angemahnt wurden, wird der Großteil der deutschen Wiederaufrüstung also voraussichtlich über neue Staatsverschuldung finanziert werden.

Auf der Ebene der EU stellt sich dieselbe Frage, zumal hier mit zunehmendem Ehrgeiz die Mittel anwachsen müssen. Artikel 41.2 des Vertrags über die Europäische Union legt der Verwendung von Geldern aus dem EU-Haushalt für militärische Zwecke Grenzen auf, weshalb Instrumente wie die Europäische Friedensfazilität aus direkten Zuwendungen der Mitgliedstaaten finanziert werden (von Achenbach, 2022). Nur ASAP, EDIRPA und der Europäische Verteidigungsfonds, welcher Forschung und Innovation in der Rüstung fördert, beziehen ihre Gelder aus dem regulären Haushalt. Wie groß die Rolle der EU in der europäischen Rüstung werden wird, wird daher maßgeblich davon abhängen, ob der reguläre Haushalt ab 2028 mehr Gelder für Verteidigung bereitstellen wird (Scazzieri, 2025).

Um eine schnelle Aufrüstung zu ermöglichen, plant die EU-Kommission im Rahmen des Plans „ReArm Europe“3 seit März 2025, die europäischen Regeln zur Verschuldung in Bezug auf Verteidigungsausgaben zu lockern und Kredite für gemeinsame Beschaffungen bereitzustellen − Maßnahmen, die zusammen rund 800 Mrd. Euro mobilisieren sollen (Europäische Kommission, 2025c). Angesichts der bereits hohen Schuldenlast einiger europäischer Länder werden aber nicht alle Staaten in der Lage oder gewillt sein, so wie Deutschland eine schnelle Aufrüstung mit Schulden zu finanzieren, zumal sich die Einschätzung der Dringlichkeit von Verteidigungsausgaben mit zunehmendem geografischem Abstand zu Russland verringert. Das wird derzeit etwa in verteidigungspolitischen Diskussionen in Italien und Spanien ersichtlich. Wenn Forderungen an höhere Ausgaben gestellt werden, wird deshalb, wie während der Coronapandemie auch, mit Sicherheit der Ruf nach gemeinsamen Schulden zurückkehren.

Ohne eine Steigerung der Staatsausgaben oder Kürzungen in anderen Haushalten eine ernstzunehmende Wiederaufrüstung zu finanzieren, ist sehr schwierig, wie das Beispiel der Schweiz zeigt. Dort wird die Schuldenbremse beibehalten und zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit zunächst bei der Armee selbst gekürzt, beispielsweise bei Uniformen und Übungen mit Großgerät (Gruppe Verteidigung, 2025a, 2025b). Nach langem Streit konnte sich die Schweizer Politik darauf einigen, den Verteidigungshaushalt bis 2032 schrittweise zu erhöhen, die Rede ist hier allerdings nur von 1 % des BIP.

Kurzfristig führt demnach kein Weg an Schulden vorbei. Langfristig müssten höhere Verteidigungsausgaben jedoch aus dem regulären Haushalt stammen, was aber Kürzungen an anderer Stelle oder neue Steuern bedeuten würde. Ob die Politik in Deutschland oder anderswo in Europa dazu bereit ist, bleibt unklar. Vielmehr besteht das Risiko, dass man die erhöhten Verteidigungsausgaben nun nahezu vollständig über Schulden finanzieren wird, um nicht in anderen Politikfeldern sparen zu müssen. Ausgabenbedarf gibt es schließlich genug, für Infrastruktur, Gesundheitswesen oder Sozialstaat. Angesichts der sich anbahnenden Fragmentierung der Weltwirtschaft, niedrigem Wachstum sowie klimapolitischen und demografischen Herausforderungen springt jedoch die Gefahr einer erneuten Schuldenkrise in Europa ins Auge.

Unsichere Perspektiven

Eine Prognose für die europäische Zukunft abzugeben, bleibt mit Blick auf die fortlaufende Entwicklung der Beziehung zwischen Europa, Russland und den USA schwierig. Sicher ist nur, dass die Gespräche über eine Waffenruhe oder Friedensverhandlungen in der Ukraine einen starken Einfluss auf die europäische Rüstungsbemühungen haben werden. Ein Friedensabkommen, das die Souveränität und Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stark einschränkt, wird die Notwendigkeit einer europäischen Aufrüstung erhöhen, da eine Fortsetzung des Kriegs in der Ukraine oder anderswo in Osteuropa wahrscheinlicher wird. Gleichzeitig aber könnte eine vorübergehende Rückkehr zum Frieden die Vermittlung der finanziellen Anstrengungen dafür umso schwieriger machen. Es bleibt das Risiko, dass die europäischen Staaten wieder in die Passivität der Vorkriegszeit verfallen und auf die nächste russische Offensive genauso wenig vorbereitet sind. Ob Europa ohne Rückendeckung der USA dann genauso viel Einigkeit zeigen wird wie bisher, ist nicht sicher. Der Druck, den Europa in den kommenden Jahren aus Ost und West spüren wird, könnte also eine noch tiefergehende Integration des Kontinents herbeiführen oder diesen wieder zerteilen.

  • 1 Bei der Intervention in Libyen waren die beteiligten europäischen Staaten schon nach wenigen Tagen auf amerikanische Hilfe angewiesen (Wall & Christianson, 2023). In Mali war Frankreich zur Vorbereitung seines Auslandseinsatzes auf die US Air Force angewiesen, die Truppen und Ausrüstung nach Afrika flog und weitere Dienste bereitstellte.
  • 2 Einschließlich der Länder, die an der Entwicklung der F-35 beteiligt waren, besitzen Großbritannien, Dänemark, Italien, die Niederlande, Norwegen, Belgien, Tschechien, Finnland, Deutschland, Polen und die Schweiz F-35 Kampfflugzeuge oder planen deren Beschaffung (Dean, 2024).
  • 3 Ursprünglich als „ReArm Europe“ angekündigt, wird der Finanzierungsplan der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun unter dem Titel des EU-Weißbuchs „ Readiness 2030“ geführt, nachdem Italien und Spanien die Namensgebung als zu einseitig kritisiert hatten.

Literatur

Alim, A. J. & Nilsson, P. (2024, 8. April). European defence groups warn over reliance on Chinese cotton used in gunpowder. Financial Times.

Burilkov, A., Mejino-López, J. & Wolff, G. (2024, 18. Dezember). The US defence industrial base can no longer reliably supply Europe. Bruegel.

Dean, S. (2024, Juli). F-35 in Europe: a takeover? European Security & Defence.

Draghi, M. (2024, 9. September). The Future of European Competitiveness.

Europäische Kommission. (2025a, 30. Januar). The EU Space Programme: more satellites and new services underway.

Europäische Kommission. (2025b, 19. März). Joint White Paper for European Defence Readiness 2030.

Europäische Kommission. (2025c, 19. März). Commission unveils the White Paper for European Defence and the ReArm Europe Plan/Readiness 2030.

Gruppe Verteidigung. (2025a, 6. Januar). Sparmassnahmen. Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS.

Gruppe Verteidigung. (2025b, 25. Februar). Die Armee spart, damit ihr Material einsatzfähig bleibt. Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS.

Marzian, J. & Trebesch, C. (2025, 25. Februar). Europas Verteidigung finanzieren: Was lehrt uns die Geschichte? Kiel Policy Brief, (184).

Möhring, J. (2023, 4. Dezember). Troubled Twins: The FCAS and MGCS Weapon Systems and Franco-German Co-operation. Étude de l’Ifri, IFRI.

Ruitenberg, R. (2025, 25. Februar). Mind the gaps: Europe’s to-do list for defense without the US. Defense News.

Scazzieri, L. (2025, 30. Januar). Towards an EU „defence union“? Policy Brief. Centre for European Reform.

Seliger, M. (2024, 11. November). Deutschlands gefährliche Abhängigkeit von China bei der Waffenproduktion. Neue Zürcher Zeitung.

Tanghe, M. (2025, 25. Februar). What European NATO Lacks. Center for European Policy Analysis.

von Achenbach, J. (2022, 28. Februar). Zu wenig Politik in der EU-Verteidigungspolitik. Verfassungsblog.

Wall, C. & Christianson, S. (2023, 17. April). Europe’s Missing Piece: The Case for Air Domain Enablers. Center for Strategic and International Studies (CSIS).

Title: Defending Europe Alone? A Feasible but Expensive Effort

Abstract: Europe can no longer rely on the United States for its defence but is currently lacking essential capabilities to assure security itself. European countries should not give up on NATO but seek to close capability gaps by developing the European defence industrial base. The EU can play an important role in helping European countries overcome fragmentation in the defence industry, reduce dependencies on other actors and enable financing. In the short term, debt seems the only viable method to pay for quick rearmament - but this includes evident risk. Moreover, the ease of mobilising funds for defence and the urgency to do so vary greatly in Europe.

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© Der/die Autor:in 2025

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DOI: 10.2478/wd-2025-0065