Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Dieser Beitrag ist Teil von In Regionen denken: Ideen für prosperierende ländliche Räume

Innovationspolitik begünstigt häufig urbane Regionen. Innovationsgetriebenes Wachstum muss aber nicht den Ballungsräumen vorbehalten sein. Aktuelle Forschungsergebnisse zu jungen innovativen Unternehmen in Deutschland zeigen, dass Innovation in ländlichen Regionen durch alternative Formen gedeihen kann, die sich als „Learning by Doing, Using, Interacting (DUI)“ zusammenfassen lassen. Um diese zu fördern, braucht es eine neue, eine integrativere Innovationspolitik.

Im Rahmen der politischen Bestrebungen, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands zu schaffen, hat der Bereich Innovation in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen (L’Hoest & Mauch, 2019; BMWK, 2024, 2025). Eine Verzahnung von Innovations- und Regionalpolitik soll nicht zuletzt in strukturschwachen ländlichen Regionen neue Entwicklungsimpulse setzen. In der derzeitigen Praxis steht dabei – als klassischer Ansatz der Innovationspolitik – die regionsspezifische Förderung von Forschung und Entwicklung (F&E) relativ stark im Vordergrund. Die Literatur zeigt jedoch, dass F&E und das daraus resultierende wirtschaftliche Wachstum vor allem in urbanen Metropolregionen, und weniger in ländlichen Regionen stattfinden (Broekel et al., 2023; Boschma et al., 2025). Eine F&E-fokussierte Innovationspolitik verstärkt daher eher bestehende Stadt-Land-Ungleichheiten als sie abzubauen – und gerät damit leicht in Widerspruch zum regionalpolitischen Gleichwertigkeitsziel. Damit einher geht, dass der typische F&E-Fokus der Innovationspolitik eine gewisse Defizitsicht auf Lern- und Wissensprozesse im ländlichen Raum suggeriert. Nach dieser Lesart sind entsprechende Räume aufgrund mangelnder Ressourcen und Möglichkeiten per se im Innovationsgeschehen benachteiligt und würden in der Folge unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten mehr oder weniger automatisch gegenüber urbanen den Zentren ins Hintertreffen geraten.

Es lohnt sich jedoch zu hinterfragen, ob sich die höhere Forschungs- und Innovationsleistung urbaner Regionen – gemessen an Indikatoren wie F&E-Ausgaben oder Patenten – im Zeitverlauf tatsächlich in einer steigenden Wirtschaftsleistung niederschlägt (vgl. Simmler & Garcia Dominguez, 2025). So lässt sich zeigen, dass der Anteil der Bruttowertschöpfung der urbanen Räume an allen Regionen in Deutschland seit mehr als 20 Jahren weitgehend stabil geblieben ist, der wirtschaftliche Vorsprung städtischer Regionen also nicht zugenommen hat und, wenn überhaupt, leicht zurückgegangen ist (Abbildung 1). Geht man gemäß makroökonomischer Theorie davon aus, dass technologischer Fortschritt die Hauptursache für wirtschaftliches Wachstum ist (Helpman, 2004), legt dies die Vermutung nahe, dass durch die „F&E-Brille“ der Innovationsvorsprung urbaner Zentren womöglich überschätzt wird. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie Innovation und Wachstum in ländlichen Regionen auch jenseits von F&E gelingen. Im Folgenden wird dies anhand neuer Forschungsergebnisse zu jungen Unternehmen gezeigt, da Unternehmensgründungen eine wichtige Quelle volkswirtschaftlicher Innovationen darstellen.

Abbildung 1
Anteil urbaner Räume an der Bruttowertschöpfung aller deutscher Regionen über die Zeit
Anteil urbaner Räume an der Bruttowertschöpfung aller deutscher Regionen über die Zeit

Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder; eigene Darstellung; Einteilung in ländlich/urban nach der Thünen-Typologie (Küpper, 2016).

Innovation jenseits von F&E am Beispiel von Jungunternehmen

In den letzten Jahren hat eine Reihe von Forschungsarbeiten begonnen, das klassische „Innovation braucht urbane Zentren“-Bild zu hinterfragen (z. B. Fritsch & Wyrwich, 2021a; Glückler et al., 2023) und die Besonderheiten im Innovationsgeschehen ländlicher Regionen in den Blick zu nehmen (z. B. Fritsch & Wyrwich, 2021b; Runst & Thomä, 2024; Reher et al., 2024). Innovationsprozesse ohne F&E werden dabei – der Terminologie von Jensen et al. (2007) folgend – häufig als anwendungsorientierte Prozesse auf der Basis von „Learning by Doing, Using, Interacting“ (sogenannter DUI-Modus) beschrieben. Im Gegensatz dazu gilt der „Learning by Science, Technology, Innovation“-Modus (kurz STI-Modus) mit seiner Betonung von F&E und Patentanmeldungen als typisches Merkmal urbaner Zentren (Hädrich et al., 2024). Obwohl der DUI-Modus in den letzten Jahren in der regionalen Innovationsliteratur zunehmend Beachtung gefunden hat (z. B. Parrilli et al, 2020; Hervás-Oliver et al., 2021; Reher et al., 2024), steht seine Berücksichtigung in der Praxis der regionalen Wirtschafts- und Strukturpolitik noch am Anfang, nicht zuletzt aufgrund der Schwierigkeiten der Messbarkeit (Alhusen et al., 2021).

Am Beispiel von Gründungsdaten haben Runst und Thomä (2025) jüngst den Zusammenhang zwischen Innovationsmodus und Wachstum näher untersucht. Junge Unternehmen1 in Deutschland verfolgen demnach sowohl F&E-orientierte als auch nicht-F&E-orientierte Lern- und Innovationsweisen und kombinieren sie mitunter auch (Tabelle 1): Es gibt Unternehmen, die primär im F&E-orientierten STI-Modus innovieren und dabei auf eigene F&E-Kompetenzen und den Austausch mit externen wissenschaftlichen Einrichtungen zurückgreifen („STI Basis“ und „STI plus“). Andere junge Innovatoren setzen dagegen ausschließlich oder vorrangig auf den nicht-F&E-orientierten DUI-Modus. Ihre Lern- und Innovationsquellen basieren vor allem auf Qualifikationen aus der beruflichen Bildung, aus praktischer und anwendungsbezogener Problemlösungskompetenz und dem interaktiven Lernen entlang der Wertschöpfungskette mit Kunden und Lieferanten („DUI Basis“ und „DUI plus“). Im Ergebnis stehen hier häufig schrittweise Verbesserungen, Weiterentwicklungen und kundenindividuelle Modifikationen. Die Unternehmen der beiden „Plus“-Gruppen haben ihren internen Schwerpunkt zwar entweder im DUI- oder STI-Modus, nutzen aber häufig zusätzlich dazu noch entsprechende Innovationsimpulse aus dem externen Umfeld (Tabelle 1).

Tabelle 1
Innovationsmodi junger Unternehmen
  DUI Basis DUI plus STI Basis STI plus
Innovations- treiber
  • Interne Wissensbasis: Fokus auf beruflich-praktisches Wissen
  • Z. T. externes wissenschaftlich-technologisches Wissen
  • Interne Wissensbasis: eher beruflich-praktisches Wissen
  • Mitarbeitereinbindung
  • Aufnahme externen, anwendungsnahen Branchenwissens
  • Interne Wissensbasis: Fokus auf eigene F&E-Kompetenzen
  • Interne Wissensbasis: vor allem F&E
  • Externes wissenschaftlich-technologisches Wissen
  • Mitarbeitereinbindung
Typische Merkmale
  • Erprobte/allgemein gebräuchliche Technik
  • Häufig Technologie von Dritten (Diffusion)
  • Marktneuheiten allenfalls regional
  • Zugehörigkeit zum Handwerk
  • Relativ hoher technologischer Neuheitsgrad
  • Nennenswerter Output im Bereich nationaler und weltweiter Marktneuheiten
  • Zugehörigkeit zum Handwerk
  • Hoher technologischer Neuheitsgrad
  • Sehr stark bei weltweiten Marktneuheiten
  • Hoher technologischer Neuheitsgrad
  • Überdurchschnittlich bei nationalen und weltweiten Marktneuheiten

Quelle: eigene Auswertung auf Basis des IAB/ZEW Gründungspanels. Für weitere Details siehe Runst und Thomä (2025).

Die Untersuchung von Runst und Thomä (2025) zeigt, dass – mit Ausnahme des starken oberen Umsatzwachstumssegments der STI-Unternehmen – nur moderate Unterschiede in der wirtschaftlichen Performance zwischen DUI- und STI-orientierten Gründungen bestehen. Insbesondere die Wachstumsperformance der DUI-plus- und STI-plus-Gruppen ähnelt einander, wenn man vom obersten Fünftel der wachstumsstärksten Unternehmen absieht. Bei den Beschäftigtenzahlen finden sich sogar höhere Wachstumsraten für die DUI-Gründungen. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf höhere Überlebensraten von DUI-Gründungen (im Vergleich zu STI-Unternehmen), d. h. ihr Marktaustrittsrisiko ist geringer. Aus Sicht der Politik bestätigt dies zwar zunächst die Vermutung, dass F&E-basierte Innovationstätigkeit und wirtschaftliches Wachstum wie erwartet in einem positiven Zusammenhang stehen. Gleichzeitig aber greift die ausschließliche Betrachtung des Innovationsgeschehens durch die „F&E-Brille“ offensichtlich zu kurz. Denn die empirischen Befunde sprechen zugleich dafür, das Wertschöpfungspotenzial nicht-F&E-orientierter junger Innovatoren und damit die Rolle des DUI-Modus für das wirtschaftliche Wachstum nicht zu unterschätzen: Sobald der Bereich des Nullwachstums verlassen wird, ist die wirtschaftliche Performance junger, innovationsaktiver Unternehmen in der Regel höher als die nicht-innovativer Gründungen, und zwar unabhängig davon, ob der Fokus auf STI oder auf DUI liegt.

DUI als Innovationsmodus des ländlichen Raums?

Tabelle 2 gibt einen Überblick zur räumlichen Verteilung der eben beschriebenen Innovationsmodi für fünf verschiedene Regionstypen. Dabei zeigt sich zunächst, dass die Verteilung der nicht-innovationsaktiven Jungunternehmen in etwa analog zur Bevölkerungsverteilung verläuft, d. h. entgegen häufig geäußerter Vermutungen ist das Fehlen von Innovationsaktivitäten in ländlichen Regionen nicht überproportional ausgeprägt. Darüber hinaus zeigen sich deutliche räumliche Muster in Abhängigkeit vom Innovationsmodus: So sind junge F&E-orientierte Unternehmen, die ihren Innovationsschwerpunkt im Bereich des STI-Modus haben, erwartungsgemäß besonders stark im urbanen Raum vertreten – ein klarer Hinweis auf die oben diskutierte Konzentration entsprechender Innovationsaktivitäten in städtischen Regionen. Je ländlicher eine Standortregion hingegen ist, desto größer fällt dagegen die Bedeutung des DUI-Modus aus. Die Unternehmen der beiden diesbezüglichen Gruppen (DUI Basis, DUI plus) sind relativ häufig sowohl in ländlichen Regionen mit guter als auch in solchen mit weniger günstiger sozioökonomischer Lage angesiedelt. Außerdem fällt auf, dass sowohl DUI-plus als auch STI-plus Unternehmen, beides Innovatorentypen mit ausgeprägten externen Verflechtungen, im Vergleich zur jeweiligen Basisgruppe (DUI Basis bzw. STI Basis) häufiger in sozioökonomisch schwächeren Räumen anzutreffen sind. Hier kann vermutet werden, dass überregionale Verbindungen genutzt werden, um fehlende lokale Ressourcen und Möglichkeiten zu kompensieren.

Tabelle 2
Innovationsmodi junger Unternehmen, Verteilung aller Unternehmen nach Raumtyp
in %
  Bevölkerungs­verteilung (2013) Innovationsmodi junger Unternehmen
Keine Innovation DUI Basis DUI plus STI Basis STI plus
Urban 42,8 41,61 39,49 45,03 58,50 57,84
Eher ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage 15,6 17,45 12,76 21,24 14,76 14,25
Eher ländlich/gute sozioökonomische Lage 14,6 14,69 16,83 9,67 8,24 12,00
Sehr ländlich/gute sozioökonomische Lage 10,9 10,96 16,28 9,77 12,19 5,46
Sehr ländlich/weniger gute sozioökonomische Lage 16,1 15,29 14,63 14,29 6,31 10,45
  100 100 100 100 100 100

Quelle: eigene Auswertung auf Basis des IAB/ZEW-Gründungspanels und der Thünen-Typologie von Küpper (2016). Für nähere Informationen zur Datengrundlage siehe Runst und Thomä (2025).

Performanceunterschiede zwischen urbanen und ländlichen Standorten?

Diese räumliche Verteilung der Innovationsmodi junger Unternehmen lässt vermuten, dass innovationsbasiertes Wachstum auch in ländlichen Regionen (und unabhängig von der sozioökonomischen Lage) stattfindet. In der Praxis kann dies bedeuten, dass Innovationspolitik für ländliche Regionen neben den klassischen F&E-orientierten Impulsen auch andere Innovationsquellen in den Blick nehmen sollte, die näher am DUI-Modus liegen, z. B. der Ausbau lernförderlicher Arbeitsumgebungen in kleinen Unternehmen, die Anregung anwendungsnaher, intra- und interregionaler Innovationskooperationen entlang von Wertschöpfungsketten oder die stärkere Berücksichtigung der Rolle von Einrichtungen der beruflichen Bildung für die Funktionsfähigkeit regionaler Innovationssysteme (für eine Diskussion entsprechender Ansätze siehe Thomä & Bizer, 2021 und Hädrich et al., 2024).

Eine wichtige Voraussetzung für die Begründung einer solchen Ausrichtung wäre freilich, dass die gute Wachstumsperformance der nicht-F&E-orientierten DUI-Unternehmen nicht ihrerseits einseitig von den im urbanen Raum angesiedelten Vertretern dieser Gruppe getragen wird. Die diesbezügliche Auswertung des IAB/ZEW-Gründungspanels deutet darauf hin, dass dies nicht der Fall ist. Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse einer Quantilsregression auf Unternehmensebene. Das jährliche Umsatzwachstum in Prozent stellt die abhängige Variable dar, während eine Dummy-Variable für ländliche Standortregionen neben einer Reihe von Kontrollvariablen die wichtigste erklärende Variable ist. Idealerweise würde eine entsprechende Auswertung getrennt für die verschiedenen aufgezeigten Innovationsmodi erfolgen. Aufgrund der begrenzten Beobachtungszahl im Datensatz ist dies jedoch nicht möglich. Ob ein Innovator mit oder ohne F&E innoviert (und somit dem DUI- oder dem STI-Modus näher ist), lässt sich mit den verwendeten Daten hingegen als Näherungsgröße jedoch valide im Zeitverlauf untersuchen (Abbildung 2).

Abbildung 2
Wachstumsraten von Nicht-F&E- und F&E-Innova-toren entlang der Umsatzwachstumsverteilung
Wachstumsraten von Nicht-F&E- und F&E-Innova-toren entlang der Umsatzwachstumsverteilung

Hinweis: Quantilsregression; erklärende Variable: ländlicher vs. urbaner Standort.

Die Abbildung zeigt das Wachstum von ländlichen gegenüber urbanen jungen Unternehmen über verschiedene Quantile der Umsatzwachstumsverteilung hinweg, jeweils für F&E- und Nicht-F&E-Innovatoren. Zusätzlich sind an den Quantilen die durchschnittlichen Wachstumsraten dargestellt. Der schattierte Bereich stellt die Konfidenzintervalle um die Quantilsregressionskoeffizienten dar.

Lesebeispiel: Die 10 % der Nicht-F&E-Innovatoren mit dem niedrigsten Umsatzwachstum weisen ein durchschnittliches jährliches Wachstum von -22,2 % auf. In dieser Gruppe gibt es keinen Unterschied zwischen ländlichen und urbanen Jungunternehmen. Die 10% der Nicht-F&E-Innovatoren mit dem höchsten Umsatzwachstum weisen ein durchschnittliches Wachstum von +272,2 % auf. Innerhalb dieser Gruppe ist das Wachstum der ländlichen Unternehmen etwa 13 Prozentpunkte höher als das der urbanen Jungunternehmen.

Quelle: eigene Auswertung auf Basis des IAB/ZEW Gründungspanel.

Das Ergebnis zeigt Folgendes: Bei den Nicht-F&E-Innovatoren mit Fokus auf den DUI-Modus bestehen insgesamt kaum signifikante Unterschiede zwischen jungen Unternehmen aus ländlichen und urbanen Standorten. Im obersten Quantil ist der Einfluss der Ländlichkeit auf das Wachstum sogar offenbar leicht positiv. Innovationsaktivitäten junger Unternehmen auf Basis des DUI-Modus tragen also durchaus in nicht unerheblichem Maße zur wirtschaftlichen Dynamik ländlicher Regionen bei. Bei den F&E-orientierten Innovationsaktivitäten mit Schwerpunkt im Bereich des STI-Modus hingegen bestätigt sich das Zurückfallen ländlicher Regionen auch unter Performance-Gesichtspunkten: So sind F&E-orientierte junge Unternehmen in ländlichen Regionen nicht nur seltener vertreten, auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in den oberen Segmenten der Wachstumsverteilung fällt im Vergleich zu ihren Pendants im urbanen Raum signifikant ab. Insgesamt deuten die Ergebnisse also darauf hin, dass die Wachstumsleistung verschiedener Innovationsmodi vom regionalen Standort abhängig ist. In ländlichen Regionen, in denen der DUI-Modus stark vertreten ist, zeigt sich ein Wachstumsvorteil der entsprechenden Unternehmen. In urbanen Regionen ist es umgekehrt. Hier punkten STI-orientierte Unternehmen mit hohen Wachstumsraten.

Mehr als F&E: Innovationspotenziale ländlicher Räume neu denken

Für die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher (und urbaner) Regionen ist die Innovationstätigkeit von Unternehmen ein zentraler Faktor. In der Praxis stehen politische Entscheidungsträger vermeintlich vor der Aufgabe, hierbei zwischen ökonomischer Effizienz und Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse abwägen zu müssen: Wenn F&E-basierte Innovationstätigkeit in urbanen Zentren wahrscheinlicher ist als auf dem Land (z. B. gemessen an der Zahl der Patente pro Kopf), sollte dann privatwirtschaftliche F&E auch in ländlichen Regionen mit Entwicklungsrückstand gefördert werden, selbst wenn die damit verbundenen Innovations- und Wachstumseffekte im Durchschnitt geringer ausfallen als in urbanen Metropolregionen, getreu dem Motto „Gleichwertigkeit kostet“?

Vor diesem Hintergrund regt der vorliegende Beitrag einen Perspektivwechsel an: Am Beispiel von Gründungen wird gezeigt, dass Innovation und daraus resultierendes regionales Wirtschaftswachstum auf unterschiedlichen Wegen gelingen können und dass der klassische F&E-Fokus der Innovationspolitik davon nur einen (gleichwohl zweifellos wichtigen) Weg erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass Innovationsaktivitäten junger Unternehmen – jenseits von F&E und Patentanmeldungen – auch im ländlichen Raum erfolgreich sind. Statt sich nur auf die Kompensation standortbedingter Nachteile ländlicher Regionen zu konzentrieren, weist der genutzte Innovationsmodus-Ansatz auf die vorhandenen regionalen Stärken und Potenziale dieser Räume hin und spricht für ein breiteres, über F&E hinausgehendes Innovationsverständnis. Auf dieser Grundlage können die Wertschöpfungspotenziale ländlicher Regionen mit Entwicklungsrückstand von der Politik klarer in den Blick genommen werden. Insofern ist der eingangs beschriebene Trade-off zwischen den typischen Zielen von Innovations- und Regionalpolitik unter Umständen gar nicht so groß wie häufig angenommen. Eine Politik, die die regionale Wirtschaftsentwicklung in ländlichen Räumen voranbringen will, muss ihren Blick auf das, was Innovation ist und sein kann, möglicherweise nur erweitern und ihre Ansätze und Instrumente entsprechend konsequent darauf ausrichten.

  • 1 Hier definiert als neu gegründete Unternehmen, die maximal sieben Jahren alt sind.

Literatur

Alhusen, H., Bennat, T., Bizer, K., Cantner, U., Horstmann, E., Kalthaus, M., Proeger, T., Sternberg, R. & Töpfer, S. (2021). A New Measurement Conception for the ‘Doing-Using-Interacting’ Mode of Innovation. Research Policy, 50(4).

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2024). Gleichwertigkeitsbericht 2024 - Für starke und lebenswerte Regionen in Deutschland.

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. (2025). Bericht der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des „Gesamtdeutschen Fördersystems für strukturschwache Regionen“.

Boschma, R., Fitjar, R. D., Giuliani, E. & Iammarino, S. (2025). Unseen costs: the inequities of the geography of innovation. Regional Studies, 59(1).

Broekel, T., Knuepling, L. & Mewes, L. (2023). Boosting, sorting and complexity—urban scaling of innovation around the world. Journal of Economic Geography, 23(5), 979–1016.

Fritsch, M. & Wyrwich, M. (2021a). Is innovation (increasingly) concentrated in large cities? An international comparison. Research Policy, 50(6), 104237.

Fritsch, M. & Wyrwich, M. (2021b). Does Successful Innovation Require Large Urban Areas? Germany as a Counterexample. Economic Geography, 97(3), 284–308.

Glückler, J., Shearmur, R. & Martinus, K. (2023). Liability or opportunity? Reconceptualizing the periphery and its role in innovation. Journal of Economic Geography, 23(1), 231–249.

Hädrich, T., Reher, L. & Thomä, J. (2024). Solving the Puzzle? An Innovation Mode Perspective on Lagging Regions. International Regional Science Review.

Helpman E. (2004). The Mystery of Economic Growth. Harvard University Press.

Hervás-Oliver, J.-L., Parrilli, M. D., Rodríguez-Pose, A. & Sempere-Ripoll, F. (2021). The drivers of SME innovation in the regions of the EU. Research Policy, 50(9), 104316.

Jensen, M. B., Johnson, B., Lorenz, E. & Lundvall, B. Å. (2007). Forms of knowledge and modes of innovation. Research Policy, 36(5), 680–693.

L‘Hoest, R. & Mauch, S. (2019). Regelgebundene Regionalpolitik unverzichtbar. Wirtschaftsdienst, 99(S1), 71–79.

Küpper, P. (2016). Abgrenzung und Typisierung ländlicher Räume. Thünen Working Paper, Nr. 68.

Parrilli, M. D., Balavac, M. & Radicic, D. (2020). Business innovation modes and their impact on innovation outputs: Regional variations and the nature of innovation across EU regions. Research Policy, 49(8), 104047.

Reher, L., Runst, P. & Thomä, J. (2024). Personality and regional innovativeness: An empirical analysis of German patent data. Research Policy, 53(6), 105006.

Runst, P. & Thomä, J. (2024). Innovationsatlas Handwerk – ein neuer Blick auf die regionalökonomische Funktion der Handwerkswirtschaft. ifh Forschungsbericht, Nr. 25.

Runst, P. & Thomä, J. (2025). The R&D Risk-Return Trade-Off: Exploring the Diversity of Young Innovative Firms. European Planning Studies (im Erscheinen).

Simmler, M. &Garcia Dominguez, I. (2025). Gründungsdynamiken in ländlichen und urbanen Räumen, Zahlen & Fakten 02/2025. Thünen-Institut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen.

Thomä, J. & Bizer, K. (2021). Governance mittelständischer Innovationstätigkeit – Implikationen des Doing-Using-Interacting-Modus. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 22(4), 350–369.

Title:Rethinking Innovation Policy: Unlocking Rural Potential beyond R&D

Abstract:Innovation policy often focuses on research and development (R&D) and favours urban centres, therefore rural regions are frequently overlooked. This paper challenges the underlying assumption that innovation-driven growth predominantly occurs in metropolitan areas. Using recent research on young innovative firms in Germany, it demonstrates that innovation in rural areas can flourish through alternative modes of innovation beyond R&D, which can be summarised as ‘learning by doing, using and interacting (DUI)’. The find¬ings advocate a broader understanding of innovation that recognises the unique strengths of rural regions. A more inclusive innovation policy could reconcile the goals of economic efficiency and regional equity more effectively than was previously thought possible

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2025

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2025-0107

Mehr zu diesem Thema bei EconBiz