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Über die Einführung einer Pkw-Maut wird nach der Bundestagswahl heftig diskutiert. Ferdinand Dudenhöffer macht den Vorschlag, die Maut zu nutzen, um damit das gesamte Verkehrssteuersystem zu modernisieren. Sowohl die Schadstoffbelastung als auch die Staugefahr könnte auf diese Weise gelenkt werden.

Mit der Bundestagswahl ist das Gewicht der CSU in Berlin deutlich gewachsen. Dabei hatte bereits die absolute CSU-Mehrheit bei der Bayerischen Landtagswahl die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland wahrscheinlicher gemacht. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat der Pkw-Maut im Regierungsprogramm einen hohen Stellenwert zugewiesen, den wohl niemand mehr ignorieren kann. Weder die Autoindustrie mit ihren 750 000 Beschäftigten, noch der ADAC mit seinen mehr als 18 Mio. Beitragszahlern, noch die Gewerkschaften mit ihren zahlreichen Mitgliedern scheinen die Pkw-Maut verhindern zu können. Dabei ist die Pkw-Maut zur Finanzierung der sanierungsbedürftigen Straßeninfrastruktur in Deutschland unumgänglich. Zwar stehen für den Ausbau und die Erhaltung der Bundesfernstraßen jährliche Haushaltsmittel von 5 Mrd. Euro zur Verfügung, nach Schätzungen etwa des DIW oder von Verbraucherverbänden werden aber mindestens 8 Mrd. Euro benötigt.1 Bei Kreis- und Gemeindestraßen wird mit nahezu gleichen Investitionssummen und -lücken gerechnet und bei Landesstraßen liegen permanente Deckungslücken von 0,5 Mrd. Euro pro Jahr vor. Summa summarum werden 6,5 Mrd. Euro jährliche Mittel zusätzlich benötigt, um die Straßeninfrastruktur in Deutschland zu erhalten und geplante Erweiterungen vorzunehmen. Selbst wenn am Ausbau des Straßennetzes dramatisch gekürzt würde, stände es schlecht um die Erhaltung der bestehenden Infrastruktur.2

Deutschlands Straßennetz ist marode, unterfinanziert und die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen werden auf die lange Bank geschoben. Die Lobbyisten von „Pro Mobilität“3 sprechen gar von 70 Jahren Projektstau beim Aus- und Neubau der Bundesfernstraßen, wenn keine zusätzlichen finanziellen Mittel eingesetzt werden. Auch ein Vergleich mit den Nachbarn zeigt, dass in Deutschland sehr wenig in das Straßennetz investiert wird. So wurden in Deutschland in den letzten Jahren – mit Ausnahme von 2009, als das Konjunkturpaket II einen Einmaleffekt auslöste – weniger als 0,5% des Bruttoinlandsprodukts für Straßenbauinvestitionen aufgewendet. Um das Jahr 2000 waren dies noch 0,6%. 2011 investierte nach Daten der OECD Deutschland 0,45% des BIP in das Straßennetz, während Schweden (0,48%), Finnland (0,49%), Luxemburg (0,51%), Spanien (0,56%), Frankreich (0,59%), Norwegen (0,78%) und die Schweiz (0,81%) deutlich höhere anteilige Beiträge aufbrachten.4 Die simple Forderung, den gesamten Straßenbau aus dem Steueraufkommen der Energie- und Kfz-Steuer zu finanzieren, ist politisch nicht umsetzbar, da dann deutliche Finanzierungslücken in anderen Haushaltsbereichen entstehen würden.

Seehofer hat sehr geschickt den Österreich-Faktor „wir müssen dort Maut bezahlen, die bei uns aber nicht“ ins Spiel gebracht und somit die Sympathie nahezu aller bayerischen Autofahrer für eine Pkw-Maut aufgebaut. Dabei weiß Seehofer genau, dass eine „Pkw-Maut für Ausländer“ ordnungsrechtlich nicht umsetzbar und das Finanzierungsproblem nicht lösbar ist. Das zentrale Motiv der Pkw-Maut-Forderung aus Bayern – die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur – ist also richtig. Das sprichwörtliche „Pickerl für Österreicher“ wäre allerdings zu wenig. Die Pkw-Maut sollte genutzt werden, um ein modernes ökonomisches Anreiz- und Finanzierungssystem für das Individualverkehrswesen zu schaffen.

Maut-Konzept mit drei Eckpfeilern

Eine moderne Maut kann den gesellschaftlichen Wert der Verkehrsinfrastruktur deutlich steigern und die zum Teil wenig nachvollziehbare deutsche Kfz-Steuer, die das stehende Fahrzeug im öffentlichen Raum besteuert, zu einem neuen ökonomischen Preissystem umgestalten. Die Prinzipien, an denen eine Maut ausgerichtet werden sollte, sind ökonomisch nicht sonderlich kompliziert und gut umsetzbar.

Prinzip 1: Streckenabhängigkeit

Jeder Kilometer Straßennutzung wird bepreist. Damit ist das Prinzip „Pickerl“ eine Second-Best-Lösung, wenn sich die streckenabhängige Erfassung in einem sinnvollen Kostenrahmen bewegt. Da heute mit jedem Handy nahezu kostenlos Bewegungsdaten erfasst und ausgewertet werden können, sind die technischen und kostenmäßigen Voraussetzungen zur Erhebung einer streckenabhängigen Maut erfüllt. Das modifizierte Handy würde die Mautabrechnung erstellen und die Mautgebühren können einfach mit der Handy-Abbuchung zum Finanzminister weitergeleitet werden.

Prinzip 2: Notwendiges Mittelaufkommen

Die Maut sollte so ausgestaltet werden, dass ihr vorgesehener Anteil an der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur auch erbracht wird. Diese Aufgabe ist mit entsprechenden Daten problemlos lösbar. Tabelle 1 zeigt eine einfache Aufstellung, bei der zusätzlich die bisherige Kfz-Steuer, die eben nicht streckenabhängig ist, entfällt. Würde dies umgesetzt, würde bei Berücksichtigung der öfter geschätzten 500 Mio. Euro5 Zusatzeinnahmen der Pickerl-Maut pro 100 km Fahrstrecke ein Mautbetrag von 1,46 Euro anfallen. Die „üblichen“ 14 000 Jahreskilometer des Otto-Normal-Verbrauchers würden dann mit 204,40 Euro zu Buche schlagen. Fazit: Mit nur wenigen „Handgriffen“ könnte die wenig ökonomische Kfz-Steuer zu einem simplen Mautsystem umgestaltet werden, bei dem auch das Wahlversprechen des bayerischen Ministerpräsidenten, die Österreicher mit zur Kasse zu bitten, eingehalten wird.

Geht es allerdings nur um die beiden oben angeführten Prinzipien würde es die Sache leichter machen, direkt den Kraftstoffpreis mit einer etwas höheren Mineralölsteuer zu versehen. Um eine Pkw-Maut zu begründen, sollte daher ein drittes Prinzip Anwendung finden.

Tabelle 1
Pkw-Maut statt Kfz-Steuern
in Euro
Überschlagsrechnung
Kfz-Steueraufkommen 2011 8,4 Mrd.
Zusatzfinanzierung „Österreicher Pickerl“1 0,5 Mrd.
Summe 8,9 Mrd.
Pkw-Fahrleistung 20112 609 Mrd. km
Pkw-Maut pro 100 km ohne Kfz-Steuern 1,46

1 V. Bouffier, Interview, in: Handelsblatt vom 2.9.2013.

2 DIW Wochenbericht, Nr. 47, 2012, S. 6.

Quellen: DIW 2012; eigene Berechnungen.

Prinzip 3: Anlastung spezifischer externer Effekte

Die Maut kann den Autofahrern zusätzliche negative externe Effekte anlasten. Dies ist der einzige ökonomische Grund, der für eine zusätzliche Maut spricht, wenn Treibstoff bereits besteuert wird. Da nicht überprüft werden kann, ob der Treibstoffverbrauch an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten zu zusätzlichen externen Belastungen führt, wird die Maut benötigt, um regulativ einzugreifen. Zweifelsohne verursacht eine zusätzliche Tonne Stickstoffdioxid in der Innenstadt von Stuttgart größere Umweltbelastungen für die Menschen als in Nordfriesland. Daher ist es sinnvoll, die Stuttgarter Tonne Stickstoffdioxid „teurer“ als die Tonne in Nordfriesland zu bepreisen. Anders formuliert: Wer in die Stuttgarter Innenstadt mit einem Diesel-Pkw mit der Abgasnorm Euro 5 oder schlechter fährt, sollte gegenüber der Fahrt in Nordfriesland eine zusätzliche Maut bezahlen. 100 km in Stuttgart würden damit mehr kosten als die in der Tabelle 1 ausgewiesenen 1,46 Euro. Zusätzlich könnte gelten, dass Pkw in der Stuttgarter Innenstadt vormittags um acht Uhr deutlich stärker den Verkehr belasten als nachts um halb vier. Auch diese „Congestion Charge“ könnte mit einer simplen Handytechnik in das Mautsystem integriert werden. Mit einer – City-Maut – hätten wir also das ideale Preissystem, um unsere Verkehrsinfrastruktur ökonomisch effizient zu nutzen. Das interessante am Seehofer-Vorschlag wäre damit die City-Maut-Komponente und nicht die vordergründige Österreicher-Schelte.

Würden die Sätze bei der Besteuerung von Diesel und Ottokraftstoff (Benzin) angeglichen, würden weitere Effizienzgewinne erzielt. Bei gleichen Steuersätzen für die Kraftstoffe wäre das Wertgrenzprodukt eines Liters Diesel und Ottokraftstoffs gleich. Zusätzlich lässt sich ohne große Mühe der europäische Kraftstoffmarkt vereinheitlichen. Heute existieren in unterschiedlichen EU-Staaten unterschiedliche Kraftstoffsteuersätze. Die Folge ist ineffizienter „Tanktourismus“, so wie er aktuell etwa zwischen Luxemburg und Deutschland stattfindet. Die einfache Regel würde damit lauten, die Kraftstoffsteuersätze in der EU zu vereinheitlichen und über unterschiedliche Pkw-Maut-Sätze in den einzelnen Ländern die jeweils notwendigen Mittelaufkommen zu sichern. Der bayerische Vorstoß zur Pkw-Maut könnte damit sogar eine europäische Dimension erhalten.

City-Maut verhindert EU-Probleme der Kommunen

In Deutschland stehen die großen Städte vor einem ganzen Bündel an Herausforderungen. Zum einen fehlt das Geld zur Straßensanierung. Zum zweiten überschreiten mehr als 33 Ballungsgebiete die seit 2010 geltenden EU-Grenzwerte für Stickstoffdixoid-Immissionen. Hohe Stickstoffdioxid-Belastungen sind gesundheitsgefährdend und werden nahezu ausschließlich von Diesel-Pkw verursacht. Die Kommunen müssten eigentlich reagieren, wissen aber nicht wie. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass die Stickstoffdioxid-Belastungen bis 2015 weiter ansteigen, da erst dann die sogenannten „Euro 6 Abgasstandards Diesel“ für Neuwagen Pflicht werden. Probleme durch die Verletzung der Grenzwerte in den deutschen Ballungszentren und damit die möglichen Sanktionen der EU-Kommission verschärfen sich also. Die Problematik ist ähnlich wie bei der Feinstaub-Debatte und der Einführung der Umweltzonen und Plaketten ab 2008. Damals wurden die Kommunen in Deutschland von den „Feinstaubklagen“ überrascht, und es mussten nahezu „über Nacht“ Verordnungen erlassen werden.

Zum dritten sind die Innenstädte „verstaut“ und Parkraum ist knapp. Die ideale Lösung für diese Probleme brächte die Anlastung der externen Effekte in Form einer City-Maut. In Tabelle 2 wurde ein Beispiel für die 30 größten Städte in Deutschland gerechnet. Diese 30 größten Städte haben insgesamt 18 Mio. Einwohner und einen Pkw-Bestand von etwa 8,1 Mio. Die überwiegende Mehrheit dieser Fahrzeuge ist mit Abgasstandards ausgestattet, die etwas höhere Stickstoffdixoid-Belastungen mit sich bringen. Bei unterstellter Gleichverteilung der jährlichen Fahrleistungen der Pkw und einem City-Maut-Aufschlag von 2 Euro pro 100 km ergäbe sich ohne Substitutions-Effekte ein City-Maut-Aufkommen von 1,4 Mrd. Euro. Selbstverständlich ließen sich Substitutionseffekte – etwa durch das Wechseln in den öffentlichen Nahverkehr oder die Neuanschaffung von Elektroautos – schätzen. Das simple Rechenbeispiel zeigt aber, dass mit der City-Maut Kommunen über adäquate Mittel zur Verbesserung der städtischen Straßeninfrastruktur verfügen könnten.

Tabelle 2
City-Maut
Rechenbeispiel
Einwohnerzahl in den 30 größten Städten 18 Mio.
Pkw-Bestand in den 30 größten Städten 8,1 Mio.
Pkw mit Abgas-Standard Euro 5 Diesel und schlechter, Benziner Euro 4 und schlechter, in den 30 größten Städten 5 Mio.
Pkw-Kilometer bei gleichverteilter Fahrleistung 70,8 Mrd. km
City-Maut-Zuschlag 2 Euro/100 km (ohne Substitution) 1,4 Mrd. Euro

Quellen: Statistisches Bundesamt: Städte in Deutschland nach Fläche und Bevölkerung, Oktober 2011; eigene Berechnungen.

Autobahn-Gutschriften und Elektromobilitäts-Schub

In dem Pkw-Maut-System könnte noch etwas weiteres eintreten. Statt eine Autobahn-Maut zu bezahlen, wäre es durchaus denkbar, eine „Autobahn-Gutschrift“ auf die normale Maut zu erhalten. Auf Autobahnen kommen deutlich weniger Unfälle zustande als auf Land- und Ortsstraßen. Also wäre es sinnvoll, einen Anreiz zu setzen, um auf Autobahnen zu fahren.

Deutschland zählt heute zu den Schlusslichtern bei der Elektromobilität. In den USA, Frankreich, Norwegen, den Niederlanden und vielen anderen Staaten ist die Dichte an Elektroautos deutlich größer als im „Leitmarkt für Elektromobilität“. Der City-Maut-Zuschlag für abgasintensive Fahrzeuge gibt Elektroautos einen Schub. Elektroautos verursachen keine lokalen Emissionen in den Städten. In Großstädten kommen die Vorteile der Elektroautos am stärksten zur Entfaltung. Dort, wo die Luftqualität problematisch und die Bevölkerungsdichte hoch ist, sind Null-Emissions-Autos am sinnvollsten. Diejenigen, die trotzdem mit abgasintensiven Autos fahren, bezahlen für ihre Luftbelastungen.

Die Idee der City-Maut ist nicht neu und deshalb auch ausgetestet. Singapur fährt seit 1975 nicht schlecht mit einer City-Maut. London ist seit 2003 das Modell für die europäische City-Maut. Die City-Maut ist damit kein ökonomisches Experiment mit offenem Ausgang, sondern seit zehn Jahren in London ökonomisch „getestet“. Und die Ergebnisse für die Umwelt können sich sehen lassen: 15% weniger Feinstaub, 13% weniger Stickoxidbelastung, 28% plus beim öffentlichen Nahverkehr und damit weniger Staubelastungen.6

Fazit: Chance für modernes Steuersystem nutzen

Der Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer ist besser als viele auf den ersten Blick wahrhaben wollen. Die Maut ist sinnvoll, wenn das wenig anreizkompatible Besteuerungssystem für Kraftfahrzeuge in ein modernes Maut-System umgewandelt wird. Zusätzlich besteht die Chance, ein europäisches System zu entwerfen, das heutige Verzerrungen aufgrund unterschiedlicher Kraftstoffsteuern beseitigt. Die EU hätte die Möglichkeit Kraftstoffsteuern zu harmonisieren und entstehende Fehlbeträge beim Mittelaufkommen durch entsprechende Maut-Sätze auszugleichen. Obwohl es gesetzlich möglich wäre, hat bisher keine Kommune in Deutschland eine City-Maut eingeführt. Die Befürchtungen, dass Wähler die Lokalpolitiker abwählen, hemmen. Wenn die Kfz-Steuer in eine streckenabhängige Pkw-Maut umgestaltet wird, fällt die Reizschwelle. Die City-Maut bzw. der City-Maut-Zuschlag wäre politisch deutlich leichter umzusetzen als ein Alleingang wie in London. Es spricht also sehr viel dafür, den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten ernst zu nehmen und ihn zur Grundlage einer echten Reform des deutschen und europäischen Steuermodells für den Individualverkehr zu machen. Seit Jahrzehnten wird am Kfz-Steuersystem „herumrepariert“. Mit Seehofer entsteht die Chance, ein modernes System zu schaffen. Diese Chance sollte genutzt werden.

Title:Bavarian Road Toll: Starting Point for a Modern Pricing System

Abstract:Horst Seehofer, Bavaria’s prime minister, seems to be close to his objective of implementing a road toll for foreign cars in Germany. As German road infrastructure suffers from large deficits, a new fiscal instrument seems to be inevitable. Thus, Seehofer’s initiative points in the right direction, however, applying a suboptimal vignette model is not the right approach. The opportunity should be used to establish a toll model which creates efficient allocation and fiscal effects. This article sets out three simple principles which allow the implementation of such a system.

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DOI: 10.1007/s10273-013-1588-z