In der Vorbereitung auf die internationalen Klimaverhandlungen im November 2021 bereiten die Staaten des Pariser Abkommens aktuell ihre neuen Klimaschutzpläne, die sogenannten Nationaly Determined Contributions (NDC), vor oder haben diese bereits an die UNFCCC übermittelt. Die im Rahmen dieser NDC kommunizierten Klimaziele gehen allerdings häufig nicht über 2030 hinaus (UNFCCC, 2021) – und das obwohl laut UN bereits 110 Länder Klimaneutralität als Langfristziel kommuniziert haben (Guterres, 2020). Mit Stand Februar 2021 haben nur 29 Staaten Langfriststrategien beim UNFCCC-Sekretariat eingereicht (UNFCCC, 2021), die allerdings in der Regel sehr vage ausfallen. Da die zur Erreichung der 2030er Ziele notwendigen Maßnahmen nicht automatisch sicherstellen, dass diese auch mit dem Erreichen von Klimaneutralität um die Jahrhundertmitte vereinbar sind, fordern immer mehr Forscher:innen und Politiker:innen langfristiger orientierte Strategien. Ohne solche Strategien könnte Klimaneutralität – wenn überhaupt – potenziell nur unter stark steigenden Kosten und damit Lasten für zukünftige Generationen erreichbar sein.
Es ist genau diese Argumentation, die sich auch das deutsche Bundesverfassungsgericht in seinem am 29.4.2021 kommunizierten Beschluss zu eigen gemacht hat (BVerfG, 2021). Der Beschluss stellt dabei nicht das Ziel der Klimaneutralität 2050 infrage, sondern bestätigt es grundlegend. Kritisiert wurde dagegen insbesondere die fehlende Langfristplanung. Dies könne, so die Argumentation des Gerichts, zu überproportionalen Belastungen zukünftiger Generationen führen.
Am Beispiel dieses Beschlusses diskutieren wir grundlegende Implikationen und Handlungsmöglichkeiten für eine verbesserte langfristige Planung. Diese Diskussion über die Verteilung der Risiken aus zukünftigem Klimaschutz ist dabei nicht nur für den Fall des deutschen Klimaschutzgesetzes, sondern auch auf internationaler Ebene für die Formulierung von Langfriststrategien relevant.
Was beinhaltet der Beschluss des Verfassungsgerichts (und was nicht)
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) stellt in seinem Beschluss zum Klimaschutzgesetz eindeutig klar, dass die Erreichung des Klimaneutralitätsziels quasi Verfassungsrang habe (Art. 20a GG) und der deutsche Staat verpflichtet sei, seine klimaschutzbezogene Gesetzgebung am Pariser Abkommen auszurichten.
Das Gericht legt seiner Rechtsprechung ein Restemissionsbudget für Deutschland zugrunde (orientiert an den Pariser Klimazielen), das bis zum Erreichen der Klimaneutralität nicht überschritten werden dürfe. Dies gelte auch unabhängig von den Klimaschutzanstrengungen anderer Länder. Dabei wird die bisher durch das Klimaschutzgesetz (KSG) vorgesehene Emissionsreduktion bis 2030 als nicht ausreichend eingeschätzt, da das für Deutschland verbleibende Restemissionsbudget damit vermutlich bis 2030 aufgezehrt werde. Mit Verweis auf die Unsicherheiten insbesondere der Berechnungsgrundlagen für die Restemissionsmengen sieht das Gericht das Reduktionsziel bis 2030 im KSG aber an diesem Punkt (noch) als verfassungskonform an. Nicht mehr verfassungskonform sei indes die Delegation der Festlegung und Ausgestaltung des Reduktionspfads ab 2031 bis zur Klimaneutralität im Jahr 2050 auf den Verordnungsgeber.
Das Klimaschutzgesetz werde der gebotenen intertemporalen Freiheitsicherungspflicht nicht ausreichend gerecht, weil es an einem Pfad zur Reduzierung von Emissionen von 2031 bis 2050 fehlt. Für den Zeitraum nach 2030 ist bisher lediglich eine Konkretisierung im Jahr 2025 durch den Verordnungsgeber vorgesehen (§ 4 Abs. 6 KSG). Das Gericht stellt fest, dass das Risiko hoher Belastungen zukünftiger Generationen durch den Mangel rechtzeitiger und ausreichend langfristiger Regelungen unverhältnismäßig hoch sei. Das Gericht verlangt zwar weder, Klimaneutralität früher als 2050 zu erreichen, noch den Reduktionspfad bis 2030 zu revidieren. Implizit ist Letzteres allerdings wohl kaum vermeidbar, um dem verfassungsrechtlichen Gebot Genüge zu tun, zukünftigen Generationen keine unverhältnismäßig hohen Lasten aufzubürden. Die Lasten seien im Wesentlichen durch den Gesetzgeber „bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen“ (BVerfG, 2021). Die Gefahr einer Einschränkung grundgesetzlicher Freiheitsrechte durch diese Lasten sei dadurch zu begegnen, den Übergang zur Klimaneutralität entsprechend rechtzeitig mit Maßnahmen einzuleiten, die eine ausreichende Orientierung und Planungssicherheit für zukünftige Entwicklung geben.
Für die Umsetzung des Beschlusses werden wenige, recht unkonkrete Vorgaben gemacht: Emissionsmengen müssen zwar noch nicht jetzt bis 2050 bestimmt werden; der Gesetzgeber – und nicht der Verordnungsgeber – habe aber bis Ende 2022 zu entscheiden, in welchen Zeitabständen diese transparent so festzulegen seien, dass der weitere Reduktionspfad rechtzeitig erkennbar ist und weit genug in die Zukunft reicht. Vorgegeben sind dabei weder die Zeitintervalle noch dass es sektorspezifische Zwischenziele geben muss. Dem Gesetzgeber verbleibt damit ein umfangreicher Spielraum, solange er seiner intertemporalen Freiheitssicherungspflicht, den Grundsätzen der Transparenz und Planungssicherheit Rechnung trägt. Im Folgenden diskutieren wir, welche Abwägungen dem Beschluss aus ökonomischer Sicht zugrunde liegen und wie er genutzt werden könnte, um eine höhere Effizienz des Klimaschutzes zu erreichen. Dabei fokussieren wir primär auf Risiken, Planungssicherheit und Transparenz und gehen daher auf die wichtige Diskussion einer Verschiebung des Zeitpunkts, an dem Klimaneutralität erreicht werden soll, nicht näher ein.
Grundsätzliche Überlegungen aus Sicht der Risikoverteilung
Die Vermeidung langfristiger physischer Risiken des Klimawandels durch Extremwetterereignisse wie Hitzewellen oder Starkniederschlagsereignisse führt zu einer Reihe von sogenannten Transitionsrisiken. So können durch klimapolitische Maßnahmen ebenso wie durch technologischen Fortschritt oder eine veränderte Nachfrage Risiken für bestehende Geschäftsmodelle entstehen. Fossile Ressourcen und langlebige Kapitalstöcke entlang der fossilen Wertschöpfungskette verlieren an Wert und laufen Gefahr zu „stranded assets“ zu werden (Pfeiffer et al., 2018). Finanzaufseher haben diese Risiken erkannt und warnen, dass sie sogar zu einer Gefahr für das Finanzsystem werden können (Carney, 2015; Campiglio et al., 2018). Eine rapide Transformation von Sektoren kann zum Stellenabbau in emissionsintensiven „sunset industries“ führen, was die Akzeptanz der Maßnahmen verringert und die notwendigen Politiken damit schwerer umsetzbar macht. Gleichzeitig führt die klimafreundliche Transformation zu großen Chancen für klimafreundliche Technologien und Geschäftsideen.
Die Einführung von Klimapolitiken hat somit immer eine Verteilungswirkung (Eisenack et al., 2021) und der notwendige Strukturwandel ist regional verschieden und kann zur Benachteiligung bestimmter Branchen und Regionen (hier sei auf den schwierigen Prozess des Kohleausstiegs verwiesen) und zu Gewinnern in anderen Bereichen führen. Dies führt dazu, dass Interessengruppen die Einführung von Klimapolitiken durch Lobbyismus beeinflussen (Meng und Rode, 2019) und die Durchsetzung solcher Maßnahmen „politische Kosten“ im Sinne von Widerständen von Interessengruppen und Teilen der Bevölkerung mit sich bringt, wie sich am Beispiel der Gelbwesten in Frankreich gezeigt hat (Douenne und Fabre, 2020). Somit ist es für politische Entscheidungsträger rational, unbequeme klimapolitische Entscheidungen in die Zukunft zu verschieben, um diese politischen Kosten zu vermeiden. Bereits Mark Carney, der Governor der Bank of England, betonte 2015, dass die Zeithorizonte von Wirtschaft und Politik im Vergleich zur Klimaproblematik viel zu kurz seien (Carney, 2015). Die vom Verfassungsgericht explizit geforderte längerfristige und vor allem frühzeitige Festlegung der Emissionsmengen kann helfen, diese „Tragedy of the Horizon“ zu überwinden.
Aus ökonomischer Sicht greift der Beschluss somit einen wichtigen Zielkonflikt auf. Während ambitioniertes klimapolitisches Handeln dringend notwendig ist, um gravierende Klimaschäden zu vermeiden, führt eine (zu) schnelle Transformation zu höheren Transitionsrisiken. Diese entstehen vor allem bei unerwarteten, rapiden Änderungen der Rahmenbedingungen für Unternehmen und lassen sich somit durch einen langfristig verlässlichen Politikrahmen mindern. Daher ist die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, dass eine unterlassene Festlegung konkreter Ziele über 2030 hinaus eine höhere Belastung zukünftiger Generationen darstellt besonders in Bezug auf Transitionsrisiken zutreffend.
Implikationen für den Emissionsreduktionspfad
Hinsichtlich der Reform und Ergänzung des im Klimaschutzgesetz festgelegten Emissionspfades müssen die Erhöhung kurzfristiger Transitionsrisiken (durch eine Anpassung der Ziele bis 2030) und die Reduktion langfristiger Transitionsrisiken (durch geringere Vermeidungserfordernisse nach 2030) miteinander in Ausgleich gebracht werden.
Eine Steigerung der bisher im nationalen Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) vorgesehenen Ziele und CO2-Preise bis 2030 würde den Reduktionspfad von 2030 bis 2050 abflachen und die Gefahr zukünftiger Transitionsrisiken senken. Auch eine Erreichung der Klimaneutralität vor 2050, wie sie aktuell als Antwort der Bundesregierung auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vorgeschlagen wird (FAZ, 2021), ist so denkbar. Ein flacherer Emissionsreduktions- und damit CO2-Preispfad könnte außerdem die intertemporale Effizienz der Emissionsvermeidung erhöhen (Gollier, 2021). Allerdings würden bei einer starken kurzfristigen Anpassung heute bestehende Geschäftsmodelle stärker gefährdet und der Zeitraum einer Anpassung an gestiegene klimapolitische Anforderungen erheblich reduziert.
Im Gegensatz dazu würden durch einen langsamen Reduktionspfad Transitionsrisiken für gegenwärtige Generationen geringgehalten und damit die gegenwärtigen politischen Kosten des Gesetzes reduziert. Gleichzeitig implizieren sehr schnell steigende Reduktionsbedarfe nach 2030 (oder sogar noch später) ebenfalls Transitionsrisiken. Diese können zwar durch eine rechtzeitig bekanntgegebene Zielsetzung gemindert werden, bergen aber weiterhin die vom Verfassungsgericht adressierte Gefahr einer ungleichen Verteilung der Lasten über die Generationen.
Gesamtwirtschaftliche oder sektorale Ziele?
Das Verfassungsgericht fordert vom Gesetzgeber weder die heutige Festlegung eines spezifischen Reduktionspfades für die Gesamtemissionsmengen bis 2050 noch die Festschreibung sektoraler Ziele. Allerdings ist schwer vorstellbar, wie der Forderung nach mehr Planungssicherheit ohne eine Konkretisierung von Zwischenzielen nachgekommen werden soll.
Eine einfache Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Forderungen wäre die Setzung von Zwischenzielen für Gesamtemissionsmengen. Diese könnten außerhalb des Klimaschutzgesetzes über einen umfassenden Emissionshandel, der die Einhaltung der Mengenziele garantiert, implementiert werden. Grundsätzlich würde dies zunächst dort zu Emissionsvermeidungen führen, wo es beim jeweils aktuellen Stand der Technik am günstigsten ist. Die letzten Schritte zur Erreichung der Klimaneutralität würden entsprechend die technisch schwierigsten und teuersten sein. Hier setzt die Idee von Sektorzielen an.
Fehlen rechtzeitige und starke klimapolitische Signale besteht zumindest in einigen Branchen die Gefahr, dass Forschung & Entwicklung und Investitionen in langlebige Infrastruktur ineffizient spät erfolgen, bzw. dass es durch in der kurzen Frist getätigte Investitionen in langlebige Kapitalgüter zur Weiterführung von Pfadabhängigkeiten in fossilen Technologien kommt.
Wie akut gerade letztere Gefahr ist, macht der hohe Reinvestitionsbedarf in einer Reihe emissionsintensiver Branchen in den kommenden zehn Jahren deutlich, in denen Anlagen zum Teil über Jahrzehnte genutzt werden (30 % bis 60 % in beispielsweise der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie, Leopoldina et al., 2020). Die mit solchen Investitionen in Technologien einhergehenden Transitionsrisiken erhöhen die politischen Kosten klimapolitischer Maßnahmen, erschweren ihre Umsetzbarkeit in der Zukunft und verhindern sie im schlimmsten Fall. Je größer die notwendigen sektoralen Anpassungen sind, desto früher müssen diese entsprechend verbindlich bekannt sein.
Auf der anderen Seite schränkt eine strikte Festlegung von Sektorzielen die Flexibilität ein und könnte neue technologische Lock-ins durch eine (zu) frühzeitige Festlegung auf bestimmte Technologien fördern. Nicht zuletzt ist technologischer Fortschritt immer schwerer vorhersehbar, je weiter er in der Zukunft liegt. Eine zu frühe und zu starre Festlegung schränkt damit die Effizienz zukünftiger Emissionsvermeidung ein.
Entscheidet sich der Gesetzgeber für die Beibehaltung oder sogar Ausweitung sektoraler Vermeidungsziele sollten diese ausreichend flexibel und nicht zu weit in die Zukunft formuliert sein. Allerdings kann der Beschluss des Verfassungsgerichts auch dazu genutzt werden, die Kosten und Nutzen von Sektorzielen grundlegend zu überdenken. Alternativ wäre, beispielsweise, eine Adressierung potenziell schwieriger Technologiebereiche über entsprechend langfristig und strategisch ausgerichtete individuelle Maßnahmen denkbar. Dies würde eine zielgenauere Vorgehensweise erlauben als die Formulierung von Sektorzielen in Bereichen wie Industrie oder Verkehr, welche eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Technologien umfassen.
Forderung nach Transparenz
Positiv zu sehen ist, dass der Beschluss eine Revision des Gesetzes bis Ende 2022 anmahnt. Es bleibt damit ausreichend Zeit, die Reformen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zu stützen. Die Forderung nach Transparenz der Rahmensetzung sollte dabei ernst genommen werden und Reformen beispielsweise auf modellbasierte Abschätzungen zukünftiger Vermeidungskosten gestützt werden. Unter Berücksichtigung zukünftiger Technologieentwicklungen können damit konsistente Reduktionspfade bestimmt werden, die die Klimaziele erreichen und die Belastung nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit über die Generationen verteilen. Klimapolitische Ziele und Maßnahmen zu deren Erreichung sollten dabei von vorn herein zusammengedacht werden.
Zur Zeit der Entstehung dieses Artikels war erst eine Woche seit Bekanntwerden des Beschlusses vergangen. Dennoch wurde am 6.5.2021 bereits ein Vorschlag der Bundespolitik zur Umsetzung des Gerichtsbeschlusses bekannt (Tagesschau, 2021). Unsere Forderung nach einer transparent geplanten Reform, die Ziele und Maßnahmen zusammendenkt, scheint damit von den aktuellen Entwicklungen überholt zu werden.
Konkrete Umsetzung: Freiheiten an richtiger Stelle setzen
Wir begrüßen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, da sie die Möglichkeit bietet, die Ausgestaltung des Klimaschutzgesetzes generationengerecht und gleichzeitig effizient zu gestalten, sofern die verschiedenen Dimensionen der Transitionsrisiken eine angemessene Berücksichtigung finden. Die im Folgenden beschriebene konkrete Umsetzung würde helfen, dieses Ziel zu erreichen:
- Erhöhung des Reduktionsziels für 2030 auf 65 %. Diese Anpassung impliziert eine Senkung der Transitionsrisiken nach 2030 und entspricht damit der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, zukünftige Generationen weniger zu belasten. Eine solche Zielanhebung wurde bereits vor dem Verfassungsgerichtsbeschluss diskutiert, um die Verschärfung der EU Klimaziele auf die deutsche Ebene zu übertragen (Expertenrat, 2021; Expertenkommission, 2021; Rat der Europäischen Union, 2021). Sie wurde im Nachgang des Beschlusses ebenfalls von Agora Energiewende gefordert (Agora Energiewende, 2021).
- Verbindliche sektorübergreifende Vermeidungsziele sowie sektorspezifische Mindestreduktionsziele im Fünfjahresrhythmus bis 2050. Mit einem solchen verbindlichen Korridor werden Planungssicherheit und frühzeitige Anreize für langfristige Investitionen und Forschung & Entwicklung in allen Sektoren geschaffen und gleichzeitig die Flexibilität für technologische Entwicklungen gewahrt. Durch die im Gesetz verankerten Ziele besteht keine Möglichkeit für grundsätzliche Verschiebungen der Emissionsbudgets in die Zukunft. Da hinsichtlich der für die letzten Perioden verbleibenden Emissionseinsparungen zum Teil noch erhebliche Unsicherheiten über Technologien und Kosten bestehen, ist darauf zu achten, dass die mengenmäßigen Vermeidungsziele in diesen Perioden nicht höher ausfallen als vorher.
- Festlegung von jährlichen sektorübergreifenden Zielen ab 2025 im Fünfjahresrhythmus mit fünf Jahren Vorlauf. Diese beispielsweise im Jahr 2025 für 2030 bis 2035 zu konkretisierenden Ziele sind durch sektorspezifische Strategien zu unterlegen, die Herausforderungen in einzelnen Sektoren adressieren. Dieses Vorgehen erhöht die Planungssicherheit, mindert im Vergleich zu jährlichen Updates die Transaktionskosten und reduziert die Gefahr ineffizienten politischen Handelns durch Lobbyismus und kurzfristige Eigeninteressen von Entscheidungsträgern. Der im Vergleich zu den Fünfjahreszielen geringere zeitliche Vorlauf ermöglicht eine flexible Reaktion auf technologische und gesamtwirtschaftliche Entwicklungen.
- Nachbesserung von sektoralen Strategien nach Ursachenanalyse. Sollte ein jährliches Reduktionsziel substantiell verfehlt werden, muss die Ursache dafür im folgenden Jahr transparent und sektorspezifisch von einem unabhängigen Gremium ermittelt werden. Ist die Zielverfehlung nicht auf eine unvorhersehbare Ausnahme (z. B. außergewöhnlich kalter Winter) zurückzuführen und im nächsten Jahr aufholbar, muss dieser durch eine Nachbesserung der sektorspezifischen Strategie begegnet werden. Bei einem Nichteinhalten der Ziele zwei Jahre in Folge ist eine Nachbesserung der sektorspezifischen Strategien in jedem Fall verpflichtend.
Während die Festschreibung der grundlegenden Mechanismen und Fünfjahresziele im Klimaschutzgesetz verortet werden sollte, wie durch das Verfassungsgericht gefordert, könnte die Konkretisierung der jährlichen Ziele über Verordnungen erfolgen.
Die ersten Planungen der Bundesregierung zur Reform des Klimaschutzgesetzes scheinen einigen dieser Punkte zu entsprechen. Die vorgeschlagene, bereits heutige Festlegung von konkreten jährlichen Minderungszielen bis 2040 ist allerdings deutlich starrer als die von uns vorgeschlagene Verbindung aus mittel- und langfristiger Planung. Auch eine Reform des Nachbesserungsmechanismus bei kurzfristigem Überschreiten von Zielen scheint nicht geplant. Insbesondere bleibt unklar, wie die neuen Minderungsziele (und damit der gesamte neue Emissionspfad) bestimmt wurden oder wie sie implementiert werden sollen. Es ist zu bedauern, dass eine so wichtige und weitreichende Reform nicht transparenter ausgehandelt wird. Diese Transparenz wäre insbesondere wichtig, um die Akzeptanz zu erhöhen und Einflüsse von Lobbygruppen und politischen Eigeninteressen zu verhindern.
Schlussbemerkungen
Obwohl sich die Ausführungen dieses Artikels primär auf die Umsetzung des Beschlusses des deutschen Verfassungsgerichts beziehen, wird die Analogie zu den Herausforderungen auf internationaler Ebene deutlich. Für eine Konkretisierung der Langfriststrategien im Rahmen des UNFCCC Prozesses müssen Transitionsrisiken ebenso berücksichtigt und ein geeigneter Kompromiss zwischen Planungssicherheit und Flexibilität gefunden werden. Dieser Kompromiss muss Unsicherheiten über verbleibende Restemissionsmengen ebenso wie Unsicherheiten über technologische und gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen. Er darf dabei allerdings nicht zu Lasten zukünftiger Generationen gehen – auch und insbesondere nicht durch eine Verfehlung der Klimaziele und einen damit verbundenen Anstieg der Klimarisiken. Ein zusätzlicher, verkomplizierender Faktor auf internationaler Ebene stellt die Koordination der nationalen Langfriststrategien dar. Aber auch für Deutschland stellt sich die Frage nach der konkreten Umsetzung der gesetzlichen Regelungen in einem stark durch europäische Klimapolitik geprägten Umfeld. Ohne eine enge Kooperation mit der EU wird eine effiziente Erreichung der Ziele auf nationaler Ebene nicht möglich sein.
Die Vorschläge dieses Artikels sollten als ein Versuch gesehen werden, den verfassungsgerichtlichen Beschluss so in die bestehenden Strukturen und Logiken des Klimaschutzgesetzes zu integrieren, dass nicht nur eine Stärkung der Rechte zukünftiger Generation daraus resultiert, sondern auch Effizienzsteigerungen aus ökonomischer Sicht damit einhergehen.
* Wir danken Prof. Dr. Sabine Schlacke für ihre äußerst hilfreichen Anregungen zu unserer Kurzdarstellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts.
Literatur
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