Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Dieser Beitrag ist Teil von Welthandel unter Druck: Was tun gegen Protektionismus und Handelskriege?

Unser Buch „Der Freihandel hat fertig“ diskutiert den in den vergangenen Jahren offensichtlich gewordenen Trade-Off zwischen sicherheits- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen (Felbermayr & Braml, 2024). Wir leiten darin analytisch her, welche Güter als „kritisch“ einzustufen sind, und formulieren dazu drei Kriterien: keine Substituierbarkeit in der kurzen Frist; unmittelbare Konsumrelevanz; Zwangsrationierung im Krisenfallen bzw. das Vorliegen externer Effekte. Bei Vorliegen dieser Kriterien können staatliche Eingriffe wie Konzentrationszölle oder Kapazitätsmärkte das Beschaffungsproblem lösen. Spieltheoretisch lassen sich Handelskriege auch dadurch vermeiden, dass die Abhängigkeiten des Auslands ebenfalls als potenzielle Waffe in solchen Auseinandersetzungen verstanden werden.

Der Siegeszug des Freihandels ist spätestens im Jahr 2016, ein Vierteljahrhundert nachdem er Geschwindigkeit aufgenommen hatte, mit der ersten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten und mit dem Brexit zu einem jähen Ende gekommen. Der Wunsch nach Abschottung und Protektionismus zeugt von einem Verlangen nach einer Abkehr von den immer engeren wirtschaftlichen Verflechtungen. Störungen in den Lieferketten während der COVID-Pandemie, russische Erdgaserpressungen und eine chinesische Industriepolitik, die gezielt wirtschaftliche Abhängigkeiten zur Schaffung politischer Dominanz zu erzeugen sucht, führen auch in Kontinentaleuropa zu einem Umdenken. Zwar ist Globalisierungskritik, die sich etwa im Zuge der Anti-TTIP-Proteste Bahn brach, hierzulande nicht grundsätzlich neu; sie war jedoch stets eine traditionelle Domäne der Linken, die sich taktisch mit Interessensgruppen wie der Agrar-Lobby zum Schutz ihrer Produzentenrenten verband. Neu ist allerdings, dass Protektionismus aus geostrategischen und sicherheitspolitischen Überlegungen folgt und in einem zunehmenden Zielkonflikt mit (kurzfristigen) wirtschaftlichen Interessen steht. Dies wird insbesondere zum wirtschaftspolitischen Problem für außenhandelsorientierte Nationen wie Deutschland, Österreich und die Schweiz, aber auch für die Niederlande oder die skandinavischen Länder, die in der Vergangenheit stark von der Globalisierung profitierten. Handelsbeschränkungen werden damit auch in traditionell freihändlerischen, wirtschaftsliberalen Kreisen populär. Unser Buch „Der Freihandel hat fertig“ (Amalthea, Wien, Oktober 2024) beschreibt unter anderem die handelspolitischen Entwicklungen während Trumps erster Präsidentschaft (2017 bis 2021), aus der wir einiges für womöglich anstehende Handelskriege lernen können. Es stellt zudem den beschrieben sicherheitspolitischen Trade-Off auf den Prüfstand und zeichnet das Dilemma der WTO nach. Im Folgenden gehen wir der Frage von als kritisch empfundenen Importabhängigkeiten nach und schlagen Maßnahmen zu deren Auflösung vor. Anschließend umreißen wir die europäische Ausgangslage in künftigen Handelskonflikten.

Was sind kritische Güter und welche Abhängigkeiten sind gefährlich?

Die handelspolitischen Schocks der vergangenen Jahre führten zu einer Debatte, ob und wie Europa oder Deutschland bei sogenannten „kritischen Gütern“ unabhängiger werden sollen. Gemeint sind damit ein höheres Maß an Autarkie, eine diversifiziertere Lieferkette, eine Verlagerung der Beschaffung zu politischen alliierten Ländern, oder eine Kombination aus alledem. Doch bevor über Verlagerungen oder dergleichen sinnvoll nachgedacht werden kann, bedarf es einer systematischen Analyse, was denn überhaupt als „kritisch“ zu klassifizieren ist.

Während der Energiekrise mussten einige europäische Volkswirtschaften feststellen – allen voran die deutschsprachigen Länder –, dass ihre einseitige auf Russland ausgerichtete pipelinegebundene Erdgasabhängigkeit zum Problem wurde. Ökonomische Abhängigkeiten drohten die außen- und sicherheitspolitische Souveränität einzuschränken, eine gewisse Erpressbarkeit war nicht von der Hand zu weisen: Aus Sorge vor einem abrupten Lieferstopp sah man von umfassenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland und einer schnellen, wirksamen militärischen Unterstützung der Ukraine ab. Ökonomisch kann man dabei durchaus von einer Beschaffungsexternalität sprechen, denn privatwirtschaftlich organisierte Erdgasimporteure preisen das Risiko einer potenziellen Erpressbarkeit nicht oder nur unzureichend ein. Natürlich preisen Importeure immer Lieferausfälle ein, allerdings nicht in hinreichendem Maße, denn sie können sich im Bewusstsein ihrer Systemrelevanz auf staatliche Hilfen zur Krisenbewältigung verlassen. Die Ersatzbeschaffung für russische Lieferausfälle wurde nach dem politischen Hin und Her zur Gasbeschaffungsumlage schließlich durch Mittel des Wirtschaftsstabilisierungsfonds staatlich finanziert. Damit liegt neben der Beschaffungsexternalität auch ein moralisches Risiko vor, was einen effizienzsteigernden Staatseingriff grundsätzlich rechtfertigt. Die Frage lautet aber nun, bei welchen Gütern ähnlich wie bei Erdgas ein solches Beschaffungsproblem überhaupt existiert und wie man es sinnvollerweise adressiert.

In Felbermayr und Braml (2024) argumentieren wir, dass drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit Güter wirklich als „kritisch“ angesehen werden können. Erstens spielt die kurzfristige Substitutionsfähigkeit eine entscheidende Rolle. Ob Masken und Impfstoffe in der Pandemie, oder auch der Erdgasersatz im Jahr 2022: es ist beeindruckend, wie schnell Unternehmen auf relative Preisänderungen reagieren und auf andere Produkte, Inputs, Lieferländer oder Technologien umstellen konnten. Entscheidend dabei ist, dass preisliche Knappheitssignale unverzerrt in den Markt wirken können. Denn dann wird sowohl nachfrage- wie angebotsseitig alles dezentral vorhandene Wissen um die kleinen und großen Substitutionsstellschrauben aktiviert (auch das spricht im Übrigen gegen Preisdeckel zur vermeintlichen Inflationsbekämpfung). Die Kontroverse im Jahr 2022 um die Effekte eines möglichen russischen Gaslieferstopps bzw. eines Importembargos strafte all jene Lügen, die die gesamtwirtschaftliche Substitutionsfähigkeit massiv unterschätzen. Deren implizite Annahme von Leontief-Produktionsfunktionen, bei denen es keine Substitutionsmöglichkeiten der Inputs gibt, wurde der Realität nicht gerecht. Um auf Krisensituationen reagieren zu können ist es also entscheidend, wo und in welchem Maße kurzfristige Substitutionspotenziale vorhanden sind. Nur wenn eine kurzfristige Substitution nicht oder nicht ausreichend erfolgen kann, kann eine kritische Importabhängigkeit vorliegen, der man politisch begegnen sollte. Um darüber Information zu haben, braucht es allerdings eine laufende Beobachtung und Analyse der Situation.

Daran anschließend sollten wir uns, zweitens, auf unmittelbar konsumrelevante Güter konzentrieren, denn nur der Konsum ist kurzfristig wohlfahrtsrelevant und das Konsumniveau gilt es in einer Krise vorrangig zu stabilisieren. Dabei ist ein weiter Konsumbegriff, der auch den Staatskonsum einbezieht – z. B. Munition in einem Krieg, sinnvoll. Erdgas ist unmittelbar konsumrelevant, insofern wir es zum Heizen benötigen (beim industriellen Gaskonsum trifft dies nicht zwingend zu). Insofern verwundert die Debatte um „Resilienz-Boni“ für Photovoltaik (PV)-Hersteller ebenso wie groß angelegte Subventionsprogramme für die Halbleiterindustrie oder auch manche europäische Initiative: Die EU verfolgt das Ziel der „strategischen Autonomie“, das unter anderem mit dem Critical Raw Materials Act und dem Net Zero Industry Act mit Leben gefüllt werden soll. Mit letzterem werden explizite Autarkiegrade für ausgewählte Güter(-gruppen) bestimmt. Dies ist insoweit bemerkenswert, da nationale Produktionsziele des privaten Sektors Marktwirtschaften eigentlich wesensfremd sind. Vielmehr scheint man sich in Brüssel an Peking zu orientieren, das solche Ziele in seiner Made-in-China-2025-Industriestrategie explizit verankert hat. Mit Blick auf die Debatte um eine Diversifizierung der Lieferkette bleibt dabei jedoch völlig unklar, gegen welche Art von Schock man sich dabei versichern möchte. Wenn aufgrund eines Krieges die Lieferketten nach Ostasien unterbrochen sind, dann dürfte der Mangel an PV-Modulen zwar bedauerlich sein, aber er führt zu keinem unmittelbaren Konsumeinbruch. Und damit bleibt Zeit, auf die mittel- bis langfristige Substitution zu vertrauen. Davon abgesehen sollten Investitionspläne – neben klassischen Investitionsgütern sollten auch langlebige Gebrauchsgüter darunter gefasst werden – ohnehin infolge krisenhafter Ereignisse angepasst werden. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht muss es darum gehen, staatlicherseits Konsumglättung und nicht Investitionsglättung zu fördern.

Als drittes Kriterium sollte es sich um Güter handeln, die im Mangelfall entweder zwangsrationiert werden oder von denen erhebliche Externalitäten ausgehen. Erdgas würde im Mangelfall zwangszugeteilt werden, um soziale Verwerfungen zu vermeiden. Knappheitssituationen, in denen ein Teil der Bevölkerung friert, während ein anderer Energie für private Saunen und Pools nutzt, könnten zwar ökonomisch effizient sein, wären aber vermutlich sozial unerwünscht. Ebenso wäre dies der Fall bei Lebensmitteln oder Medikamenten. Im Krisenfall vertraut der Staat dann nicht mehr auf die Allokationsfunktion freier Märkte, was wiederum mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten einhergeht. Bei Importeuren solcher Güter besteht insbesondere das schon angesprochene moralische Risiko, sich im Krisenfall auf den Staat als Retter zu verlassen, denn ein vollständiger Lieferausfall erschiene politisch kaum durchhaltbar. Ein analytisch anders gelagertes Beispiel wären Waffen und Munition im Kriegsfall: Über sie zu verfügen bedeutet, das eigene Land und dessen Bewohner damit schützen zu können. Von solchen Gütern geht also eine erhebliche Externalität aus, sodass sie, wenn zusätzlich die Kriterien eins und zwei erfüllt sind, ebenfalls als kritisch anzusehen sind.

Sind alle drei Kriterien gleichzeitig erfüllt, also wenn Güter nicht kurzfristig ersetzbar und unmittelbar konsumrelevant sind und sie im Krisenfall zwangsrationiert bzw. von ihnen Externalitäten ausgehen würden, liegen nach unserem Dafürhalten hinreichende Gründe für einen staatlichen Eingriff in die Lieferkette vor. Ein solch transparenter Kriterienkatalog ist aus unserer Sicht zwingend nötig, um erzeugerseitige Einflussnahme auf diskretionäre Politikentscheidungen entgegenzuwirken und die Möglichkeit für ein Staatsversagen anstelle eines Marktversagens gering zu halten.


Wie sollen Abhängigkeiten verringert werden?

Daran anschließend stellt sich die Frage, mit welchem Instrument ein identifiziertes Beschaffungsproblem gelöst werden sollte. Für überwiegend homogene Güter (Grundnahrungsmittel, generische Medikamente, Energieträger) bieten sich Konzentrationszölle an, um einseitige Abhängigkeiten wie die von russischem Erdgas schon ex ante zu vermeiden. Ein Konzentrationszoll adressiert anders als Subventionen das Problem direkt und nimmt nicht dessen Lösung bereits vorweg. Es ist unklar, ob die Diversifizierung durch inländische Produktionsausweitung oder Handelsumlenkungen volkswirtschaftlich günstiger ist. Insofern sollte diese Entscheidung auch nicht politisch getroffen werden. Ein Konzentrationszoll würde progressiv mit dem (Markt-) Anteil eines Staates an den eigenen Importen ansteigen und die Diversifizierung darüber erzwingen. Er richtet sich damit auch erga omnes und ist zunächst nicht-diskriminierend. Natürlich wäre der WTO-rechtliche Meistbegünstigungsgrundsatz verletzt, weshalb wir vorschlagen, einen solchen Zoll über die Ausnahmeklausel in GATT-Artikel XXI (Nationale Sicherheit) zu rechtfertigen. Konzentrationszölle sind ein verhältnismäßig minderschwerer Eingriff verglichen damit, dass auch Totalembargos grundsätzlich zulässig wären. Zölle sind gewöhnlich als flat taxes konzipiert, aber eine Ausnahme gibt es: Im Agrarbereich sind sogenannte Tariff Rate Quotas zulässig. Mengen, die innerhalb einer bestimmten Quote importiert werden, erhalten einen anderen Importzollsatz (meist sogar Null) als Mengen außerhalb der Quote. Ein Konzentrationszoll wäre im Grunde eine Verstetigung von Tariff Rate Quotas, wobei statt Mengen Marktanteile die Basis für die Zollhöhe darstellen würden.

Ein Konzentrationszoll ist für differenzierte Güter allerdings weniger geeignet. Stark ausdifferenzierte Güter können in einem speziellen Kontext dennoch eine große Rolle spielen, z. B. Impfstoffe in einer Pandemie, Munition im Krieg. Wir kennen aber heute unsere künftigen Bedarfe für solche kontextabhängigen Güter nicht und deshalb erscheint eine vorauseilende Diversifizierung nicht sonderlich sinnvoll. Auch das Einlagern ist mit hohen Kosten verbunden. Vielmehr geht es darum, im Krisenfall die Produktion schnell entsprechend ausweiten zu können, oder anders gesprochen, die kurzfristige Substitutionsfähigkeit zu erhöhen. Langfristig sind so gut wie alle Importgüter durch heimische Produktion zu ersetzen. Doch Autarkie ist in Normalzeiten mit sehr hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Daher sollten staatlicherseits kontextspezifische Risiken durch Kapazitätsmärkte abgesichert werden. Kapazitätsmärkte gibt es unter anderem auf Strommärkten, wo Vergütungen zum Teil auch für die bloße Bereithaltung von Erzeugungskapazität gezahlt wird (bei Nicht-Lieferung im Bedarfsfall wird dagegen eine Pönale fällig). Man kann sich das Ganze auch als Optionsscheine vorstellen, die dem Staat das Recht geben, nach einem auslösenden Ereignis innerhalb einer gewissen Zeit eine gewisse Lieferung zu erhalten.

Solche wettbewerblichen Ausschreibungen könnten ermitteln, welche Anbieter zu welchen Kosten ihre Produktion beispielsweise auf kriegswichtige Güter umstellen können. Durch solche Ausschreibungen bestünden für Unternehmen Anreize, schon in Normalzeiten darüber nachzudenken, was sie im Falle von Pandemien, Naturkatastrophen oder Krieg anderes als gewöhnlich produzieren könnten. Die Teilnahme an diesen Ausschreibungen wird bei Bezuschlagung vergütet, aber auch über nicht bezuschlagte Gebote lässt sich eine Menge über die kurzfristige Substitutionsfähigkeit der Volkswirtschaft lernen. Im Kern geht es bei diesem Instrument darum, Substitutionsmöglichkeiten zu identifizieren und Prämien dafür zu bezahlen, dass Unternehmen über alternative Produktionen nachdenken.

Wie können Handelskriege verhindert werden?

Als kritisch empfundene Abhängigkeiten komplett zu verhindern, dürfte im sehr umfassenden Sinne dennoch mit einigen volkswirtschaftlichen Kosten einhergehen. Deshalb sollte man Handelskriege auch dadurch zu verhindern versuchen, dass man sie aktiv zu führen bereit ist. Si vis pacem, para bellum. Spiegelbildlich zur eigenen Importabhängigkeit ist das Ausland von den heimischen Exporten abhängig. Und dabei gibt es aus Sicht von Technologieführern, zu denen die Volkswirtschaften Mitteleuropas in einigen durchaus sehr relevanten Bereichen gehören, viele für das Ausland schwer zu substituierende Exportgüter z. B. bei optischen Geräten, im Maschinenbau, der Medizintechnik, bei Prozessknowhow, hochspezialisierten Fertigungstechniken usw. Beispielhaft steht dafür ASML, der niederländische Weltmarktführer, dessen Lithographen zur Herstellung der neuesten Halbleiter benötigt werden (bei denen wir uns wiederum eine vermeintliche Abhängigkeit attestieren). ASML ist globaler Monopolist, seine Zulieferer sind wiederum über Europa verteilt, beispielsweise stammt die Sensorik aus Niederbayern. Europa ist damit bereits Teil einer globalen Wertschöpfungskette und das kann umgekehrt genauso als Drohung genutzt werden, sollten ausländische Regierungen Halbleiter als Erpressung verwenden wollen.

Gemäß den obigen drei Kriterien dürften unsere Exporte allerdings nur das erste erfüllen. Viele unserer Exportgüter sind nicht unmittelbar konsumrelevant und dürften auch in Knappheitssituationen kaum Zwangsrationierungen unterliegen. Dagegen ist die Substitution aufgrund der angesprochenen Technologieführerschaft sogar mittelfristig eher zweifelhaft. Daraus folgt für Handelskriege eine über die Zeit asymmetrische verlaufende Kostenkurve: Während das russische Gasembargo Europa kurzfristig hohe Kosten schockhaft aufbürdete, schienen die Kosten für die russische Volkswirtschaft geringer, was manche Beobachter an der Sanktionseffektivität zweifeln ließ. Die Kosten sind allerdings für Europa nach Umstellung der Energieversorgung wieder deutlich gesunken, während die russische Volkswirtschaft zunehmend unter dem Mangel an Technologie, Knowhow und Investitionen aus dem Westen leidet. So ist Russland zur Förderung seiner Bodenschätze selbst auf importierte Güter angewiesen. Sanktionen, selbst wenn sie zum Teil über Drittstaaten unterlaufen werden (was schlussendlich steigende Handelskosten bedeutet und ein Nachschärfen kann hier lohnend sein, um die Handelskosten weiterhin auf hohem Niveau zu halten), zeigen damit durchaus Wirkung.

Was folgt daraus? Erstens bedarf es einer großen internationalen Koordination bei der Androhung und Durchsetzung von Sanktionen, insbesondere damit Terms-of-Trade-Effekte bei der Gegenseite spürbar werden (Rubel-Abwertung, Preisdeckel auf russische Erdölexporte). In unserem Buch Felbermayr & Braml (2024) argumentieren wir in diesem Zusammenhang immer aus der Perspektive der westlichen Demokratien in Europa, Nordamerika und Fernost insgesamt, die sich wie geschehen zusammenschließen sollten, um ihre Sanktionspolitik zu harmonisieren. Dazu könnte außerdem das Coordinating Committee on Multilateral Export Controls (CoCom) aus den Zeiten des Kalten Kriegs reaktiviert oder eine Art Wirtschafts-NATO gegründet werden. Zweitens bedarf es einer Umkehrung der Wirtschaftsförderpolitik: Es sollten nicht länger jene Branchen und Firmen staatliche Subventionen erhalten, die offensichtlich komparative Nachteile haben, wie die PV-Modulproduktion in Deutschland. Vielmehr sollten die Technologieführer gestärkt werden, damit sie ihre technologische Führerschaft ausbauen können und die Ersetzbarkeit für das Ausland weiterhin schwierig bleibt. Drittens sollte eine neue CoCom/Wirtschafts-NATO auch ihre Technologieexportpolitik bzw. Direktinvestitionspolitik gegenüber Drittstaaten koordinieren, um ungewollte Technologieabflüsse zu verhindern. Viertens sollten Handelskriege nicht auf Gütermärkte beschränkt bleiben, wo viele EU-Staaten hohe Exportüberschüsse vorweisen und somit insgesamt stärker durch Zölle belegt werden können, als es entsprechendes Potenzial auf der Importseite gibt. Als Trump während seiner ersten Präsidentschaft mit Automobilzöllen gegenüber Europa drohte, brachte Brüssel die Digital Services Tax auf den Plan, eine Steuer, die faktisch einem Zoll auf importierte Software-Dienstleistungen gleichkam. Damit bewies die EU, dass sich traditionell auf Gütermärkte beschränkte Handelskriege auch auf Dienstleistungsmärkte ausweiten lassen.

Ein stärker institutionalisierter Zusammenschluss in einer neuen CoCom/Wirtschafts-NATO muss im Übrigen auch nicht rein auf Protektionismus gegenüber Drittstaaten beschränkt bleiben, sondern könnte untereinander eine vollständige handelspolitische Liberalisierung erreichen. Wichtig erscheint uns dabei die Feststellung, dass demokratisch verfasste Marktwirtschaften mit starkem Rechtstaat nicht dazu neigen, wirtschaftliche Verflechtungen gegenüber anderen zur außenpolitischen Erpressbarkeit zu missbrauchen. Gewaltenteilung, eine freie Presse, unabhängige Gerichte und freies Unternehmertum lassen es in der Regel nicht zu, dass Firmen strategische Abhängigkeiten des Auslandes möglicherweise deshalb erzeugen, um einen Angriffskrieg oder ähnliches vorzubereiten. Die Postulate der Handelstheorie sind weiterhin gültig, wonach möglichst ungehinderter Handel die Wohlfahrt aller Beteiligten maximiert. Bei strategischen Rivalen oder gar feindlich gesonnenen Handelspartnern kann die Wohlfahrtsmaximierung jedoch auch zum strategischen Problem werden, denn militärische Kapazitäten ergeben sich unmittelbar aus der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. In einer solchen Welt kann es sicherheitspolitisch fahrlässig sein, rein auf die Einkommensmaximierung abzuzielen. Vielmehr spielen die absoluten Einkommensabstände – etwa das BIP der USA relativ zu dem Chinas – eine zunehmende Rolle. Damit gerät auch das auf Ausgleich bedachte WTO-Handelssystem an Grenzen, denn bei Regelverletzungen sieht es symmetrische Vergeltungszölle vor. Sie dienen der Schadensregulierung, sodass sich die absoluten wirtschaftlichen Schäden aus Handelskriegen ziemlich gleich auf die beteiligten Staaten aufteilen. In einer Welt, in der BIP-Abstände aus sicherheitspolitischen Gründen eine Rolle spielen, genügt diese Art der Vergeltung womöglich nicht, um Handelskriege zu verhindern, denn bei gleichem absolutem Schaden aus Zöllen und Gegenzöllen verändert sich der relative BIP-Abstand zugunsten des größeren Landes. Für kleine Staaten könnte es damit zunehmend lohnend werden, sich zu Handelsblöcken zusammenzuschließen.

Literatur

Felbermayr, G. J. & Braml, M. T. (2024). Der Freihandel hat fertig. Wie die neue Welt(un)ordnung unseren Wohlstand gefährdet. Amalthea Verlag, Wien.

Title:Why Free Trade Is Finished

Abstract:The article presents central findings from our book “Free Trade Is Finished,“ which discusses the trade-off between security and economic policy objectives that has become apparent in recent years. We analytically derive which goods are to be classified as “critical” and formulate three criteria for this: no substitutability in the short term; immediate relevance for consumption; forced rationing in the event of a crisis or the existence of external effects. If these criteria are met, state interventions such as concentration tariffs or capacity markets can solve the procurement problem. In terms of game theory, trade wars can also be avoided by understanding foreign dependencies as a potential weapon in such disputes.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0213

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.